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0.17 __ //// AKTUELLES: PRAXISBERICHT<br />
Wir haben seinerzeit darüber berichtet: Ende April 2009 machte sich eine Gruppe von <strong>Rostock</strong>ern in einem Reisebus auf den Weg in Richtung<br />
Strasbourg, um sich an den Protesten gegen den Nato-Gipfel zu beteiligen. Was sich aus dieser Wahrnehmung ihrer demokratischen Grundrechte<br />
ergeben würde, hätten sie sich damals sicher nie träumen lassen.<br />
The Igel has landed<br />
CORNELIA MANNEWITZ<br />
Ganz stimmt das ja nicht. Aber man muss schon den Eindruck<br />
haben, dass der norddeutsche Igel auch dort sein möchte, wo<br />
der Adler schon ist. Was soll man denn auch denken, wenn<br />
man Folgendes erlebt:<br />
Für eine öffentliche Busfahrt der Friedensbewegung von MV<br />
zur internationalen Großdemonstration gegen die NATO am<br />
4. April 2009, anlässlich ihres Geburtstagsgipfels in Strasbourg,<br />
deren Teilnehmer sich zu einem Großteil nicht kannten und<br />
von der zwei <strong>Rostock</strong>er am 4.4. nicht zurückkamen, gibt es drei<br />
Monate später in <strong>Rostock</strong> mehrere „Zeugen“vorladungen. Dabei<br />
wird einmal für Aussageverweigerung Ordnungsgeld von<br />
300 Euro verhängt. In meinem Fall (ich war Mieter des Busses)<br />
sind es 500 Euro; vorausgegangen ist eine Vernehmung beim<br />
Landeskriminalamt, die eher ein Verhör ist, bei der Dinge gefragt<br />
<strong>werden</strong>, die ich nicht wissen kann (ich stand am 4.4. nicht<br />
in Strasbourg, sondern zusammen mit dem baden-württembergischen<br />
Ostermarsch hinter der Polizeisperre vor der Europabrücke<br />
in Kehl), es ansonsten um die Arbeitsweise des Rostokker<br />
Friedensbündnisses geht, kollektive Unternehmungen auf<br />
mich persönlich projiziert <strong>werden</strong> und mein Rechtsbeistand als<br />
„Verteidiger“ tituliert wird – in der Kriminallogik: ein Täternest<br />
wird ausgehoben, einigen wird gedroht und einer soll hängen,<br />
oder sollte das nicht die Attitüde gewesen sein? - ; ich halte<br />
etliche Fragen für sinn<strong>los</strong> und nenne keinerlei Namen; zwei<br />
Wochen später bei der Staatsanwaltschaft, dort kein Sichaufhalten<br />
mit der Feststellung von Personalien, gleich die Frage<br />
nach einer Namensliste der Busteilnehmer, Ignorieren des<br />
Zeugnisverweigerungsrechts, Verhängung der Kosten für das<br />
Suchen der Liste, sofort Hausdurchsuchungsbefehl (ob er inzwischen<br />
schriftlich vorliegt, ist nicht bekannt), Personenkontrolle<br />
inklusive Abtasten nach Waffen, Hausdurchsuchung, ohne<br />
mir den Zugang zur eigenen Wohnung zu gestatten, auf die<br />
Idee eines der Durchsuchungsbeamten hin Beschlagnahmung<br />
meines Computers, Androhung von Beugehaft, Vorbehalt der<br />
Eröffnung eines Verfahrens wegen Strafvereitelung.<br />
Den Hergang und die Bewertung dieses Vorgehens aus der<br />
Sicht des <strong>Rostock</strong>er Friedensbündnisses haben wir hier geschildert:<br />
http://www.rostocker-friedensbuendnis.de/antimilitaristischer-blog/204.<br />
Wir bewerten dieses Vorgehen,<br />
abgesehen vom Offensichtlichen – dass Kritik an der<br />
NATO nicht mehr geduldet <strong>werden</strong> soll - als eine Intervention<br />
zugunsten der umstrittenen Kriegführung der BRD in Afghanistan<br />
und als einen Angriff auf die Friedensbewegung im Eurofighter-<br />
und Korvettenland MV, der ihr Anliegen diskreditieren,<br />
Daten „sichern“ und die Aktiven zum Schweigen bringen<br />
soll.<br />
Alles das hat mir eine ganz persönliche Perspektive auf das beschert,<br />
was Mancher kaum glauben will: Ja, es wird gar nicht<br />
damit gerechnet, dass man die Absicht haben könnte, friedlich<br />
zu demonstrieren. Politische Motive interessieren nicht. Es<br />
wird sich nicht vorbereitet: Man fragt über Strasbourg zur Gipfelzeit<br />
und streitet über die Schreibung von Toponymen. Es<br />
wird agiert, teils ad hoc und ohne die eigenen Regeln zu beachten.<br />
Die Vorgänge haben bundesweite Beachtung gefunden. Zeitungen<br />
berichten überregional, Webseiten, Blogs und Mailinglisten<br />
nehmen Bezug auf sie. Dies ist nur ein Fall, nicht einmal<br />
besonders spektakulär, trotz seines exemplarischen Charakters,<br />
den wohl viele fühlen. Für mich ist er trotzdem eine neue Erfahrung.<br />
Aber mir helfen frühere, sie einzuordnen: ein dreiundfünfzig<br />
Jahre langes Leben; meine grundsätzliche Rationalität,<br />
die mich Wissenschaftler hat <strong>werden</strong> lassen; Jahre im Ausland,<br />
mit zum Teil behinderter und trotzdem nur ungeliebter<br />
Arbeit; Funktionen gerade in Krisenzeiten mit Zwang zur auch<br />
öffentlichen Auseinandersetzung mit Strukturen und ihren Exponenten;<br />
nicht zuletzt meine Arbeit im <strong>Rostock</strong>er Friedensbündnis,<br />
wo wir uns mindestens zu den Themen Hans Joachim<br />
Pabst von Ohain und Ilja Ehrenburg Fachkompetenz erarbeitet<br />
haben, die auch von außen nachgefragt wird. Deshalb ist es für<br />
mich leichter als für die jungen Leute, die ebenfalls als Zeugen<br />
geladen waren. Und überhaupt keinen Vergleich hält alles das<br />
aus mit der Situation der beiden jungen <strong>Rostock</strong>er, die in Strasbourg<br />
seit Anfang April bis heute in Untersuchungshaft sitzen.<br />
<strong>Sie</strong> <strong>werden</strong> nach wie vor nur VERDÄCHTIGT, an Ausschreitungen<br />
teilgenommen zu haben.<br />
Und ich habe eine weitere Erfahrung gemacht: Solidarität. Für<br />
den Mainstream klingt das Wort altbacken. Aber es lebt. Ich<br />
bin kein in der Wolle gefärbter Bewegungsorientierter und gebe<br />
eine gewisse Reserviertheit im Umgang mit potenziellen<br />
Bündnispartnern zu. Aber was ich jetzt an Solidarität erlebt habe,<br />
lässt mich anders denken: Zuspruch und Hilfeangebote gehen<br />
ein. Bedeutende Summen Geld <strong>werden</strong> gespendet, manchmal<br />
stillschweigend bar auf die Hand. Herzlichen Dank an alle!<br />
Liebe Freundinnen und Freunde, jetzt erst recht: Wir machen<br />
weiter, ganz bestimmt. ¬