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TITELTHEMA FASHION<br />
HOSENROLLE VORWÄRTS<br />
SICH ANDERS ALS KONVENTIONELL WEIBLICH ZU KLEIDEN SIGNALISIERT FREIHEIT:<br />
BEWEGUNGSFREIHEIT, SEXUELLE FREIHEIT UND EINEN GANZ EIGENEN STIL<br />
Lässige Jeans, Hemden, Chucks – ein androgyner Look. Lesbischsein<br />
und dazu stehen; das tragen, was man wirklich cool findet; sich weder<br />
Rollenvorgaben noch Stereotypen anpassen, sondern durch den<br />
Stil der Kleidung selbst ausdrücken – das ist der Zeitgeist der<br />
Stunde. Denn nur wer sich keinem Klischee verschreibt, nicht<br />
einfach nur Butch oder Femme ist, nähert sich dem an, was Feminismus<br />
wirklich meint: dem konsequenten Ausbrechen aus der traditionellen<br />
Rolle.<br />
Schon seit vielen Jahrhunderten schlüpfen Frauen in Männerkleider,<br />
häufig wegen eines Berufes, der Männern vorbehalten<br />
ist. Frauen, die als Mann getarnt zur Army gingen, heirateten<br />
sogar oft eine Frau. Hier war Cross-Dressing<br />
Mittel zum Zweck – Kriegsreporterin beispielsweise<br />
konnte im Ersten Weltkrieg nur sein, wer nach<br />
außen ein Mann war. So wie Dorothy Lawrence:<br />
Sie trug Uniform und ging damit in die Geschichte<br />
ein. Cross-Dressing konnte schützen: Viele Frauen<br />
trugen im Krieg Männerkleider, um Vergewaltigungen<br />
zu entgehen. In Friedenszeiten nahm das<br />
Phänomen dann spielerische Züge an. So tarnte<br />
sich in dem Nachkriegsfilm „<strong>Das</strong> Wirtshaus im<br />
Spessart“ Franziska Comtesse von und zu<br />
Sandau (gespielt von Liselotte Pulver) mit Männerkleidern,<br />
um ihrer Entführung zu entgehen.<br />
Auch Yentl beziehungsweise Anshel (gespielt<br />
von Barbra Streisand) im gleichnamigen Film<br />
und Victoria beziehungsweise Victor (Julie Andrews)<br />
in „Victor/Victoria“ hatten gute Gründe,<br />
in die schützende Kleidung des anderen Geschlechts<br />
zu schlüpfen.<br />
Zwar war es bei den Kelten und Germanen normal,<br />
dass Frauen Beinkleider trugen, doch später, noch bis<br />
Ende des 19. Jahrhunderts, ernteten Frauen in Hosen Hohn<br />
und Spott. Als die Frauenrechtlerin Amelia Bloomer 1851<br />
in den USA <strong>für</strong> ihre Bewegungsfreiheit knöchellange<br />
weite Hosen entwarf, war das ein Skandal. Und noch<br />
1910, als der Modedesigner Paul Poiret seine Modelle in<br />
Frankreich in bodenlangen Hosenrock-Kostümen auf den<br />
Laufsteg schickte, galt das als sehr gewagt.<br />
Die wirklichen Urmütter der Hosen <strong>für</strong> Damen sind<br />
dar um Superstars: Anita Berber und Coco Chanel.<br />
Anita, 1899 in Leipzig geboren, machte als Tänzerin<br />
und Selbstdarstellerin Furore: Sie führte auf St. Pauli<br />
den Nackttanz ein und inszenierte die skandalösesten<br />
Shows der 20er Jahre im Berliner Kabarett Schall und<br />
Rauch. Tagsüber arbeitete sie als feminines Model,<br />
nachts saß sie in der <strong>Lesben</strong>bar ihrer Geliebten und<br />
trug Herrenanzüge. Die Vanity Fair veröffentlichte<br />
Fotos von ihr, denn sie trat mit ihrer knabenhaften<br />
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Figur einen neuen Stil los, der als „à la Berber“ in die Modegeschichte<br />
einging und später von Marlene Dietrich weitergeführt wurde. Anita Berber<br />
war die erste Frau, die einen Smoking trug, verrucht, Vamp, Femme fatale<br />
und weiblicher Bohemien zugleich. Zehn Jahre später machte dann Marlene<br />
die Hosenanzüge, die so hervorragend zu ihrer tiefen, rauchigen<br />
Stimme passten, <strong>für</strong> Frauen salonfähig. Ihr gelang das, weil sie<br />
nicht die Einzige war. Coco Chanel entwarf zeitgleich Beinkleider,<br />
weil sie genervt war, im Rock in ihrem heiß geliebten<br />
Venedig nicht vernünftig in Gondeln ein- und aussteigen zu<br />
können. <strong>Das</strong> war der Startschuss: Männliche wie weibliche<br />
Merkmale zu vereinigen kam ebenso in Mode wie der dazugehörende<br />
Begriff – androgyn. Grace Jones, Marla Glen,<br />
Annie Lennox, die Liste ist lang. Die Lesbe von heute sucht<br />
nach modischen Vorbildern, schnappt sich einen totschicken<br />
Blazer aus der Männerabteilung oder trägt Feinrippunterhemdchen,<br />
weil die wundervolle Jenny Shimizu das<br />
auch tut. <strong>Das</strong>s glitzernde Fummel einfach großartig sind,<br />
hat Beth Ditto uns vorgemacht. Seit ihr ist es möglich,<br />
Femme zu sein und trotzdem gegen das traditionell<br />
Weibliche in der Mode zu rebellieren. Cross-Dressing,<br />
Stilmix und Zitate aus allen Modejahrzehnten sind<br />
angesagt und das macht mehr Freude, als nur simpel den<br />
Bauarbeiter oder Holzfäller zu geben.<br />
Und jetzt die gute Nachricht: <strong>Das</strong> Aufheben der<br />
Geschlechterklischees hat den Catwalk erreicht! Jean<br />
Paul Gaultier ließ in Paris das Brautkleid, das eine<br />
jegliche Haute-Couture-Show abschließt, von einem<br />
Mann vorführen. <strong>Das</strong> australische Model serbokroatischer<br />
Herkunft Andrej Peji führt, und das ist absolut<br />
neu, Damen- und Herrenmode vor. Auch Lea Tisci, die in<br />
Brasilien als Leo geboren wurde, ist eine Revolution.<br />
Noch nie zuvor hat ein transsexuelles Model so coole<br />
Kampagnen gerockt wie sie <strong>für</strong> Givenchy. Die letzten<br />
Jahre sah man in den <strong><strong>Mag</strong>azin</strong>en eher Frauen, die sich<br />
männliche Attribute zulegten, Gestalten, die wegen ihrer<br />
Androgynität Ikonen wurden. Jetzt geht das Spiel aber<br />
noch einen Tick weiter, bei vielen Entwürfen kann man<br />
nicht mehr zwischen Männer- und Frauenmode unterscheiden.<br />
Und der neue Androgyn-Look ist sexy, er<br />
unterdrückt die weiblichen Formen nicht und er führt sie<br />
auch nicht vor. <strong>Das</strong> erinnert an den Look einer unserer<br />
Lieblingsikonen, Tilda Swinton, an ihr sieht nichts angepasst<br />
aus, sie scheint immer zwischen den Geschlechtern<br />
zu schweben. So wie Orlando, der im gleichnamigen Film<br />
(nach dem Roman von Virginia Woolf) von 1992<br />
sein Geschlecht wechselt. 20 Jahre später also passiert das<br />
live auf dem Laufsteg. Wir sind ein gutes Stück weitergekommen.<br />
Lena Braun<br />
L-MAG