Fachzeitschrift für Energetisch Chinesische Medizin - APM Radloff

FACHARTIKEL
AKUPUNKTURMASSAGE, KLASSISCHE CHINE-
SISCHE MEDIZIN UND IHRE DIFFERENZIERUNG
Die Vorstellung eines einheitlichen Modells der
Chinesischen Medizin (CM) entspricht keinesfalls
den Tatsachen. Im Grunde war die klassische chinesische
Medizin ursprünglich ebenso vielfältig,
wie die verschiedenen kulturellen Strömungen in
diesem Land. Die Reduzierung auf das, was wir
heute als TCM (traditionelle chinesische Medizin)
bezeichnen, entstand erst in den fünfziger Jahren
unter Mao (und von dieser soll im Folgenden gesprochen
werden)!
Diese „TCM“ bezieht sich in erster Linie auf Störungen
der Substanzen und auf Störungen im
materiellen Bereich des Körpers, während die ursprüngliche
(klassische) CM (verwirrenderweise
ebenfalls oft als TCM bezeichnet) die Bereiche
Körper (Materie), Seele (Energie) und Geist (Shen)
abdeckte. Für all diese Bereiche gab es spezifische
Vorgehensweisen, die sich auf die jeweiligen Bedürfnisse
in der Therapie bezogen.
CHINA
Die TCM entstand aus der politischen Notwendigkeit
eine günstige Variante der Gesundheitsversorgung für
das Volk, besonders die ländliche Bevölkerung bereitzustellen.
Mao Dse Dong und seine kommunistische Partei
China (KPCh) 1 benötigten hierfür ein System, welches
Konform mit den Ansichten des Marxismus 2 war. Da die
klassische Chinesische Medizin, der Begriff soll hier bewusst
im Gegensatz zum Begriff der traditionellen Chinesischen
Medizin stehen, ein ursprünglich ganzheitliches
Heilsystem repräsentierte, welches deshalb neben materiellen
auch religiöse (daoistische und schamanistische)
und psychologischen Bestandteile aufwies, musste es
an die Doktrin der Partei angepasst werden. So wurde
aus dem ursprünglich mehrstöckigen Gebilde 3 von Körper,
Seele und Geist, ein an westliche Denk- und Wertemodelle
angepasstes System, mit einer an der Hervorhebung
materieller Strukturen orientierten Ausrichtung.
Vor allem wurde im Rahmen dieser Entwicklung eine
Annäherung an die westliche Symptommedizin vollzogen.
Wir denken in diesem Zusammenhang auch an die
Akupunkturanästhesie.
Da „Religion Opium fürs Volk“ ist, entfernte man folgerichtig
Seele und Geist und beschränkte sich primär auf
die Auseinandersetzung mit den materiellen Inhalten.
Ursprüngliche Bestandteile der Chinesischen Medizin
wie Shen, Qi oder das Wu Xing (die Lehre der Wandlungsphasen)
wurden als unwissenschaftlich, primitiv
oder feudalistisch gebrandmarkt und nun in das „neue,
moderne System der TCM“ 4 integriert. Das neokonfuzianische
System, welches in die moderne TCM mit einfloss,
förderte die rationale Betrachtungsweise der darin
beschriebenen Vorgänge weiter. Emotionalität wurde in
diesem System als Folge der Wirkungen von Substanzen
beschrieben und damit als Ergebnis physiologischer
(biochemischer) Vorgänge betrachtet.
Zwar fanden die oben genannten Begriffe in das System
der modernen TCM ihren Eingang, jedoch handelt es sich
dabei oft nur um Lippenbekenntnisse, denen man in der
Praxis nicht gerecht wird. Die moderne TCM ist in erster
Linie auf Vorgänge ausgerichtet, die sich in materiellen
Strukturen abspielen 5 , weshalb die Kräutertherapie eine
so herausragende Rolle spielt. Hier leistet die moderne
TCM aber auch eine ausgezeichnete Arbeit.
Der Mensch bestand innerhalb dieser Betrachtungsweise
plötzlich nicht mehr aus Körper, Seele und Geist,
sondern wurde ganz im Sinne Descartes rationaler Betrachtungsweise,
auf eine mehr oder weniger funktionierende
„Maschine“ reduziert 6 . Mit dieser Denkweise kam
man natürlich auch der westlichen Denkweise und damit
der Schulmedizin entgegen, die ebenfalls den materiell
messbaren Aspekt des Körpers in den Vordergrund
stellt. Es versteht sich von selbst, dass diese Ebene hier
keineswegs kritisiert werden soll, im Gegenteil. Anatomische
physiologische Grundlagen sind für eine sinnvolle
Heilkunde unerlässlich. Die aber sehr wohl notwendige
Kritik bezieht sich auf den Alleinigkeitsanspruch der aktuellen
TCM, der natürlich in Frage gestellt werden muss.
Wer heute allerdings noch die Realität seelischer und
geistiger Empfindung und Vorgänge als Nebenprodukt
physiologischer Abläufe betrachtet, der sollte dringend
sein Weltbild hinterfragen 7 .
Der Begriff TCM, der heute im Zusammenhang mit der
modernen CM verwendet wird, ist deshalb nicht unbedingt
für dieses System der richtige Begriff, da mit seiner
Entstehung ursprünglich ja gerade absichtlich mit den
Traditionen gebrochen werden sollte! Auch wenn viele
Therapeuten heute wieder immer mehr, die aus diesem
System entfernten klassischen Denkweisen einfließen
lassen, gibt es innerhalb der TCM auch jene Vertreter,
die die Wirkungsweise der CM speziell auch der Akupunktur,
durch rein biochemische und neurologische
Vorgänge erklären wollen. Dadurch wird Kranksein wei-
1 Die KPCh wurde 1921 gegründet. Die Volksrepublik China wurde 1949 ausgerufen.
2 Die sozialistischen Ansichten von Marx, Engels und Lenin wurden von Mao entsprechend den herrschenden Bedürfnissen in eine eigenstän-
dige politische Sichtweise verändert. Sie wurde durch das so genannte „Rote Buch“ verbreitet. 1966 kam es nach dem ideologisch bedingten
Bruch mit der Sowjetunion, zum als Kulturrevolution bezeichneten Umbruch. Der Kulturrevolution lag die Theorie einer andauernden revolutionären
Umgestaltung von Kultur und Gesellschaft zugrunde. Die Ideale des Kommunistischen Denkens sollten im gesamten chinesischen Volk
verankert werden. Hierzu wurden Umerziehungen im großen Stil vorgenommen, um so genannte „konterrevolutionäre“ Tendenzen im Keim zu
ersticken.
3 Dieses Bild entspricht dem Trigramm von Himmel, Mensch, Erde und ist deshalb in jedem Heilsystem wieder zu finden, welches sich an Ganzheitlichkeit
orientiert.
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