06.11.2013 Aufrufe

Download - PRuF

Download - PRuF

Download - PRuF

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Aufsätze Marcus Hahn – Formalisierbare Gleichheit MIP 2008/09 15. Jhrg.<br />

dieses zweitens mathematisch formalisierbar.<br />

Dementsprechend sind Systemausgestaltung und<br />

Modifikation abgrenzbar. Die dritte Stufe ist die<br />

normative Rechtfertigung der Modifikation.<br />

Rechtfertigungsgründe liegen außerhalb der Mathematik<br />

– sie können allein aus dem bisherigen<br />

Bestand von Rechtsdogmatik und Rechtsprechung<br />

heraus kreiert werden. Die erste Stufe ist<br />

ein formaler, die zweite Stufe ein Prozess nicht<br />

formalisierbarer Kohärenzschaffung 48 .<br />

IV. Ausblick: Formalisierbare Gleichheit<br />

Gleichheit im Wahlrecht ist im Hinblick auf das<br />

Mandatszuteilungsverfahren nicht nur formal,<br />

sondern auch rechnerisch formalisierbar. Die<br />

Annahme einer „formalisierbaren Gleichheit“<br />

spitzt das formale Gleichheitsverständnis der<br />

Mandatszuteilung mathematisch zu und könnte<br />

daher auf Einwände stoßen.<br />

1. Mögliche Einwände<br />

Der Einwand, diese Methode, einen Gleichheitsverstoß<br />

festzustellen, sei mechanistisch und normativen<br />

Wertungen unzugänglich, kann durch<br />

Verweis auf die Rechtfertigungsebene entkräftet<br />

werden. Sobald es nicht mehr um mathematisierbare<br />

Größen geht, bleibt die Rechtfertigung einer<br />

solchen Ungleichbehandlung wertungsabhängig.<br />

Schwerer wiegt der Einwand, dass „kalte“ und<br />

inhaltsleere Mathematik nicht die staatstheoretischen<br />

und geistesgeschichtlichen Grundlagen einer<br />

Verfassung, wie etwa demokratische Repräsentation,<br />

wiedergebe 49 . Dies ist grundsätzlich<br />

richtig, jedoch ist die Formalisierbarkeit eines<br />

Mandatszuteilungsverfahrens abhängig von dem<br />

jeweiligen Wahlsystem, das insgesamt an der<br />

Verfassung in Einklang mit ihren Konkretisierungen<br />

zu rechtfertigen ist. Formalisierbarkeit ist<br />

48<br />

Vgl. K. I. Lee, Die Struktur der juristischen Entscheidung<br />

aus konstruktivistischer Sicht, Diss. iur. Düsseldorf<br />

2008, Teil 2 Abschnitt VI., mit vertiefenden<br />

Nachweisen, i. E.<br />

49<br />

J. Krüper, NWVBl. 2005, 97 (98). Grundlegend zum<br />

Begriff der Repräsentation G. Leibholz, Das Wesen der<br />

Repräsentation (1928) und der Gestaltwandel der Demokratie<br />

im 20. Jahrhundert (1960), 2. Auflage, Berlin<br />

1960, S. 26 ff.<br />

somit deklaratorisch und nicht konstitutiv für die<br />

Konkretisierung von Gleichheitssätzen. Etwa in<br />

politischen Aushandlungsprozessen, wie Koalitionen<br />

und Ausschussbesetzungen, endet ihre<br />

Überzeugungskraft 50 . Dennoch hat sie eine<br />

Scharnierfunktion: sie ist Ausdruck und Ausgangspunkt<br />

innerer Folgerichtigkeit der gesetzgeberischen<br />

Verfassungsinterpretation 51 .<br />

Daher steht das Postulat formalisierbarer Gleichheit<br />

auch im Einklang mit Geschichtsbedingtheit<br />

52 , Wandel 53 und Wirklichkeitsbezug 54 des<br />

Parteien- und Wahlrechts: verliert die Formalisierung<br />

ihre Rechtfertigung, kann sie nicht mehr<br />

einen verfassungsrechtlich legitimen Gleichheitssatz<br />

abbilden und muss ersetzt werden. Sie<br />

ist zeitlich gebundenes Abbild der Wahlrechtsgleichheit.<br />

2. Anwendung als übergreifendes Rechtskriterium<br />

und Grenzen<br />

„Formalisierbare Gleichheit“ ist genau und nur<br />

dort ein dogmatisches Kriterium, wo formale<br />

Gleichheitssätze gelten und Begünstigungen<br />

quantitativ messbar sind. Damit ist sie kein generelles<br />

Kriterium des öffentlichen Rechts – aber<br />

dennoch relevant: zu denken ist an das Steuerrecht<br />

55 oder staatliche Leistungen 56 . Hier ist<br />

ebenfalls eine neutrale Formalisierbarkeit zwischen<br />

verfassungsgemäßer Systementscheidung<br />

und Rechtfertigung von Modifikationen gegeben.<br />

Wegen dieser Möglichkeit und des Bedürfnisses<br />

zu einer normativen Rechtfertigung wird hiermit<br />

kein formalistisches Gleichheitsverständnis be-<br />

50<br />

Zutreffend J. Krüper, ebd.<br />

51<br />

Hierzu M. Herdegen, Verfassungsinterpretation als<br />

methodische Disziplin, JZ 2004, 873 (875).<br />

52<br />

Siehe M. Heinig, MIP 1999, 25 (26). Grundlegend<br />

Triepel (Fn. 6).<br />

53<br />

N. Achterberg/M. Schulte, MKS, GG, Art. 38 Rn. 138.<br />

54<br />

Grundlegend K. Hesse, Die verfassungsrechtliche<br />

Stellung der politischen Parteien im modernen Staat,<br />

VVDStRL 17 (1959), S. 11 (13 f.); M/D-Klein, Art. 38<br />

Rn. 158 f.<br />

55<br />

BVerfGE 84, 239 (282); 93, 121 (134); 110, 94 (112).<br />

56<br />

Vgl. BSG GesR 2007, 581 ff. oder die<br />

„Rentenformel“ in § 68 V SGB VI.<br />

48

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!