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Aufsätze Philipp Erbentraut - Radikaldemokratisches Denken im Vormärz: zur Aktualität der Parteientheorie Julius Fröbels<br />

MIP 2008/09 15. Jhrg.<br />

Die Frage ist nun, wie sich diese erheblichen<br />

Widersprüche ins Konstruktive wenden lassen.<br />

Dazu schlage ich vor, über Fröbels Parteientheorie<br />

hinauszugehen und seine radikaldemokratischen<br />

Ideale als Denkanstoß für ein institutionelles<br />

Reformprojekt des bestehenden politischen<br />

Systems in Deutschland zu nutzen, das dem Postulat<br />

staatsbürgerlicher Selbstbestimmung gerecht<br />

wird, mehr Entscheidungskompetenzen an<br />

der Basis bündelt und somit zugleich auf die seit<br />

Jahren massiv geübte Kritik an den politischen<br />

Parteien in der Bundesrepublik 70 reagiert. Dabei<br />

kann es natürlich nicht darum gehen, die von<br />

Fröbel für das 19. Jahrhundert ausbuchstabierten<br />

Lösungen ohne Umstand auf die heute völlig<br />

veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse zu<br />

übertragen. Man muss aber nach den Ideen und<br />

Grundüberzeugungen fahnden, die den damaligen<br />

Optionen zu Grunde lagen. Genau wie<br />

Rousseau hat Fröbel im Namen der Volkssouveränität<br />

ein striktes Autonomiekonzept verfochten.<br />

Anders als die Rousseau-Kritik im Anschluss<br />

an Carl Schmitt behauptet, ging es bei<br />

dieser Form „identitärer Demokratie“ aber niemals<br />

um die „Identität von Herrschenden und<br />

Beherrschten“ 71 , sondern um die Identität von<br />

Gesetzgebenden und Gesetzesadressaten 72 . Hier<br />

wäre der Hebel anzusetzen, indem man die Bürger<br />

daran erinnert, nur diejenigen Gesetze als le-<br />

70<br />

Zum Stand der normativen Debatte vgl.: ALEMANN, Ulrich<br />

von: Brauchen wir noch politische Parteien?, in:<br />

Peter Häberle u. a. (Hrsg.), Festschrift für Dimitris Th.<br />

Tsatsos zum 70. Geburtstag, Baden-Baden 2003. S. 1–<br />

10 sowie MORLOK, Martin: Lob der Parteien, in: Jahrbuch<br />

der Juristischen Gesellschaft Bremen, Bd. 2, Bremen<br />

2001. S. 53–75.<br />

71<br />

So immer noch KRIELE, Einführung in die Staatslehre,<br />

S. 237.<br />

72<br />

Rousseau weist ausdrücklich und von sich aus auf die<br />

Schwierigkeiten und Gefahren der Selbstregierung hin.<br />

Die Hindernisse sind aus seiner Sicht so groß, dass die<br />

demokratische Regierungsform „ein Volk von Göttern“<br />

erfordert. Vgl.: ROUSSEAU, Gesellschaftsvertrag, S. 74.<br />

An seinem generellen Plädoyer für die republikanische<br />

Staatsform ändert diese Einschätzung natürlich nichts.<br />

Eine Autorin, die diese Lesart seit Jahren energisch<br />

vertritt, ist die Frankfurter Politikwissenschaftlerin Ingeborg<br />

Maus. Vgl: MAUS, Ingeborg: Zur Aufklärung<br />

der Demokratietheorie: rechts- und demokratietheoretische<br />

Überlegungen im Anschluß an Kant, Frankfurt am<br />

Main 1994. S. 201.<br />

gitim anzuerkennen, die sie sich selbst gegeben<br />

haben.<br />

Herrschaft über Menschen abzubauen und durch<br />

die Selbstbestimmung des Individuums zu ersetzen,<br />

ist seit Karl Marx’ berühmter Beschreibung<br />

der Pariser Kommune auch der Grundgedanke<br />

aller rätedemokratischen Entwürfe. 73 Derartige<br />

Überlegungen sehen sich allerdings mit einer<br />

ganzen Reihe von teils vernünftigen Einwänden<br />

konfrontiert, die vor allem auf die generelle Organisationslogik<br />

des Rätesystems und negative<br />

historische Erfahrungen abheben. Der Blick in<br />

die Geschichte kann aber nicht an die Stelle systematischer<br />

Widerlegung treten. Zudem beziehen<br />

die erstgenannten Bedenken ihre Triftigkeit<br />

oft aus allgemeinen Strukturproblemen industrieller<br />

Gesellschaften und können deshalb in ähnlicher<br />

Weise auch gegenüber parlamentarischen<br />

Regierungssystemen in Stellung gebracht werden.<br />

74<br />

Abstrahiert man einmal vom Grundsatz des ursprünglich<br />

proletarischen Charakters der Basisorganisationen,<br />

lassen sich die immer wieder genannten<br />

Hauptelemente des Rätesystems – politische<br />

Willensbildung von unten nach oben, geringer<br />

Institutionalisierungsgrad der Parteien und<br />

Verbände, imperatives Mandat usw. – auch als<br />

Maßnahmenkatalog einer auf dem Prinzip der<br />

Volkssouveränität basierenden direkten Demokratie<br />

lesen. Was spräche eigentlich dagegen,<br />

das bestehende parlamentarische System, durch<br />

das Experiment einer „dezentralisierten Gesetzgebung“<br />

75 zu ergänzen, die sich anstelle der Betriebe<br />

als unterste Organisationseinheiten auf<br />

Stadtteilversammlungen und kommunale Ortschaftsräte<br />

stützt?<br />

In der Tat gab es in Teilen der deutschen Arbeiterbewegung<br />

bereits zu Beginn der Weimarer<br />

Republik Überlegungen, die Rätedemokratie mit<br />

dem parlamentarischen Repräsentativsystem zu<br />

versöhnen – zum Beispiel durch die Einrichtung<br />

73<br />

MARX, Karl: Der Bürgerkrieg in Frankreich (1871), in:<br />

MEW, Bd. 17, Berlin 1964. S. 313–362 (338ff.)<br />

74<br />

BERMBACH, Udo: Organisationsprobleme direkter Demokratie,<br />

in: Ders. (Hrsg.), Theorie und Praxis der direkten<br />

Demokratie. Texte und Materialien zur Räte-<br />

Diskussion, Opladen 1973. S. 13–32 (27).<br />

75<br />

MAUS, Zur Aufklärung..., S. 224.<br />

14

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