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BUCH<br />
Kein<br />
bisschen leise<br />
<strong>Das</strong> „Lesbische Auge“<br />
schiebt eine Doppelnummer<br />
Auch dieses Jahr erscheint ein weiterer<br />
Band in der erotischen Reihe „Mein lesbisches<br />
Auge“ des Konkursbuchverlags.<br />
Streng genommen die zwölfte Ausgabe, kommt sie<br />
jedoch mit einer Doppelnummer daher: 12/13.<br />
Warum? Aus Ordnungsliebe – so entspricht die<br />
Nummer des Buches ab nun den letzten Ziffern des<br />
Erscheinungsjahres. In gewohnter Mischung aus<br />
Gemälden, Fotos, Poesie, fiktiven und biografischen<br />
Texten, ebenso realistisch wie absurd oder<br />
sexy, bietet auch dieser Band <strong>für</strong> jeden Geschmack<br />
etwas: Da sorgen beispielsweise ein kleiner Unfall<br />
und eine Migräne <strong>für</strong> überraschende Nähe und Sex<br />
am Morgen; eine Märchenprinzessin macht sich<br />
auf, das Lieben zu lernen, Myrthe schreibt ihrem<br />
liebsten Mitzerl von ihren Abenteuern bei und mit<br />
Madame und ...<br />
... mehr wird nicht verraten.<br />
sv<br />
Laura Méritt (Hg):<br />
„Mein lesbisches Auge“,<br />
Konkursbuchverlag,<br />
288 Seiten, 15,50 Euro<br />
Foto: Enrica Coltello<br />
Frauen auf dem Treibsand der Geschichte<br />
Familienroman und Identitätssuche aus weiblicher Sicht: „Sandberg“<br />
Im „nachdeutschen“ Waldenburg (jetzt<br />
Wałbrzych), im Dreiländereck zwischen<br />
Polen, Tschechien und Deutschland, sammeln<br />
sich nach dem Zweiten Weltkrieg Vertriebene und<br />
Umgesiedelte aus unterschiedlichsten östlichen<br />
Ländern und Regionen. Für sie werden die sozialistischen<br />
Plattenbauten auf dem Sandberg (Piaskowa<br />
Góra) errichtet. Eine der Familien, die voller<br />
Hoffnung dort einziehen, ist Familie Chmura:<br />
Jadzia, Stefan und Tochter Dominika. Diese ist<br />
der jüngste Teil einer Familiengeschichte, die<br />
Autorin Joanna Bator anhand der Mutter-Tochter-<br />
Verhältnisse erzählt. 1968 selbst in Wałbrzych geboren,<br />
entwirft sie so ein Panorama polnischer<br />
Geschichte des 20. Jahrhunderts. Es geht um<br />
Verluste und Entwurzelung, um Träume vom<br />
Schwiegersohn in Castrop-Rauxel und der<br />
„BeErDe“ an sich und darum, anders zu sein.<br />
Nicht die große männliche Politik, sondern Frauenschicksale<br />
in der Provinz im Brennglas Plattenbau<br />
werden hier geschildert. Die Geschichte<br />
einer Identitätssuche wird dabei auch anhand von<br />
Dominika erzählt, die anders ist: nicht weich und<br />
blond, sondern hager und dunkel. Sie schwärmt<br />
<strong>für</strong> Boy George, hat eine lesbische Freundin und<br />
einen männlichen Kopf – einen <strong>für</strong> Mathematik<br />
nämlich. Geschickt verwebt die Autorin, kongenial<br />
übersetzt von Esther Kinsky, dabei die<br />
Lebenswege der Frauen ineinander. Nicht chronologisch,<br />
doch einer ganz eigenen Logik folgend:<br />
Es sind Details, die das Buch durchziehen<br />
und Geschichten verbinden – Motive, Gegenstände,<br />
vor allem Gerüche: Essig, Bananen. Ostparfüms<br />
(Roter Mohn) werden von Westdüften<br />
(Grüner Apfel) abgelöst, bis schließlich die Mauer<br />
fällt und die Risse (nicht nur) im Plattenbau nicht<br />
mehr zu flicken sind. Ein ungewöhnliches, gewaltiges,<br />
sprachwitziges und zugleich schicksalschweres<br />
Buch.<br />
Doro Martin<br />
Joanna Bator:<br />
„Sandberg“,<br />
Suhrkamp, 492 Seiten,<br />
11,99 Euro<br />
66 L-MAG