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Aufsätze Marcus Hahn – Formalisierbare Gleichheit MIP 2008/09 15. Jhrg.<br />

c) Einrahmung durch Wertungen des Verfassungsrechts<br />

Weitergehende verfassungsrechtliche Anforderungen<br />

ergeben sich aus der Mathematik nicht,<br />

sondern sind, wenn sie postuliert werden, normativer<br />

Natur und dem juristischen Diskurs<br />

überlassen 35 . Die hier aufgezeigten Formalisierungen<br />

sind normativen Wertungen folglich erstens<br />

nachgelagert: sie stehen unter den Vorzeichen<br />

eines Konkretisierungsbedürfnisses der<br />

Art. 20 I, 28 I 2, 38 I 1 GG und geben Minimalanforderungen<br />

an ein Wahlsystem wieder. Es<br />

bleibt aber nicht bei einer bloßen Ableitung von<br />

Verfassungssätzen: jene Formeln sind Referenzen<br />

für eine offene Verfassungsinterpretation des<br />

Gesetzgebers durch Gestaltung einer Wahlrechtsordnung.<br />

Daher ist die Formalisierung normativen<br />

Wertungen auch vorgelagert: der Gesetzgeber<br />

setzt sein Verständnis einer verfassungsgemäßen<br />

Umsetzung dieser formalisierbaren<br />

Bedingungen und möglichen Modifikationen<br />

in die Wirklichkeit um 36 .<br />

Die zwischen normativen Wertungen angesiedelte<br />

Mathematik erscheint zwar dünn, lässt aber<br />

gerade im Hinblick auf einen Wahlgrundsatz<br />

wenig politischen Spielraum: die formale Wahlrechtsgleichheit.<br />

Deutlich wird dies wiederum an<br />

der strengen Prüfung, die der VerfGH vorgenommen<br />

hat.<br />

3. Folgerung: Abgrenzung zwischen Systemausgestaltung<br />

und Modifikation<br />

Ein Wahlsystem bestimmt sich folglich aus seiner<br />

Ausrichtung auf und Einhaltung von Kohärenzkriterien<br />

im Wechselbezug mit Konkretisierungen<br />

der Verfassung. Mathematisch ist ein<br />

35<br />

Zur Diskussion „Erfolgschancengleichheit“ / „Erfolgswertgleichheit“<br />

siehe oben, Nw. in Fn. 13.<br />

36<br />

Die Konkretisierung verfassungs- und wahlrechtlicher<br />

Grundentscheidungen ist nicht ein bloß deduktiver<br />

Schluss aus Verfassungsnormen, sondern eine dynamische<br />

Ausgestaltung vor dem Hintergrund einer von<br />

Mehrheit und Minderheit geprägten Verfassungskultur,<br />

vgl. allgemein zur Methode F. Müller, Strukturierende<br />

Rechtslehre, 1984, S. 47-69; R. Christensen/ders./M.<br />

Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, 1997, S. 90 ff.,<br />

167 ff.<br />

Wahlsystem eine monotone Funktion, sie weist<br />

also keine Sprünge auf 37 .<br />

Modifikationen des Wahlsystems schaffen dagegen<br />

Sprünge. Sie sind Normen, die von einer<br />

identifizierbaren und anhand obiger Kriterien gerechtfertigter<br />

Grundstruktur abweichen. Erstens<br />

sind sie für sich genommen nicht in der Lage,<br />

eine lückenlose Mandatszuteilung zu ermöglichen<br />

– ihr Anwendungsbereich ist auf einen bestimmten<br />

Stimmenbereich beschränkt. Zweitens<br />

führt ihre Anwendung zusammen mit der Ausgangsnorm<br />

dazu, dass die Kriterien von Homogenität,<br />

Austauschbarkeit oder möglichst geringen<br />

Abweichungen nicht einhaltbar sind. Drittens<br />

muss dieser Effekt gewollt sein: sie dürfen<br />

nicht auf die kohärente Integration der genannten<br />

Kriterien zielen.<br />

4. Richtigkeit des Urteils des VerfGH NW<br />

Im Fall des zu beurteilenden<br />

§ 33 III KWahlG NW war dies der Fall: Ausdrücklich<br />

schieden die so ergangenen Stimmen<br />

aus dem Zuteilungsverfahren aus, das nach<br />

§ 33 II KWahlG NW ohne Berücksichtigung jener<br />

Stimmen wiederholt werden musste. Während<br />

im Bereich des § 33 II 5 KWahlG NW der<br />

Grundsatz kaufmännischer Rundung mit dem<br />

Schwellenwert von 0,5 Bruchteilen galt, setzte<br />

§ 33 III KWahlG NW den Grundsatz durch die<br />

Schwelle von 1,0 außer Kraft. Im Bereich der<br />

„Ein-Sitz-Klausel“ ergab sich folglich ein<br />

Sprung in der Mandatszuteilung; die gemeinsame<br />

Anwendung von § 33 II und<br />

III KWahlG NW hätte folglich – nach den dargelegten<br />

Kriterien – kein optimales Ergebnis erzielt.<br />

a) Modifikation<br />

Somit zeigt sich die Richtigkeit des Urteils, die<br />

„Ein-Sitz-Klausel“ nicht als systeminterne Rundungsproblematik<br />

zu behandeln und somit nicht<br />

als durch die legitime gesetzgeberische Entscheidung<br />

für ein Wahlsystem gerechtfertigt anzusehen.<br />

Es handelt sich somit um eine sperrklausel-<br />

37<br />

B. Beckmann (Fn. 26), S. 57 im Zusammenhang mit<br />

Hare/Niemeyer und passim.<br />

46

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