17.11.2013 Aufrufe

Der Ruhrbergbau am Vorabend des Zweiten Weltkriegs ...

Der Ruhrbergbau am Vorabend des Zweiten Weltkriegs ...

Der Ruhrbergbau am Vorabend des Zweiten Weltkriegs ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

446 Klaus Wisotzky<br />

men zu, weil jeder den anderen verantwortlich machte, wenn der Zuschlag verpaßt<br />

wurde. Besonders die Arbeiter, die in der Vergangenheit bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit<br />

gegangen waren, sahen sich im Nachteil, weil sie ihre Leistung nicht<br />

mehr steigern konnten, und beneideten ihre Kollegen, die „gebummelt" hatten und<br />

daher genügend Reserven besaßen, um die Gedingegrundlage zu überschreiten.<br />

Durch die Gewährung einer Prämie spalteten sich die Belegschaften. Etwa ein<br />

Drittel der Hauer erreichte einen Zuschlag und profitierte auf Grund <strong>des</strong> überdurchschnittlichen<br />

Lohnes von der Verordnung 123 . Dieser Teil der Belegschaft mag sich<br />

auch eher mit der Arbeitszeitverlängerung abgefunden haben als die Mehrheit der<br />

Arbeiter. Auf Grund der unterschiedlichen Interessenlage war die Einigkeit der<br />

Hauer zerstört.<br />

Mit der überproportionalen Entlohnung verstärkte sich die Tendenz zur Atomisierung<br />

der Solidarität unter den Arbeitern, die bereits mit der Einführung <strong>des</strong> Einzelund<br />

Gruppengedinges begonnen hatte. Diese individuelle Form der Verdienstermittlung<br />

verdrängte während der dreißiger Jahre immer mehr die traditionelle gemeinschaftliche<br />

Form <strong>des</strong> K<strong>am</strong>eradschaftsgedinges 124 . Nach der Zerschlagung der Arbeiterorganisationen<br />

wurden im Dritten Reich Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsverhältnisse<br />

in der Regel nicht durch solidarisches Handeln durchgesetzt, sondern sie<br />

wurden überwiegend auf individueller Basis errungen: <strong>Der</strong> Arbeiter drohte mit der<br />

Kündigung, um zu einer Aufbesserung <strong>des</strong> Gedinges zu gelangen, oder er wechselte<br />

zu einer höher bezahlten Arbeitsstelle.<br />

Spaltung der Belegschaften durch eine unterschiedliche Entlohnung, Aufstiegsmöglichkeiten<br />

für den einzelnen durch Berufswechsel oder durch Leistungssteigerung,<br />

begleitet von einer Propaganda, die „freie Bahn dem Tüchtigen" versprach 125 -<br />

alle diese Ansätze zur Zerstörung der Solidarität, teilweise bewußt vorgenommen,<br />

teilweise durch die wirtschaftliche Entwicklung hervorgebracht, mögen auch dafür<br />

verantwortlich gewesen sein, daß die oft geäußerte Unzufriedenheit nicht in kollektive<br />

Aktionen umschlug. <strong>Der</strong> Zus<strong>am</strong>menhalt in den Belegschaften war nicht mehr in<br />

dem Maße wie früher vorhanden und konnte sich auch nicht neu bilden; dafür sorgte<br />

die Doppelstrategie von individuellem Anreiz und Terror, das Zus<strong>am</strong>menspiel von<br />

Unternehmern und Gestapo. Während die Betriebsführungen mittels der Entlohnung,<br />

der Arbeitsorganisation und der betrieblichen Sozialpolitik, die das Wohlverhalten<br />

<strong>des</strong> Belegschaftsmitglieds „belohnten", die Vereinzelung <strong>des</strong> Arbeiters im Be­<br />

123 Im Juni 1939 erhielten 35,4 Prozent der Gedingearbeiter den 200-Prozent-Zuschlag. Siehe 3.Bericht.<br />

124 Während in den zwanziger Jahren das Einzelgedinge weitgehend unbekannt war, arbeiteten 1940<br />

bereits 40,6 Prozent der Hauer im Einzel- bzw. Gruppengedinge. Ergebnis einer Umfrage der Bezirksgruppe,<br />

BBA 13/1493.<br />

Vgl. auch zu den Auswirkungen Peukert, Kolonie und Zeche, S.25.<br />

125 Bestes Beispiel für diesen Aspekt der nationalsozialistischen Arbeiterpolitik ist wohl der Reichsberufswettk<strong>am</strong>pf.<br />

In mehreren Ausscheidungsrunden kämpfte jeder gegen jeden um den Sieg, d. h.<br />

um den individuellen Aufstieg. Die anderen teilnehmenden Arbeiter waren keine K<strong>am</strong>eraden<br />

mehr, sondern nur noch Konkurrenten, die es zu bezwingen galt.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!