FOTO: TOM MAERCKER
0.17 __ //// AKTUELLES: PRAXISBERICHT Wir haben seinerzeit darüber berichtet: Ende April 2009 machte sich eine Gruppe von <strong>Rostock</strong>ern in einem Reisebus auf den Weg in Richtung Strasbourg, um sich an den Protesten gegen den Nato-Gipfel zu beteiligen. Was sich aus dieser Wahrnehmung ihrer demokratischen Grundrechte ergeben würde, hätten sie sich damals sicher nie träumen lassen. The Igel has landed CORNELIA MANNEWITZ Ganz stimmt das ja nicht. Aber man muss schon den Eindruck haben, dass der norddeutsche Igel auch dort sein möchte, wo der Adler schon ist. Was soll man denn auch denken, wenn man Folgendes erlebt: Für eine öffentliche Busfahrt der Friedensbewegung von MV zur internationalen Großdemonstration gegen die NATO am 4. April 2009, anlässlich ihres Geburtstagsgipfels in Strasbourg, deren Teilnehmer sich zu einem Großteil nicht kannten und von der zwei <strong>Rostock</strong>er am 4.4. nicht zurückkamen, gibt es drei Monate später in <strong>Rostock</strong> mehrere „Zeugen“vorladungen. Dabei wird einmal für Aussageverweigerung Ordnungsgeld von 300 Euro verhängt. In meinem Fall (ich war Mieter des Busses) sind es 500 Euro; vorausgegangen ist eine Vernehmung beim Landeskriminalamt, die eher ein Verhör ist, bei der Dinge gefragt <strong>werden</strong>, die ich nicht wissen kann (ich stand am 4.4. nicht in Strasbourg, sondern zusammen mit dem baden-württembergischen Ostermarsch hinter der Polizeisperre vor der Europabrücke in Kehl), es ansonsten um die Arbeitsweise des Rostokker Friedensbündnisses geht, kollektive Unternehmungen auf mich persönlich projiziert <strong>werden</strong> und mein Rechtsbeistand als „Verteidiger“ tituliert wird – in der Kriminallogik: ein Täternest wird ausgehoben, einigen wird gedroht und einer soll hängen, oder sollte das nicht die Attitüde gewesen sein? - ; ich halte etliche Fragen für sinn<strong>los</strong> und nenne keinerlei Namen; zwei Wochen später bei der Staatsanwaltschaft, dort kein Sichaufhalten mit der Feststellung von Personalien, gleich die Frage nach einer Namensliste der Busteilnehmer, Ignorieren des Zeugnisverweigerungsrechts, Verhängung der Kosten für das Suchen der Liste, sofort Hausdurchsuchungsbefehl (ob er inzwischen schriftlich vorliegt, ist nicht bekannt), Personenkontrolle inklusive Abtasten nach Waffen, Hausdurchsuchung, ohne mir den Zugang zur eigenen Wohnung zu gestatten, auf die Idee eines der Durchsuchungsbeamten hin Beschlagnahmung meines Computers, Androhung von Beugehaft, Vorbehalt der Eröffnung eines Verfahrens wegen Strafvereitelung. Den Hergang und die Bewertung dieses Vorgehens aus der Sicht des <strong>Rostock</strong>er Friedensbündnisses haben wir hier geschildert: http://www.rostocker-friedensbuendnis.de/antimilitaristischer-blog/204. Wir bewerten dieses Vorgehen, abgesehen vom Offensichtlichen – dass Kritik an der NATO nicht mehr geduldet <strong>werden</strong> soll - als eine Intervention zugunsten der umstrittenen Kriegführung der BRD in Afghanistan und als einen Angriff auf die Friedensbewegung im Eurofighter- und Korvettenland MV, der ihr Anliegen diskreditieren, Daten „sichern“ und die Aktiven zum Schweigen bringen soll. Alles das hat mir eine ganz persönliche Perspektive auf das beschert, was Mancher kaum glauben will: Ja, es wird gar nicht damit gerechnet, dass man die Absicht haben könnte, friedlich zu demonstrieren. Politische Motive interessieren nicht. Es wird sich nicht vorbereitet: Man fragt über Strasbourg zur Gipfelzeit und streitet über die Schreibung von Toponymen. Es wird agiert, teils ad hoc und ohne die eigenen Regeln zu beachten. Die Vorgänge haben bundesweite Beachtung gefunden. Zeitungen berichten überregional, Webseiten, Blogs und Mailinglisten nehmen Bezug auf sie. Dies ist nur ein Fall, nicht einmal besonders spektakulär, trotz seines exemplarischen Charakters, den wohl viele fühlen. Für mich ist er trotzdem eine neue Erfahrung. Aber mir helfen frühere, sie einzuordnen: ein dreiundfünfzig Jahre langes Leben; meine grundsätzliche Rationalität, die mich Wissenschaftler hat <strong>werden</strong> lassen; Jahre im Ausland, mit zum Teil behinderter und trotzdem nur ungeliebter Arbeit; Funktionen gerade in Krisenzeiten mit Zwang zur auch öffentlichen Auseinandersetzung mit Strukturen und ihren Exponenten; nicht zuletzt meine Arbeit im <strong>Rostock</strong>er Friedensbündnis, wo wir uns mindestens zu den Themen Hans Joachim Pabst von Ohain und Ilja Ehrenburg Fachkompetenz erarbeitet haben, die auch von außen nachgefragt wird. Deshalb ist es für mich leichter als für die jungen Leute, die ebenfalls als Zeugen geladen waren. Und überhaupt keinen Vergleich hält alles das aus mit der Situation der beiden jungen <strong>Rostock</strong>er, die in Strasbourg seit Anfang April bis heute in Untersuchungshaft sitzen. <strong>Sie</strong> <strong>werden</strong> nach wie vor nur VERDÄCHTIGT, an Ausschreitungen teilgenommen zu haben. Und ich habe eine weitere Erfahrung gemacht: Solidarität. Für den Mainstream klingt das Wort altbacken. Aber es lebt. Ich bin kein in der Wolle gefärbter Bewegungsorientierter und gebe eine gewisse Reserviertheit im Umgang mit potenziellen Bündnispartnern zu. Aber was ich jetzt an Solidarität erlebt habe, lässt mich anders denken: Zuspruch und Hilfeangebote gehen ein. Bedeutende Summen Geld <strong>werden</strong> gespendet, manchmal stillschweigend bar auf die Hand. Herzlichen Dank an alle! Liebe Freundinnen und Freunde, jetzt erst recht: Wir machen weiter, ganz bestimmt. ¬