Hier werden Sie Ihren Lieblingsfehler los: - Stadtgespräche Rostock
Hier werden Sie Ihren Lieblingsfehler los: - Stadtgespräche Rostock
Hier werden Sie Ihren Lieblingsfehler los: - Stadtgespräche Rostock
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Asche, Archive und Leben.<br />
Memory nach 20 Jahren - Ein abgebrochener Rundgang<br />
JENS LANGER<br />
Während die dicken Wälzer noch nach Jahrzehnten als Monumente<br />
und Grabsteine an die Ereigniszeit 1989 erinnern <strong>werden</strong>,<br />
gibt es Zeugnisse der historischen und belletristischen Erinnerungskultur,<br />
die zum Teil schon beim Erscheinen in ihren<br />
meist kleinen Verlagen mehr verheimlicht als veröffentlicht<br />
worden sind. Einige sollen hier genannt <strong>werden</strong>, damit sie<br />
nicht auch noch vom Übersehen<strong>werden</strong> untergepflügt <strong>werden</strong>.<br />
Vollständigkeit kann nicht einmal angedeutet <strong>werden</strong> auf<br />
Grund der oft klandestinen Präsenz solcher Werke auf dem Büchermarkt.<br />
In der historischen Fachliteratur wird gelegentlich sacht diskutiert,<br />
ob die Entwicklung 1989/90 vom Charisma einzelner<br />
Akteure abhing oder sich selbstorganisatorisch auf der Straße<br />
aus der Überreife der Zeit entwickelte. Die Mehrheit der Autorenschaft<br />
neigt der zweiten Erklärung zu und ich als deren Leser<br />
auch. Jan Schönfelder (Der Mut der Einzelnen. Die Revolution<br />
in Arnstadt, 29. 978-3-932906-93-000) nennt aber die<br />
Frau und den Mann, die in ihrer thüringischen Heimatstadt ihre<br />
Nasen in den Wind gehalten haben. Dann gibt es noch einen<br />
Zimmermann mit Promille, der durch die Szene läuft und<br />
anscheinend nicht namentlich fixiert <strong>werden</strong> will, weil er zufällig<br />
ins Geschehen eingriff. Der Verfasser eines wichtigen Flugblattes<br />
outet sich erst ganz am Schluss, auch erschrocken über<br />
das, was er auslöste. Also, dann bleibt es wohl am Ende der 159<br />
Seiten nach dieser Ortslage dabei, dass die Zeit einfach reif war.<br />
Aber jemand musste die Birnen vom Baum abstreifen.<br />
Gerhardt Gröschke (1948-1995) war ein sensibler Beobachter<br />
des Landes, Dramaturg in Stendal und Frankfurt (Oder), erzählt<br />
ganz unspektakulär, wie es sich lebte, bis sich vieles änderte<br />
(Im Gehäuse. Eine East-Side-Geschichte, 2007.978-3-<br />
933416-73-5). Der Nachwuchs kommt in den kirchlichen<br />
Kindergarten, weil es dort musisch zugeht, wenn auch etwas<br />
betulich. „Mich interessiert, welchen Freiraum der einzelne<br />
Mensch mit seiner bestimmten Geschichte in einem großen gesellschaftlichen<br />
Gefüge hat und wie er ihn erweitern kann.“<br />
(Gröschke)<br />
Den Namen der S-Bahn-Station Lehnitz kennen die meisten,<br />
den Roman von Christine Anlauff vermutlich nicht, die diesen<br />
Ort vielleicht nicht gerade verewigt, aber jedenfalls in die Literatur<br />
geholt hat. Bis jetzt hat keine Jury das Buch mit einem<br />
Preis gewürdigt, und dabei wird es wohl bleiben. Ich behaupte,<br />
niemand war dichter an der Realität als die 1989 gerade achtzehnjährige<br />
Potsdamerin: Eine Abiturklasse im Sommer 1990<br />
auf dem ehemaligen NVA-Stützpunkt Lehnitz, ein turbulentes<br />
Lebensgefühl zwischen Zusammenbruch und Aufbruch unter<br />
dem Schatten eines schrecklichen Verlustes (Good morning,<br />
Lehnitz, 2005.3-378--00661-7).<br />
Wolfgang Hegewald lehrt kreatives Schreiben im Department<br />
Gestaltung der FH Hamburg. In den Sechzigern und <strong>Sie</strong>bzigern<br />
studierte er in Dresden und Leipzig Informatik und Evangelische<br />
Theologie. Jenseits aller Nachreden gehört er zu den<br />
persönlichen Opfern des so genannten Bücherministers Klaus<br />
Höpcke, der ihm keine Chance zum Veröffentlichen gab, eher<br />
schon ein Stipendium fürs Nichtpublizieren. Die vergangene<br />
Gesellschaft ist bei H. voll präsent, jedoch nicht zum Nachtreten;<br />
das aktuelle System kennt er bestens, aber nicht zum Glorifizieren.<br />
Es wird zum Nachdenken eingeladen. Die Ereignisse<br />
von 1989 erlebt der Protagonist im exquisiten Loccum, als<br />
Mieter im Evangelischen K<strong>los</strong>ter. Er versucht, sich durch sein<br />
Schreibbüro die Existenz zu sichern. Aus der Kenntnis beider<br />
Staaten, über die der Autor verfügt, zieht die Leserschaft den<br />
Gewinn, das Geschehen noch einmal mit Erkenntniszuwachs<br />
an sich vorüberziehen zu lassen. Wie H. auf zwei Seiten zur<br />
Vorgeschichte des Systemwechsels den 21.8.1968 heranzieht,<br />
wie er ihn auf einer Rüstzeit der Schülerarbeit des Bundes der<br />
Evangelischen Kirchen in der DDR auf dem Fischland lokali-