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Aufsätze Marcus Hahn – Formalisierbare Gleichheit MIP 2008/09 15. Jhrg.<br />

Die Entscheidung des VerfGH befindet sich auf<br />

der Schwelle der Abgrenzung zwischen Systemprägung<br />

und Modifikation. Der VerfGH hat die<br />

„Ein-Sitz-Klausel“ als rechtfertigungsbedürftige<br />

Abweichung von dem Grundsatz einer proportional<br />

ausgestalteten Sitzzuteilung angesehen –<br />

zu Recht. Denn das in § 33 II KWahlG NW niedergelegte<br />

Zuteilungsverfahren schließt alle an<br />

der Wahl teilnehmden Gruppierungen ein, soweit<br />

sie mindestens 0,5 Sitze erreichen. Diese<br />

Zuteilungsregel nach Saint-Laguë/Schepers ist<br />

bereits über das Gesamtsystem gerechtfertigt.<br />

Die „Ein-Sitz-Klausel“ führt dagegen eine untere<br />

Hürde ein, die der VerfGH konsequent an der<br />

hierzu ergangenen Judikatur misst. Es trifft zu,<br />

dass § 33 II KWahlG NW ein Zuteilungssystem<br />

konstituiert, von dem § 33 III KWahlG NW abweicht<br />

(Rn. 62 ff.). Erhärten lässt sich dies durch<br />

über das Urteil hinaus reichende Abgrenzungskriterien.<br />

III. Abgrenzung zwischen Systemausgestaltung<br />

und Modifikation<br />

Bei der Ausgestaltung des Wahlsystems handelt<br />

es sich um eine politische Entscheidung. Daher<br />

geht die Rechtsprechung zutreffend von einem<br />

breiteren Entscheidungsspielraum aus 21 . Fraglich<br />

ist jedoch, was unter „Wahlsystem“ zu verstehen<br />

ist.<br />

1. Kein verfassungsrechtlicher Mehrwert des<br />

Gegensatzes Mehrheits- und Verhältniswahlrecht<br />

Immer noch dominiert die Auffassung, die Grundentscheidung<br />

falle entweder auf ein Mehrheitsoder<br />

ein Verhältniswahlsystem, wobei die<br />

„Kombination“ grundsätzlich offenstehe 22 . Die<br />

Entscheidung für eines der Systeme bilde den<br />

Maßstab der gesetzgeberischen Bindung. Hierge-<br />

20<br />

Vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation,<br />

1. A. 1978, S. 238 ff.<br />

21<br />

BVerfGE 3, 19 (24), 59, 119 (124); 95, 335 (349 f.);<br />

DVBl. 2008, 1045 (1047); BayVerfGH BayVBl. 1992,<br />

397 (398).<br />

22<br />

BVerfGE 1, 208 (253); 4, 31 (40); 95, 335 (354); M/<br />

D-Klein, GG, Art. 38 Rn. 162; Magiera, in: Sachs,<br />

GG, Art. 38 Rn. 109.<br />

gen lässt sich anführen, dass sich der Gesetzgeber<br />

seinen eigenen Prüfungsmaßstab schaffen<br />

könnte. Gewichtiger ist aber der Befund, dass<br />

das Wahlrecht auf einem Kontinuum zwischen<br />

der Abbildung möglichst vieler Strömungen und<br />

dem Ziel der Mehrheitssicherung liegt 23 . Entsprechend<br />

hat der Gesetzgeber die in Konflikt<br />

stehenden Ziele eines arbeitsfähigen Parlaments<br />

(Konzentrationsfunktion) und der möglichst<br />

vollständigen Abbildung des Wahlvolks (Abbildungsfunktion)<br />

in Einklang zu bringen 24 . Maßstab<br />

hierzu ist vor allem die Verfassungsnorm<br />

des Art. 38 I 1 GG in ihrer bisher erfolgten Konkretisierung<br />

selbst.<br />

Dennoch bleibt die Systementscheidung rechtlich<br />

relevant. Welches System der Gesetzgeber<br />

gewählt hat, ergibt sich nicht aus der Gegenüberstellung<br />

von Mehrheits- und Verhältniswahl,<br />

sondern aus den Grundprinzipien der im einfachen<br />

Recht auffindbaren Wahlrechtsnormen 25 in<br />

Relation zum Kontinuum möglicher Wahlsysteme.<br />

Diese sind Gegenstand der Rechtfertigung<br />

anhand des Art. 38 I 1 GG. So urteilt auch der<br />

VerfGH, der hier die erste Prüfungsstufe abschichtet<br />

(Rn. 48).<br />

2. Was ist ein verfassungsgemäßes Wahlsystem?<br />

Aus den so gerechtfertigten Grundprinzipien<br />

folgt eine allgemeingültige Mandatszuteilungsmethode.<br />

Diese ist nicht juristisch, sondern mathematisch<br />

erfassbar. Für das gesamte Spektrum<br />

möglicher Zuteilungsmethoden existieren allgemeingültige<br />

mathematische Charakteristika. Sie<br />

sind unabhängig von einer bestimmten Ausgestaltung,<br />

folgen aber aus den verfassungsrechtlichen<br />

Vorgaben der Art. 20 I, 28 I 2, 38 I 1 GG.<br />

Sie können daher bei der Abgrenzung zwischen<br />

System und Modifikation weiterhelfen. Fruchtbar<br />

erscheint dazu ein Rückgriff auf eine jüngere<br />

stochastische Untersuchung, die Kriterien für<br />

23<br />

Vgl. bereits Fn. 19.<br />

24<br />

Vgl. M/D-Klein, Art. 38 Rn. 163.<br />

25<br />

So R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht,<br />

32. A. 2008, § 39 Rn. 13 – dann aber auf die<br />

starre Kategorisierung zurückschwenkend in Rn. 18-<br />

20.<br />

44

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