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Das Magazin für Lesben - L-Mag

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Die Schatzinsel der <strong>Lesben</strong>geschichte<br />

GESCHICHTE<br />

Der Spinnboden in Berlin, Europas größte Dokumentationsstätte lesbischer Geschichte,<br />

wird 40 Jahre alt. L-MAG-Autorin Stephanie Urgast schaute dem Archiv in die Regale<br />

Seit 40 Jahren sammelt, erforscht und gestaltet der<br />

Spinnboden lesbisches Leben in Deutschland –<br />

zahllose Dokumente sind hier zu finden. Doch<br />

warum und <strong>für</strong> wen engagieren sich die Macherinnen<br />

eigentlich? „Was nicht belegt ist, hat nicht<br />

stattgefunden“, erklärt Sabine Balke, eine der beiden<br />

Leiterinnen des Berliner Zentrums. „Insbesondere<br />

lesbische Schicksale waren bis in die 70er<br />

Jahre weitgehend unsichtbar. Sie wurden kaum dokumentiert,<br />

nur versteckt oder gar nicht benannt.“<br />

Gemeinsam mit Gabriele Michalak leitet Sabine<br />

den Spinnboden als Archiv, Bibliothek und offenen<br />

Kulturort. Einen wichtigen Schritt zu mehr<br />

Sichtbarkeit unternahm die Frauengruppe der<br />

Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW). Am<br />

25. Mai 1973 beschloss die Initiative, ab sofort<br />

Flyer, Protokolle und Artikel von und über <strong>Lesben</strong><br />

zu sammeln. „Eine visionäre Idee“, so Sabine, die<br />

die ersten zehn Jahre als „Love-Story-Archiv-<br />

Story“ beschreibt. Denn mit den wechselnden<br />

Liebesbeziehungen innerhalb der Frauengruppe<br />

wanderte die Sammlung in Ordnern und Kisten<br />

von Wohnung zu Wohnung.<br />

1982 entdeckte die Historikerin Gudrun Schwarz<br />

die Sammlung und ergänzte sie um ihre Bücher,<br />

Dias, <strong><strong>Mag</strong>azin</strong>e und Plakate. Mit einer Gruppe von<br />

Frauen begann sie die systematische Dokumentation<br />

und machte das erste <strong>Lesben</strong>archiv in ihrer<br />

Privatwohnung öffentlich zugänglich. Um institutionell<br />

anerkannt zu werden, folgte 1983 die<br />

Vereinsgründung unter dem Namen: Spinnboden<br />

– Archiv zur Entdeckung und Bewahrung von<br />

Frauenliebe e.V. „Spinnboden steht <strong>für</strong> die Frauen,<br />

die sich im Mittelalter auf den Dachböden ihre Geschichten<br />

erzählt und dabei ihre Wolle gesponnen<br />

haben. Eine öffentliche Förderung als eindeutig benanntes<br />

<strong>Lesben</strong>archiv wäre zu diesem Zeitpunkt<br />

unmöglich gewesen“, so Gabriele.<br />

Lesbisch, aber queer-freundlich<br />

Mit der Gründung umfasste der Verein eine Beratungs-,<br />

Forschungs- und Publikationsstelle, das<br />

Archiv und die Bibliothek – bis heute finanziert<br />

vom Berliner Senat. „Zwischen 1980 und 2000 liegen<br />

20 Jahre einer wechselvollen Geschichte.<br />

Frauen gingen und kamen, Gudrun Schwarz verließ<br />

ihre Wohnung, das Archiv blieb“, erzählt<br />

Sabine. Seit 2000 ist sie an der Organisation<br />

beteiligt: „Für uns war klar, dass wir den Namen<br />

ändern mussten, wenn wir noch stärker gesehen<br />

werden wollen.“ Der Spinnboden wurde nun auch<br />

im Namen lesbisch und verstärkte die Aufklärungs-<br />

und Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Heute hat er einen festen Platz im Gewerbehof der<br />

Weiberwirtschaft in Berlin-Mitte. In deckenhohen<br />

L-MAG<br />

Spinnboden archiviert relevantes Lesbisches –<br />

von Zeitschriften verschiedener Zeit (oben) ...<br />

... über wissenschaftliche Werke bis hin zu<br />

Romanen (hier „Der Skorpion“ von 1919)<br />

Auch die erste Ausgabe der L-MAG ist<br />

im Spinnboden-Archiv zu finden<br />

Regalen finden sich Seltenes, Altes und Neues:<br />

von den „Liebenden Frauen“, einem der ersten lesbischen<br />

<strong><strong>Mag</strong>azin</strong>e der 20er Jahre, über Ladyfest-<br />

Fanzines bis hin zu Nachlasskisten, die oft lebenslang<br />

gehütete Geheimnisse in sich tragen. Allein<br />

das Archiv umfasst derzeit über 14.000 Medien –<br />

ein Schatz zum Studieren und Stöbern: Was haben<br />

<strong>Lesben</strong> und Heteras in den Polit-Plena diskutiert?<br />

Welche Rolle spielte das Monokel <strong>für</strong> die lesbische<br />

Identität in den 20er Jahren? Und wie gestaltete<br />

sich der lesbische Alltag im Laufe der Geschichte?<br />

Wichtige Entscheidungen treffen bis heute sämtliche<br />

Mitfrauen am Gemeinschaftstisch. „Im Plenum<br />

haben wir zum Beispiel den Begriff ‚queer‘<br />

heiß diskutiert und entschieden, weiterhin ein<br />

<strong>Lesben</strong>ort zu sein“, erklärt Sabine die Spinnboden-<br />

Politik. „Einige Angebote der Kontakt- und Infostelle<br />

sind aber offen <strong>für</strong> Transpersonen, auch bestehen<br />

Kooperationen mit LGBTI-Projekten“,<br />

ergänzt Gabriele. Sie meint: „<strong>Lesben</strong> brauchen<br />

einen Ort, an dem sie sich austauschen und an<br />

kulturellen und psycho-sozialen Angeboten teilnehmen<br />

können.“ Eine solche Mischung schafft<br />

der Spinnboden. „Ob Coming-out-, Wander- oder<br />

Ausgehgruppe. Die Kurse sind total nachgefragt“,<br />

betont Sabine.<br />

Auch der Festmonat zum Jubiläum zeigt sich<br />

vielseitig. Ab dem 4. Mai widmet sich der Spinnboden<br />

der Neuen Frauenbewegung und der Vereinsgeschichte.<br />

Ein Schwerpunkt ist dem Gedenken<br />

lesbischer Schicksale zur NS-Zeit gewidmet.<br />

Eine Party am 25. Mai beendet den Festmonat –<br />

hier treten unter anderem Rapperin Sookee und<br />

Entertainerin Coco Lorès auf.<br />

Die Zukunft der Vergangenheit<br />

Und in den nächsten 40 Jahren? Für die Zukunft<br />

wünscht sich das Spinnboden-Team die Zusammenführung<br />

verschiedener Projekte der Frauen-,<br />

<strong>Lesben</strong>- und Schwulenbewegung an einem gemeinsamen<br />

Ort. Nötig sind auch größere Räume:<br />

„Jetzt sprechen wir mit den Frauen, die in den<br />

70ern aktiv waren. Es wird in den nächsten zehn<br />

Jahren eine Flut von Nachlässen auf uns zukommen“,<br />

erklärt Sabine. „In der Szene werden wir<br />

klar wahrgenommen, aber die gesellschaftliche<br />

Akzeptanz ist noch immer gering“, meint sie. Für<br />

mehr Anerkennung macht sich der Spinnboden<br />

auch weiterhin stark, nimmt an Fachausschüssen<br />

und politischen Initiativen teil. „Doch“, so Sabine,<br />

„braucht es noch mehr Forschung, die zeigt, es gab<br />

sie, die <strong>Lesben</strong> – oft unbenannt, dennoch verfolgt<br />

und diskriminiert. <strong>Das</strong> Archivieren hat kein Ende.<br />

Wir sind die Zukunft der Vergangenheit.“<br />

www.spinnboden.de<br />

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