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stand kein benutzter Stuhl, wir sahen im Eingangsbereich unter<br />

dem „Hotel“-Schild eine einzige Person (in kellnertypischem<br />

Schwarzweiß) – oh weia. Das war das Ausflugsziel. Wir<br />

strebten dem Sportboothafen zu. <strong>Hier</strong> standen tatsächlich einige<br />

Boote, und auch am Imbiss war Leben. Meine Frau, eine von<br />

hier, fiel in einen Jungbrunnen. <strong>Sie</strong> meinte, hier sei alles noch<br />

„wie damals“: die Gebäude, die Ruhebänke, die einzeln stehenden<br />

Ferienbungalows, deren Typennummer nach DDR-Plattenhausbestellkatalog<br />

sie noch aufsagen konnte, ja, sie meinte<br />

sogar die Softeismaschine als ein bereits „früher“ vorzufindendes<br />

Modell wiederzuerkennen, und den Geschmack des Eises<br />

sowieso. Ob das ein Vorteil war, wollte sie nicht sagen. „<strong>Hier</strong> ist<br />

wirklich alles stehengeblieben!“ sagte sie zusehends entrückend<br />

und bezog das offensichtlich auf die Gebäude, die Zeit, eben alles.<br />

Einige verstreute Gestalten tranken Bier, saßen zusammen, sahen<br />

das vermutlich genau so, und beklagten, dass der Fortschritt<br />

sie auslasse. Dann gingen sie allerdings zu Audis oder<br />

Toyotas statt Trabants und holten Funktelefone heraus. Vermutlich<br />

um irgendwen vollzuschimpfen, dass seit der Wende<br />

genau genommen sogar alles nur schlechter geworden sei, früher<br />

hätte man ja nicht wochentags rumsitzen und Hartz IV<br />

vertrinken müssen, sondern Arbeit gehabt. Die Dinge sind<br />

eben komplex. Und Eigeninitiative besonders. Vor allem, wenn<br />

man zur Wendezeit vielleicht fünfzehn Jahre alt war, so dass<br />

sich die Chance, sie sich anzueignen, ganz vielleicht noch hätte<br />

ergeben können. Und immer irgendwen sucht (und folglich<br />

findet), dem man für irgendwas die Schuld geben kann, so dass<br />

die Überlegung, dass die DDR ja nicht überfallen oder gekauft<br />

wurde, sondern einfach an Altersschwäche wie von selbst einging,<br />

von diesen Menschen wahrscheinlich bis heute nicht ein<br />

einziges Mal angestellt wurde. Das würde einfache Dinge („alle<br />

doof außer ich“) unnötig kompliziert machen.<br />

Diese Gedanken sind nicht unreflektiert, auch sie sind das Ergebnis<br />

jahrelanger Beobachtungen. Allerdings richten sie sich<br />

gegen keinen sehr großen Personenkreis. Und sie bedeuten<br />

nicht zuletzt: es wird weiterhin Landstriche geben, die sich<br />

noch weiter gesundschrumpfen <strong>werden</strong> nach der schlichten<br />

Faustregel, je östlicher und stadtferner, desto schonungs<strong>los</strong>er.<br />

Das kann man beklagen, aber ob man auch nur den Versuch<br />

machen sollte, diesen Zustand aufzuhalten, anstatt ihn als notwendiges<br />

Übergangsstadium zu akzeptieren und anzugehen,<br />

stand für mich an diesem sonnigen Morgen am Nordostufer<br />

des Kummerower Sees sehr in Frage. Bis „es“ vorbei ist, das<br />

Zwischenstadium, und das Leben zurück kommt. Orte, die<br />

nach landläufiger Auffassung zunächst einmal „nichts“ haben,<br />

gibt es schließlich überall. Aber anderswo leben sie auch trotz<br />

allem, weil dort Menschen sind, die das Leben gerade dort wollen<br />

und befruchten. Noch zwanzig Jahre bis zu diesem Punkt?<br />

Ich lasse da ja auch mit mir diskutieren. Denn trotzdem war die<br />

Frage eines Nachbarn meiner nach wie vor im tiefen Süden der<br />

Republik beheimateten Eltern einer der besten unfreiwilligen<br />

Witze, die mir in den letzten Jahren unterkamen. Der gute<br />

Mann, ein Doktor der Psychologie, fragte mich bei einem Besuch<br />

mit dem Timbre, das man sonst bei Kranken in die Frage<br />

nach dem Befinden legt, wenn man nicht allzu sehr am Schlimmen<br />

rühren möchte, ob ich denn „da oben“ nicht die Lebensqualität<br />

vermisse. Weil ich erstmal lachen musste, beschied ich<br />

ihn mit einem eher kurz angebundenen „Ach lassen <strong>Sie</strong> mal,<br />

ich lebe ganz gern am Meer!“, das er schon als das verstand, was<br />

es heißen sollte: „Ein letztes verbliebenes Problem ist vielleicht<br />

noch, dass der Westen sich so wenig interessiert, dass einem<br />

selbst intelligente Leute knapp zwanzig Jahre danach noch derart<br />

provinzidiotische Fragen stellen. Wir haben nicht nur immer<br />

öfter Strom, wir haben auch morgens zwei Stunden lang<br />

Internet. Bestimmt denken <strong>Sie</strong> auch immer noch, den Soli<br />

zahlt nur der Westen.“<br />

Was dann kam, ähnelte einem stillen Gebet und hatte ungefähr<br />

diesen Inhalt: Nein, Herr Nachbar, auch wenn ich gar nicht<br />

wüsste, wo ich bei Ihnen mit dem Erklären anfangen soll, ich<br />

kann sagen, dass es mir dort sehr gut geht. Schnell gewöhnte<br />

ich mich daran, dass zwei schriftliche Anträge in jeweils dreifacher<br />

Ausfertigung genügen, damit die Menschen im Nordosten<br />

mit einem sprechen (bei drei Anträgen auch in ganzen Sätzen...!),<br />

gut komme ich mit dem Wetter klar, schließlich weiß<br />

jedes Kind, dass die Natur den vielen Regen braucht, und geradezu<br />

spielerisch beherrsche ich inzwischen den Umgang damit,<br />

dass der Einheimische sich von März bis Mitte November ausschließlich<br />

von unter freiem Himmel zubereitetem Grillfleisch<br />

ernährt.<br />

Was noch nicht klappt, ist der Umgang mit der Natur. Denn<br />

noch immer bringt mich an den Rand der Fassungs<strong>los</strong>igkeit,<br />

dass sie von allem nur das Beste gerade in meinem neuen Zuhause<br />

versammelt haben (erwähnte ich, dass ich absolut nicht<br />

die Absicht habe, zurückzukommen?). Gerade hier haben sie<br />

ein Meer hingeschüttet, das verlässlich da ist. Gerade hier findet<br />

sich im Gefolge dieses Meeres eine Boddenlandschaft, die<br />

anderswo als Natur- und Freizeiterlebnis selbst eine Riesenattraktion<br />

wäre und hier einfach Pech hat, dass sie ihr Dasein immer<br />

im Schatten der Ostsee fristen wird. Die Landschaft ist<br />

nicht wie nebenan einfach platt und Gegend, sondern gewellt<br />

und aufgeworfen, damit ihre Farbenpracht und die einmalig sie<br />

gliedernden Allen auch wirklich allerbestens zur Geltung kommen.<br />

Selbstredend haben wir auch neben ungefähr 1234 kleineren<br />

den größten Binnensee Deutschlands. Und die Städte:<br />

nun ja, reichlich Backsteingotik zum Schwärmen, Unesco-<br />

Weltkulturerbe gleich mehrfach und auch darüber hinaus ein<br />

paar wirklich großartig wieder auferstandene Innenstädte. Also,<br />

damit ist schwer klarzukommen, da hapert‘s noch mit dem<br />

Einleben.<br />

Und ohne die Wende wäre ich in diesen Genuss nie gekommen!<br />

¬

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