FOTO: TOM MAERCKER 1989 und die gesellschaftlich-kulturelle Überformung von Identitäten
0.13 __ //// TITELTHEMA BJÖRN KLUGER „Der Norden wacht auf “, der Titel eines gleichnamigen Buches zu den aus der Ohnmacht erwachten Nordlichtern, schrieb 1989 einen Teil der Geschichte über Aufbruch, Umbruch und Zuversicht. Gewusst hat niemand, wohin die Reise geht, aber klar schien der Wille zur Konstruktion einer neuen sozialen Wirklichkeit. Der Süden machte den Norden zur Hölle, verwünschte und verprügelte auch. Gut, wer dann kein ABC-Kennzeichen hatte. Woran niemand so recht dachte, war, dass, als Vieles seinen geordneten Lauf nahm, die Revolution im Norden forciert wurde, ohne sich mit den Apfelsinen und Bananen zu begnügen. Gar unwohl war die Nationalisierung des Südens. Aus dem „das“ zum „ein“, die geistig-moralische Anmaßung über Gewissen und Macht zu entscheiden. Auf der Straße lag die Macht und da stand eine Generation auf, die nicht bürgerlich, auch nicht reaktionär, sondern eine linke Opposition sein wollte und zugriff, selbst den Gang der Geschichte zu bestimmen. Es ging nicht ums Reformieren sondern um die Vollendung dessen, was man begonnen hatte. Theoretisch begann der Übergang vom Staatsfeudalismus zur bürgerlich-demokratischen Phase der Revolution. In dieser Etappe der Emanzipation befindet sich das kulturelle und politische Erbe der 1989 angetretenen politischen Generation noch immer. Da halfen auch keine blühenden Landschaften, Übernahmen, geplatzten Blasen und Dekonstruktionen von Wirklichkeiten, den Erziehungsprozess zu gesellschaftlich gewünschten Identitäten zu beschleunigen. Selbst die geistige Elite der 1968er muss inzwischen erkennen, dass ihre alte Bundesrepublik sich verändern muss und nicht mehr einer verfremdeten Sozialdemokratie folgen kann. Die Debatte um die Deutungshoheit Die Demokratisierung ist gescheitert, auch wenn Herr Reis dies in seinem Beitrag zum letzten Heft zu entkräften versucht. Gleichzeitig belegt er jedoch das „Unbehagen“ (Lechner) mit der Form und der Titulierung von Politik, der Verfassung und Verfassungswirklichkeit. Politisch opportun, ein gesellschaftliches Projekt aus den Angeln zu heben, glaubte damit das Gros den Geist der selbstdefinierten Freiheit in das Korsett der Genügsamkeit und Saturiertheit einfügen zu müssen. neue Form der Selbstentfremdung gekoppelt wurde. Es zeigt sich erneut, dass ein politisches Projekt der Emanzipation nicht von außen erzwungen und erzogen <strong>werden</strong> kann. Vor diesem Hintergrund verlaufen die derzeitigen Diskussionen um die „Einordnung der DDR“. Das Scharmützel zwischen Herrn Schröder und Herrn Maaz, um „heilsame Revolutionen“, Anpassungsprozesse statt Gestaltungsprozesse und den Verlust der eigenen Souveränität, Einschätzungen und Statements über „Sehnsucht nach Diktaturen“ (Wolle), Verharm<strong>los</strong>ung (Schroeder) etc. formen eine auf Deutungshoheit gerichtete Debatte. Zu Recht begreifen Menschen diese Debatte als einen Austausch Außenstehender über ihr Leben. <strong>Hier</strong> setzt die Akzentuierungsthese meines Erachtens an. Den Bruchsituationen, dem Identitätsverlust nicht nur einzelner folgte ein Vakuum und konnte auch nicht durch die Angebote der bürgerlich-liberalen Freiheit überwunden <strong>werden</strong>. Aus Mangel an wahrnehmbaren Alternativen, dem Vorwurf des Wertemangels ausgesetzt, blieb dem Ostdeutschen nur die Überformung seiner Biografie. Den Menschen blieb der Verlust haften, die Angst vor der Krise, um den Job, um die Befindlichkeit, um die Zukunft. In der Verweigerung, diese auch noch in die Vergangenheit treiben lassen zu müssen, das eigene Leben in die Mühlen des „Unrechtsstaates“ zu verlagern, verschoben sich die Akzente. Die Masse hat mitgebaut, aber nicht mittapeziert. Umso deutlicher äußert sich das „Unbehagen“ an den bestehenden Verhältnissen, in denen sich für sie nicht das Zuhause finden lässt. Um den Alltag zu überstehen, haben viele so auch die Vergangenheit liegen lassen. Klar war der Sprung über die Mauer als politischer Akt gefährlich. Gleichzeitig wusste jedoch jeder, dass wer der über die Mauer wollte, auch tot sein kann, „das stand da dran“ (Lorenz). Später trafen Ober- und Untertanen aufeinander, die Bestätigung durch eine Idee traf auf die Bestätigung durch Wohlstand und Geld (Maaz). Der „Gefühlsstau“ stand der Losung „Freiheit statt Sozialismus“ gegenüber, die Menschen waren euphorisch, beweglich, wurden jedoch wiederum ohnmächtig zurückgelassen. Der „Aufstand der Anständigen“, wie Herr Gauck es nannte, hat dementsprechend das Gefühl einer hohlen Maske hinterlassen. Der 1989 begonnene Aufbruch zur Basisdemokratisierung verläuft immer noch entlang der politischen Konstanten von Arbeit, Kapital, Mitbestimmung und Emanzipation. Dieser Umstand wird auch nicht durch die aktuelle Debatte außer Kraft gesetzt. Der selbstbestimmte Freiraum der Konstruktion politischer und kultureller Wirklichkeiten bleibt deshalb an der Tagesordnung, um die Revolution von 1989 zu vollenden. ¬ Vergessen wurde, dass mit der Schnellüberwindung des Staatsgebildes ein Mehr an Freiheit und Selbstbestimmung an eine