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tig untereinander befehdeten. Es wuchs der Zweifel an der Unfehlbarkeit<br />
der Beerdé und der Ewigkeit ihrer Herrschaft und<br />
es wuchs das Verlangen, nach dem Tod der Dedeèr nun auch<br />
das Land der Beerdé zu verändern.<br />
Gar mancher fragte auch, ob denn wirklich alles unter Dedeèr<br />
verkehrt und schlecht gewesen und alles im Land der Beerdé<br />
gut und untadelig sei. Da nutzte es auch nichts, dass die hohen<br />
Priester der Beerdé ihnen ein ums andere Mal eindringlich erklärten:<br />
Das sind falsche Gedanken! Verdammt die Dedeèr,<br />
seid der Beerdé dankbar und preiset sie aus vollem Herzen! Ihr<br />
Reden erklang besonders laut im Jahr des 20. Todestages der<br />
Dedeèr und gleichzeitigen 20. Jubeltag des <strong>Sie</strong>ges von Beerdé.<br />
2. Von der Verführungskraft und der Gefahr von Mythen<br />
Mythen gehen hervor aus realen Ereignissen der vergangenen<br />
Zeit. <strong>Sie</strong> erheben den Anspruch auf Gültigkeit und geben eine<br />
Wirklichkeit vor, wie sie der Betrachter aus verschiedenen<br />
Gründen zu sehen vermeint. Das kann Phantasie anregend, interessant<br />
und ein literarischer Genuss sein. Nur: es ist nicht die<br />
vergangene Wirklichkeit und keine geschichtswissenschaftliche<br />
Analyse.<br />
Angewandt in der jeweiligen aktuellen, gar politischen Auseinandersetzung,<br />
wird der Mythos nicht selten zur Lüge, zur<br />
Halbwahrheit, zum Manipulationsmittel in der ideologischen<br />
Auseinandersetzung. Die große Gefahr ist, dass sich solche Mythen<br />
bei den nachfolgenden Generationen als Geschichtsbild<br />
einprägen. Immer weniger Menschen <strong>werden</strong> fragen, wie es<br />
denn wirklich war. Das darzustellen, ist schwer. Jeder historische<br />
Verlauf war tatsächlich um vieles komplizierter und vielfältiger<br />
als seine noch so detailgetreue Darstellung.<br />
Die optimale Annäherung an die vergangene Wirklichkeit ist<br />
jedoch nicht nur intellektuell schwer zu bewältigen. <strong>Sie</strong> wird<br />
auch behindert durch die eigene Sozialisation, durch die eigenen<br />
Erfahrungen und Sichten (und selbstverständlich Kenntnisse<br />
und Eignung) sowie die Bindung des Betrachters an seine<br />
konkrete Umwelt mit ihren verschiedenen Einflüssen, wie Erwartungshaltung<br />
der jeweiligen politischen Klasse, Erwartungsdruck<br />
der allgemein herrschenden Meinung, materielle<br />
Abhängigkeiten und so weiter.<br />
Und so ist es gar nicht so verwunderlich, dass Geschichtsdarstellungen<br />
in allen Jahrhunderten auch immer mythengeschwängert<br />
waren, immer wieder auf Mythen zurückgegriffen<br />
wurde und wird. Wir erleben es derzeit und erstaunlicherweise<br />
(oder auch nicht) wieder in einem stark mythengeschädigten<br />
Land. DDR-Historiker haben fleißig an allen möglichen Mythen<br />
mit gebastelt und mit dazu beigetragen, dass die Gesellschaft<br />
immer unehrlicher und immer oberflächlicher wurde.<br />
Die DDR-Geschichtswissenschaft war ideologieüberlastet. Insbesondere<br />
die Zeitgeschichtsforschung und -darstellung (da<br />
nimmt sich der Verfasser dieses Beitrags nicht aus) passte sich<br />
in der Regel in das vorgegebene Muster eines verinnerlichten,<br />
festen ideologischen Korsetts ein und befolgte allzu angepasst<br />
die Vorgaben der damals herrschenden politischen Klasse. Allerdings<br />
sind Historiker, die zu Zeiten der DDR wirkten, heute<br />
sehr rar geworden. Viele wurden 1990/91 aus ihren Ämtern<br />
entfernt, an ihre Stelle traten Historiker aus den alten Bundesländern.<br />
<strong>Sie</strong> besaßen nicht die Erfahrung des Scheiterns eines<br />
von ihnen unterstützten Gesellschaftssystems und die lebensnotwendige<br />
Aufgabe, zu grundsätzlich neuen Einsichten und<br />
Erkenntnissen zu gelangen.<br />
Viele Menschen aus der DDR stellten sich dieser Aufgabe.<br />
Helmut Bock beschreibt diesen Weg zu neuen Erkenntnissen<br />
in dem Artikel „Vom Elend historischer Selbstkritik“ (Auszüge.<br />
In: UTOPIE kreativ, H. 180 (Oktober 2005), S. 890-899) mit<br />
den Worten:<br />
„Versteckt und vereinzelt in Freundeskreisen, gefesselt von den Kontrollen<br />
der Staatssicherheit, beschränkt in den eigenen Vorsichten<br />
und den Skrupeln einer objektiv falschen Partei- und Staatsdisziplin,<br />
verpassten wir den entscheidenden historischen Auftritt. Nicht<br />
wir waren die Kraft, die 1989 das Volk mobilisierte […].<br />
Das arbeitende Volk hätte im Sozialismus seine Demokratie, seine<br />
Arbeit, seine Besitztümer durch eigene Willensbildung, produktive<br />
Selbsttätigkeit und politische Kontrolle bestimmen müssen. Stattdessen<br />
dominierte eine bürokratische Kaste den »Arbeiter-und-Bauern-Staat«<br />
und das geltende Recht – auch in der DDR. <strong>Sie</strong> rekrutierte<br />
sich durch ein elitäres System der Kaderauslese und der willkürlichen<br />
Ernennung von Amtspersonen. <strong>Sie</strong> besaß Entscheidungsmacht,<br />
Kommandogewalt und das Privileg der Meinungsbildung.<br />
<strong>Sie</strong> war behütet durch andauernde Zensur der Medien und der<br />
Produkte geistiger Kultur, durch das Fehlen verfassungsmäßiger Beschwerdeinstitutionen,<br />
durch die Verweigerung der Gesinnungs-,<br />
Versammlungs- und Lehrfreiheit. Und sie wurde kriminalpolitisch<br />
geschützt von der allgegenwärtigen Staatssicherheitspolizei. Weil die<br />
meisten Individuen dieser Kaste den werktätigen Klassen und<br />
Schichten entstammten, trugen sie ursprünglich gewiss die Absicht,<br />
Sachwalter des arbeitenden Volkes zu sein. Jedoch emporgehoben<br />
und zugleich gefangen in der <strong>Hier</strong>archie des Partei- und Staatsapparats,<br />
wurden sie letztlich zum Instrument der hohen Repräsentanten<br />
und Spitzenfunktionäre – darunter verdiente antifaschistische<br />
Kämpfer, die sich zu machtbeflissenen, selbstgefälligen Patriarchen<br />
mauserten. Diese geboten, das Volk gut zu hegen, aber auch materiell<br />
und geistig unter Kontrolle zu halten, und sie gewöhnten sich<br />
an, die jeweils nötige oder mögliche Erfüllung der Volksinteressen als<br />
»Geschenke von oben«, als obrigkeitlichen Akt zu vollziehen. Das<br />
Volk hingegen durfte mit vorgefertigten Dankadressen seine Begeisterung<br />
bekunden, obwohl es selbst doch gearbeitet hatte und die Kosten<br />
für den Staat zahlte, auch für immer dieselben auf den Tribünen.<br />
Das aber war noch nicht alles. Indem die Bürokratie ihre Verfügungsgewalt<br />
über das »Volkseigentum« ausübte und die Verteilung<br />
des Bruttosozialprodukts alljährlich entschied, besaß diese Kaste eine<br />
ökonomisch- soziale Fundierung. <strong>Sie</strong> verwandelte Gemeineigentum<br />
des werktätigen Volkes innerhalb des Systems der Nationalen<br />
Front der DDR, an dem auch Christdemokraten (CDU), Liberaldemokraten<br />
(LDPD), Nationaldemokraten (NDPD) partizipierten,<br />
in Parteien- und Staatseigentum – und sie war als Parteienund<br />
Staatsbürokratie dessen unmittelbarer Nutznießer.“