04.01.2014 Aufrufe

Internationales Privatrecht - besonderer Teil

Internationales Privatrecht - besonderer Teil

Internationales Privatrecht - besonderer Teil

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Internationales</strong> Privat- und<br />

Zivilverfahrensrecht<br />

Besonderer <strong>Teil</strong><br />

nach der Vorlesung von<br />

Dr. iur. Pascal Grolimund<br />

an der Universität Basel<br />

lic. iur. Roman Gubser<br />

mail@gubserweb.ch<br />

www.gubserweb.ch<br />

Basel, Februar 2008


Inhaltsverzeichnis<br />

§ 1 Überblick über den allgemeinen <strong>Teil</strong> des IPRG 5<br />

A. Internationaler Sachverhalt 5<br />

B. Die klassischen Fragestellungen des IPR 5<br />

I. Übersicht 5<br />

II. Rechtsquellen 6<br />

III. Zuständigkeit 7<br />

IV. anwendbares Recht 7<br />

V. Anerkennung und Vollstreckung 8<br />

VI. Fall 1 8<br />

§ 2 <strong>Internationales</strong> Personenrecht 11<br />

A. Gegenstand des Internationalen Personenrechts 11<br />

B. Merkmale der Regelung im IPRG 11<br />

C. Internationale Erkenntniszuständigkeit 12<br />

D. Anwendbares Recht 13<br />

I. Allgemeines 13<br />

II. Die einzelnen Aspekte des internationalen Persönlichkeitsrechts 14<br />

III. Fall 2 15<br />

E. Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheiden 16<br />

§ 3 <strong>Internationales</strong> Familienrecht 17<br />

A. <strong>Internationales</strong> Eherecht 17<br />

I. Gegenstand des internationalen Eherechts 17<br />

B. Rechtsquellen, Entwicklungen im EG-Recht 17<br />

C. Eheschliessung (Art. 43 – 45a IPRG) 18<br />

D. Wirkungen der Ehe (Art. 46 – 50 IPRG; exkl. Ehegüterrecht) 20<br />

I. Allgemeines 20<br />

II. IPR relevante Fragestellungen 21<br />

E. Ehegüterrecht (Art. 51 – 58 IPRG) 24<br />

I. Allgemeines 24<br />

II. Zuständigkeit (Art. 51 IPRG) 24<br />

III. Anwendbares Recht 25<br />

F. Ehescheidung und Ehetrennung 28<br />

I. Zuständigkeit 28<br />

2


II. Anwendbares Recht (Art. 61 IPRG) 28<br />

III. Fall 4 30<br />

IV. angrenzende Fragestellungen 33<br />

§ 4 <strong>Internationales</strong> Erbrecht 42<br />

A. Gegenstand des internationalen Erbrechts 42<br />

B. Internationale Zuständigkeit 42<br />

C. Anwendbares Recht 46<br />

D. Fall 5 47<br />

E. Sonderfragen 49<br />

I. Art. 92 IPRG 49<br />

II. Art. 93 IPRG 49<br />

III. Art. 94 IPRG 50<br />

IV. Art. 95 IPRG 50<br />

§ 5 <strong>Internationales</strong> Sachenrecht 51<br />

A. Gegenstand des internationalen Sachenrechts, Rechtsquellen 51<br />

B. Unbewegliche Sachen, insbesondere Grundstücke 51<br />

I. Internationale Zuständigkeit 51<br />

II. Anwendbares Recht 53<br />

C. bewegliche Sachen 54<br />

I. Zuständigkeit 54<br />

II. Anwendbares Recht 54<br />

III. Fall 6 57<br />

§ 6 internationales Vertragsrecht 60<br />

A. Grundsatz 60<br />

I. Privatautonomie 60<br />

II. besondere Verträge vs. allgemeine Verträge 60<br />

III. gemeinsame Bestimmungen 60<br />

B. Zuständigkeit 61<br />

I. Subjektive Anknüpfungen der Zuständigkeit 61<br />

II. Objektive Anknüpfungen der Zuständigkeit 65<br />

C. Anwendbares Recht 68<br />

I. Subjektive Anknüpfung: Rechtswahl 68<br />

II. Objektive Anknüpfungen 69<br />

D. Besondere Vertragsverhältnisse 70<br />

I. Kauf von beweglichen Sachen 70<br />

II. Verträge über Grundstücke 72<br />

3


III. Konsumentenverträge 73<br />

IV. Arbeitsverträge 75<br />

V. gemeinsame Bestimmungen über Verträge 77<br />

E. Fall 7 79<br />

§ 7 <strong>Internationales</strong> Bereicherungsrecht 81<br />

A. Gegenstand 81<br />

B. Zuständigkeit 81<br />

I. Allgemeines 81<br />

II. Sonderfrage: vertragliche Rückabwicklung 81<br />

C. Anwendbares Recht 82<br />

§ 8 <strong>Internationales</strong> Deliktsrecht 83<br />

A. Gegenstand 83<br />

B. Zuständigkeit 83<br />

I. Allgemeines 83<br />

II. Multi-State-Delikte 84<br />

C. Anwendbares Recht 84<br />

D. Besondere Delikte 85<br />

I. Strassenverkehrsdelikte 85<br />

II. Produktemängel 86<br />

III. Wettbewerbsrecht 87<br />

IV. Immissionen 88<br />

V. Persönlichkeitsverletzungen 88<br />

VI. Art. 140 ff. IPRG 89<br />

VII. Fall 6 90<br />

§ 9 <strong>Internationales</strong> Gesellschaftsrecht 92<br />

A. Allgemeines 92<br />

B. Exkurs: Der Trust 92<br />

C. Einfache Gesellschaft 93<br />

D. Anwendbares Recht 93<br />

E. Zuständigkeit 97<br />

F Kurzfälle 97<br />

4


§ 1 ÜBERBLICK ÜBER DEN ALLGEMEINEN TEIL DES IPRG<br />

A. Internationaler Sachverhalt<br />

Ausgangspunkt des internationalen <strong>Privatrecht</strong>s ist der internationale Sachverhalt.<br />

Dieser muss einen relevanten Bezug zum Ausland aufweisen. Ein relevanter<br />

Auslandsbezug ist beispielsweise der Wohnsitz.<br />

Internationalität wird dann bejaht, wenn der Sachverhalt einen Bezug zum Ausland<br />

aufweist, den das IPRG oder ein Staatsvertrag in der betreffenden Sach- oder<br />

Rechtsfrage als Anknüpfungspunkt verwendet.<br />

Im Zweifel wird die Internationalität bejaht. Dies ist jedoch nur im Zusammenhang mit<br />

dem Kollisionsrecht praktikabel. In diesem Rahmen geht man davon aus, dass wenn<br />

der Sachverhalt solch untergeordnete Auslandsbezüge hat, trotzdem Schweizer<br />

Recht zur Anwendung gelangen wird. Die Begründung liegt darin, dass dieser<br />

untergeordnete Bezug nicht zur Anwendung des ausländischen Rechts führen wird.<br />

Es spielt somit – im Bezug auf das anwendbare Recht – keine Rolle, ob die<br />

Internationalität bejaht wird, da man faktisch auf jeden Fall wieder zurück zum<br />

Schweizer Recht gelangt.<br />

Diese Regel ist jedoch nur begrenzt auch auf die Frage der Zuständigkeit<br />

anwendbar. Bei einem internationalen Sachverhalt ist die Zuständigkeit in den Art. 2<br />

ff. IPRG oder im LugÜ geregelt. Liegt jedoch kein internationaler Sachverhalt vor, ist<br />

das Schweizer Gerichtsstandsgesetz massgeblich. Allerdings regeln weder IPRG<br />

noch Gerichtsstandsgesetz den erwähnten Zweifelsfall. Es kann somit nicht auf eine<br />

gesetzliche Lösung zurückgegriffen werden. Ebenso wenig kann man argumentieren,<br />

es sei sowieso irrelevant, da das Gerichtsstandsgesetz viele andere Zuständigkeiten<br />

vorsieht. In der Praxis ist es somit von zentraler Bedeutung, ob nun das<br />

Gerichtsstandsgesetz oder LugÜ/IPRG zur Anwendung gelangt.<br />

B. Die klassischen Fragestellungen des IPR<br />

I. Übersicht<br />

Wird die Internationalität bejaht, stellen sich folgende klassische Fragen des IPR:<br />

- Zuständigkeit<br />

Sind in diesem Sachverhalt überhaupt die Schweizer Gerichte zuständig?<br />

- Anwendbares Recht<br />

Ist überhaupt Schweizer <strong>Privatrecht</strong> anwendbar?<br />

- Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Entscheids<br />

Unter welchen Voraussetzungen ist ein ausländisches Urteil in der Schweiz<br />

vollstreckbar?<br />

5


Als erstes stellt sich die Frage der Zuständigkeit. Jedes Gericht wendet sein eigenes<br />

IPRG an. Diese jeweiligen Bestimmungen sehen natürlich unterschiedliche<br />

Regelungen vor, z.B. gilt im Nachlassverfahren in der Schweiz das Wohnsitz-, in<br />

Deutschland jedoch das Staatsangehörigkeitsprinzip. Je nach dem, welches Recht<br />

zur Anwendung gelangt, können unterschiedliche Rechtsfolgen eintreten. Daher ist<br />

es für die Frage des anwendbaren Rechts zuerst von zentraler Bedeutung, welches<br />

Gericht überhaupt zuständig ist.<br />

Diese Überlegung kommt im Rahmen von Verträgen in den Gerichtsstands- und<br />

Rechtswahlklauseln zum Ausdruck. Die privatautonome Wahl des Gerichtsstandes<br />

oder des anwendbaren Rechts ist gemäss den meisten Handelsrechtsordnungen auf<br />

der Welt möglich.<br />

II. Rechtsquellen<br />

1. Staatsverträge<br />

Art. 1 IPRG<br />

1 Dieses Gesetz regelt im internationalen Verhältnis:<br />

a. die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte oder Behörden;<br />

b. das anzuwendende Recht;<br />

c. die Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen;<br />

d. den Konkurs und den Nachlassvertrag;<br />

e. die Schiedsgerichtsbarkeit.<br />

2 Völkerrechtliche Verträge sind vorbehalten.<br />

Gemäss Art. 1 Abs. 2 IPRG ist somit vorrangig, die mögliche Anwendbarkeit von<br />

Staatsverträgen zu prüfen. Subsidiär ist das IPRG anwendbar.<br />

2. Anwendbarkeit<br />

Beispiel LugÜ<br />

- sachliche Anwendbarkeit<br />

Art. 1 LugÜ: Zivil- und Handelssachen<br />

(ausnahmsweise auch Unterhaltsfragen)<br />

- räumlich, persönliche Anwendbarkeit<br />

Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 LugÜ:<br />

Wohnort Beklagter in einem Vertragsstaat<br />

- zeitliche Anwendbarkeit<br />

wird am 1.1.2008 wieder relevant, wenn LugÜ revidiert wurde<br />

6


III. Zuständigkeit<br />

1. internationale Zuständigkeit: Die internationale Zuständigkeit bezeichnet<br />

die zuständigen Gerichte des betreffenden Staates.<br />

2. örtliche Zuständigkeit: Die örtliche Zuständigkeit bezeichnet ein<br />

bestimmtes Gericht, z.B. das Basler Gericht.<br />

3. Alternativität: Der Kläger hat mehrere Gerichtsstände zur Verfügung, z.B.<br />

Wohnsitz des Beklagten oder Erfüllungsort des Vertrages (forum<br />

Shopping)<br />

4. Ausschliesslichkeit: Nur ein Gerichtsstand ist möglich, klassischerweise<br />

der Ort der belegenen Sache bei Grundstücken<br />

5. Zwingende Zuständigkeit: Es sind keine Gerichtsstandsvereinbarungen<br />

möglich, klassischerweise im Konsumentenschutz, Arbeitsrecht,<br />

Familienrecht<br />

6. Fakultativer Gerichtsstand: Die Parteien können willkürlich einen<br />

Gerichtsstand vereinbaren<br />

IV. anwendbares Recht<br />

1. Begriff<br />

Das anwendbare Recht befasst sich mit der Frage, welches materielle Recht auf den<br />

internationalen Sachverhalt anzuwenden ist. Damit befassen sich die sog.<br />

Verweisungs- oder Kollisionsnormen.<br />

Eine Kollisionsnorm besteht aus einem Tatbestand und einer Rechtsfolge. Der<br />

Tatbestand befasst sich mit dem sog. Verweisungsbegriff, z.B. Eheschliessung,<br />

Nachlass, etc. Zuerst ist also der Anwendungsbereich einer Kollisionsnorm zu<br />

bestimmen. Für diesen Bereich gibt die Norm dann einen Anknüpfungspunkt vor,<br />

z.B. den Wohnsitz.<br />

Die Rechtsfolge ist der Verweis auf ein bestimmtes materielles Recht. Es wird<br />

beispielsweise auf das Recht am Wohnsitz des Beklagten verwiesen. Grundsätzlich<br />

handelt es sich dabei um einen Verweis auf das jeweilige materielle Recht, dies ist<br />

der Fall bei einer Sachnormverweisung. Im Gegensatz dazu verweist eine<br />

Gesamtverweisung auf das gesamte ausländische Recht, also inkl. auf das<br />

ausländische Kollisionsrecht. Diese Grundsätze sind in Art. 14 IPRG geregelt.<br />

2. Korrekturmöglichkeiten<br />

- Art. 17 IPRG: Ordre public<br />

Im Rahmen des Ordre public wird ein ungerechtes Ergebnis des<br />

ausländischen Rechts korrigiert.<br />

- Art. 15 IPRG: Ausnahmeklausel<br />

Korrigiert wird die Verweisung an sich, berufen wird das Recht mit dem<br />

engsten Zusammenhang.<br />

7


- Art. 18 IPRG: Schweizer Eingriffsnorm<br />

Eine Schweizer materiellrechtliche Norm will trotz der Anwendbarkeit eines<br />

ausländischen Rechts angewendet werden.<br />

- Art. 19 IPRG: Trotz der Anwendbarkeit des Schweizer Rechts will eine<br />

ausländische Norm angewendet werden.<br />

V. Anerkennung und Vollstreckung<br />

1. Rechtsquellen<br />

Erneut sind Staatsverträge vorrangig und wiederum ist der wichtigste Staatsvertrag<br />

in diesem Zusammenhang das LugÜ.<br />

2. Verfahren<br />

Die Art. 25 ff. IPRG und LugÜ regeln die Anerkennung und Vollstreckung der<br />

ausländischen Entscheide. Voraussetzungen hierfür sind:<br />

- endgültige Entscheidung<br />

- indirekte Zuständigkeit des ausländischen Gerichts (Art. 26 IPRG; nicht im<br />

LugÜ)<br />

- Gründe für die Verweigerung der Vollstreckung<br />

Insbesondere der Verstoss gegen den schweizerischen Ordre public ist ein<br />

Grund für die Nichtvollstreckung einer ausländischen Entscheidung.<br />

VI. Fall 1<br />

Sachverhalt 1<br />

Die Ehegatten A und B, beides griechische Staatsangehörige, haben sich endgültig<br />

auseinander gelebt. Nach einem heftigen Streit ist die Ehefrau B vor 2 Monaten aus<br />

dem gemeinsamen Haus in Basel aus- und zu ihren Eltern nach Griechenland<br />

zurückgezogen. A bittet Sie um Rechtsauskunft betreffend eine mögliche Scheidung.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

1. Ermittlung des relevanten Rechtsgebiets (wer will was von wem woraus?)<br />

A will gegen B die Scheidung erwirken. Der Fall befindet sich also im<br />

Rechtsbereich der Scheidung und Trennung. Dies ist in den Art. 59 ff. IPRG<br />

geregelt.<br />

2. internationaler Sachverhalt?<br />

Ein internationaler Sachverhalt liegt vor, wenn die relevanten<br />

Anknüpfungsmerkmale im jeweiligen Rechts- und Sachbereich ins Ausland<br />

verweisen. Internationalität ist zu bejahen, wenn der Sachverhalt einen<br />

Auslandsbezug aufweist, der im betreffenden Rechts- oder Sachbereich<br />

relevant ist.<br />

8


Gemäss Art. 59 lit. a IPRG ist der Wohnsitz ein relevantes Kriterium. Ebenso<br />

ist in den Art. 60 und 61 IPRG die Staatsangehörigkeit von Bedeutung. In casu<br />

sind beide Anknüpfungsmerkmale gegeben, da beide griechische<br />

Staatsbürger sind und B ihren Wohnsitz in Griechenland hat.<br />

3. Welche IPR-rechtliche Fragestellung ist relevant?<br />

a. Zuständigkeit<br />

i. LugÜ (-)<br />

ii. Staatsverträge: SR 0.2 und 0.17 (-)<br />

iii. IPRG<br />

Art. 59 IPRG<br />

Für Klagen auf Scheidung oder Trennung sind zuständig:<br />

a. die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten;<br />

b. die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Klägers, wenn dieser sich<br />

seit einem Jahr in der Schweiz aufhält oder wenn er Schweizer Bürger ist.<br />

In casu ist die Jahresfrist von Art. 59 lit. b IPRG gegeben, da<br />

beide Eheleute längere Zeit in der Schweiz lebten.<br />

Fazit: Die Schweizer Gerichte sind zuständig.<br />

b. Anwendbares Recht<br />

i. Staatsvertrag? (-)<br />

ii. Art. 61 ff IPRG<br />

Art. 61 IPRG<br />

1 Scheidung und Trennung unterstehen schweizerischem Recht.<br />

2 Haben die Ehegatten eine gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit<br />

und hat nur einer von ihnen Wohnsitz in der Schweiz, so ist ihr gemeinsames<br />

Heimatrecht anzuwenden.<br />

3 Ist die Scheidung nach dem gemeinsamen ausländischen Heimatrecht nicht<br />

oder nur unter ausserordentlich strengen Bedingungen zulässig, so ist<br />

schweizerisches Recht anzuwenden, wenn einer der Ehegatten auch<br />

Schweizer Bürger ist oder sich seit zwei Jahren in der Schweiz aufhält.<br />

4 Sind nach Artikel 60 die schweizerischen Gerichte am Heimatort zuständig,<br />

so wenden sie schweizerisches Recht an.<br />

Grundsätzlich ist für ein Scheidungsverfahren vor einem<br />

Schweizer Gericht gemäss Art. 61 Abs. 1 IPRG Schweizer Recht<br />

anwendbar.<br />

Die Ausnahme davon ist in Abs. 2 geregelt und betrifft den<br />

„engsten Bezug“. Dieser ist in casu gegeben, da beide Ehegatten<br />

die griechische Staatsangehörigkeit haben und nur der Ehemann<br />

bei Klageeinreichung in der Schweiz lebt. Für diesen Fall<br />

verweist das Schweizer IPRG auf das griechische Recht.<br />

Es ist nun jedoch zu prüfen, ob es sich bei dieser Verweisung um<br />

eine Sachnorm- oder eine Gesamtverweisung handelt. Sollte das<br />

9


griechische IPR ebenfalls an die Staatsangehörigkeit anknüpfen,<br />

die Verweisung also annehmen, käme griechisches Recht zur<br />

Anwendung. Bei einer Anknüpfung an den Wohnsitz des<br />

Klägers, würde es sich um eine Rückverweisung, um einen sog.<br />

Renvoi handeln. Diese Rückverweisung wird vom BGer als<br />

Sachnormverweisung verstanden, was zur Anwendbarkeit des<br />

Schweizer Rechts führen würde.<br />

In casu ist Art. 61 II eine Gesamtverweisung (vgl. Art. 14 IPRG)<br />

10


§ 2 INTERNATIONALES PERSONENRECHT<br />

A. Gegenstand des Internationalen Personenrechts<br />

Um zu umschreiben, was das internationale Personenrecht regelt, ist ein Vergleich<br />

mit den Regelungen des ZGB möglich:<br />

- Rechts- und Handlungsfähigkeit<br />

- Wirkung entsprechender Rechtshandlungen<br />

- Wohnsitz, Aufenthalt und Sitz<br />

- Namensrecht (Namensschutz und Namensänderung)<br />

- Beginn und Ende der Persönlichkeit<br />

Das internationale Personenrecht betrifft exakt diese Fragestellungen, einzig mit dem<br />

Zusatz des internationalen Bezugs. Die Vorschriften, welche diese internationalen,<br />

personenrechtlichen Fragestellungen betreffen, finden sich in den Art. 33 – 42 IPRG.<br />

Weiter sind die Art. 20 ff. IPRG von Bedeutung: Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt,<br />

Niederlassung, Sitz und Staatsangehörigkeit sowie Staatenlosigkeit.<br />

B. Merkmale der Regelung im IPRG<br />

- Unterscheidung zwischen natürlichen und juristischen Personen<br />

Die juristischen Personen sind nicht in den Art. 33 ff. IPRG geregelt, sondern<br />

werden im Gesellschaftsrecht der Art. 150 ff. IPRG behandelt.<br />

- Regelanknüpfung vs. Sonderanknüpfungen (BGE 119 II 254)<br />

Die grundsätzliche Anknüpfung im internationalen Personenrecht ist im Art. 33<br />

Abs. 1 IPRG geregelt. Allerdings gibt es verschiedenste Sondervorschriften,<br />

welche der Grundregel von Art. 33 IPRG vorgehen. Es gibt Sondervorschriften<br />

bezüglich:<br />

o Rechtsfähigkeit<br />

o Handlungsfähigkeit<br />

o Namensrecht<br />

o Verschollenerklärung<br />

o Persönlichkeitsverletzung<br />

o Wohnsitz<br />

Für den Grundsatz bleibt somit praktisch kein Spielraum mehr. Gemäss BGer<br />

spielte er nur noch für die Frage einer Geschlechtsumwandlung eine Rolle. Es<br />

stellte sich die Frage, welches Gericht im internationalen Verhältnis für diesen<br />

Sachverhalt zuständig sei und welches Recht dafür zur Anwendung gelange.<br />

Das BGer entschied, dass dies ein letzter Anwendungsfall der Grundnorm von<br />

Art. 33 Abs. 1 IPRG sei.<br />

Es lässt sich also zusammenfassend feststellen, dass die Grundnorm<br />

praktisch keine Bedeutung mehr hat, ganz im Gegensatz zu den viel<br />

bedeutsameren Sonderanknüpfungen in Bezug auf die oben genannten<br />

Anknüpfungsmerkmale.<br />

11


- <strong>Internationales</strong> Personenrecht als <strong>Teil</strong>frage<br />

Die personenrechtlichen Fragen betreffen in einem Verfahren<br />

klassischerweise nicht Hauptfragen, sondern <strong>Teil</strong>fragen oder Vorfragen eines<br />

anderen Verfahrens.<br />

Beispiel Namensänderung<br />

Der Name ist klassischerweise im Fall der Namensänderung die Hauptfrage.<br />

Andererseits sind Fragen des Verlustes des Namens im Scheidungsverfahren<br />

Nebenfragen. In diesem Fall ist die Ehescheidung die Hauptfrage, die<br />

Namensänderung erscheint dabei als Nebenfolge.<br />

Vielfach bildet die personenrechtliche Fragestellung einen <strong>Teil</strong> eines anderen<br />

Verfahrens. Es stellen sich dann spezielle Fragen der Zuständigkeit oder des<br />

anwendbaren Rechts in dieser <strong>Teil</strong>frage.<br />

C. Internationale Erkenntniszuständigkeit<br />

- internationales Personenrecht als <strong>Teil</strong>frage<br />

Beispiel:<br />

Vertrag mit einer Person, welche zu jung war zum Vertragsschluss. Nach<br />

welchen Vorschriften bestimmt sich die Zuständigkeit in einem solchen Fall?<br />

In einem solchen Fall bildet das Vertragsrecht gemäss Art. 112 ff. IPRG die<br />

Hauptfrage und die personenrechtlichen Aspekte erscheinen als <strong>Teil</strong>frage. In<br />

casu handelt es sich um eine Vertragsstreitigkeit, denn der Gläubiger verlangt<br />

die Erfüllung des Vertrages. Es gelten die Gerichtsstände des Vertragsrechts.<br />

Der Richter wird sich der Streitsache annehmen und die Frage der<br />

Handlungsfähigkeit erst später behandeln.<br />

Daraus lässt sich ein Grundsatz ableiten: Erscheint die personenrechtliche<br />

Frage nicht als Hauptfrage, erfolgt die Anknüpfung akzessorisch an diejenige<br />

der Hauptfrage.<br />

- <strong>Internationales</strong> Personenrecht als Hauptfrage<br />

o Besondere Zuständigkeitsvorschrift (Deliktsrecht, Namensrecht,<br />

Verschollenerklärung)<br />

In diesen genannten Fällen ist das internationale Personenrecht als<br />

Hauptfrage zu behandeln.<br />

Eine Persönlichkeitsverletzung ist gemäss Art. 33 Abs. 2 IPRG nach<br />

den Vorschriften des Deliktsrechts zu beurteilen. Diese befinden sich in<br />

den Art. 129 ff. IPRG. Geklagt werden muss somit entweder an den<br />

klassischen Anknüpfungsorten (Wohnsitz, Aufenthalt, Niederlassung)<br />

oder speziell am deliktischen Handlungs- bzw. Erfolgsort.<br />

12


Die Namensänderung im Rahmen des IPRG erfolgt am Wohnsitz des<br />

Gesuchsstellers oder bei einem Schweizer Bürger ohne Wohnsitz in der<br />

Schweiz bei der zuständigen Behörde an seinem Heimatort. Dies richtet<br />

sich nach Art. 38 IPRG.<br />

Die Verschollenerklärung erfolgt gemäss Art. 41 IPRG durch die<br />

Behörden am letzten bekannten Wohnsitz der verschollenen Person.<br />

Dies ist die einzig mögliche Zuständigkeit. Die Schweizer Behörden<br />

sind sogar dann zuständig, wenn der Verschollene seinen letzten<br />

Wohnsitz nicht in der Schweiz hatte, aber ein schützenswertes<br />

Interesse nachgewiesen werden kann. Ein schützenswertes Interesse<br />

in diesem Sinne wäre beispielsweise ein erbrechtliches Interesse.<br />

o Auffangtatbestand Art. 33 Abs. 1 IPRG<br />

Dieser hat kaum mehr eine Bedeutung siehe Ausführungen oben.<br />

D. Anwendbares Recht<br />

I. Allgemeines<br />

- Sonderanknüpfungen: Rechtsfähigkeit, Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit,<br />

Handlungsfähigkeit (BGE 113 II 476), Namensrecht (BGE 116 II 202),<br />

Verschollenerklärung<br />

Grundsätzlich bilden die personrechtlichen Fragen vielfach einen <strong>Teil</strong> eines<br />

anderen Verfahrens. Dabei wird diese Fragestellung gesondert angeknüpft.<br />

Im Gegensatz zur Zuständigkeit erfolgt die Anknüpfung im Rahmen des<br />

anwendbaren Rechts gesondert.<br />

Im Beispiel des Vertragsschlusses mit einer handlungsunfähigen Person<br />

wurde die akzessorische Anknüpfung zur Bestimmung der Zuständigkeit<br />

bereits erläutert. Die Frage nach dem anwendbaren Recht betreffend<br />

Handlungsfähigkeit bestimmt sich nach Art. 35 IPRG.<br />

Personenrechtliche Fragen werden grundsätzlich als lex specialis gesondert<br />

angeknüpft.<br />

Die Deliktsfähigkeit andererseits bestimmt sich nach Art. 142 IPRG. Dabei<br />

handelt es sich um eine Umkehr des eben erwähnten Grundsatzes. Hier gilt<br />

nicht die Sonderanknüpfung der personenrechtlichen Fragen, sondern die<br />

Hauptfrage des Personenrechts. Eine weitere solche Anknüpfung findet sich<br />

im internationalen Erbrecht in Art. 94 IPRG. Nach herrschender Lehre besteht<br />

diese Ausnahme der Ausnahme auch beim Eheschliessungsstatut (Art. 44<br />

IPRG). Das auf die Eheschliessung anwendbare Recht umfasst somit auch<br />

die Frage der Ehemündigkeit.<br />

13


Es gilt also der Grundsatz der selbständigen Anknüpfung des anwendbaren<br />

Rechts, es sei denn, das IPRG sieht speziell für einzelne Fälle eine<br />

Anknüpfung nach der Hauptsache vor.<br />

- Auffangtatbestand Art. 33 Abs. 1 IPRG<br />

II. Die einzelnen Aspekte des internationalen Persönlichkeitsrechts<br />

1. Rechtsfähigkeit (Art. 34 IPRG)<br />

Die Rechtsfähigkeit ist dogmatisch wohl die wichtigste Frage hinsichtlich des<br />

Personenrechtes. Es geht um die Frage desjenigen Rechts, nach welchem sich<br />

bestimmt, ob eine Person Träger von Rechten und Pflichten sein kann.<br />

Art. 34 Abs. 1 IPRG beruft für diese Fragen, als einseitige Kollisionsnorm, das<br />

Schweizer Recht.<br />

Dagegen ist Art. 34 Abs. 2 IPRG eine akzessorische Anknüpfung. Beginn und Ende<br />

der Persönlichkeit unterstehen bspw. demjenigen Recht, welches auch den Nachlass<br />

regelt.<br />

Hinsichtlich der Beendigung des Vertragsverhältnisses bei Tod eines<br />

Vertragspartners, richtet sich die Bestimmung des Todes, also ob die Person<br />

beispielsweise schon bei Atemstillstand als tot gilt, nach dem Recht, welches auf das<br />

Vertragsverhältnis angewendet wird (Art. 34 Abs. 2 IPRG).<br />

Die Rechtsfähigkeit untersteht also prinzipiell dem Schweizer Recht. Anders ist die<br />

Frage nach Beginn und Ende der Persönlichkeit zu behandeln. Hier wird<br />

akzessorisch an das Recht angeknüpft, welches Beginn und Ende der Persönlichkeit<br />

für eine konkrete Rechtsfrage als relevant erklärt.<br />

2. Handlungsfähigkeit (Art. 35 IPRG)<br />

Art. 35 IPRG sagt im Grundsatz, dass die Handlungsfähigkeit einer Person dem<br />

Recht an deren Wohnsitz untersteht. Somit bestimmt das Recht, welches am<br />

Wohnsitz einer Person gilt, ob diese handlungsfähig ist oder nicht.<br />

Hiervon gibt es zwei Ausnahmen:<br />

- eine Person, welche einmal handlungsfähig wurde, behält diese auch bei<br />

Wohnsitzwechsel (Art. 35 S. 2 IPRG)<br />

- Grolimund: „…das ist der klassische Mexikanerfall…“<br />

Ein 20-jähriger Mexikaner wollte in Paris eine Uhr kaufen. Er war nach<br />

mexikanischem Recht noch nicht handlungsfähig. Konnte der Vertragspartner<br />

nicht erkennen, dass der Mexikaner noch nicht handlungsfähig war, darf sich<br />

dieser auch nicht später auf seine Handlungsunfähigkeit berufen. Art. 36 IPRG<br />

regelt dies im Sinne des Verkehrsschutzes.<br />

14


3. Name (Art. 37 ff. IPRG)<br />

Die Fälle, in welchen sich ein Statusakt (Eheschliessung, Ehescheidung, Adoption,<br />

auf die Welt kommen, etc.) auf den Namen auswirkt, sind in Art. 37 IPRG geregelt.<br />

Wird der Name jedoch aufgrund eines behördlichen Aktes (z.B. Namenswechsel auf<br />

Antrag) beeinflusst, fällt dies unter die Bestimmungen des Art. 38 IPRG.<br />

a) Wechsel des Namens aufgrund eines Statusaktes (Art. 37 IPRG)<br />

Primäre Anknüpfung im Rahmen des Art. 37 IPRG ist die Rechtswahl. Bei<br />

Eheschliessung kann für die Fragen des Namens eine Rechtswahl zugunsten<br />

des Heimatrechts getroffen werden.<br />

Wird dies nicht gewählt, gilt bei Personen mit Wohnsitz in der Schweiz<br />

Schweizer Recht. Bei Personen mit Wohnsitz im Ausland kommt dasjenige<br />

Recht zur Anwendung, auf welches das Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates<br />

verweist. Es handelt sich bei Art. 37 Abs. 1 IPRG um eine Gesamtverweisung,<br />

da das ausländische Kollisionsrecht explizit in der Norm erwähnt wird.<br />

Dies ergibt sich auch in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 IPRG. Dort steht, dass<br />

eine Verweisung grundsätzlich eine Sachnormverweisung ist – es sei denn,<br />

dass das Gesetz selbst (also das IPRG selbst) eine Gesamtverweisung<br />

vorschreibt. Dies ist in Art. 37 IPRG der Fall.<br />

b) Behördlicher Namenswechsel (Art. 38 IPRG)<br />

Bei behördlichem Namenswechsel gilt gemäss Art. 38 Abs. 3 IPRG Schweizer<br />

Recht.<br />

4. Verschollenerklärung<br />

Auch die Verschollenerklärung untersteht gemäss Art. 41 Abs. 3 IPRG Schweizer<br />

Recht. Dies ist an dieser Stelle nicht weiter auszuführen.<br />

III. Fall 2<br />

Sachverhalt 2<br />

Mary und John haben im Alter von 16 Jahren im schottischen Inverness geheiratet.<br />

Mary ist in der Folge mit ihren Eltern in die Schweiz gezogen. Vor einer Woche hat<br />

Mary, nun 17-jährig, in Basel auf Scheidung geklagt.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

1. Wer will was von wem woraus?<br />

Mary will gegen John die Scheidung.<br />

2. liegt ein internationaler Sachverhalt vor?<br />

Im Familienrecht ist immer die Staatsangehörigkeit von grosser Bedeutung.<br />

15


Der Auslandsbezug ergibt sich aus der Eheschliessung im Ausland und der<br />

ausländischen Staatsangehörigkeit der Eheleute.<br />

3. Welches sind die IPR-relevanten Fragestellungen?<br />

- Zuständigkeit der Schweizer Gerichte?<br />

Die Zuständigkeit der Schweizer Gerichte ergibt sich aus Art. 59 lit. b IPRG.<br />

Diese ist in casu gegeben, falls Mary mehr als ein Jahr in der Schweiz<br />

gewohnt hat.<br />

Im Hinblick auf die Scheidung ist die Eheschliessung IPR-rechlich gesehen<br />

eine Vorfrage. Es ist somit vorfrageweise zu prüfen, ob überhaupt eine Ehe<br />

geschlossen wurde. Weiter ist zu prüfen, ob Mary im Alter von 17 Jahren<br />

überhaupt Klage einreichen kann. Es stellt sich also die Frage der<br />

Prozessfähigkeit.<br />

Ist aufgrund der Heirat der Mary mit dem John die Mündigkeit eingetreten?<br />

Mary hat aufgrund des Art. 45a IPRG durch die Heirat mit John die<br />

Handlungsfähigkeit erlangt. Diese behält sie auch bei Wohnsitzwechsel (Art.<br />

35 IPRG), denn dieser berührt die einmal erworbene Handlungsfähigkeit nicht.<br />

Zweite Vorfrage: Ist die Ehe überhaupt in der Schweiz anerkennbar?<br />

Art. 45 Abs. 1 IPRG sagt, dass eine im Ausland gültig geschlossene Ehe in<br />

der Schweiz anerkannt wird. Die Ehe zwischen Mary und John wurde in<br />

England gültig geschlossen. Nun stellt sich die Frage, ob diese<br />

Eheschliessung in der Schweiz gegen den geltenden Ordre public verstösst.<br />

Dies ist jedoch zu verneinen.<br />

E. Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheiden<br />

- internationales Personenrecht als <strong>Teil</strong>frage<br />

- <strong>Internationales</strong> Personenrecht als Hauptfrage<br />

o Besondere Vorschriften über die indirekte Zuständigkeit<br />

(Persönlichkeitsverletzung, Namensänderung, Verschollen- und<br />

Todeserklärung)<br />

o Auffangtatbestand: Art. 26 lit. a IPRG<br />

16


§ 3 INTERNATIONALES FAMILIENRECHT<br />

A. <strong>Internationales</strong> Eherecht<br />

I. Gegenstand des internationalen Eherechts<br />

Der Begriff der Ehe ist breiter zu fassen als im ZGB. Es kann durchaus sein, dass<br />

sich das IPR mit Eheschliessungen befasst, welche nicht durch Behörden, sondern<br />

beispielsweise durch ein Stammesoberhaupt geschlossen wurden.<br />

Es geht um Lebensformen, welche vergleichbar sind mit dem Institut der Ehe im<br />

ZGB. Diese sind nicht lose, im Sinne des Zusammenlebens in einer Partnerschaft<br />

oder Wohngemeinschaft, sondern von einer bestimmten Intensität, woraus sich dann<br />

auch Rechte und Pflichten ergeben.<br />

Im Rahmen des internationalen Eherechts geht es also um das Zusammenleben,<br />

welches eine gewisse Intensität erreichen muss, von zwei unterschiedlichgeschlechtlichen<br />

Partnern.<br />

Davon abzugrenzen ist das Verlöbnis, welches im internationalen Eherecht nicht<br />

geregelt ist. Es stellt sich somit die Frage, wie dieser Status international zu<br />

handhaben ist.<br />

Weiter sind die Aspekte des Konkubinats – loseres Zusammenleben – und der<br />

gleichgeschlechtlichen Partnerschaft zu berücksichtigen und von der Ehe<br />

abzugrenzen.<br />

Zusammenfassend:<br />

- Anknüpfung am Institut der Ehe<br />

- Eingetragene Partnerschaft (bisher: vgl. BGE 119 II 264¸neu, ab 1.1.07, Art.<br />

65a ff. sowie Art. 45 Abs. 3)<br />

- Konkubinat<br />

- Verlöbnis<br />

- (Eheungültigkeit, Ehenichtigkeit)<br />

Bei den eheähnlichen Beziehungen stellt sich schlussendlich die Frage, ob die<br />

Bestimmungen des Eherechts analog angewendet werden können.<br />

B. Rechtsquellen, Entwicklungen im EG-Recht<br />

Die relevanten Vorschriften des internationalen Eherechts sind in verschiedensten<br />

Erlassen geregelt. Dabei gilt ebenfalls der Grundsatz, dass Staatsverträge den<br />

nationalen Regelungen vorgehen.<br />

Wichtig dabei ist, dass auch das LugÜ Fragen des Unterhaltes regelt. Dies ergibt<br />

sich aus Art. 5 Abs. 2 LugÜ: Gerichtsstand für Unterhaltssachen.<br />

- Tafel 72<br />

17


- Brüssel-III-VO, Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November<br />

2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von<br />

Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche<br />

Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000<br />

- Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung EG Nr.<br />

2201/2003 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung<br />

von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich, KOM<br />

(2006) 399 vom 17. Juli 2006.<br />

- Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das<br />

anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung<br />

von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der<br />

Unterhaltspflichten vom 15. Dezember 2005, KOM (2005) 0649. Dem<br />

Vorschlag war vorausgegangen das Grünbuch Unterhaltspflichten vom 15.<br />

April 2004, KOM (2004) 254 endg.<br />

C. Eheschliessung (Art. 43 – 45a IPRG)<br />

Die relevanten Fragestellungen im Zusammenhang mit der Eheschliessung können<br />

aus dem ZGB abgeleitet werden. Wie auch im IPRG betreffen die Regelungen des<br />

ZGB unter anderem das Verfahren und die materiellen Voraussetzungen der<br />

Eheschliessung (positive Voraussetzungen wie Alter oder Urteilsfähigkeit sowie<br />

Ehehindernisse wie Verwandtschaft, Mehrfachehe, u. ä.).<br />

Im internationalen Verhältnisse werden zusätzlich die folgenden Punkte relevant:<br />

- internationale Zuständigkeit<br />

Art. 43 IPRG regelt die Frage nach der Zuständigkeit der Schweizer<br />

Behörden, international eine Ehe zu schliessen.<br />

Grundsätzlich sind die Schweizer Behörden gemäss Abs. 1 immer dann<br />

zuständig, wenn die Braut oder der Bräutigam Wohnsitz in der Schweiz oder<br />

das Schweizer Bürgerrecht hat.<br />

Es braucht also bei den Ehegatten entweder das Schweizer Bürgerrecht oder<br />

den Wohnsitz in der Schweiz.<br />

Weiter regelt diese Vorschrift nur die internationale Zuständigkeit zur<br />

Eheschliessung, die zuständige Behörde bestimmt sie jedoch nicht.<br />

Der erwähnte Grundsatz kann jedoch gemäss Abs. 2 gelockert werden. Will<br />

ein ausländisches Ehepaar ohne Wohnsitz in der Schweiz trotzdem hier<br />

heiraten, kann dies durch die zuständige Behörde bewilligt werden. Damit will<br />

man ein sog. hinkendes Rechtsverhältnis vermeiden. Der Gedanke, dass<br />

Schweizer zwar beispielsweise in den Ferien im Ausland heiraten können und<br />

Ausländer in der Schweiz nicht, soll durch diese Bestimmung korrigiert werden<br />

können.<br />

Hiervon macht das IPRG nochmals eine Ausnahme. Abs. 3 ist sozusagen die<br />

Ausnahme von der Ausnahme. Brautleute können auch dann in der Schweiz<br />

heiraten, wenn eine zuvor nötige Scheidung im Ausland nicht<br />

anerkennungsfähig wäre. Diese ist eine Folge der Ehefreiheit.<br />

18


Das maltesische Recht beispielsweise sieht ausdrücklich keine<br />

Scheidungsmöglichkeit vor.<br />

Beispiel: Ein bereits verheirateter Malteser will in der Schweiz heiraten. Die<br />

Voraussetzungen des Abs. 2 wären nicht erfüllt, da eine allfällige Scheidung in<br />

Malta nicht anerkannt würde und so eine erneute Heirat ebenfalls nicht, da der<br />

Malteser so doppelt verheiratet wäre. Eine Heirat wäre somit gemäss Abs. 2 in<br />

der Schweiz nicht möglich, denn die erneute Heirat würde in Malta nicht<br />

anerkannt.<br />

Abs. 3 bildet nun als Ausfluss der Ehefreiheit die Gegenausnahme von der<br />

Ausnahme und begründet trotzdem eine Schweizer Zuständigkeit, sodass der<br />

Malteser trotzdem eine neue Ehe eingehen kann.<br />

- Anwendbares Recht<br />

Der Grundsatz des Art. 44 Abs. 1 IPRG ist der, dass bei einer Heirat in der<br />

Schweiz auch Schweizer Recht anwendbar ist. Es handelt sich um eine<br />

einseitige Kollisionsnorm mit einer Verweisung auf die Art. 97 ff. ZGB.<br />

Hiervon macht das Gesetz wieder eine Ausnahme in Abs. 2:<br />

Bei einer Eheschliessung zwischen zwei Ausländern, welche die<br />

Voraussetzungen des Schweizer Rechts zur Eheschliessung nicht erfüllen,<br />

können die Brautleute die Ehe unter das eigene Heimatrecht stellen. Dies<br />

jedoch nur, falls das berufene Recht andere Gültigkeitsvoraussetzungen kennt<br />

und der konkrete Fall nach Heimatrecht zulässig ist.<br />

Beispiele:<br />

o Alter: das ausländische Recht lässt die Ehe ab 16 Jahren zu<br />

o Polygamie: das ausländische Recht lässt die Polygamie zu<br />

o Verwandtschaft: das ausländische Recht lässt die Ehe unter<br />

Geschwistern zu<br />

o Urteilsfähigkeit: das ausländische Recht lässt die Ehe zwischen zwei<br />

urteilsunfähigen zu<br />

Das Problem ist jedoch, dass viele dieser Beispiele dem Ordre public in der<br />

Schweiz zuwider laufen. Der einzig mögliche Anwendungsfall ist das Alter, wie<br />

es im Sachverhalt 2 behandelt wurde. Alle anderen, vom Schweizer Recht<br />

abweichenden Gültigkeitsvoraussetzungen sind Ordre public widrig.<br />

Die Form der Eheschliessung untersteht gemäss Abs. 3 in jedem Fall dem<br />

Schweizer Recht. Dadurch werden rein religiöse Heiraten ausgeschlossen. In<br />

der Schweiz gibt es nur die Möglichkeit der Eheschliessung durch den Staat.<br />

- Anerkennung von im Ausland geschlossenen Ehen (Art. 45 IPRG)<br />

Generell wird jede im Ausland gültig geschlossene Ehe in der Schweiz<br />

anerkannt (Art. 45 Abs. 1 IPRG), es sei denn es läge ein Umgehungstatbestand<br />

gemäss Art. 45 Abs. 2 IPRG vor.<br />

Das Schweizer IPRG ist sehr grosszügig in der Anerkennung von im Ausland<br />

abgeschlossenen Ehen. Es prüft insbesondere keine Fragen der indirekten<br />

19


Zuständigkeit. Es spielt aus Schweizer Sicht somit keine Rolle, ob die<br />

ausländische Behörde zuständig war oder nicht.<br />

Mit den Nichtigkeitsgründen in Abs. 2 meint das IPRG all jene Ehehindernisse,<br />

welche nicht sowieso vom Ordre public erfasst werden. Im Prinzip ist hier<br />

wiederum nur das fehlende Mündigkeitsalter gemeint.<br />

Beispiel für Fragestellungen in der Rechtsprechung:<br />

- Eheschliessung und Ordre public, z.B. Verheiratung des Kindes durch die<br />

Eltern oder ausländische Ehe einzig durch einen Geistlichen (vgl. BGE 114 II<br />

1);<br />

- Geltendmachung von Ehewirkungen im Inland bei Doppelehe (Ordre public<br />

Verstoss?)<br />

D. Wirkungen der Ehe (Art. 46 – 50 IPRG; exkl. Ehegüterrecht)<br />

I. Allgemeines<br />

In der Systematik des materiellen Rechts wird unterschieden zwischen den<br />

Ehewirkungen im Allgemeinen und dem ehelichen Güterrecht. Es ist also immer von<br />

zentraler Bedeutung, ob man von den Ehewirkungen im Allgemeinen spricht oder<br />

vom Güterrecht. Dieses ist separat geregelt.<br />

Auch andere Ehewirkungen werden separat geregelt. Darunter fallen:<br />

- Name: Der Name wird nicht im Rahmen des Eherechts behandelt, sondern<br />

folgt einer Sonderanknüpfung (Art. 37 ff IPRG)<br />

- Bürgerrecht: Das Bürgerrecht wird in der Schweiz nicht durch das IPRG<br />

geregelt, sondern durch das Bürgerrechtsgesetz (BüG). Diese Normen sind<br />

Eingriffsnormen gemäss Art. 18 und 19 IPRG.<br />

Nachdem bereits behandelt wurde, was alles nicht durch das Familienrecht des<br />

IPRG geregelt wird, folgen nun die Themenbereiche, welche im Rahmen des IPRG<br />

behandelt werden:<br />

- Wirkungen der Ehe zwischen den Ehegatten<br />

o Treue und Beistand: Unterhalt<br />

o Arbeitserwerb<br />

o Rechtsgeschäfte<br />

o Auskunftsrechte<br />

o Zustimmungserfordernisse<br />

- Wirkungen gegenüber Dritten<br />

o Vertretung der Gemeinschaft<br />

o Zustimmungserfordernisse und<br />

20


- entsprechende Verfahren (insbesondere: Eheschutz)<br />

Der hauptsächlichste Fall in der Praxis ist die Frage des Getrenntlebens und<br />

fällt unter die Art. 43 ff. IPRG.<br />

II. IPR relevante Fragestellungen<br />

- internationale Zuständigkeit<br />

Für die Geltendmachung der Ehewirkungen sind gemäss Art. 46 IPRG die<br />

Schweizer Gerichte zuständig, wenn einer der Ehegatten seinen Wohnsitz in<br />

der Schweiz hat. Subsidiär tritt anstelle des Wohnsitzes der gewöhnliche<br />

Aufenthalt.<br />

Eine Ausnahme hiervon bildet Art. 47 IPRG mit dem Heimat- oder<br />

Notgerichtsstand. Ausnahmsweise, wenn ein Ehegatte Schweizer Bürger ist,<br />

es aber nicht möglich ist am ausländischen Wohnsitz oder Aufenthalt auf<br />

Trennung zu klagen, kann der Schweizer Bürger notfallmässig in der Schweiz<br />

die Trennung verlangen. Es handelt sich also um einen Auffangtatbestand für<br />

Schweizer Bürger, welche sich irgendwo in der Welt befinden. Diese können<br />

unter den gegebenen Umständen in der Schweiz die Trennung regeln lassen,<br />

sofern das Verfahren im Ausland unmöglich oder unzumutbar ist.<br />

Beispiele:<br />

- Unmöglichkeit: keine Zuständigkeit im Ausland, keine gesetzliche<br />

Regelung des Getrenntlebens, unverhältnismässig langes Verfahren<br />

- Zumutbarkeit: Fremde Sprache, unverhältnismässig hohe Kosten<br />

ACHTUNG: eine inhaltliche „Schlechterstellung“ eines Ehegatten<br />

genügt jedoch nicht.<br />

Grenzen der Zumutbarkeit sind allenfalls im Rahmen des Ordre public<br />

zu behandeln.<br />

- Anwendbares Recht<br />

Das anwendbare Recht bestimmt sich nach den Art. 48 und 49 IPRG.<br />

Grundsätzlich werden Fragen des Unterhaltes in Art. 49 IPRG geregelt, alle<br />

andern Fragen wie Vertretung, Auskunft oder Zustimmung in Art. 48 IPRG.<br />

Art. 48 IPRG<br />

1 Die ehelichen Rechte und Pflichten unterstehen dem Recht des Staates, in dem die<br />

Ehegatten ihren Wohnsitz haben.<br />

2 Haben die Ehegatten ihren Wohnsitz nicht im gleichen Staat, so unterstehen die ehelichen<br />

Rechte und Pflichten dem Recht des Wohnsitzstaates, mit dem der Sachverhalt in engerem<br />

Zusammenhang steht.<br />

3 Sind nach Artikel 47 die schweizerischen Gerichte oder Behörden am Heimatort zuständig,<br />

so wenden sie schweizerisches Recht an.<br />

In Art. 48 Abs. 1 IPRG wird nicht vorausgesetzt, dass beide Ehegatten<br />

denselben Wohnsitz haben. Für die Anwendbarkeit des Schweizer Rechts<br />

21


eicht es aus, dass beide Ehegatten in der Schweiz wohnen. Massgeblich ist<br />

somit, dass beide Ehegatten ihren Wohnsitz im gleichen Staat haben.<br />

Ist dies nicht der Fall gilt das Prinzip des engeren Sachzusammenhangs.<br />

Kriterien sind etwa:<br />

- Wo haben die Ehegatten während der Dauer der Ehe effektiv gewohnt?<br />

- Die Lehre stellt auch auf die „Schutzbedürftigkeit“ ab, was jedoch zu einem<br />

nicht ganz unproblematischen Ermessensentscheid führt.<br />

Art. 49 IPRG<br />

Für die Unterhaltspflicht zwischen Ehegatten gilt das Haager Übereinkommen vom 2. Oktober<br />

1973 über das auf die Unterhaltspflichten anzuwendende Recht.<br />

Für die Fragen des Unterhaltes verweist Art. 49 IPRG auf das Haager<br />

Übereinkommen für Unterhaltspflichten. Wenn das IPRG auf einen<br />

Staatsvertrag verweist, handelt es sich dabei um einen unbedingten<br />

Staatsvertrag, welcher weltweit zur Anwendung gelangt. Diese Staatsverträge<br />

gelten im Gegensatz zu den gegenseitigen Staatsverträgen nicht nur inter<br />

partes, sondern erga omnes und haben keinerlei Einschränkungen, was den<br />

räumlich-persönlichen Anwendungsbereich anbelangt.<br />

Das Haager Unterhaltsübereinkommen verweist in den Art. 4 ff. auf das Recht<br />

des gewöhnlichen Aufenthaltes des Unterhaltsberechtigten. Wenn dieses<br />

keinerlei Unterhalt zuspricht, wird gemäss Art. 5 HaagÜ das gemeinsame<br />

Heimatrecht der Ehegatten berufen. Wenn auch dieses keinen Unterhalt<br />

zuspricht, beruft Art. 6 des Übereinkommens das Recht am Ort der<br />

angerufenen Behörde, beruft also die lex fori.<br />

Bei diesen Anknüpfungen handelt es sich um einen klassischen Fall einer<br />

Kaskadenanknüpfung.<br />

- Anerkennung ausländischer Entscheidungen und Massnahmen<br />

Sachverhalt 3:<br />

Zur Überwindung seiner Midlife Crisis hat Peter M. das letzte Jahr auf Reisen<br />

in Afrika verbracht. Dabei hat er die Kenianerin Katie T. kennen gelernt und<br />

diese in Kenia geheiratet. Sechs Monate später ist Peter M. heimlich aus<br />

Kenia abgereist und an seinen Wohnsitz nach Basel zurückgekehrt.<br />

Auf der Suche nach ihrem Ehemann ist Katie T. vor Kurzem in Basel fündig<br />

geworden. Dabei hat sie feststellen müssen, dass ihr Peter schon seit 25<br />

Jahren mit einer Schweizerin verheiratet ist und 2 Kinder hat.<br />

Katie T. will wenigstens, dass ihr Peter M. angemessene Unterhaltszahlungen<br />

leistet. Wie ist die Rechtslage?<br />

Annahme: Nach den für Katie T. verbindlichen kenianischen Regeln kann ein<br />

Mann mit mehreren Frauen verheiratet sein.<br />

1. K will Unterhaltszahlungen von P gemäss Eherecht<br />

22


2. liegt ein internationaler Sachverhalt vor?<br />

Es handelt sich um zwei verschiedene Staatsangehörige<br />

3. IPR relevante Fragestellungen?<br />

- Zuständigkeit für die Unterhaltsfrage<br />

Das LugÜ ist für Unterhaltsfragen anwendbar. Gemäss Art. 5 Ziff. 2<br />

LugÜ muss die Entscheidung jedoch in Zusammenhang mit dem<br />

Personenstand (Scheidung oder Trennung) stehen. K will jedoch<br />

nur Unterhaltszahlungen.<br />

Gemäss Art. 2 Abs. 1 LugÜ sind die Gerichte des Staates<br />

zuständig, in welchem der Beklagte wohnt. Die örtliche Schweizer<br />

Zuständigkeit ergibt sich aus dem IPRG: Art. 46 IPRG verweist auf<br />

den Wohnsitz des Beklagten. Die Zuständigkeit der Basler Gerichte<br />

ergibt sich somit aus Art. 2 Abs. 1 LugÜ i. V. m. Art. 46 IPRG.<br />

- Anwendbares Recht<br />

Gemäss Art. 49 IPRG kommt das Haager Übereinkommen zur<br />

Anwendung. Dieses verweist in den Art. 4 ff. auf den gewöhnlichen<br />

Aufenthalt des Klägers. Die Klägerin hat in casu ihren Wohnsitz in<br />

Kenia, womit das kenianische Recht zur Anwendung gelangt.<br />

- Anerkennung der in Kenia geschlossenen Ehe<br />

Vorfrage: Für die Frage des ehelichen Unterhaltes stellt sich vorerst<br />

und vorfrageweise die Frage, ob K und T überhaupt verheiratet sind.<br />

Es stellt sich die Frage der Anerkennbarkeit der kenianischen<br />

Eheschliessung in der Schweiz. Die anerkennbare Ehe ist eine<br />

Grundbedingung für den Unterhalt.<br />

Die Anerkennung dieser im Ausland geschlossenen Ehe wird in Art.<br />

45 Abs. 1 IPRG geregelt. Die Ehe muss im Ausland gültig sein. In<br />

casu wäre dies gemäss Sachverhalt gegeben.<br />

Betrachtet man die generellen Bestimmungen über die<br />

Anerkennung von ausländischen Entscheiden in den Art. 25 ff.<br />

IPRG, fällt in Art. 27 IPRG auf, dass die Polygamie ein Verstoss<br />

gegen den Schweizer Ordre public darstellen könnte.<br />

Gemäss BGer fällt die Mehrfachehe jedoch nicht unter den Ordre<br />

public. Es handle sich dabei um einen Grundsatz der grundrechtlich<br />

garantierten Ehefreiheit.<br />

Es lässt sich jedoch ebenso gut der Standpunkt vertreten, dass die<br />

Mehrfachehe in der Schweiz Ordre public widrig sei. Jedoch ist auch<br />

dann anzuerkennen, dass es Fälle gibt, welche für die Zulässigkeit<br />

der Polygamie sprechen.<br />

In casu lässt sich die Annahme der Mehrfachehe deshalb vertreten,<br />

weil sich dies insbesondere aus einem gewissen Schutzgedanken<br />

bezüglich des unterhaltsberechtigten Ehegatten ergibt. Die K,<br />

welche aus ihrer Sicht durchaus davon ausgehen durfte, dass auch<br />

23


eine allfällige Mehrfachehe kein Hinderungsgrund für ihre Ehe mit P<br />

darstellt, hat Anspruch auf Unterhaltszahlungen.<br />

Beispiele für Fragestellungen in der Rechtsprechung:<br />

- Abgrenzung zwischen Eheschutz und Ehegüterrecht bei der Frage der<br />

güterrechtlichen Auseinandersetzung eines Eheverfahrens (BGE 119 II 167);<br />

- Abgrenzung zwischen den allgemeinen Ehewirkungen und dem<br />

Unterhaltsanspruch sowie Einzelfragen zum Haager Unterhaltsübereinkommen<br />

(BGE 119 II 167)<br />

E. Ehegüterrecht (Art. 51 – 58 IPRG)<br />

I. Allgemeines<br />

Das internationale Ehegüterrecht befasst sich mit Fragestellungen der Auswirkungen<br />

der Ehe auf die Vermögensverhältnisse der Ehegatten. Es ist dabei zwischen zwei<br />

Betrachtungsweisen zu unterscheiden:<br />

1. Verhältnis zwischen den Ehegatten: Das güterrechtliche Innenverhältnis<br />

Im Rahmen des güterrechtlichen Innenverhältnisses befasst man sich mit den<br />

Fragen betreffend Güterstand: Welchem Güterstand unterstehen die<br />

Ehegatten? Wie sind die Eigentumsverhältnisse geregelt? Wie sind die<br />

Verfügungsverhältnisse?<br />

2. Verhältnis der Ehegatten mit Dritten: Das güterrechtliche Aussenverhältnis<br />

Beim güterrechtlichen Aussenverhältnis geht es um Fragen des<br />

Haftungssubstrates, der Vertretung des anderen Ehegatten gegenüber Dritten,<br />

insbesondere auch um Zustimmungserfordernisse für Rechtsgeschäfte.<br />

II. Zuständigkeit (Art. 51 IPRG)<br />

Ausgangsfrage im Zusammenhang mit der Zuständigkeit ist auch hier die Frage nach<br />

den Behörden, welche für einen Sachverhalt mit internationalem Bezug zuständig<br />

sind.<br />

Art. 51 IPRG<br />

Für Klagen oder Massnahmen betreffend die güterrechtlichen Verhältnisse sind zuständig:<br />

a. für die güterrechtliche Auseinandersetzung im Falle des Todes eines Ehegatten die<br />

schweizerischen Gerichte oder Behörden, die für die erbrechtliche Auseinandersetzung<br />

zuständig sind (Art. 86–89);<br />

b. für die güterrechtliche Auseinandersetzung im Falle einer gerichtlichen Auflösung oder<br />

Trennung der Ehe die schweizerischen Gerichte, die hierfür zuständig sind (Art. 59, 60, 63, 64);<br />

c. in den übrigen Fällen die schweizerischen Gerichte oder Behörden, die für Klagen oder<br />

Massnahmen betreffend die Wirkungen der Ehe zuständig sind (Art. 46, 47).<br />

24


Art. 51 IPRG ist eine klassische Form der akzessorischen Zuständigkeitsanknüpfung.<br />

Die Zuständigkeit selbst wird nicht geregelt, sondern es wird akzessorisch an andere<br />

Zuständigkeiten angeknüpft:<br />

- lit. a: erbrechtliche Streitigkeiten<br />

- lit. b: Scheidung und Trennung<br />

- lit. c: sonstige Fälle, in welchen sich güterrechtliche Fragestellungen ergeben<br />

können<br />

Litera a knüpft an die Art. 86 ff. an: Zuständig sind die Schweizer Gerichte, welche<br />

auch für den Nachlass zuständig sind. Gemäss Art. 86 IPRG sind die Schweizer<br />

Gerichte zuständig, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz<br />

hatte.<br />

Dies zeigt, wieso überhaupt akzessorisch angeknüpft wird. Dahinter stehen<br />

materiellrechtliche Überlegungen: Wenn eine verheiratete Person stirbt, muss<br />

zwingend vor der erbrechtlichen die güterrechtliche Auseinandersetzung erfolgen.<br />

Dies ist unumgänglich, um den Nachlass überhaupt zu bestimmen.<br />

Zuständig für die güterrechtliche Auseinandersetzung sind daher die Gerichte,<br />

welche sich auch mit dem Nachlass auseinander zu setzen haben.<br />

Der zweite Fall regelt die Anknüpfung in Bezug auf Scheidung und Trennung. Der<br />

Scheidungsrichter hat somit nicht nur über die Scheidung an sich zu entscheiden,<br />

sondern er muss eine Reihe von Nebenfolgen regeln, wovon eine die güterrechtliche<br />

Auseinandersetzung betrifft.<br />

Mit den vorgenannten Fragen sind praktisch 98 % der Fälle abgedeckt, in welchen<br />

sich überhaupt vor Gericht unmittelbar güterrechtliche Auseinandersetzung ergeben.<br />

In lit. c bleiben somit nur noch wenige Fälle übrig. Denkbar wären etwa Fragen im<br />

Zusammenhang mit der Gütertrennung infolge Konkurses oder im Rahmen der<br />

Eheschutzmassnahmen. Es handelt sich um Fälle des ausserordentlichen<br />

Güterstandes.<br />

Zusammenfassend sind die Schweizer Behörden in güterrechtlichen Fragen<br />

zuständig, wenn sie bereits im Rahmen der Erbschaftsauseinandersetzung,<br />

Scheidung und Trennung oder der allgemeinen Ehewirkungen zuständig sind.<br />

III. Anwendbares Recht<br />

Die Frage nach dem anwendbaren Recht ist die Frage, welcher Güterstand zwischen<br />

den Ehegatten in einem internationalen Verhältnis zu gelten hat. Dies regeln die Art.<br />

52 ff. IPRG.<br />

Wie bereits erwähnt, ist hier zwischen dem Innen- (Art. 52 ff. IPRG) und dem<br />

Aussenverhältnis (Art. 57 IPRG) des Güterrechtes zu unterscheiden. Weiter ist zu<br />

unterscheiden zwischen der subjektiven Anknüpfung (Rechtswahl) gemäss Art. 52,<br />

53 sowie z. T. 56 IPRG einerseits – und der objektiven (oder gesetzlichen)<br />

Anknüpfung bei Fehlen einer Rechtswahl gemäss Art. 54, 55 und wiederum z. T. 56<br />

IPRG andererseits.<br />

25


Der Schweizer Gesetzgeber lässt bis zu einem gewissen Grad die Parteiautonomie<br />

zu. Es gibt die Möglichkeit der Rechtswahl. Diese ist in den Art. 52 und 53 IPRG<br />

geregelt.<br />

Art. 52 IPRG<br />

1 Die güterrechtlichen Verhältnisse unterstehen dem von den Ehegatten gewählten Recht.<br />

2 Die Ehegatten können wählen zwischen dem Recht des Staates, in dem beide ihren Wohnsitz haben<br />

oder nach der Eheschliessung haben werden, und dem Recht eines ihrer Heimatstaaten. Artikel 23<br />

Absatz 2 ist nicht anwendbar.<br />

Art. 52 Abs. 2 IPRG ermöglicht jedoch nur eine beschränkte Rechtswahlmöglichkeit.<br />

Die Parteien können nur zwischen dem Recht am gemeinsamen Wohnsitz oder dem<br />

Heimatrecht eines der Ehegatten wählen.<br />

Dabei ist Art. 23 Abs. 2 IPRG nicht anwendbar. Dies betrifft diejenigen Personen,<br />

welche die Staatsangehörigkeit mehrer Staaten besitzen. Abs. 2 würde das<br />

anwendbare Recht regeln. Berufen wäre das Recht desjenigen Staates, zu welchem<br />

der Doppelstaatler den engsten Bezug hat. Im Rahmen des Art. 52 Abs. 2 IPRG<br />

spielt Art. 23 Abs. 2 IPRG jedoch keine Rolle. Somit kann jede Staatsangehörigkeit,<br />

unabhängig davon, welches die effektive ist, für eine Rechtswahl massgeblich sein.<br />

Gewählt werden können also eines der Heimatrechte der Ehegatten oder das Recht<br />

am gemeinsamen Wohnsitz.<br />

Art. 53 IPRG<br />

1 Die Rechtswahl muss schriftlich vereinbart sein oder sich eindeutig aus dem Ehevertrag ergeben. Im<br />

übrigen untersteht sie dem gewählten Recht.<br />

2 Die Rechtswahl kann jederzeit getroffen oder geändert werden. Wird sie nach Abschluss der Ehe<br />

getroffen, so wirkt sie, wenn die Parteien nichts anderes vereinbaren, auf den Zeitpunkt der<br />

Eheschliessung zurück.<br />

3 Das gewählte Recht bleibt anwendbar, bis die Ehegatten ein anderes Recht wählen oder die<br />

Rechtswahl aufheben.<br />

Das anwendbare Recht kann jederzeit – vor oder während der Ehe – schriftlich<br />

vereinbart werden. Die Rechtswahl gilt – ohne andere Vereinbarung – rückwirkend<br />

ab Eheschliessung.<br />

Praktisch viel wahrscheinlicher ist die Rechtswahl bei Abschluss und Beurkundung<br />

eines Ehevertrages. Die Form des Ehevertrages ergibt sich aus Art. 56 IPRG. Es<br />

handelt sich dabei um einen sog. favor validitatis. Es bestehen zwei Möglichkeiten,<br />

die Form anzuknüpfen: Entweder gilt für die Form des Ehevertrages die Form,<br />

welche das berufene Recht für den Ehevertrag vorschreibt oder es gilt das Recht am<br />

Abschlussort.<br />

Art. 54 IPRG<br />

1 Haben die Ehegatten keine Rechtswahl getroffen, so unterstehen die güterrechtlichen Verhältnisse:<br />

a. dem Recht des Staates, in dem beide gleichzeitig ihren Wohnsitz haben, oder, wenn dies nicht<br />

der Fall ist,<br />

b. dem Recht des Staates, in dem beide Ehegatten zuletzt gleichzeitig ihren Wohnsitz hatten.<br />

2 Hatten die Ehegatten nie gleichzeitig Wohnsitz im gleichen Staat, so ist ihr gemeinsames<br />

Heimatrecht anwendbar.<br />

26


3 Hatten die Ehegatten nie gleichzeitig Wohnsitz im gleichen Staat und haben sie auch keine<br />

gemeinsame Staatsangehörigkeit, so gilt die Gütertrennung des schweizerischen Rechts.<br />

Abs. 3 ist eine IPR-Sachnorm bezüglich der Gütertrennung. Hier hat der<br />

Gesetzgeber nicht nur das anwendbare Recht bestimmt, sondern darüber hinaus die<br />

materiellrechtlichen Konsequenzen angeordnet.<br />

Ein Wechsel des Anknüpfungsbegriffes nennt man Statutenwechsel: Änderung von<br />

Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt, Staatsangehörigkeit, etc. Dies kann nur bei<br />

wandelbaren Anknüpfungsbegriffen gegeben sein, also bei Begriffen, welche mit der<br />

Zeit ändern können. Nicht wandelbar ist der Ort der belegenen Sache bei Immobilien<br />

oder der Erfolgsort bei Delikten.<br />

Das IPRG hat drei Möglichkeiten, auf derartige Statutenwechsel zu reagieren:<br />

- Rückwirkung des neuen Rechts (Art. 55 Abs. 2 IPRG)<br />

- Spaltung des Rechts durch Anschluss und Rückwirkung<br />

- Weitergeltung des alten Rechts (Art. 55 Abs. 3 IPRG)<br />

Zieht beispielsweise ein texanisches Ehepaar in die Schweiz, gilt rückwirkend ab<br />

dem Zeitpunkt der Eheschliessung das Schweizer Recht. Die Ehegatten haben<br />

jedoch die Möglichkeit, weiterhin das alte Recht für anwendbar zu erklären –<br />

insbesondere durch eine schriftliche Vereinbarung.<br />

Was in der Praxis Probleme bereiten kann, ist der Fall, in welchem die Parteien das<br />

anwendbare Recht spalten.<br />

Beispiel:<br />

- von 1980 bis 1990 texanisches Güterrecht<br />

- von 1990 bis 2000 englisches Güterrecht<br />

- von 2000 bis 2007 Schweizer Güterrecht<br />

Eine solche Regelung verursacht Streit und Kosten. Im Prinzip müssen<br />

phasenweise drei verschiedene güterrechtliche Auseinandersetzungen<br />

vorgenommen werden.<br />

Art. 57 IPRG<br />

1 Die Wirkungen des Güterstandes auf das Rechtsverhältnis zwischen einem Ehegatten und einem<br />

Dritten unterstehen dem Recht des Staates, in dem dieser Ehegatte im Zeitpunkt der Entstehung des<br />

Rechtsverhältnisses seinen Wohnsitz hat.<br />

2 Hat der Dritte im Zeitpunkt der Entstehung des Rechtsverhältnisses das Recht, dem die<br />

güterrechtlichen Verhältnisse unterstanden, gekannt oder hätte er es kennen müssen, so ist dieses<br />

anzuwenden.<br />

Bei den Wirkungen des Güterrechtes gegen aussen geht es insbesondere um<br />

Fragen des Haftungssubstrates, um Verfügungsbeschränkungen oder<br />

vertretungsrechtliche Fragen.<br />

Im Verhältnis zu Dritten, welche mit einem Ehegatten einen Vertrag schliessen, gilt<br />

gemäss Art. 57 IPRG grundsätzlich das Güterrecht am Wohnsitz des Ehegatten zum<br />

Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Grundsätzlich kann ein Dritter also darauf<br />

27


vertrauen, dass das Recht dessen Staates anwendbar ist, in welchem der<br />

Vertragspartner-Ehegatte seinen Wohnsitz hat.<br />

Haben die Ehegatten ihren Güterstand einem anderen Recht unterstellt –<br />

beispielsweise einem Recht, in welchem die Ehefrau überhaupt kein Vermögen hat –<br />

und hat der Dritte dies gewusst, kann ihm dies entgegengehalten werden.<br />

Beispiele für Fragestellungen aus der Rechtsprechung:<br />

Einbezug von im Ausland belegenen Vermögenswerten in die güterrechtliche<br />

Auseinandersetzung vor Schweizer Gericht<br />

F. Ehescheidung und Ehetrennung<br />

Es geht allgemein formuliert darum, das Verhältnis aufzulösen, welches als Ehe<br />

begründet wurde. Dabei beginnt man stets mit der Statusfrage, mit der Scheidung als<br />

Hauptfolge. Von Bedeutung sind die folgenden zwei Fragen:<br />

a. kann in der Schweiz überhaupt geschieden werden und<br />

b. nach welchem Recht kann geschieden werden?<br />

I. Zuständigkeit<br />

Erst wenn die Möglichkeit der Scheidung gegeben ist, stellen sich die Fragen<br />

betreffend Nebenfolgen. Mit der Zuständigkeitsbejahung nach Art. 59 und 60 IPRG<br />

sind jedoch bereits die vorsorglichen Massnahmen zu berücksichtigen. Dies ergibt<br />

sich aus Art. 62 IPRG.<br />

Art. 59 IPRG<br />

Für Klagen auf Scheidung oder Trennung sind zuständig:<br />

a. die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten;<br />

b. die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Klägers, wenn dieser sich seit einem Jahr in der<br />

Schweiz aufhält oder wenn er Schweizer Bürger ist.<br />

Art. 60 IPRG<br />

Haben die Ehegatten keinen Wohnsitz in der Schweiz und ist einer von ihnen Schweizer Bürger, so<br />

sind die Gerichte am Heimatort für Klagen auf Scheidung oder Trennung der Ehe zuständig, wenn es<br />

unmöglich oder unzumutbar ist, die Klage am Wohnsitz eines der Ehegatten zu erheben.<br />

Die Bestimmung der Zuständigkeit ist gemäss den genannten Bestimmungen keine<br />

grosse Hexerei.<br />

II. Anwendbares Recht (Art. 61 IPRG)<br />

1. Die Scheidung<br />

Art. 61 IPRG<br />

1 Scheidung und Trennung unterstehen schweizerischem Recht.<br />

28


2 Haben die Ehegatten eine gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit und hat nur einer von<br />

ihnen Wohnsitz in der Schweiz, so ist ihr gemeinsames Heimatrecht anzuwenden.<br />

3 Ist die Scheidung nach dem gemeinsamen ausländischen Heimatrecht nicht oder nur unter<br />

ausserordentlich strengen Bedingungen zulässig, so ist schweizerisches Recht anzuwenden, wenn<br />

einer der Ehegatten auch Schweizer Bürger ist oder sich seit zwei Jahren in der Schweiz aufhält.<br />

4 Sind nach Artikel 60 die schweizerischen Gerichte am Heimatort zuständig, so wenden sie<br />

schweizerisches Recht an.<br />

Gemäss Art. 61 Abs. 1 ist für die Scheidungsvoraussetzungen das Schweizer Recht<br />

anwendbar, d.h. Scheidung auf gemeinsames Begehren, Scheidung nach 2 Jahren<br />

Trennung sowie Scheidung wegen Unzumutbarkeit bzw. Zerrüttung.<br />

Abs. 2 bildet davon eine Ausnahme. Anstelle des Schweizer Rechts kann das<br />

ausländische Heimatrecht berufen werden. Hat einer der Ehegatten seinen Wohnsitz<br />

im Ausland und haben beide die gleiche Staatsangehörigkeit, verweist Abs. 2 auf das<br />

gemeinsame Heimatrecht.<br />

Hiervon gibt es wieder eine Ausnahme, welche in Abs. 3 geregelt wird. Ist die<br />

Scheidung nach Abs. 2 nicht möglich oder ausserordentlich strengen Bedingungen<br />

unterworfen, ist Schweizer Recht anzuwenden, sofern einer der Ehegatten<br />

Schweizer Bürger ist oder sich seit zwei Jahren in der Schweiz aufhält.<br />

Die Bezeichnung „…auch Schweizer Bürger…“ bezieht sich auf Doppelstaatler. In<br />

diesem Fall ist Art. 23 Abs. 2 IPRG wieder nicht von Bedeutung und es ist wieder<br />

einzig die Schweizer Staatsangehörigkeit massgeblich. Es ist also wiederum nicht<br />

die effektive Staatsangehörigkeit massgeblich, sondern nur, dass eine der<br />

Staatsbürgerschaften die schweizerische ist.<br />

Art. 61 Abs. 3 IPRG ist letztendlich eine Ordre public Vorschrift, welche einem<br />

Schweizer Bürger oder einer Personen, welche sich mindestens 2 Jahre in der<br />

Schweiz aufgehalten hat, die Scheidung garantieren bzw. ermöglichen soll.<br />

2. Die Nebenfolgen (Art. 63 IPRG)<br />

Art. 63 IPRG<br />

1 Die für Klagen auf Scheidung oder Trennung zuständigen schweizerischen Gerichte sind auch für<br />

die Regelung der Nebenfolgen zuständig.<br />

2 Die Nebenfolgen der Scheidung oder Trennung unterstehen dem auf die Scheidung anzuwendenden<br />

Recht. Die Bestimmungen dieses Gesetzes über den Namen (Art. 37–40), die Unterhaltspflicht der<br />

Ehegatten (Art. 49), das eheliche Güterrecht (Art. 52–57), die Wirkungen des Kindesverhältnisses<br />

(Art. 82 und 83) und den Minderjährigenschutz (Art. 85) sind vorbehalten.<br />

Art. 63 Abs. 1 IPRG regelt die Zuständigkeit relativ simpel: Der Schweizer Richter,<br />

der die Scheidung ausspricht, ist grundsätzlich auch zuständig über die Nebenfolgen<br />

zu entscheiden.<br />

Nebenfolgen sind:<br />

- Eheliches Güterrecht<br />

- Name<br />

- Unterhalt<br />

- Kinderbelange<br />

- Zuteilung der ehelichen Wohnung<br />

29


Nicht geregelt ist der Vorsorgeausgleich. Gemäss Abs. 2 gilt im Grundsatz für jede<br />

dieser Nebenfolgen eine Sonderanknüpfung, resp. eine akzessorische Anknüpfung.<br />

Was übrig bleibt, folgt gemäss Art. 63 Abs. 2 S. 1 dem Scheidungsstatut. Dieses<br />

regelt die weiteren Nebenfolgen, wie beispielsweise den Vorsorgeausgleich.<br />

Die vorsorglichen Massnahmen sind in Art. 62 IPRG bewusst ganz ähnlich geregelt:<br />

Art. 62 IPRG<br />

1 Das schweizerische Gericht, bei dem eine Scheidungs- oder Trennungsklage hängig ist, kann<br />

vorsorgliche Massnahmen treffen, sofern seine Unzuständigkeit zur Beurteilung der Klage nicht<br />

offensichtlich ist oder nicht rechtskräftig festgestellt wurde.<br />

2 Die vorsorglichen Massnahmen unterstehen schweizerischem Recht.<br />

3 Die Bestimmungen dieses Gesetzes über die Unterhaltspflicht der Ehegatten (Art. 49), die<br />

Wirkungen des Kindesverhältnisses (Art. 82 und 83) und den Minderjährigenschutz (Art. 85) sind<br />

vorbehalten.<br />

Ist der Schweizer Richter für die Scheidung zuständig, ist er ebenfalls zuständig für<br />

die vorsorglichen Massnahmen. Das anwendbare Recht ist auch hier das Schweizer<br />

Recht – es sei denn, es gehe eine Sonderanknüpfung gemäss Art. 62 Abs. 3 IPRG<br />

vor.<br />

Voraussetzungen der Aufhebung oder Trennung des Ehebandes, Nebenfolgen von Scheidung und<br />

Trennung, insbesondere: Statusfragen (Name, Bürgerrecht), Güterrecht, Erbrecht, nachehelicher<br />

Unterhalt, Vorsorgeausgleich, Kinderzuteilung und Kinderunterhalt; Verfahren der Scheidung und<br />

Trennung; vorsorgliche Massnahmen; Ergänzung und Abänderung von Scheidungsurteilen<br />

- internationale Zuständigkeit<br />

- Anwendbares Recht<br />

- Anerkennung ausländischer Entscheidungen<br />

Beispiele aus der Rechtsprechung: Wird für die Berechnung der 1 Jahresfrist von Art.<br />

59 lit. b IPRG auf die Anhängigmachung der Scheidungsklage oder auf den<br />

Urteilszeitpunkt abgestellt (vgl. BGE 119 II 64)? Wann begründet ein ausländischer<br />

Ehegatte in der Schweiz Wohnsitz im Sinne von Art. 59 lit. b IPRG? Der Bestand der<br />

im Ausland geschlossenen Ehe als Vorfrage der Ehescheidung (BGE 114 II 1);<br />

Rücksichtnahme des Schweizer Richters auf die Anerkennbarkeit der Schweizer<br />

Scheidung im Heimatstaat der Ehegatten? Welches ist das Verhältnis zwischen<br />

vorsorglichen Massnahmen nach Art. 62 und nach Art. 10 IPRG? Sind vorsorgliche<br />

Massnahmen anerkennbare „Entscheidungen“ im Sinne von Art. 25 IPRG?<br />

Ergänzung eines französischen Scheidungsurteils, das keine Regelung über den<br />

Vorsorgeausgleich enthält (BGE 131 III 289, sodann auch BGE 130 III 336)?<br />

Zahlreiche ordre public Fragen bei der Anerkennung ausländischer Scheidungen<br />

(Privatscheidung, Verstossung, Stellvertretung u. ä.)<br />

III. Fall 4<br />

Sachverhalt 4<br />

Die Ehegatten Z und K sind beides irische Staatsangehörige. Sie haben vor 12<br />

Jahren in der Schweiz Wohnsitz genommen. Der Ehemann hat in den letzten 12<br />

Jahren bei einer Schweizer Bank gearbeitet. Die Ehefrau ist Hausfrau. Letztes Jahr<br />

30


ist es zum Streit gekommen. Die Ehefrau ist zu ihrer Mutter nach Irland gezogen. Vor<br />

kurzem hat der Ehemann in Basel auf Scheidung geklagt.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

Nach irischem Recht ist eine Scheidung unter folgenden Voraussetzungen möglich:<br />

- the parties must have been living apart from one another for a period<br />

amounting to four out of the previous five years before the application is made.<br />

- There must be no reasonable prospect of reconciliation.<br />

1. Der Ehemann will die Scheidung inklusive Nebenfolgen<br />

2. Internationalität<br />

Wohnsitz und Staatsangehörigkeit der Parteien weisen auf einen<br />

internationalen Sachverhalt hin.<br />

3. Zuständigkeit für die Statusfrage<br />

In diesem Sachverhalt stellt sich zuerst die Frage nach der Zuständigkeit der<br />

Basler Gerichte. Weiter ist die Frage des anwendbaren Rechts zu klären. Erst<br />

wenn die Basler Gerichte zuständig sind, stellt sich die Frage nach der<br />

Zuständigkeit und dem anwendbaren Recht bezüglich allfälliger Nebenfolgen.<br />

Gemäss Art. 59 lit. b IPRG sind die Gerichte am Wohnsitz des Klägers<br />

zuständig, wenn sich dieser seit einem Jahr in der Schweiz aufhält.<br />

4. anwendbares Recht für die Statusfrage<br />

Art. 61 IPRG<br />

1 Scheidung und Trennung unterstehen schweizerischem Recht.<br />

2 Haben die Ehegatten eine gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit und hat nur einer<br />

von ihnen Wohnsitz in der Schweiz, so ist ihr gemeinsames Heimatrecht anzuwenden.<br />

3 Ist die Scheidung nach dem gemeinsamen ausländischen Heimatrecht nicht oder nur unter<br />

ausserordentlich strengen Bedingungen zulässig, so ist schweizerisches Recht anzuwenden,<br />

wenn einer der Ehegatten auch Schweizer Bürger ist oder sich seit zwei Jahren in der<br />

Schweiz aufhält.<br />

4 Sind nach Artikel 60 die schweizerischen Gerichte am Heimatort zuständig, so wenden sie<br />

schweizerisches Recht an.<br />

Art. 61 Abs. 2 IPRG verweist weiter auf das Heimatrecht der Eheleute. Dabei<br />

stellt sich die Frage, ob dieser Artikel eine Gesamt- oder<br />

Sachnormverweisung ist.<br />

Art. 14 IPRG<br />

1 Sieht das anwendbare Recht eine Rückverweisung auf das schweizerische Recht oder eine<br />

Weiterverweisung auf ein anderes ausländisches Recht vor, so ist sie zu beachten, wenn<br />

dieses Gesetz sie vorsieht.<br />

2 In Fragen des Personen- oder Familienstandes ist die Rückverweisung auf das<br />

schweizerische Recht zu beachten.<br />

31


Gemäss Art. 14 IPRG ist jede Verweisung grundsätzlich eine<br />

Sachnormverweisung, ausser das Gesetz bestimmt ausdrücklich etwas<br />

anderes. Dies ist allerdings nur bei Art. 37 oder 91 IPRG der Fall.<br />

Gemäss Art. 14 Abs. 2 IPRG sind Statusfragen als Rückverweisungen zu<br />

betrachten.<br />

Art. 61 Abs. 2 IPRG verweist auf das irische IPRG. Es stellt sich somit die<br />

Frage, nach welchem Recht der irische Richter die Scheidung beurteilen<br />

würde. Das irische IPRG stellt auf das Heimatrecht ab. Dies wäre die<br />

Annahme der Gesamtverweisung.<br />

Sollte das irische IPRG an den letzten gemeinsamen Wohnsitz anknüpfen,<br />

wäre dies eine Rückverweisung oder ein Renvoi auf das schweizerische<br />

Recht. Diese Rückverweisung ist gemäss BGer als Sachnormverweisung zu<br />

betrachten.<br />

Sollte der Ehemann mittlerweile in Spanien seinen Wohnsitz begründet haben<br />

und sollte das irische IPRG auf den Wohnsitz des Ehemannes abstellen, wäre<br />

diese eine Weiterverweisung. Gemäss Art. 14 Abs. 2 IPRG sind jedoch nur<br />

Rückverweisungen zu beachten.<br />

Art. 14 Abs. 2 ist nur eine halbe Gesamtnormverweisung. Art. 14 Abs. 1 i. V.<br />

m. 37 oder 91 IPRG sind ganze Gesamtnormverweisungen. Hier würde auch<br />

eine Weiterverweisung berücksichtigt und das berufene Recht des Drittstaates<br />

käme zur Anwendung.<br />

Im Rahmen von Art. 14 Abs. 2 IPRG wäre eine Weiterverweisung<br />

unbeachtlich. Das Schweizer Recht kommt jedoch grundsätzlich nur zur<br />

Anwendung, wenn das irische Recht zurückverweist. Sollte das irische Recht<br />

weiter verweisen, würde dies aber so interpretiert, dass es nicht angewendet<br />

werden will. Es käme somit trotzdem das Schweizer Recht zur Anwendung.<br />

In casu ist jedoch davon auszugehen, dass das irische Recht die Verweisung<br />

annimmt. Eine Scheidung wäre gemäss dem irischen Recht nicht möglich, da<br />

die Eheleute in den letzten 5 Jahren mindestens 4 Jahren getrennt gelebt<br />

haben müssten.<br />

Eine Scheidung käme nur im Rahmen des Art. 61 Abs. 3 IPRG unter<br />

Berücksichtigung des Schweizer Ordre public in Frage. Dies wird jedoch<br />

äusserst schwierig, wohl könnte aber argumentiert werden, dass die Schweiz<br />

aufgrund der früheren 4-jahres Frist vom EuGH gerügt wurde.<br />

Fazit: In casu kann nicht geschieden werden.<br />

Variante:<br />

Annahme: Die 4 Jahresfrist ist Ordre public widrig, sie können also scheiden.<br />

32


Von Interesse sind somit die Nebenfolgen:<br />

- Unterhalt<br />

o Zuständigkeit:<br />

Art. 2 Abs. 1 LugÜ; die Gerichte am Wohnsitz des Ehemannes sind<br />

zuständig<br />

o Anwendbares Recht:<br />

Art. 63 Abs. 2 IPRG verweist auf den Art. 49 IPRG. Dieser erklärt für<br />

Unterhaltsfragen das Haager Übereinkommen für anwendbar.<br />

Das Haager Übereinkommen beruft das Recht am gewöhnlichen<br />

Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten, ersatzweise das<br />

gemeinsame Heimatrecht und schliesslich das Recht des<br />

Forumsstaates (Art. 8 HaagÜ).<br />

Das Haager Übereinkommen bestimmt, dass sich der Unterhalt nach<br />

dem Recht bestimmt, welches auch die Scheidung regelt.<br />

- Güterrecht<br />

o Zuständigkeit:<br />

Art. 51 lit. b IPRG erklärt den Scheidungsrichter für zuständig<br />

o Anwendbares Recht<br />

Wurde keine Rechtswahl getroffen, ist Schweizer Güterrecht<br />

massgeblich<br />

- Vorsorgeausgleich<br />

o Zuständigkeit:<br />

Art. 63 Abs. 1 IPRG (da LugÜ nicht anwendbar): Schweizer Richter<br />

o anwendbares Recht<br />

Art. 61 Abs. 3 IPRG beruft das Schweizer Recht<br />

IV. angrenzende Fragestellungen<br />

1. Verlöbnis<br />

Bei einem Verlöbnis geht es um eine Vorstufe zur Eheschliessung. Ein Paar<br />

entscheidet sich zu heiraten und gibt sich das Eheversprechen.<br />

Das Verlöbnis wird im ZGB geregelt, nicht jedoch im IPRG. Das Schweizer Recht ist<br />

daher eher speziell, indem es das Verlöbnis regelt.<br />

Aus Schweizer Sicht hat das Verlöbnis gewisse Wirkungen, man kann jedoch nicht<br />

auf Realerfüllung klagen und einen Verlobten zur Heirat verurteilen. Wurden jedoch<br />

während der Dauer des Verlöbnisses Geschenke gemacht, können diese gemäss<br />

ZGB zurückverlangt werden. Weiter sind die Aufwendungen im Hinblick auf die<br />

Hochzeit derart geregelt, dass sich ein allfällig Geschädigter schadlos halten kann.<br />

Beispiel<br />

Ein Schweizer mit Wohnsitz in Basel, hat sich mit einer Deutschen – ebenfalls mit<br />

Wohnsitz in Basel – verlobt. Anlässlich dieser Verlobung hat der Verlobte dieser<br />

Verlobten ein Collier geschenkt.<br />

33


Schliesslich ist es zum Bruch gekommen und die Verlobte zieht zurück nach<br />

Deutschland. Der Verlobte möchte den Schmuck zurück.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

Fragestellung: Welchem Recht untersteht nun ein allfälliger Anspruch des ehemals<br />

Verlobten gegen seine damalige Lebensgefährtin auf Rückgabe des Schmucks?<br />

a. anwendbares Recht<br />

Da das Verlöbnis nicht im IPRG geregelt wird, stellt sich die Frage der<br />

analogen Anwendung von anderen Bestimmungen. Möglich wären:<br />

- Vertragsrecht<br />

- Bereicherungsrecht<br />

- Gesellschaftsrecht<br />

- Eherecht<br />

- Personenrecht<br />

Ist nicht feststellbar, welche der Vorschriften nun Geltung verlangt, liegt ein<br />

klassischer Fall eines Qualifikationsproblems vor. Im materiellen Recht gibt es<br />

eine Rechtsbeziehung, welche im IPRG nicht geregelt wurde. Nun stellt sich<br />

das Problem der Qualifikation, da dieses Gebilde unter die bestehenden<br />

Vorschriften des IPRG zu subsumieren ist.<br />

Ein ähnliches Problem stellt sich mit der Behandlung der<br />

gleichgeschlechtlichen Ehe. Das Problem besteht darin, dass ein<br />

ausländisches Recht – beispielsweise das Dänische Recht – ein Rechtsinstitut<br />

kennt, welches das Schweizer Recht nicht vorsieht.<br />

Der dritte Fall, in welchem es zu einem Qualifikationsproblem kommt, ist<br />

derjenige, in welchem das ausländische und das Schweizer Recht dieselbe<br />

Frage unterschiedlich regeln. Das eine Recht regelt sie im materiellen Recht,<br />

das andere Recht betrachtet sie als prozessuale Frage. Hauptbeispiel hierfür<br />

sind die Verjährungsfragen.<br />

aa) Qualifikation der Schenkung als Vertrag<br />

Art. 117 IPRG<br />

1 Bei Fehlen einer Rechtswahl untersteht der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er am<br />

engsten zusammenhängt.<br />

2 Es wird vermutet, der engste Zusammenhang bestehe mit dem Staat, in dem die Partei,<br />

welche die charakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder,<br />

wenn sie den Vertrag aufgrund einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat,<br />

in dem sich ihre Niederlassung befindet.<br />

3 Als charakteristische Leistung gilt namentlich:<br />

a. bei Veräusserungsverträgen die Leistung des Veräusserers;<br />

b. bei Gebrauchsüberlassungsverträgen die Leistung der Partei, die eine Sache oder ein<br />

Recht zum Gebrauch überlässt;<br />

c. bei Auftrag, Werkvertrag und ähnlichen Dienstleistungsverträgen die Dienstleistung;<br />

d. bei Verwahrungsverträgen die Leistung des Verwahrers;<br />

e. bei Garantie- oder Bürgschaftsverträgen die Leistung des Garanten oder des Bürgen.<br />

34


Gemäss Art. 117 Abs. 2 IPRG wird bei Verträgen das Recht am Aufenthaltsort<br />

derjenigen Partei berufen, welche die charakteristische Leistung erbringt.<br />

Diese charakteristische Leistung wird in Absatz 3 beispielhaft ausgeführt.<br />

In einem Synallagma ist die grundsätzlich diejenige Leistung charakteristisch,<br />

welche nicht die Geldleistung ist.<br />

Die charakteristische Leistung in einem Verlöbnis ist kaum bestimmbar.<br />

Art. 117 Abs. 2 IPRG stellt aber eine Vermutung auf. Er vermutet, dass der<br />

engste Zusammenhang mit dem Staat bestehe, in welchem die Partei, welche<br />

die charakteristische Leistung erbringt, ihren Wohnsitz hat.<br />

Wenn diese Vermutung – wie in casu – nicht greift, gelangt wieder Art. 117<br />

Abs. 1 IPRG zur Anwendung: Berufen wird das Recht, welches mit dem<br />

Sachverhalt den engsten Zusammenhang aufweist.<br />

Bei einem Verlöbnis könnten der Abschlussort oder der gemeinsame Wohnsitz<br />

massgeblich sein.<br />

Im Beispiel spricht viel dafür, dass der engste Zusammenhang mit dem<br />

Schweizer Recht besteht.<br />

bb. bereicherungsrechtliche Qualifikation des Anspruchs<br />

Art. 128 IPRG<br />

1 Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung unterstehen dem Recht, dem das<br />

bestehende oder das vermeintliche Rechtsverhältnis unterstellt ist, aufgrund dessen die<br />

Bereicherung stattgefunden hat.<br />

2 Besteht kein Rechtsverhältnis, so unterstehen die Ansprüche aus ungerechtfertigter<br />

Bereicherung dem Recht des Staates, in dem die Bereicherung eingetreten ist; die Parteien<br />

können vereinbaren, dass das Recht am Gerichtsort anzuwenden ist.<br />

Dabei handelt es sich um eine akzessorische Anknüpfung: Jemand hat im<br />

Rahmen eines Rechtsverhältnisses eine Leistung erbracht. Dieses ist jedoch<br />

nachträglich weggefallen und nun untersteht der Bereicherungsanspruch<br />

ebenfalls dem Recht, welchem auch dieses Rechtsverhältnis unterstanden<br />

hat.<br />

In casu ist dieses Rechtsverhältnis das Verlöbnis und der<br />

Bereicherungsanspruch wird somit als <strong>Teil</strong>aspekt dieses Verlöbnisses<br />

betrachtet. Das Verlöbnis wird wieder vertragsrechtlich qualifiziert, womit man<br />

über Art. 128 Abs. 1 IPRG zurück zu Art. 117 IPRG gelangt. Es ergäbe sich<br />

die gleiche, oben schon behandelte Lösung.<br />

cc) gesellschaftsrechtliche Qualifikation des Anspruches<br />

Art. 150 IPRG<br />

1 Als Gesellschaften im Sinne dieses Gesetzes gelten organisierte<br />

Personenzusammenschlüsse und organisierte Vermögenseinheiten.<br />

2 Für einfache Gesellschaften, die sich keine Organisation gegeben haben, gilt das auf<br />

Verträge anwendbare Recht (Art. 116 ff.).<br />

Gemäss Art. 150 Abs. 2 würde man wieder zurück auf die Art. 116 ff. IPRG<br />

verwiesen. Bei einfachen Gesellschaften wird das Qualifikationsproblem im<br />

35


Gesetz geregelt und durch den Verweis ebenfalls dem Vertragsrecht<br />

unterstellt.<br />

In casu würde man wieder zurück zum Art. 117 IPRG gelangen.<br />

dd) eherechtliche Qualifikation<br />

Art. 48<br />

1 Die ehelichen Rechte und Pflichten unterstehen dem Recht des Staates, in dem die<br />

Ehegatten ihren Wohnsitz haben.<br />

2 Haben die Ehegatten ihren Wohnsitz nicht im gleichen Staat, so unterstehen die ehelichen<br />

Rechte und Pflichten dem Recht des Wohnsitzstaates, mit dem der Sachverhalt in engerem<br />

Zusammenhang steht.<br />

3 Sind nach Artikel 47 die schweizerischen Gerichte oder Behörden am Heimatort zuständig,<br />

so wenden sie schweizerisches Recht an.<br />

Im internationalen Eherecht werden die Folgen der Auflösung eines<br />

Verlöbnisses nicht mit den Scheidungsfolgen gleichgestellt. Es gibt eine<br />

Auffassung, welche besagt, die Verlobung unterstehe analog den Vorschriften<br />

über die allgemeinen Ehewirkungen (Art. 48 IPRG).<br />

Gemäss Abs. 2 kommt in casu eines der Wohnsitzrechte zur Anwendung.<br />

Berufen wird dasjenige, welches den engsten Zusammenhang aufweist. Da<br />

die Verlobten zwei Jahre in der Schweiz gewohnt haben, ist der engere<br />

Zusammenhang in casu wohl zum Schweizer Recht gegeben.<br />

Bei der Qualifikation von Ansprüchen aus dem Verlöbnis wird man am Schluss<br />

zur Lösung gelangen, dass dasjenige Recht mit dem engsten Zusammenhang<br />

zur Anwendung gelangen soll. Dies lässt sich sowohl über Art. 117 als auch<br />

48 Abs. 2 IPRG begründen.<br />

b. Zuständigkeit der Klage<br />

aa) Anwendbarkeit des LugÜ<br />

Es ist zu qualifizieren, ob die Verlobung unter dem sachlichen<br />

Anwendungsbereich des LugÜ steht. Der EuGH hat die Tendenz, das LugÜ<br />

weit auszulegen, es ist jedoch nicht klar, ob er eine Anwendbarkeit bejahen<br />

würde.<br />

Mit der Revision des LugÜ wird die EG als Vertragsstaat unterzeichnen. Der<br />

EuGH ist Auslegungsinstanz sämtlicher von der EG unterzeichneten Verträge.<br />

Dies wird dazu führen, dass unter dem revidierten LugÜ beispielsweise das<br />

Münchner Gericht zur Auslegung des Verlöbnisbegriffs den EuGH anruft. So<br />

kann es kommen, dass der Schweizer Begriff der Verlobung trotzdem<br />

irgendwann einmal vom EuGH zu beurteilen sein wird.<br />

36


) Anwendbarkeit des IPRG<br />

Im Gegensatz zum anwendbaren Recht, ist im Rahmen der Zuständigkeit<br />

nicht unbedingt zu qualifizieren. Bei der Frage des anwendbaren Rechts ist<br />

eine Norm im BT zu suchen, unter welche subsumiert werden kann.<br />

Bei der Zuständigkeit gelten die Art. 2 ff IPRG subsidiär, wenn sich im BT<br />

keine Zuständigkeitsnormen finden lassen. Es muss nicht einmal gross<br />

qualifiziert werden, denn da das IPRG das Verlöbnis gar nicht regelt, kommen<br />

automatisch die Bestimmungen der Art. 2 ff IPRG zur Anwendung.<br />

Gemäss Art. 2 IPRG ist somit das Beklagtenforum zuständig. Nur wenn die<br />

deutschen Behörden auch ihre Zuständigkeit bezüglich Verlobung verneinen,<br />

würde die Notzuständigkeit des Art. 3 IPRG zur Anwendung gelangen. Somit<br />

könnte wieder in der Schweiz geklagt werden.<br />

2. Konkubinat<br />

Bei einem Konkubinat handelt es sich um ein Zusammenleben von 2 Personen. In<br />

der Praxis gibt es verschiedenste Erscheinungsformen, beginnend mit einem losen<br />

Zusammenleben im Sinne einer WG bis hin zum Zusammenleben zweier Verlobter.<br />

Probleme ergeben sich hier ebenfalls, wenn die beiden auseinander gehen.<br />

a. anwendbares Recht<br />

Es handelt sich um ein doppeltes Qualifikationsproblem. Das Konkubinat ist weder<br />

im materiellen Recht, noch im IPRG geregelt. Materiellrechtlich wird es als einfache<br />

Gesellschaft qualifiziert. Im IPRG stellt sich wieder die Frage, ob das Konkubinat<br />

unter das Vertrags- oder das Eherecht zu subsumieren ist.<br />

Letztlich wird man zu einer dem Verlöbnis ähnlichen Lösung gelangen. Gemäss<br />

herrschender Lehre ist ebenfalls das Recht anwendbar, welches den engsten Bezug<br />

zum Sachverhalt aufweist. Auch hier kommt man über Art. 150 Abs. 2 zu Art. 117<br />

Abs. 1 IPRG und hat somit die gleichen Kriterien, welche bereits oben erläutert<br />

wurden.<br />

b. Zuständigkeit<br />

Gemäss Art. 1 und 2 LugÜ ist das Beklagtenforum massgeblich. Es ergibt sich<br />

jedoch die gleiche Diskussion, wie sie schon beim Verlöbnis geführt wurde.<br />

3. eingetragene Partnerschaft<br />

a. Allgemeines<br />

Seit es Staaten gibt, welche die eingetragene Partnerschaft in ihrem materiellen<br />

Recht vorsehen, haben sich Fragen zu diesem Institut im IPR etabliert. Es ist also<br />

aus der Sicht des IPRG nicht ein neues Phänomen.<br />

37


Weiter lässt sich sagen, dass seit dem 1. Januar 2007 das Gesetz über die<br />

eingetragene Partnerschaft in Kraft ist und das IPRG punktuell revidiert sowie mit<br />

den entsprechenden Vorschriften ergänzt wurde.<br />

Revidiert oder eingefügt wurden die folgenden Artikel bzw. Absätze:<br />

Art. 45 IPRG<br />

1 Eine im Ausland gültig geschlossene Ehe wird in der Schweiz anerkannt.<br />

2 Sind Braut oder Bräutigam Schweizer Bürger oder haben beide Wohnsitz in der Schweiz, so wird die<br />

im Ausland geschlossene Ehe anerkannt, wenn der Abschluss nicht in der offenbaren Absicht ins<br />

Ausland verlegt worden ist, die Vorschriften des schweizerischen Rechts über die Eheungültigkeit zu<br />

umgehen.<br />

3 Eine im Ausland gültig geschlossene Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts wird in der<br />

Schweiz als eingetragene Partnerschaft anerkannt.<br />

Kapitel 3a: Die eingetragene Partnerschaft<br />

I. Anwendung des dritten Kapitels<br />

Art. 65a IPRG<br />

Die Bestimmungen des dritten Kapitels gelten für die eingetragene Partnerschaft sinngemäss, mit<br />

Ausnahme der Artikel 43 Absatz 2 und 44 Absatz 2.<br />

II. Zuständigkeit am Eintragungsort bei Auflösung<br />

Art. 65b IPRG<br />

Haben die Partnerinnen oder Partner keinen Wohnsitz in der Schweiz und ist keine oder keiner von<br />

ihnen Schweizer Bürger, so sind für Klagen oder Begehren betreffend Auflösung der eingetragenen<br />

Partnerschaft die schweizerischen Gerichte am Eintragungsort zuständig, wenn es unmöglich oder<br />

unzumutbar ist, die Klage oder das Begehren am Wohnsitz einer der Personen zu erheben.<br />

III. Anwendbares Recht<br />

Art. 65c IPRG<br />

1 Kennt das nach den Bestimmungen des dritten Kapitels anwendbare Recht keine Regeln über die<br />

eingetragene Partnerschaft, so ist schweizerisches Recht anwendbar; vorbehalten bleibt Artikel 49.<br />

2 Zusätzlich zu den in Artikel 52 Absatz 2 bezeichneten Rechten können die Partnerinnen oder Partner<br />

das Recht des Staates wählen, in dem die Partnerschaft eingetragen worden ist.<br />

IV. Entscheidungen oder Massnahmen des Eintragungsstaats<br />

Art. 65d IPRG<br />

Ausländische Entscheidungen oder Massnahmen werden in der Schweiz anerkannt, wenn:<br />

a. sie im Staat ergangen sind, in dem die Partnerschaft eingetragen worden ist; und<br />

b. es unmöglich oder unzumutbar war, die Klage oder das Begehren in einem Staat zu erheben,<br />

dessen Zuständigkeit in der Schweiz gemäss den Bestimmungen des dritten Kapitels<br />

anerkannt ist.<br />

BGE 119 II 264: Die Anerkennung einer im Ausland eingetragene Partnerschaft<br />

wurde versagt, weil sie gegen den Schweizer Ordre public verstosse (vgl. Art. 27<br />

IPRG).<br />

Dies zeigt, dass der Ordre public zeitlich wandelbar ist.<br />

38


. Fragestellungen<br />

Bezüglich der neuen Regelung im IPRG lassen sich drei Merkpunkte festhalten:<br />

1. Verweisung auf die Vorschriften über die Ehe<br />

2. Auffangregeln, falls ein ausländischer Staat solche Vorschriften nicht kennt<br />

3. Kein Tourismus für eingetragene Partnerschaften in der Schweiz<br />

Die Fragen betreffend eingetragene Partnerschaft korrespondieren mit den<br />

Fragestellungen der Eheschliessung:<br />

- wie wird eine Partnerschaft geschlossen?<br />

o Voraussetzungen für Alter<br />

o Geistige Gesundheit<br />

o Hindernisse<br />

o Verwandtschaft<br />

o Verfahren<br />

- Wirkungen der Partnerschaft?<br />

o Unterhalt<br />

o Treue und Beistand<br />

o Auskunft<br />

o Vertretung<br />

o Güterrecht: Es gilt ein der Gütertrennung angeglichener Güterstand, es<br />

kann aber vertraglich die Errungenschaftsbeteiligung vereinbart<br />

werden.<br />

- Auflösung<br />

- Nebenfolgen<br />

c. Zuständigkeit<br />

Grundsätzlich wird akzessorisch an die Regeln über das Eherecht angeknüpft.<br />

Die zentrale Bestimmung ist Art. 65a IPRG.<br />

Art. 65a IPRG<br />

Die Bestimmungen des dritten Kapitels gelten für die eingetragene Partnerschaft sinngemäss, mit<br />

Ausnahme der Artikel 43 Absatz 2 und 44 Absatz 2.<br />

Da nicht alle Staaten die eingetragene Partnerschaft kennen, müssen Regeln<br />

erlassen werden um das Qualifikationsproblem zu lösen.<br />

Aufgrund der akzessorischen Anknüpfung ist der Schweizer Richter gemäss Art. 59<br />

und 60 IPRG zuständig, eine eingetragene Partnerschaft aufzulösen.<br />

39


Er ist zuständig, wenn<br />

- der beklagte Partner in der Schweiz wohnt (Art. 59 lit. a IPRG)<br />

- der klagende Partner in der Schweiz ein Jahr Aufenthalt hatte oder<br />

Schweizer Bürger ist (Art. 59 lit. b IPRG)<br />

- einer der Partner Schweizer Bürger ist und eine Trennung im Ausland nicht<br />

möglich ist<br />

Nicht geregelt ist der Fall, in welchem zwei Ausländer sich in der Schweiz eintragen<br />

liessen und dann im Ausland, beispielsweise in den USA Wohnsitz nehmen. Das<br />

amerikanische Recht sieht keine Möglichkeit vor, etwas zu trennen, was nach<br />

amerikanischem Recht Ordre public widrig wäre.<br />

Für die Eingetragenen gibt es keine Möglichkeit, die Eintragung wieder aufzulösen.<br />

Der Gesetzgeber wollte dem entgegenwirken. Wenn die Partnerschaft in der<br />

Schweiz eingetragen wurde, besteht hier auch subsidiär die Möglichkeit der<br />

Auflösung.<br />

d. Anwendbares Recht<br />

Art. 65c IPRG<br />

1 Kennt das nach den Bestimmungen des dritten Kapitels anwendbare Recht keine Regeln über die<br />

eingetragene Partnerschaft, so ist schweizerisches Recht anwendbar; vorbehalten bleibt Artikel 49.<br />

2 Zusätzlich zu den in Artikel 52 Absatz 2 bezeichneten Rechten können die Partnerinnen oder Partner<br />

das Recht des Staates wählen, in dem die Partnerschaft eingetragen worden ist.<br />

Für das anwendbare Recht bestimmt Art. 65c IPRG, dass subsidiär Schweizer Recht<br />

anzuwenden sei, wenn das ausländische Recht die eingetragene Partnerschaft nicht<br />

kennt.<br />

Dies ist vor allem für die Wirkungen und die Trennung der Partnerschaft relevant. Es<br />

könnte sein, dass aufgrund der akzessorischen Anknüpfung das gemeinsame<br />

Heimatrecht der ausländischen Partner zur Anwendung gelangt. Sollte dieses keine<br />

Partnerschaft und somit auch keine Trennung vorsehen, wäre eine sofortige<br />

Trennung nach Schweizer Recht möglich.<br />

Dies ist eine krasse Diskriminierung gegenüber gemischten Paaren, welche<br />

ausländische Bürger sind. Hier kommen die Bestimmungen des IPRG zur<br />

Anwendung: Diese sehen vor, dass einer der Ehegatten mindestens zwei Jahre in<br />

der Schweiz gewohnt haben muss, damit Schweizer Recht zur Anwendung gelangt<br />

und somit eine Scheidung möglich ist (vgl. Art. 61 Abs. 3 IPRG).<br />

Ausländische Ehepaare: Zwei Jahre Wohnsitzfrist<br />

Ausländische Partner: Schweizer Recht keine Wohnsitzfrist<br />

Gemäss Abs. 2 können die Partner zusätzlich das Eintragungsstatut berufen.<br />

Der dritte Grundsatz betreffend die eingetragene Partnerschaft ist die Verhinderung<br />

von „Partnerschafts-Tourismus“ in der Schweiz. Art. 65a IPRG schliesst die Art. 43<br />

Abs. 2 und 44 Abs. 2 IPRG explizit aus.<br />

Nicht möglich ist die Bewilligung der Schliessung einer Partnerschaft. Es gibt nur die<br />

Möglichkeit, eine Partnerschaft zu schliessen nach Art. 43 Abs. 1 IPRG: Einer der<br />

40


Partner ist Schweizer Bürger oder hat seinen Wohnsitz in der Schweiz. Feriengäste<br />

können sich somit nicht in der Schweiz eintragen lassen.<br />

Der zweite Ausschluss betrifft das anwendbare Recht. Eine Partnerschaft soll auch<br />

nicht nach dem gemeinsamen Heimatrecht geschlossen werden können.<br />

Jede in der Schweiz durchgeführte eingetragene Partnerschaft erfolgt nach<br />

materiellem Schweizer Recht.<br />

41


§ 4 INTERNATIONALES ERBRECHT<br />

A. Gegenstand des internationalen Erbrechts<br />

Das schweizerische materielle Recht regelt das Erbrecht in Art. 457 ff. ZGB. Die<br />

internationalen Regelungen dazu finden sich in Art. 86 ff. IPRG.<br />

Als Einstieg in die Thematik eignet sich Art. 92 IPRG sehr gut. Dieser gibt einen<br />

kurzen Überblick über die Fragestellungen des internationalen Erbrechts.<br />

Art. 92 IPRG<br />

1 Das auf den Nachlass anwendbare Recht bestimmt, was zum Nachlass gehört, wer in welchem<br />

Umfang daran berechtigt ist, wer die Schulden des Nachlasses trägt, welche Rechtsbehelfe und<br />

Massnahmen zulässig sind und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können.<br />

2 Die Durchführung der einzelnen Massnahmen richtet sich nach dem Recht am Ort der zuständigen<br />

Behörde. Diesem Recht unterstehen namentlich die sichernden Massnahmen und die<br />

Nachlassabwicklung mit Einschluss der Willensvollstreckung.<br />

Weiter stellen sich Fragen im Zusammenhang mit den Pflichtteilen sowie der<br />

Verfügungen von Todeswegen, etc. Im Rahmen der Rechtsbehelfe sind die<br />

Ungültigkeits- sowie die Herabsetzungsklagen von Bedeutung. Bei der<br />

Ungültigkeitsklage wird geltend gemacht, eine Verfügung sei wegen Form- oder<br />

Willensmangel nichtig und daher aufzuheben, während bei der Herabsetzungsklage<br />

der Fokus auf den Pflichtteilsschutz und das Weiterbestehen der Verfügung gerichtet<br />

ist.<br />

Weitere Klagen sind die <strong>Teil</strong>ungsklage – also die Klage auf Auflösung der<br />

Gesamthandschaft der Erbgemeinschaft – sowie die Erbschaftsklage. Diese ist die<br />

Klage des nicht besitzenden Erben gegen den besitzenden Nicht-Erben. Aus<br />

Schweizer Sicht ist das Korrelat zur Erbschaftsklage die Vindikation gemäss Art. 641<br />

Abs. 2 ZGB.<br />

BGE 132 III 677 behandelt die Thematik, inwiefern eine Erbschaftsklage international<br />

unter die Vorschriften des IPRG fällt. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass bei<br />

einem Schweizer Erblasser mit letztem Wohnsitz in der Schweiz dann internationales<br />

Erbrecht zur Anwendung gelangt, wenn er Vermögenswerte im Ausland hatte.<br />

Abs. 2 des Art. 92 IPRG befasst sich mit den sichernden Massnahmen und der<br />

Nachlassabwicklung: Eröffnung des Testaments und Vollstreckung der<br />

testamentarischen Anordnungen.<br />

B. Internationale Zuständigkeit<br />

Das IPRG regelt die Zuständigkeitsfragen in den Art. 86 – 89 IPRG. Vorab ist jedoch<br />

zu prüfen, ob Staatsverträge vorliegen, welche berücksichtigt werden müssen. Im<br />

Rahmen der Zuständigkeit ist dies jedoch meistens zu verneinen, da durch<br />

Staatsverträge meistens kollisionsrechtliche Fragen, also Fragen des anwendbaren<br />

Rechts geregelt werden. Das LugÜ findet im Erbrecht ebenfalls keine Anwendung.<br />

Dies wird in Art. 1 Abs. 2 LugÜ ausdrücklich ausgeschlossen.<br />

42


Es gibt jedoch diverse bilaterale Staatsverträge, z.B. mit Italien. Dieser sieht<br />

beispielsweise vor, dass grundsätzlich die Gerichte am letzten Wohnsitz des<br />

Italieners in Italien zuständig sind. Das führt zu Problemen mit der Behandlung von<br />

Nachlassstreitigkeiten von Italienern der zweiten Generation in der Schweiz.<br />

Die Schweizer Gerichte sind gemäss Art. 86 Abs. 1 IPRG grundsätzlich zuständig,<br />

wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz hatte. Abs. 2 schränkt<br />

diese Zuständigkeit jedoch für Immobilien ein.<br />

Art. 86 IPRG<br />

1 Für das Nachlassverfahren und die erbrechtlichen Streitigkeiten sind die schweizerischen Gerichte<br />

oder Behörden am letzten Wohnsitz des Erblassers zuständig.<br />

2 Vorbehalten ist die Zuständigkeit des Staates, der für Grundstücke auf seinem Gebiet die<br />

ausschliessliche Zuständigkeit vorsieht.<br />

Die Schweizer Gerichte sind dann unzuständig, wenn die Liegenschaft im Ausland<br />

belegen ist und sich die ausländischen Gerichte für diese Liegenschaft für zuständig<br />

erklärten. Gerade Frankreich oder England kennen beispielsweise eine solche<br />

ausschliessliche Zuständigkeit, was Liegenschaften in Erbstreitigkeiten anbelangt.<br />

Diese Frage ist also beispielsweise unter Einbezug des französischen IPRG zu<br />

klären, denn jeder Staat legt seine Zuständigkeit in seinem eigenen Recht fest. Somit<br />

bestimmt das französische Recht, ob es in derartigen Sachverhalten zuständig ist.<br />

Stirbt ein Schweizer im Ausland und hat er noch Liegenschaften in der Schweiz,<br />

kennt diese gemäss Art. 96 IPRG keine ausschliessliche Zuständigkeit. Das<br />

ausländische Gericht ist also in Nachlasssachen für die in der Schweiz belegene<br />

Liegenschaft zuständig. Dies kann man daraus erkennen, dass gemäss Art. 96 IPRG<br />

ausländische Urteile über in der Schweiz belegene Liegenschaften anerkannt<br />

werden.<br />

Art. 86 Abs. 1 IPRG normiert weiter einen fundamentalen Grundsatz des<br />

internationalen Erbrechts: Die Nachlasseinheit.<br />

Die Schweizer Gerichte beanspruchen grundsätzlich eine Zuständigkeit, unabhängig<br />

davon, wo auch immer der betreffende Nachlass in der Welt liegt. Das Schweizer<br />

Recht bestimmt umfassend für alle auf der Welt verstreuten Vermögenswerte des<br />

Erblassers.<br />

Art. 86 Abs. 2 IPRG anerkennt jedoch ausnahmsweise die ausschliessliche<br />

Zuständigkeit eines ausländischen Staates für Liegenschaften. Dies führt zu einer<br />

Nachlassspaltung.<br />

Grundsätzlich bedeutet dies, dass zwei voneinander unabhängige Nachlässe<br />

entstehen. Einerseits beurteilt beispielsweise ein französisches Gericht den<br />

französischen <strong>Teil</strong> des Nachlasses und andererseits sind für den Schweizer <strong>Teil</strong> die<br />

Gerichte in der Schweiz zuständig. Die verschiedenen Verfahren laufen voneinander<br />

völlig unabhängig.<br />

Materiellrechtlich soll ein Schweizer Richter allenfalls für den Schweizer Nachlass<br />

berücksichtigen, was die ausländischen Gerichte jeweils für ihren <strong>Teil</strong> des<br />

Nachlasses entscheiden. Er hat dies unter Berücksichtigung von Treu und Glauben<br />

zu tun. Diese Praxis ist jedoch höchst umstritten.<br />

43


Beispiel:<br />

Ein Erblasser stirbt in Basel. Im Nachlass befinden sich eine Liegenschaft (Wert: 1<br />

Mio. Franken) in Frankreich und ein Konto mit CHF 10'000.00 in Basel.<br />

In seinem Testament setzt er die Kinder auf den Pflichtteil und begünstigt seine Frau<br />

meistmöglich. Die Kinder sollen die CHF 10'000.00 auf dem Konto erhalten. Es<br />

handelt sich somit um eine <strong>Teil</strong>ungsregel und eine Pflichtteilsbegründung.<br />

Die Schweizer Gerichte lehnen die Zuständigkeit bezüglich Liegenschaft ab und<br />

behandeln nur das Bankkonto. Die Frau kann also einwenden, dass die Zuteilung der<br />

CHF 10'000.00 bezüglich des Schweizer Nachlasses ihr gegenüber eine<br />

Pflichtteilsverletzung darstellt obwohl sie aus dem Nachlass in Frankreich zusätzlich<br />

mindestens CHF 750'000.00 erhält.<br />

Um einem solchen Ergebnis entgegenzuwirken, ist der Schweizer Richter für den<br />

französischen <strong>Teil</strong> zwar nicht zuständig, er hat diesen jedoch in seinem Entscheid zu<br />

berücksichtigen.<br />

Es ist erneut darauf hinzuweisen, dass diese Praxis in der Schweiz sehr umstritten<br />

ist. Unter Berücksichtigung des Gebotes von Treu und Glauben gemäss Art. 2 ZGB<br />

ist sie jedoch durchaus vertretbar, denn die Geltendmachung einer<br />

Pflichtteilsverletzung wäre in casu klar als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren.<br />

Die Art. 87 – 89 IPRG befassen sich mit weiteren Sonderfällen und Ausnahmen des<br />

Grundsatzes der Zuständigkeit am Wohnsitz.<br />

Art. 87 IPRG<br />

1 War der Erblasser Schweizer Bürger mit letztem Wohnsitz im Ausland, so sind die schweizerischen<br />

Gerichte oder Behörden am Heimatort zuständig, soweit sich die ausländische Behörde mit seinem<br />

Nachlass nicht befasst.<br />

2 Sie sind stets zuständig wenn ein Schweizer Bürger mit letztem Wohnsitz im Ausland sein in der<br />

Schweiz gelegenes Vermögen oder seinen gesamten Nachlass durch letztwillige Verfügung oder<br />

Erbvertrag der schweizerischen Zuständigkeit oder dem schweizerischen Recht unterstellt hat. Artikel<br />

86 Absatz 2 ist vorbehalten.<br />

Art. 87 IPRG regelt eine ganz spezifische Situation:<br />

Voraussetzungen:<br />

a. Der Erblasser hatte nicht seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz<br />

Hätte der Erblasser seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz gehabt, wäre er<br />

von Art. 86 IPRG erfasst worden. Art. 87 behandelt also diejenigen Fälle, in<br />

welchen der Erblasser seinen letzten Wohnsitz im Ausland hatte.<br />

und<br />

b. Es handelt sich um einen Schweizer Staatsangehörigen<br />

Es geht also um Auslandschweizer.<br />

Art. 87 IPRG regelt den Fall, dass ein Auslandschweizer im Ausland stirbt.<br />

Die Schweizer Gerichte sind grundsätzlich nicht zuständig, da gem. Art. 86 IPRG<br />

eine Zuständigkeit nur begründet wird, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz<br />

44


in der Schweiz hatte. Hiervon macht Art. 87 IPRG nun zwei Ausnahmen bei<br />

Auslandschweizern.<br />

- Abs. 1: Der ausländische Staat befasst sich nicht mit dem Nachlass. Dies<br />

könnte passieren, wenn das ausländische IPRG an die Staatsangehörigkeit<br />

anknüpft.<br />

- Abs. 2: Der Auslandschweizer kann in einem Testament oder einem<br />

Erbvertrag eine Rechtswahl treffen. Er kann <strong>Teil</strong>e oder den gesamten<br />

Nachlass der Schweizer Zuständigkeit unterstellen.<br />

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Formulierung der Bestimmung in<br />

Abs. 2. Die Schweizer Gerichte nehmen an, dass wenn ein Schweizer seinen<br />

Nachlass dem Schweizer Recht unterstellt, auch die Schweizer Gerichte zuständig<br />

sind. Es wird also aufgrund der Rechtswahl auf die Zuständigkeit geschlossen.<br />

Art. 88 IPRG<br />

1 War der Erblasser Ausländer mit letztem Wohnsitz im Ausland, so sind die schweizerischen Gerichte<br />

oder Behörden am Ort der gelegenen Sache für den in der Schweiz gelegenen Nachlass zuständig,<br />

soweit sich die ausländischen Behörden damit nicht befassen.<br />

2 Befindet sich Vermögen an mehreren Orten, so sind die zuerst angerufenen schweizerischen<br />

Gerichte oder Behörden zuständig.<br />

Im Rahmen des Art. 88 IPRG geht es um Personen, welche ihren letzten Wohnsitz<br />

im Ausland hatten, jedoch nicht Schweizer Bürger waren. Es geht also um<br />

ausländische Staatsangehörige mit letztem Wohnsitz im Ausland.<br />

Eine Zuständigkeit der Schweizer Gerichte ist in diesen Fällen nur vorgesehen, wenn<br />

der Ort der belegenen Sache in der Schweiz ist und die ausländischen Behörden<br />

sich als unzuständig betrachten. Dieser Fall kann eintreten, wenn die ausländische<br />

Bestimmung nicht von der Universalität des Nachlasses ausgeht, sondern die<br />

Zuständigkeit der jeweiligen Behörden am Ort der gelegenen Sache vorsieht.<br />

Art. 88 IPRG bildet somit eine Notzuständigkeit für diese negativen<br />

Kompetenzkonflikte.<br />

Art. 89 IPRG<br />

Hinterlässt der Erblasser mit letztem Wohnsitz im Ausland Vermögen in der Schweiz, so ordnen die<br />

schweizerischen Behörden am Ort der gelegenen Sache die zum einstweiligen Schutz der<br />

Vermögenswerte notwendigen Massnahmen an.<br />

Art. 89 IPRG betrifft sichernde Massnahmen für den Fall des in der Schweiz<br />

belegenen Vermögens, ohne dass der (ausländische) Erblasser seinen letzten<br />

Wohnsitz in der Schweiz hatte. Massnahmen wären etwa Siegelungen, Inventare,<br />

Erbschaftsverwaltungen und dergleichen.<br />

In diesen verfahrensrechtlichen Mechanismen besteht eine Schweizer Zuständigkeit<br />

für Sachen, welche in der Schweiz belegen sind.<br />

Art. 89 IPRG ist eine lex specialis zu Art. 10 IPRG:<br />

45


Art. 10 IPRG<br />

Die schweizerischen Gerichte oder Behörden können vorsorgliche Massnahmen treffen, auch wenn<br />

sie für die Entscheidung in der Sache selbst nicht zuständig sind.<br />

Aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit ist bei der Anwendung von<br />

Sicherungsmassnahmen die Frage der Zuständigkeit erst in einer späteren Phase zu<br />

prüfen und die Sicherung sofort vorzunehmen.<br />

C. Anwendbares Recht<br />

Bezüglich des anwendbaren Rechts bildet Art. 90 IPRG die Grundnorm, Art. 91 IPRG<br />

die Ausnahme dazu.<br />

Art. 90 IPRG<br />

1 Der Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz in der Schweiz untersteht schweizerischem Recht.<br />

2 Ein Ausländer kann jedoch durch letztwillige Verfügung oder Erbvertrag den Nachlass einem seiner<br />

Heimatrechte unterstellen. Diese Unterstellung fällt dahin, wenn er im Zeitpunkt des Todes diesem<br />

Staat nicht mehr angehört hat oder wenn er Schweizer Bürger geworden ist.<br />

Ist die Zuständigkeit des Schweizer Richters aufgrund des letzten Wohnsitzes des<br />

Erblassers gegeben, wendet er gemäss Art. 90 Abs. 1 IPRG Schweizer Recht an.<br />

Ein Ausländer hat jedoch gemäss Abs. 2 die Möglichkeit, in der Form einer<br />

letztwilligen Verfügung sein Heimatrecht zu wählen.<br />

Ein Schweizer hat diese Möglichkeit, auch wenn er Doppelbürger ist, nicht. Es geht<br />

dabei um den Pflichtteilsschutz des Schweizer Rechts. Der Pflichtteil gehört nicht in<br />

den Anwendungsfall des Ordre public, sodass ein Ausländer sein Testament einem<br />

Recht unterstellen kann, welches keinen Pflichtteilsschutz kennt.<br />

Ergibt sich die Zuständigkeit aufgrund Art. 87 und 88 IPRG für Personen, welche<br />

ihren letzten Wohnsitz nicht in der Schweiz hatten, kommt Art. 91 IPRG zur<br />

Anwendung.<br />

Art. 91 IPRG<br />

1 Der Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz im Ausland untersteht dem Recht, auf welches das<br />

Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates verweist.<br />

2 Soweit nach Artikel 87 die schweizerischen Gerichte oder Behörden am Heimatort zuständig sind,<br />

untersteht der Nachlass eines Schweizers mit letztem Wohnsitz im Ausland schweizerischem Recht,<br />

es sei denn, der Erblasser habe in der letztwilligen Verfügung oder im Erbvertrag ausdrücklich das<br />

Recht an seinem letzten Wohnsitz vorbehalten.<br />

Art. 91 Abs. 1 IPRG hingegen kann nur Ausländer betreffen, welche ihren letzten<br />

Wohnsitz im Ausland hatten und sich eine Zuständigkeit gemäss Art. 88 IPRG ergibt.<br />

Im Prinzip ist Art. 90 Abs. 1 IPRG die Weiterführung der Überlegung des Art. 88<br />

IPRG. In der Schweiz liegt Vermögen, niemand will zuständig sein und somit erklärt<br />

sich das Schweizer Gericht für zuständig und wendet das Schweizer Recht an.<br />

Art. 91 Abs. 1 IPRG verweist auf dasjenige Recht, auf welches das Kollisionsrecht<br />

des Wohnsitzstaates verweist. Es handelt sich dabei um eine Gesamtverweisung.<br />

Nimmt das dritte ausländische Recht nun die Verweisung nicht an, wird argumentiert,<br />

dass dieses offenbar nicht angewendet werden will und es sich um eine Rück- oder<br />

46


Weiterverweisung handelt. Wie bereits oben erläutert, gelangt in diesen Fällen<br />

automatisch das Schweizer Recht zur Anwendung.<br />

Auf den Nachlass von Schweizern im Ausland kommt grundsätzlich Schweizer Recht<br />

zur Anwendung. Eine Schweizer Zuständigkeit ergibt sich entweder, weil sich der<br />

ausländische Staat nicht um den Nachlass kümmert (Art. 87 I), oder es wird eine<br />

Schweizer Zuständigkeit, bzw. Schweizer Recht gewählt (Art. 87 II).<br />

Gemäss Art. 91 Abs. 2 IPRG kommt in den soeben erläuterten Fällen Schweizer<br />

Recht zur Anwendung – es sei denn, der Erblasser habe in seinem Testament oder<br />

Erbvertrag das Recht am letzten Wohnsitz berufen.<br />

Dies muss ausdrücklich geschehen. Stellt der Erblasser seinen Nachlass nämlich<br />

gemäss Art. 87 Abs. 1 IPRG unter die Zuständigkeit eines Schweizer Gerichts, muss<br />

er ausdrücklich die Anwendbarkeit des Wohnsitzrechts bestimmen. Tut er dies nicht,<br />

wird die stillschweigende Berufung des Schweizer Rechts angenommen.<br />

D. Fall 5<br />

Sachverhalt 5<br />

Die Familie Robert hat 1985 bis ins Jahr 2000 in Nizza gelebt. 2001 ist Herr Robert<br />

aus beruflichen Gründen mit seiner Familie nach Basel gezogen. Letzten Monat ist<br />

Herr Robert überraschend verstorben. Er hinterlässt eine Ehefrau und zwei Kinder.<br />

Sein Vermögen umfasst eine Liegenschaft (Wert: 1 Mio.) in Nizza sowie ein<br />

Bankguthaben über CHF 400'000.00 bei der Banque National de Paris in Paris.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

1. 4w-Frage: <strong>Teil</strong>ungsklage<br />

Der Nachlass sei festzustellen, zu teilen und jeweils mit CHF xy zuzusprechen<br />

2. Internationaler Sachverhalt?<br />

Relevante Auslandsbezüge: Begebenheitsort von Vermögen im Ausland eines<br />

in der Schweiz verstorbenen Erblassers<br />

3. IPR-relevante Fragestellungen<br />

a. Zuständigkeit<br />

Grundsätzlich sind die Schweizer Gerichte zuständig, da der Erblasser<br />

seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz hatte (Art. 86 Abs. 1 IPRG).<br />

Allerdings ist die im Ausland belegene Liegenschaft zu berücksichtigen<br />

und falls sich der ausländische Staat für zuständig erklärt, geht diese<br />

Zuständigkeit vor. Diese Zuständigkeit des ausländischen Staates<br />

bezieht sich dabei ausschliesslich auf die Liegenschaft.<br />

Die Schweizer Zuständigkeit gilt aufgrund des Universalitätsprinzips für<br />

das Bankguthaben. Im Schweizer Nachlass befinden sich somit CHF<br />

400'000.00.<br />

47


. Anwendbares Recht<br />

Da es sich um einen ausländischen Staatsangehörigen mit letztem<br />

Wohnsitz in der Schweiz handelt, kommt gemäss Art. 90 Abs. 1 IPRG<br />

Schweizer Recht zur Anwendung. Eine Rechtswahl nach Art. 90 Abs. 2<br />

IPRG wurde nicht getroffen.<br />

In casu ist also bezüglich des Kontos das Schweizer Recht anwendbar.<br />

ACHTNUNG: Um den Vorschlag zu berechnen, muss zuerst die<br />

güterrechtliche Auseinandersetzung vorgenommen werden.<br />

4. Güterrechtliche Auseinandersetzung<br />

a. Zuständigkeit<br />

Der Nachlassrichter ist gemäss Art. 51 lit. a IPRG auch für die<br />

güterrechtliche Auseinandersetzung zuständig.<br />

b. anwendbares Recht<br />

Art. 54 Abs. 1 lit. a IPRG: Anwendung findet das Recht des<br />

gemeinsamen Wohnsitzstaates. Dies ist in casu Basel, womit für die<br />

güterrechtliche Auseinandersetzung Schweizer Recht zur Anwendung<br />

gelangt.<br />

Gemäss Sachverhalt haben die Eheleute ihren Wohnsitz von Nizza<br />

nach Basel verlegt. Es handelt sich dabei um einen Statutenwechsel.<br />

Der anknüpfungsrelevante Sachverhalt wird über die Grenze verlegt.<br />

Gemäss Art. 55 Abs. 1 IPRG ist in diesem Fall rückwirkend für die<br />

ganze Ehe das Schweizer Recht anwendbar.<br />

Die güterrechtliche Auseinandersetzung richtet sich somit nach den<br />

Regeln der Errungenschaftsbeteiligung. Die Ehefrau hat Anspruch auf<br />

die Hälfte des Vorschlages des Ehemannes, muss aber ihrerseits die<br />

Hälfte ihres Vorschlages an den Ehemann und somit in den Nachlass<br />

geben.<br />

Die Rechtsnatur des Anspruchs ist ein geldwerter Anspruch. Die<br />

Ehefrau bekommt grundsätzlich nicht die Liegenschaft zu Eigentum,<br />

sondern hat Anspruch auf den Wert x. Um diesen Wert festzustellen,<br />

wird der Wert der Liegenschaft miteinbezogen. Art. 86 Abs. 2 IPRG<br />

bezieht sich also nicht auf die güterrechtliche Auseinandersetzung,<br />

sondern nur auf den Nachlass.<br />

Der gesamte Vorschlag, also die Summe der Vorschläge der Ehefrau<br />

und des Ehemannes, beläuft sich auf CHF 1,4 Mio. Davon hat die<br />

Ehefrau einen Anspruch auf die Hälfte, also auf CHF 700'000.00.<br />

Der Nachlass in der Schweiz beläuft sich aber nur auf CHF 400'000.00.<br />

Somit wäre der Nachlass überschuldet, denn die Ehefrau hat davon<br />

CHF 700'000.00 güterrechtlich zugute. Aus Schweizer Sicht würden die<br />

Kinder somit vom Bankkonto nichts erhalten, denn die Ehefrau könnte<br />

ihre Forderung von 700'000.00 mit diesen 400'000.00 verrechnen. Die<br />

Kinder würden aus Schweizer Sicht leer ausgehen und würden erst<br />

aufgrund der Verteilung der Liegenschaft aus Frankreich etwas<br />

bekommen.<br />

48


E. Sonderfragen<br />

I. Art. 92 IPRG<br />

Art. 92 IPRG<br />

1 Das auf den Nachlass anwendbare Recht bestimmt, was zum Nachlass gehört, wer in welchem<br />

Umfang daran berechtigt ist, wer die Schulden des Nachlasses trägt, welche Rechtsbehelfe und<br />

Massnahmen zulässig sind und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können.<br />

2 Die Durchführung der einzelnen Massnahmen richtet sich nach dem Recht am Ort der zuständigen<br />

Behörde. Diesem Recht unterstehen namentlich die sichernden Massnahmen und die<br />

Nachlassabwicklung mit Einschluss der Willensvollstreckung.<br />

Art. 92 Abs. 1 IPRG bestimmt das auf den Nachlass anwendbare Recht und gemäss<br />

Abs. 2 richten sich die Massnahmen nach dem Recht am Ort der zuständigen<br />

Behörde. Technisch gesagt, befasst sich Abs. 1 mit dem Erbstatut, während sich<br />

Abs. 2 dem Eröffnungsstatut widmet.<br />

Das Verfahren bestimmt sich auch im internationalen Sachverhalt nach der lex fori.<br />

Dies sind in der Schweiz jeweils die kantonalen Zivilprozessordnungen. Das<br />

Kollisionsrecht bestimmt grundsätzlich nur das anwendbare materielle Recht,<br />

während die Frage nach den Verfahrensregeln formelle Aspekte betreffen.<br />

Die Unterscheidung zwischen formellem und materiellem Recht kann sehr heikel<br />

sein.<br />

II. Art. 93 IPRG<br />

Art. 93 IPRG<br />

1 Für die Form der letztwilligen Verfügung gilt das Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über<br />

das auf die Form letztwilliger Verfügungen anwendbare Recht.<br />

2 Dieses Übereinkommen gilt sinngemäss auch für die Form anderer Verfügungen von Todes wegen.<br />

Art. 93 IPRG befasst sich mit der Form der Testamente. Abs. 1 der Bestimmung<br />

verweist auf das Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger<br />

Verfügungen anwendbare Recht. Es handelt sich um einen erga omnes<br />

Staatsvertrag. Er gilt somit für alle Staatsangehörige aller Staaten. Wohnsitz,<br />

Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt, etc. spielen somit keine Rolle.<br />

Es gilt der Grundsatz des favor testamenti. Da jeder Staat unterschiedliche<br />

Formvorschriften erlässt, soll dasjenige Recht zur Anwendung gelangen, welches die<br />

Gültigkeit des Testamentes vorsieht. Im internationalen Verhältnis sollen Testamente<br />

nicht daran scheitern, weil sie formungültig sind.<br />

49


III. Art. 94 IPRG<br />

Art. 94 IPRG<br />

Eine Person kann von Todes wegen verfügen, wenn sie im Zeitpunkt der Verfügung nach dem Recht<br />

am Wohnsitz oder am gewöhnlichen Aufenthalt oder nach dem Recht eines ihrer Heimatstaaten<br />

verfügungsfähig ist.<br />

Art. 94 IPRG ist lex specialis zu Art. 35 IPRG. Gemäss Art. 35 IPRG gilt<br />

grundsätzlich das Wohnsitzrecht der betroffenen Person. In Bezug auf das<br />

Testament erweitert der Gesetzgeber diese Anknüpfungsmerkmale. Er beruft<br />

entweder das Wohnsitz-, Aufenthalts- oder Heimatrecht des Erblassers. Dies ist<br />

erneut eine Favorisierung der Verfügungs-, oder Handlungsfähigkeit.<br />

IV. Art. 95 IPRG<br />

Art. 95 IPRG<br />

1 Der Erbvertrag untersteht dem Recht am Wohnsitz des Erblassers zur Zeit des Vertragsabschlusses.<br />

2 Unterstellt ein Erblasser im Vertrag den ganzen Nachlass seinem Heimatrecht, so tritt dieses an die<br />

Stelle des Wohnsitzrechts.<br />

3 Gegenseitige Verfügungen von Todes wegen müssen dem Wohnsitzrecht jedes Verfügenden oder<br />

dem von ihnen gewählten gemeinsamen Heimatrecht entsprechen.<br />

4 Vorbehalten bleiben die Bestimmungen dieses Gesetzes über die Form und die Verfügungsfähigkeit<br />

(Art. 93 und 94).<br />

Absatz 1 bezieht sich auf einseitige Erbverträge, z.B. ein Erbverzicht oder eine<br />

Erbeneinsetzung. Berufen wird das Recht, welches im Zeitpunkt des<br />

Vertragsschlusses am Wohnsitz galt.<br />

Absatz 2 ist eine Sonderregel zu Absatz 1. Der Erblasser kann den Erbvertrag<br />

zudem seinem Heimatrecht unterstellen, wenn er den gesamten Nachlass diesem<br />

Recht unterstellt.<br />

Absatz 3 regelt die Situation, in welcher mehrere Erblasser verfügen. Behandelt<br />

werden insbesondere die gegenseitigen sowie korrespondierenden Erbverträge. Da<br />

hier mehrere Erblasser verfügen, gilt kumulativ das Recht am Wohnsitz beider<br />

Erblasser. Um die Gültigkeit eines solchen Erbvertrages zu beurteilen, sind somit<br />

beide Rechte kumulativ anzuwenden, der Erbvertrag muss also am Wohnsitz beider<br />

Erblasser gültig sein. Ist dies nicht gegeben, kann das gemeinsame Heimatrecht<br />

massgeblich sein.<br />

50


§ 5 INTERNATIONALES SACHENRECHT<br />

A. Gegenstand des internationalen Sachenrechts, Rechtsquellen<br />

Im internationalen Sachenrecht geht es um Erwerb, Verlust, Inhalt und Ausübung<br />

von dinglichen Rechten an Sachen:<br />

- Eigentum<br />

o Gemeinschaftliches Eigentum<br />

o Miteigentum<br />

o Gesamteigentum<br />

o Stockwerkeigentum<br />

- Beschränkte dingliche Rechte<br />

- Definition der Sache<br />

- Besitz<br />

Zentral im Sachenrecht ist die Unterscheidung von beweglichen und unbeweglichen<br />

Sachen.<br />

B. Unbewegliche Sachen, insbesondere Grundstücke<br />

I. Internationale Zuständigkeit<br />

Zuständig sind die Gerichte am Ort der belegenen Sache. Dies ergibt sich im Bereich<br />

der Anwendbarkeit des LugÜ aus Art. 16 LugÜ, andernfalls aus Art. 97 IPRG.<br />

1. Art. 16 LugÜ<br />

Art. 16 LugÜ<br />

Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschliesslich zuständig<br />

1. a) für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder<br />

Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des<br />

Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist,<br />

b) für Klagen betreffend die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum vorübergehenden<br />

privaten Gebrauch für höchstens sechs aufeinander folgende Monate sind jedoch auch<br />

die Gerichte des Vertragsstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat,<br />

sofern es sich bei dem Mieter oder Pächter um eine natürliche Person handelt und weder<br />

die eine noch die andere Partei ihren Wohnsitz in dem Vertragsstaat hat, in dem die<br />

unbewegliche Sache belegen ist;<br />

2. für Klagen, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder<br />

juristischen Person oder der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben, die Gerichte<br />

des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren<br />

Sitz hat;<br />

3. für Klagen, welche die Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register zum Gegenstand<br />

haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Register geführt werden;<br />

51


4. für Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Warenzeichen, Mustern<br />

und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen,<br />

zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die<br />

Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines<br />

zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt;<br />

5. für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben,<br />

die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung<br />

durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist.<br />

Art. 16 LugÜ begründet eine ausschliessliche Zuständigkeit. Es gibt also nur einen<br />

zwingenden Gerichtsstand. Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist somit gemäss Art.<br />

17 Abs. 3 LugÜ nicht gültig.<br />

Bei einer Verletzung von Art. 16 LugÜ wird eine Entscheidung nicht vollstreckt. Dies<br />

regelt Art. 28 Abs. 1 LugÜ.<br />

Art. 28 LugÜ<br />

Eine Entscheidung wird ferner nicht anerkannt, wenn die Vorschriften des 3., 4. und 5. Abschnitts des<br />

Titels II verletzt worden sind oder wenn ein Fall des Artikels 59 vorliegt.<br />

Des Weiteren kann die Anerkennung einer Entscheidung versagt werden, wenn ein Fall des Artikels<br />

54b Absatz 3 bzw. des Artikels 57 Absatz 4 vorliegt.<br />

Das Gericht oder die Behörde des Staates, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ist bei der<br />

Prüfung, ob eine der in den vorstehenden Absätzen angeführten Zuständigkeiten gegeben ist, an die<br />

tatsächlichen Feststellungen gebunden, aufgrund deren das Gericht des Ursprungsstaats seine<br />

Zuständigkeit angenommen hat.<br />

Die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsstaats darf, unbeschadet der Bestimmungen der<br />

Absätze 1 und 2, nicht nachgeprüft werden; die Vorschriften über die Zuständigkeit gehören nicht zur<br />

öffentlichen Ordnung im Sinne des Artikels 27 Nummer 1.<br />

Im Rahmen des LugÜ wird die Zuständigkeit der verfügenden Behörde grundsätzlich<br />

nicht überprüft. Liegt jedoch unter anderem eine Verletzung des 5. Abschnitts und<br />

somit eine Verletzung von Art. 16. LugÜ vor, wird die ausländische Entscheidung<br />

nicht anerkannt.<br />

Art. 16 Ziff. 1 LugÜ regelt jedoch nur die internationale Zuständigkeit. Die örtliche<br />

Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 97 IPRG.<br />

a. räumlich-persönliche Anwendbarkeit des LugÜ<br />

Die räumlich persönliche Anwendbarkeit des LugÜ ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1<br />

LugÜ. Es ist anwendbar, wenn sich der Wohnsitz des Beklagten in einem<br />

Vertragsstaat befindet.<br />

Art. 2 LugÜ<br />

Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem<br />

Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den<br />

Gerichten dieses Staates zu verklagen.<br />

Auf Personen, die nicht dem Staat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, angehören, sind die für Inländer<br />

massgebenden Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden.<br />

Art. 4 Abs. 1 LugÜ verweist weiter auf Art. 16 LugÜ für den Fall, dass der Beklagte<br />

seinen Wohnsitz nicht in einem Vertragsstaat hat.<br />

52


Art. 4 LugÜ<br />

Hat der Beklagte keinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats, so bestimmt sich,<br />

vorbehaltlich des Artikels 16, die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Vertragsstaats nach seinen<br />

eigenen Gesetzen.<br />

Gegenüber einem Beklagten, der keinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat,<br />

kann sich jede Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in diesem<br />

Staat auf die dort geltenden Zuständigkeitsvorschriften, insbesondere auf die in Artikel 3 Absatz 2<br />

angeführten Vorschriften, wie ein Inländer berufen, ohne dass es auf ihre Staatsangehörigkeit<br />

ankommt.<br />

Dies garantiert, dass wenn der Ort der belegenen Sache in einem Vertragsstaat liegt,<br />

sowieso immer das LugÜ zur Anwendung gelangt. Es kommt also nicht auf den<br />

Wohnsitz des Beklagten an.<br />

b. sachliche Anwendbarkeit<br />

Der EuGH interpretiert Art. 16 LugÜ sehr weit. Das LugÜ ist sachlich anwendbar für:<br />

- Klagen betreffend Feststellung der Eigentümerschaft<br />

- Berichtigungsklagen<br />

- Eintragung von gesetzlichen Pfandrechten (z.B. Bauhandwerkerpfandrecht)<br />

Nicht unter die Anwendbarkeit des Art. 16 LugÜ fallen Erfüllungsklagen, wie<br />

beispielsweise Erfüllung aufgrund Kaufvertrages aber auch Unterlassungsklagen,<br />

beispielsweise wegen Emissionen des Nachbargrundstückes sowie die actio<br />

negatoria.<br />

2. Anwendbarkeit des IPRG<br />

Art. 97 IPRG<br />

Für Klagen betreffend dingliche Rechte an Grundstücken in der Schweiz sind die Gerichte am Ort der<br />

gelegenen Sache ausschliesslich zuständig<br />

Grundsätzlich sind die Schweizer Gerichte nicht zuständig, wenn sich die<br />

Liegenschaft in einem Drittstaat befindet. Der Anwendungsbereich von Art. 97 IPRG<br />

beschränkt sich somit eigentlich nur noch auf die Bestimmung der örtlichen<br />

Zuständigkeit.<br />

II. Anwendbares Recht<br />

Grundsätzlich gelangt auch hier das Recht am Ort der gelegenen Sache zur<br />

Anwendung (lex rei sitae). Dies ergibt sich aus Art. 99 Abs. 1 IPRG.<br />

Art. 99 IPRG<br />

1 Dingliche Rechte an Grundstücken unterstehen dem Recht am Ort der gelegenen Sache.<br />

2 Für Ansprüche aus Immissionen, die von einem Grundstück ausgehen, gelten die Bestimmungen<br />

dieses Gesetzes über unerlaubte Handlungen (Art. 138).<br />

53


Hiervon macht Art. 99 IPRG eine Ausnahme, was das Deliktsrecht in Bezug auf<br />

Emissionen anbelangt. Es handelt sich um einen Verweis auf die deliktsrechtliche<br />

Anknüpfung der Art. 138 IPRG.<br />

C. bewegliche Sachen<br />

I. Zuständigkeit<br />

1. LugÜ<br />

Das LugÜ sieht keine besondere Zuständigkeit für sachenrechtliche Fragen in Bezug<br />

auf Mobilien vor. Es gilt der allgemeine Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten in<br />

einem Vertragsstaat (Art. 2 Abs. 1 LugÜ).<br />

Wohnt der Beklagte in einem Vertragsstaat, ist die Klage also an seinem Wohnsitz<br />

einzureichen.<br />

2. IPRG<br />

Art. 98 IPRG<br />

1 Für Klagen betreffend dingliche Rechte an beweglichen Sachen sind die schweizerischen Gerichte<br />

am Wohnsitz oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen am gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten<br />

zuständig.<br />

2 Hat der Beklagte in der Schweiz weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt, so sind die<br />

schweizerischen Gerichte am Ort der gelegenen Sache zuständig.<br />

Art. 98 IPRG regelt nur die örtliche und nicht die internationale Zuständigkeit. Fehlt<br />

ein Wohnsitz, ist der gewöhnliche Aufenthaltsort massgeblich. Dies ist beispielsweise<br />

bei einem Student an einer Uni gegeben.<br />

Absatz 2 regelt die Situation, in welcher der Beklagte weder Wohnsitz noch<br />

Aufenthalt in der Schweiz hat. Dort sind die Gerichte am Ort der gelegenen Sache in<br />

der Schweiz zuständig.<br />

II. Anwendbares Recht<br />

Art. 100 IPRG<br />

1 Erwerb und Verlust dinglicher Rechte an beweglichen Sachen unterstehen dem Recht des Staates,<br />

in dem die Sache im Zeitpunkt des Vorgangs, aus dem der Erwerb oder der Verlust hergeleitet wird,<br />

liegt.<br />

2 Inhalt und Ausübung dinglicher Rechte an beweglichen Sachen unterstehen dem Recht am Ort der<br />

gelegenen Sache.<br />

Bei beweglichen Sachen ist im IPRG zuerst eine Unterscheidung zu treffen. Das<br />

IPRG unterscheidet zwischen Erwerb und Verlust sowie zwischen der Ausübung und<br />

dem Inhalt des Eigentums.<br />

54


1. Erwerb und Verlust<br />

Art. 104 IPRG<br />

1 Die Parteien können den Erwerb und den Verlust dinglicher Rechte an beweglichen Sachen dem<br />

Recht des Abgangs- oder des Bestimmungsstaates oder dem Recht unterstellen, dem das<br />

zugrundeliegende Rechtsgeschäft untersteht.<br />

2 Die Rechtswahl kann Dritten nicht entgegengehalten werden.<br />

Sollten die Parteien eine Rechtswahl getroffen haben, was den Erwerb oder den<br />

Verlust des Eigentums betrifft, ist diese massgeblich. Dafür stehen drei verschieden<br />

Möglichkeiten zur Verfügung:<br />

- Recht des Abgangsstaates<br />

- Recht des Bestimmungsstaates<br />

- Recht des zugrundeliegenden Rechtsgeschäftes<br />

Art. 104 Abs. 2 IPRG hält fest, dass eine solche Rechtswahl Dritten gegenüber nicht<br />

entgegengehalten werden kann. Der Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist der<br />

Schutz des Publizitätsprinzips. In der Schweiz kann angenommen werden, dass der<br />

Besitzer einer Sache auch deren Eigentümer ist. Wird nun im Rahmen eines Kaufes<br />

eine Rechtswahl getroffen, nach welcher das Eigentum schon bei Abschluss des<br />

Kaufvertrages über geht, kann in der Schweiz trotzdem aufgrund des<br />

Publizitätsprinzips ein Dritter davon ausgehen, dass der Besitzer der Sache immer<br />

noch deren Eigentümer ist. Somit hat Art. 104 Abs. 1 IPRG fast keine praktische<br />

Bedeutung.<br />

Treffen die Parteien keine Rechtswahl, ist Art. 100 Abs. 1 IPRG massgeblich. Dieser<br />

beruft das Recht am Lageort der Sache zum Zeitpunkt des Erwerbs oder des<br />

Verlustes.<br />

Liegt der Kaufgegenstand beispielsweise in Frankreich, richtet sich der<br />

Eigentumsübergang nach französischem Recht. In Frankreich herrscht das<br />

Konsensualprinzip. Somit geht das Eigentum bereits mit Vertragsschluss über.<br />

2. Ausübung und Inhalt<br />

Aus Art. 100 Abs. 2 IPRG ergibt sich, dass die Ausübung und der Inhalt eines<br />

dinglichen Rechts dem Recht am Ort der gelegenen Sache, im gegenwärtigen<br />

Zeitpunkt der Fragestellung untersteht. Das ermöglicht einen Statutenwechsel, wenn<br />

die Sache eine Landesgrenze überschreitet.<br />

Diese Möglichkeit ist im Anwendungsbereich des Art. 100 Abs. 1 IPRG nicht<br />

gegeben.<br />

3. Sachen im Transit<br />

Art. 101 IPRG<br />

Rechtsgeschäftlicher Erwerb und Verlust dinglicher Rechte an Sachen im Transit unterstehen dem<br />

Recht des Bestimmungsstaates.<br />

Art. 101 IPRG bezieht sich auf Sachen im Transit. Die Sache ist also irgendwo in der<br />

Welt, beispielsweise auf einem Lastwagen, in Bewegung. Wird die Ware nun im<br />

55


Container X gekauft, stellt sich die Frage, ob Eigentum schon übergegangen ist.<br />

Grundsätzlich ist gemäss Art. 100 Abs. 1 IPRG das Recht am Lageort zum Zeitpunkt<br />

des Erwerbs massgeblich.<br />

Ist die Sache nun in Bewegung und hat somit keinen Lageort, fällt dies unter den<br />

Anwendungsbereich des Art. 101 IPRG. Massgeblich ist dabei das Recht des<br />

Bestimmungsstaates der Sache.<br />

4. Art. 102 IPRG<br />

Art. 102 IPRG<br />

1 Gelangt eine bewegliche Sache in die Schweiz und ist der Erwerb oder der Verlust eines dinglichen<br />

Rechts an ihr nicht bereits im Ausland erfolgt, so gelten die im Ausland eingetretenen Vorgänge als in<br />

der Schweiz erfolgt.<br />

2 Gelangt eine bewegliche Sache in die Schweiz und ist an ihr im Ausland ein Eigentumsvorbehalt<br />

gültig begründet worden, der den Anforderungen des schweizerischen Rechts nicht genügt, so bleibt<br />

der Eigentumsvorbehalt in der Schweiz noch während drei Monaten gültig.<br />

3 Dem gutgläubigen Dritten kann der Bestand eines solchen Eigentumsvorbehalts nicht<br />

entgegengehalten werden.<br />

Art. 102 Abs. 1 regelt die Ersitzung im grenzüberschreitenden Verhältnis. Hat<br />

beispielsweise jemand eine Sache im Ausland drei Jahre besessen und gelangt<br />

diese Sache nun in die Schweiz, werden diese drei Jahre für die Ersitzungsfrist<br />

angerechnet.<br />

Art. 102 Abs. 2 und 3 IPRG regeln den Eigentumsvorbehalt. Dieser muss nach<br />

Schweizer Recht am Wohnort des Käufers in ein Register eingetragen werden. Ohne<br />

Eintragung wird der Käufer sofort mit Übergabe der Sache Eigentümer.<br />

Diverse Länder kennen zwar den Eigentumsvorbehalt, eine Pflicht zur Eintragung<br />

besteht jedoch nicht.<br />

Grundsätzlich gilt für eine Sache, welche in die Schweiz kommt ebenfalls das<br />

Publizitätsprinzip. Derjenige, welcher die Sache besitzt, wird als ihr Eigentümer<br />

vermutet. Nun macht das Gesetz zugunsten des im Ausland begründeten<br />

Eigentumsvorbehalts eine Sonderregelung. Ist im Ausland ein Eigentumsvorbehalt<br />

gültig begründet worden, welcher den Schweizer Anforderungen jedoch nicht genügt,<br />

bleibt dessen Gültigkeit noch während 3 Monaten in Kraft.<br />

Art. 102 IPRG ist eine lex imperfecta. Ein Eigentumsvorbehalt muss am Wohnsitz<br />

des Käufers eingetragen werden. Bringt nun ein Deutscher eine Kaffeemaschine in<br />

sein Ferienhaus in Lugano, ist dort nicht sein Wohnsitz, sondern nur der Lageort der<br />

Sache. Eine Eintragung kann somit gar nicht stattfinden, was bedeuten würde, dass<br />

er nach drei Monaten lastenfreies Eigentum erworben hätte. Es ist daher strittig, ob<br />

der Eigentumsvorbehalt auch am Lageort der Sache eingetragen werden kann.<br />

Art. 102 Abs. 3 IPRG hält das Prinzip des Schweizer ZGB fest, dass ein solcher<br />

Eigentumsvorbehalt einem gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden<br />

kann. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Registereintrag (im Gegensatz zum<br />

Grundbuch) keine Publizitätswirkung hat.<br />

56


III. Fall 6<br />

Sachverhalt 6<br />

Die beiden Freunde Markus und Samuel aus Zürich bzw. Basel haben vor 2 Jahren<br />

ein Segelboot gekauft. Letzten Sommer sind sie damit via den Rhein-Rhône-Kanal<br />

ans Mittelmeer gefahren, wo das Boot heute stationiert ist. Vor kurzem haben sich M<br />

und S heftig zerstritten. M droht nun, die Hälfte dieses Bootes an einen Dritten zu<br />

verkaufen. S will dies verhindern.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

1. 4-W-Frage: S will Unterlassung des Verkaufs durch M<br />

a. Bei Gesamteigentum bedürfte es der Zustimmung der anderen<br />

Gesamteigentümer<br />

b. Kann ein gutgläubiger Dritter Eigentum erwerben?<br />

c. S könnte ein Vorkaufsrecht gegenüber M haben<br />

d. Sind S & M eine einfache Gesellschaft?<br />

2. Internationaler Sachverhalt?<br />

Im internationalen Sachenrecht ist das relevante Anknüpfungsmerkmal der<br />

Lageort der Sache. Die Sache liegt in Frankreich, womit ein internationaler<br />

Sachverhalt gegeben ist.<br />

3. IPR-relevante Fragestellungen<br />

Es stellen sich Fragen von vorsorglichen Massnahmen. Es herrscht eine<br />

gewisse Dringlichkeit, da ein Verkauf des Anteils droht.<br />

a. Zuständigkeit<br />

Art. 24 LugÜ<br />

Die in dem Recht eines Vertragsstaats vorgesehenen einstweiligen Massnahmen<br />

einschliesslich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den<br />

Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in<br />

der Hauptsache das Gericht eines anderen Vertragsstaats aufgrund dieses<br />

Übereinkommens zuständig ist.<br />

Gemäss Art. 24 LugÜ sind für vorsorgliche Massnahmen die Gerichte<br />

zuständig, welche auch in der Hauptsache zuständig sind. Dies führt in<br />

Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 LugÜ zu einer Zuständigkeit der Schweizer<br />

Gerichte. Dies ist die internationale Zuständigkeit.<br />

Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 98 Abs. 1 IPRG.<br />

Art. 98 IPRG<br />

1 Für Klagen betreffend dingliche Rechte an beweglichen Sachen sind die<br />

schweizerischen Gerichte am Wohnsitz oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen am<br />

gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten zuständig.<br />

2 Hat der Beklagte in der Schweiz weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt, so<br />

sind die schweizerischen Gerichte am Ort der gelegenen Sache zuständig.<br />

S hat seinen Wohnsitz in Zürich. Somit ist die Zuständigkeit der Zürcher<br />

Gerichte gegeben.<br />

57


Weiter ist es zulässig, weitergehende Zuständigkeiten anzubieten,<br />

wenn ein genügender Konnex zwischen der Massnahme und dem<br />

Gerichtsort vorhanden ist. Dies führt in casu zu einer weiteren<br />

Zuständigkeit nach Art. 10 IPRG.<br />

Art. 10 IPRG<br />

Die schweizerischen Gerichte oder Behörden können vorsorgliche Massnahmen<br />

treffen, auch wenn sie für die Entscheidung in der Sache selbst nicht zuständig sind.<br />

Neben der Zuständigkeit aus Art. 24 LugÜ, ist die Zuständigkeit der<br />

Gerichte am Ort der Vollstreckung einer Massnahme möglich.<br />

Voraussetzungen aus Schweizer Sicht für die Anordnung einer<br />

vorsorglichen Massnahme:<br />

- Dringlichkeit<br />

- Glaubhaftmachung des Anspruchs nach lex fori: ZPO ZH<br />

- Interessenabwägung<br />

Die Glaubhaftmachung des Anspruchs erfolgt nach dem Recht,<br />

welches auf den Sachverhalt Anwendung findet. Findet auf den<br />

Sachverhalt in casu französisches Recht Anwendung, hat der Kläger<br />

also glaubhaft zu machen, dass er nach französischem Recht einen<br />

Anspruch hat.<br />

Das anwendbare Recht in einem internationalen Sachverhalt ist<br />

grundsätzlich durch das Gericht zu ermitteln. Dies ergibt sich aus Art.<br />

16 Abs. 1 IPRG. Ist eine Feststellung nicht möglich, kommt gemäss Art.<br />

16 Abs. 2 IPRG subsidiär das Schweizer Recht zur Anwendung. Unter<br />

Art. 16 Abs. 2 IPRG fällt auch die zeitliche Dringlichkeit bei<br />

vorsorglichen Massnahmen.<br />

Entscheide über vorsorgliche Massnahmen sind nach den Art. 31 ff.<br />

LugÜ grenzüberschreitend vollstreckbar. Das Bundesgericht hat dies in<br />

BGE 129 III 626 ff. bestätigt.<br />

b. Anwendbares Recht<br />

Art. 100 IPRG<br />

1 Erwerb und Verlust dinglicher Rechte an beweglichen Sachen unterstehen dem<br />

Recht des Staates, in dem die Sache im Zeitpunkt des Vorgangs, aus dem der<br />

Erwerb oder der Verlust hergeleitet wird, liegt.<br />

2 Inhalt und Ausübung dinglicher Rechte an beweglichen Sachen unterstehen dem<br />

Recht am Ort der gelegenen Sache.<br />

Gemäss Art. 100 Abs. 2 IPRG findet das Recht am Ort der gelegenen<br />

Sache Anwendung.<br />

Das Schiff wurde in der Schweiz erworben. Der Erwerb des Eigentums<br />

richtet sich gemäss Art. 100 Abs. 1 IPRG nach Schweizer Recht.<br />

Massgeblich sind hierfür die Art. 646 ff. ZGB.<br />

58


Fährt das Schiff nun über die Grenze, findet nach Art. 100 Abs. 2 IPRG<br />

ein Statutenwechsel statt. Massgeblich ist nun das französische Recht.<br />

Fazit: Der Inhalt und die Ausübung des Eigentums – also die Fragen,<br />

ob es ein Vorkaufsrecht gibt, ob es der Zustimmung der übrigen<br />

Gesamteigentümer bedarf, etc – richten sich nach französischem<br />

Recht.<br />

Würden S & M eine einfache Gesellschaft bilden, kämen die<br />

Vorschriften über die einfache Gesellschaft zur Anwendung. Dies ist in<br />

Art. 150 Abs. 2 IPRG geregelt, welcher auf das anwendbare Recht<br />

betreffend des Kaufvertrages verweist. Somit wäre gemäss Art. 117<br />

IPRG das Schweizer Recht anwendbar.<br />

59


§ 6 INTERNATIONALES VERTRAGSRECHT<br />

A. Grundsatz<br />

I. Privatautonomie<br />

Der zentralste Grundsatz des internationalen Vertragsrechts ist der Grundsatz der<br />

Privatautonomie. Dabei handelt es sich um die klassischen Freiheiten des<br />

Vertragsrechts wie Abschlussfreiheit, Partnerwahlfreiheit oder Inhaltsfreiheit.<br />

Im Bereich des IPR spricht man diesbezüglich von Parteiautonomie. Die Parteien<br />

können prinzipiell in den Schranken der Rechtsordnung frei verfügen. Daraus<br />

fliessen verschiedene Ausprägungen der Parteiautonomie. Unter anderem sind dies:<br />

- Rechtswahlfreiheit: Art. 116 IPRG (Berufung der lex causae)<br />

Die Parteien können festlegen, welchem Recht der Vertrag unterstehen soll.<br />

- Gerichtsstandsvereinbarung: Art. 5 ff. und 112 ff IPRG<br />

II. besondere Verträge vs. allgemeine Verträge<br />

Ein zweites Systemmerkmal des internationalen <strong>Privatrecht</strong>s ist die Unterscheidung<br />

zwischen besonderen und allgemeinen Verträgen. Die allgemeinen Regelungen<br />

befinden sich in den Art. 116 und 117 IPRG für das anwendbare Recht und Art. 112<br />

und 113 IPRG für die Zuständigkeit.<br />

Diese Regelungen gelten grundsätzlich – es sei denn, der Gesetzgeber sehe für<br />

einen bestimmten Vertragstyp eine besondere Vorschrift vor. Dies gilt etwa für:<br />

- Kaufverträge (Art. 118 IPRG)<br />

- Grundstückverträge (Art. 119 IPRG)<br />

- Konsumentenverträge (Art. 120 IPRG)<br />

- Arbeitsverträge (Art. 121 IPRG)<br />

- Kauf von Immaterialgüterrechten (Art. 122 IPRG)<br />

- Versicherungsverträge (VVG und Art. 7 LugÜ)<br />

Versicherungsverträge unterstehen, was die Zuständigkeit anbelangt, einer<br />

Sonderregelung. Im VVG befinden sich diesbezüglich am Ende Vorschriften,<br />

worin die internationale Zuständigkeit geregelt wird.<br />

III. gemeinsame Bestimmungen<br />

Neben der Unterscheidung von allgemeinen und besonderen Verträgen, kennt das<br />

IPRG zusätzlich gemeinsame Bestimmungen. Diese finden sich in den Art. 123 ff.<br />

IPRG. Diese gemeinsamen Bestimmungen gelten nicht nur für das Vertragsrecht,<br />

sondern allgemein für das ganze Schuldrecht.<br />

60


Dabei handelt es sich um eine Ausnahme von einem ganz zentralen Grundsatz des<br />

internationalen <strong>Privatrecht</strong>s, um eine Ausnahme von der lex causae. Generell gilt der<br />

Grundsatz, dass alle Fragen im Zusammenhang mit einem Vertrag, demselben<br />

Recht wie der Vertrag unterstehen. Es handelt sich um Sonderanknüpfungen für<br />

<strong>Teil</strong>aspekte.<br />

B. Zuständigkeit<br />

Bei Vertragszuständigkeiten gibt es verschiedenste Gerichtsstände, welche es zu<br />

berücksichtigen gibt:<br />

- Wohnsitz oder Sitz des Beklagten<br />

- Erfüllungsort<br />

- Niederlassung<br />

- Einlassung des Beklagten<br />

- Gerichtsstandsvereinbarungen<br />

Die massgeblichen Rechtsquellen sind das LugÜ und das IPRG.<br />

I. Subjektive Anknüpfungen der Zuständigkeit<br />

1. Gerichtsstandsvereinbarung<br />

Art. 17 LugÜ<br />

(1) Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines<br />

Vertragsstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats über eine<br />

bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis<br />

entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses<br />

Staates ausschliesslich zuständig. Eine solche Gerichtstandsvereinbarung muss geschlossen werden<br />

a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung;<br />

b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien<br />

entstanden sind, oder<br />

c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die<br />

Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem<br />

betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmässig beachten.<br />

Wenn eine solche Vereinbarung von Parteien geschlossen wurde, die beide ihren Wohnsitz nicht im<br />

Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, so können die Gerichte der anderen Vertragsstaaten nicht<br />

entscheiden, es sei denn, das vereinbarte Gericht oder die vereinbarten Gerichte haben sich<br />

rechtskräftig für unzuständig erklärt.<br />

(2) Ist in schriftlich niedergelegten «trust»-Bedingungen bestimmt, dass über Klagen gegen einen<br />

Begründer, «trustee» oder Begünstigten eines «trust» ein Gericht oder die Gerichte eines<br />

Vertragsstaats entscheiden sollen, so ist dieses Gericht oder sind diese Gerichte ausschliesslich<br />

zuständig, wenn es sich um Beziehungen zwischen diesen Personen oder ihre Rechte oder Pflichten<br />

im Rahmen des «trust» handelt.<br />

(3) Gerichtsstandsvereinbarungen und entsprechende Bestimmungen in «trust»-Bedingungen haben<br />

keine rechtliche Wirkung, wenn sie den Vorschriften der Artikel 12 oder 15 zuwiderlaufen oder wenn<br />

die Gerichte, deren Zuständigkeit abbedungen wird, aufgrund des Artikels 16 ausschliesslich<br />

zuständig sind.<br />

(4) Ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nur zugunsten einer der Parteien getroffen worden, so behält<br />

diese das Recht, jedes andere Gericht anzurufen, das aufgrund dieses Übereinkommens zuständig<br />

ist.<br />

61


(5) Bei individuellen Arbeitsverträgen haben Gerichtsstandsvereinbarungen nur dann rechtliche<br />

Wirkung, wenn sie nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen werden.<br />

Art. 5 IPRG<br />

1 Für einen bestehenden oder für einen zukünftigen Rechtsstreit über vermögensrechtliche Ansprüche<br />

aus einem bestimmten Rechtsverhältnis können die Parteien einen Gerichtsstand vereinbaren. Die<br />

Vereinbarung kann schriftlich, durch Telegramm, Telex, Telefax oder in einer anderen Form der<br />

Übermittlung, die den Nachweis der Vereinbarung durch Text ermöglicht, erfolgen. Geht aus der<br />

Vereinbarung nichts anderes hervor, so ist das vereinbarte Gericht ausschliesslich zuständig.<br />

2 Die Gerichtsstandsvereinbarung ist unwirksam, wenn einer Partei ein Gerichtsstand des<br />

schweizerischen Rechts missbräuchlich entzogen wird.<br />

3 Das vereinbarte Gericht darf seine Zuständigkeit nicht ablehnen:<br />

a. wenn eine Partei ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Niederlassung im<br />

Kanton des vereinbarten Gerichts hat, oder<br />

b. wenn nach diesem Gesetz auf den Streitgegenstand schweizerisches Recht anzuwenden<br />

ist.<br />

Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist typischerweise in den AGB enthalten. Eine<br />

mögliche Formulierung wäre: „…das Zivilgericht Basel-Stadt ist ausschliesslich<br />

zuständig für sämtliche Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem<br />

Vertrag...“.<br />

a. LugÜ und IPRG vs. GestG<br />

Das Gerichtsstandsgesetz kommt bei Verträgen, welche keinen internationalen<br />

Bezug aufweisen zur Anwendung. Dies ist insbesondere der Fall wenn:<br />

- beide Parteien ihren Wohnsitz in der Schweiz haben und<br />

- der Erfüllungsort in der Schweiz liegt.<br />

b. LugÜ vs. IPRG<br />

Das LugÜ kommt zur Anwendung, wenn eine der Parteien ihren Wohnsitz, bzw. Sitz<br />

in einem Vertragsstaat des LugÜ hat oder wenn sich das gewählte Gericht in einem<br />

Vertragsstaat befindet. Die Anwendbarkeit des LugÜ ergibt sich aus dem LugÜ<br />

selber. Der Staatsvertrag geht dem nationalen Recht vor und definiert selber, unter<br />

welchen Umständen er angewendet werden will.<br />

Demgegenüber findet das IPRG Anwendung, wenn keine der Parteien ihren<br />

Wohnsitz im Anwendungsbereich des LugÜ hat und ein Schweizer Gericht als<br />

zuständig gewählt wurde (Prorogation).<br />

Weiter ist das IPRG anwendbar, wenn in der Gerichtsstandsvereinbarung zwar ein<br />

Nicht-LugÜ-Gericht (z.B. eine chinesisches Gericht) vereinbart wurde, trotzdem aber<br />

vor einem Schweizer Gericht Klage erhoben wird. Das Schweizer Gericht prüft dann<br />

seine Unzuständigkeit nach Art. 5 IPRG und stellt fest, dass es wegen der<br />

Gerichtsstandsvereinbarung nicht zuständig ist. Es prüft also, ob seine Zuständigkeit<br />

aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung derogiert wurde.<br />

62


c. Voraussetzungen<br />

1. Konsens<br />

Die Frage, ob Konsens besteht, richtet sich gemäss der herrschenden Lehre<br />

nach dem Recht, welchem das gesamte Vertragsverhältnis untersteht. Für die<br />

Gerichtsstandsvereinbarung könnten die Vertragsparteien schlauerweise eine<br />

Rechtswahl treffen: „Die Gerichtsstandsvereinbarung untersteht Schweizer<br />

Recht.“<br />

2. Einhaltung der Form<br />

Der eigentliche Knackpunkt von Gerichtsstandsvereinbarungen ist die Form.<br />

Gemäss Art. 5 IPRG bedarf es bei einer Gerichtsstandsvereinbarung<br />

grundsätzlich der doppelten Schriftlichkeit. Das bedeutet, dass beide Parteien<br />

unterschreiben müssen.<br />

Art. 17 LugÜ bestimmt, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung im<br />

Anwendungsbereich des LugÜ grundsätzlich nur der einfachen Schriftlichkeit<br />

bedarf. Vom Erfordernis der Schriftlichkeit gibt es sogar Ausnahmen:<br />

- kaufmännisches Bestätigungsschreiben (lit. a)<br />

- Handelsbrauch<br />

- Gepflogenheiten<br />

Die Handelsbräuche und Gepflogenheiten spielen in der Praxis jedoch kaum<br />

eine Rolle.<br />

Probleme:<br />

o Formgültigkeit indiziert Konsens<br />

Gemäss dem EuGH ist Konsens gegeben, sobald die Form eingehalten<br />

wurde.<br />

o AGB<br />

Der Einbezug von AGB wird nicht als Konsens-, sondern als<br />

Formproblem betrachtet. Gemäss der neueren Rechtsprechung des<br />

EuGH werden die AGB unter dem Aspekt der Form geprüft und nicht<br />

mehr unter dem des Konsenses.<br />

Formgültigkeit besteht nach IPRG, wenn der Hauptvertrag von beiden<br />

Seiten unterschrieben ist und einen Hinweis auf die AGB enthält.<br />

Nach LugÜ richtet sich die Formgültigkeit nach den oben erläuterten<br />

Aspekten des Art. 17 LugÜ in Bezug auf den Hauptvertrag. Auch hier<br />

bedarf es jedoch einer klaren Verweisung auf die AGB.<br />

o E-Commerce<br />

Bei genauer Betrachtung des Art. 5 IPRG wird nicht ausdrücklich<br />

Schriftlichkeit verlangt, sondern der Nachweis der Vereinbarung durch<br />

Text. Aus dem Text müssen Wortlaut und Einigung ersichtlich sein.<br />

Das LugÜ enthält keine derartige Bestimmung. Die Revision des Art. 17<br />

LugÜ sieht jedoch einen Absatz 2 mit dem folgenden Text vor:<br />

„Elektronische Übermittlung, die eine dauerhafte Aufzeichnung der<br />

Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt.“<br />

63


Das ist heute schon nach herrschender Lehre im Anwendungsbereich<br />

des LugÜ Standard.<br />

3. bestimmtes Rechtsverhältnis<br />

Die Gerichtsstandsvereinbarung muss sich auf ein bestimmtes<br />

Rechtsverhältnis beziehen. Nicht möglich sind Vereinbarungen wie „…alle<br />

Streitigkeiten sind vor dem Zivilgericht Basel zu behandeln…“, sondern sie<br />

muss sich auf ein konkretes Rechtsverhältnis – beispielsweise auf einen<br />

konkreten Kaufvertrag – beziehen.<br />

Dies ist eher ein theoretisches Problem, es ist aber dennoch von Bedeutung.<br />

4. bestimmtes Gericht muss zuständig sein<br />

Die Gerichtsstandsvereinbarung muss ferner das zuständige Gericht<br />

bezeichnen. Im Rahmen des Art. 5 IPRG muss das jeweilige Gericht exakt<br />

bezeichnet werden. Eine Vereinbarung, welche die Gerichte des Kantons X<br />

berufen würde, wäre nicht genügend. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss<br />

sich auf das örtliche Gericht beziehen.<br />

Anders ist die Situation im Anwendungsbereich des LugÜ. Hier können die<br />

Gerichte eines Vertragsstaates als zuständig erklärt werden: „Gerichtsstand ist<br />

die Schweiz.“ Einerseits wird dies befürwortet, da der Kläger dadurch eine<br />

Wahlmöglichkeit innerhalb des Vertragsstaates hat. Im Beispiel kann er<br />

wählen, vor welchem Schweizer Gericht er Klage erheben will. Andererseits<br />

kann dies jedoch erhebliche Rechtsunsicherheiten schaffen. Es ist daher<br />

ratsam, auch im Anwendungsbereich des LugÜ jeweils ein klar definiertes<br />

Gericht zu bestimmen.<br />

5. Vermögensrechtliche Streitigkeit<br />

d. Folgen einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung<br />

Eine Gerichtsstandsvereinbarung begründet sowohl nach LugÜ als auch nach IPRG<br />

eine ausschliessliche Zuständigkeit des berufenen Gerichtes. Sie hat eine<br />

derogatorische Wirkung, was bedeutet, dass alle andern Gerichte für unzuständig<br />

erklärt werden.<br />

Im Anwendungsbereich des IPRG ist die Gerichtsstandsvereinbarung im Rahmen<br />

des Art. 5 IPRG bindend. Das Gericht darf seine Zuständigkeit insbesondere unter<br />

den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 IPRG nicht ablehnen.<br />

Art. 5 Abs. 2 IPRG ist unter dem Aspekt des Arbeitnehmerschutzes nur bei<br />

Arbeitsverträgen anwendbar. Im Vordergrund steht das Missbrauchsverbot einer<br />

Gerichtsstandsvereinbarung im Arbeitsverhältnis. Der Arbeitgeber darf den<br />

Arbeitsvertrag nicht zulasten des Arbeitnehmers unter einen für ihn günstigeren<br />

Gerichtsstand stellen.<br />

Im Anwendungsbereich des LugÜ darf das berufene Gericht grundsätzlich seine<br />

Zuständigkeit nicht ablehnen.<br />

64


2. Einlassung als Zuständigkeitsbegründung<br />

Zur Einlassung genügt eine Äusserung zur Hauptsache. Die Einrede der<br />

Unzuständigkeit ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Wer vor Gericht<br />

erscheint, eine Äusserung zur Hauptsache macht und die sofortige Einrede der<br />

Unzuständigkeit unterlässt, lässt sich vorbehaltlos auf den Prozess ein.<br />

II. Objektive Anknüpfungen der Zuständigkeit<br />

Wurde keine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen und haben sich die Parteien nicht<br />

vorbehaltlos eingelassen, wird an objektive Kriterien der Zuständigkeit angeknüpft,<br />

beziehungsweise sind die gesetzlichen Gerichtsstände massgeblich. Die<br />

Rechtsquellen, in welchen diese Gerichtsstände geregelt werden, sind entweder das<br />

Lugano-Übereinkommen oder das IPRG. Ersteres kommt dann zur Anwendung,<br />

wenn eine der Parteien ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat des LugÜ hat. Ist dies<br />

nicht der Fall, fällt der Sachverhalt in den Anwendungsbereich des IPRG.<br />

Im Vertragsrecht stehen verschiedene Gerichtsstände im Vordergrund:<br />

- Wohnsitz des Beklagten (Art. 2 Abs. 1 LugÜ)<br />

- Niederlassung (Art. 5 Ziff. 5 LugÜ)<br />

- Vertraglicher Erfüllungsort (Art. 5 Ziff. 1 LugÜ)<br />

Art. 2 LugÜ<br />

Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem<br />

Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den<br />

Gerichten dieses Staates zu verklagen.<br />

Auf Personen, die nicht dem Staat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, angehören, sind die für Inländer<br />

massgebenden Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden.<br />

Art. 5 LugÜ<br />

Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem<br />

anderen Vertragsstaat verklagt werden,<br />

1. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden,<br />

vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;<br />

wenn ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag<br />

den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer<br />

gewöhnlich seine Arbeit verrichtet; verrichtet der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht<br />

in ein und demselben Staat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die Niederlassung<br />

befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat;<br />

2. wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem der<br />

Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder im<br />

Falle einer Unterhaltssache, über die im Zusammenhang mit einem Verfahren in Bezug auf<br />

den Personenstand zu entscheiden ist, vor dem nach seinem Recht für dieses Verfahren<br />

zuständigen Gericht, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht lediglich auf der<br />

Staatsangehörigkeit einer der Parteien;<br />

3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung<br />

gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des<br />

65


Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten<br />

ist;<br />

4. wenn es sich um eine Klage auf Schadenersatz oder auf Wiederherstellung des früheren<br />

Zustands handelt, die auf eine mit Strafe bedrohte Handlung gestützt wird, vor dem<br />

Strafgericht, bei dem die öffentliche Klage erhoben ist, soweit dieses Gericht nach seinem<br />

Recht über zivilrechtliche Ansprüche erkennen kann;<br />

5. wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder<br />

einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese<br />

befindet;<br />

6. wenn sie in ihrer Eigenschaft als Begründer, «trustee» oder Begünstigter eines «trust» in<br />

Anspruch genommen wird, der aufgrund eines Gesetzes oder durch schriftlich<br />

vorgenommenes oder schriftlich bestätigtes Rechtsgeschäft errichtet worden ist, vor den<br />

Gerichten des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der «trust» seinen Sitz hat;<br />

7. wenn es sich um eine Streitigkeit wegen der Zahlung von Berge- und Hilfslohn handelt, der für<br />

Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten gefordert wird, die zugunsten einer Ladung oder einer<br />

Frachtforderung erbracht worden sind, vor dem Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich<br />

diese Ladung oder die entsprechende Frachtforderung<br />

a) mit Arrest belegt worden ist, um die Zahlung zu gewährleisten, oder<br />

b) mit Arrest hätte belegt werden können, jedoch dafür eine Bürgschaft oder eine andere<br />

Sicherheit geleistet worden ist;<br />

diese Vorschrift ist nur anzuwenden, wenn behauptet wird, dass der Beklagte Rechte an der<br />

Ladung oder an der Frachtforderung hat oder zur Zeit der Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten<br />

hatte.<br />

Ist das LugÜ nicht anwendbar, sind die Bestimmungen des IPRG massgeblich.<br />

Art. 112 IPRG<br />

1 Für Klagen aus Vertrag sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten oder, wenn<br />

ein solcher fehlt, diejenigen an seinem gewöhnlichen Aufenthalt zuständig.<br />

2 Für Klagen aufgrund der Tätigkeit einer Niederlassung in der Schweiz sind überdies die Gerichte am<br />

Ort der Niederlassung zuständig.<br />

Art. 113 IPRG<br />

Hat der Beklagte weder Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, noch eine Niederlassung in der<br />

Schweiz, ist aber die Leistung in der Schweiz zu erbringen, so kann beim schweizerischen Gericht am<br />

Erfüllungsort geklagt werden.<br />

1. Gerichtsstand des Erfüllungsortes<br />

Massgeblich ist der Erfüllungsort derjenigen Leistung aus dem Vertrag, welche<br />

geltend gemacht wird. Hiervon gibt es zwei Grundsätze: Einerseits geht es um den<br />

Erfüllungsort der Hautleistungspflicht – Nebenpflichten haben keinen eigenständigen<br />

Erfüllungsort. Andererseits ist die primäre Leistungspflicht massgeblich. Sekundäre<br />

Leistungspflichten haben ebenfalls keinen eigenständigen Erfüllungsort.<br />

Der Erfüllungsort ergibt sich aus den jeweiligen nationalen Gesetzen (z.B. Art. 74<br />

OR). Die Parteien können autonom einen Erfüllungsort bestimmen. Haben sie dies<br />

nicht getan, ergibt sich der Erfüllungsort aus der lex causae. Das Gericht am<br />

Erfüllungsort, das hypothetisch zuständig ist, fragt sich dabei, welches Recht in<br />

Bezug auf den Erfüllungsort anzuwenden sei und bestimmt ihn dann nach eben<br />

diesem Recht. Wenn der Erfüllungsort nach dem auf den Vertrag anwendbaren<br />

Recht am Gerichtsort liegt, ist das angerufene Gericht an diesem Ort zuständig.<br />

66


Das Gericht nimmt also zuerst hypothetisch an, dass es zuständig sei.<br />

Anschliessend bestimmt es das auf den Vertrag anwendbare Recht und prüft dann<br />

nach diesem, ob der Erfüllungsort auch am Gerichtsort liegt. Diese Variante<br />

bestimmt die Zuständigkeit nach der lex causae, also nach dem auf die Sache<br />

anwendbaren Recht.<br />

Das Gericht hat auch eine andere Möglichkeit: Es könnte nach der lex fori<br />

entscheiden. Das Schweizer Gericht könnte auch direkt nach Art. 74 OR feststellen,<br />

wo der Erfüllungsort liegt und so seine Zuständigkeit prüfen.<br />

Die Variante der lex causae ist die herrschende Rechtsprechung des EuGH in Bezug<br />

auf das LugÜ. Im Anwendungsbereich des IPRG ist die herrschende Meinung, dass<br />

bezüglich Art. 113 IPRG nach der lex fori zu entscheiden sei.<br />

Beispiel 1<br />

Ein Schweizer bestellt ein Buch in Deutschland. Das Buch wird nicht geliefert.<br />

Die Zuständigkeit richtet sich nach dem LugÜ, eine Klage ist entweder am Wohnsitz<br />

des Beklagten oder am Erfüllungsort zu erheben. Es stellt sich die Frage, wo die<br />

Erfüllung der Buchlieferung zu erfolgen hat.<br />

Der Ort der Erfüllung muss in casu nach der lex causae bestimmt werden. Somit ist<br />

festzustellen, welches Recht auf den Vertrag anwendbar ist. Da es sich um einen<br />

internationalen Kaufvertrag handelt und beide Parteien in unterschiedlichen Staaten<br />

ihren Wohnsitz haben, ist in casu das CISG massgeblich. Der Erfüllungsort ergibt<br />

sich somit aus Art. 31 lit. c CISG: Der Ort der Niederlassung des Verkäufers, also in<br />

Deutschland.<br />

Art. 31 CISG<br />

Hat der Verkäufer die Ware nicht an einem anderen bestimmten Ort zu liefern, so besteht seine<br />

Lieferpflicht in folgendem:<br />

a) Erfordert der Kaufvertrag eine Beförderung der Ware, so hat sie der Verkäufer dem ersten<br />

Beförderer zur Übermittlung an den Käufer zu übergeben;<br />

b) bezieht sich der Vertrag in Fällen, die nicht unter Buchstabe a fallen, auf bestimmte Ware oder<br />

auf gattungsmässig bezeichnete Ware, die aus einem bestimmten Bestand zu entnehmen ist,<br />

oder auf herzustellende oder zu erzeugende Ware und wussten die Parteien bei<br />

Vertragsabschluss, dass die Ware sich an einem bestimmten Ort befand oder dort<br />

herzustellen oder zu erzeugen war, so hat der Verkäufer die Ware dem Käufer an diesem Ort<br />

zur Verfügung zu stellen;<br />

c) in den anderen Fällen hat der Verkäufer die Ware dem Käufer an dem Ort zur Verfügung zu<br />

stellen, an dem der Verkäufer bei Vertragsabschluss seine Niederlassung hatte.<br />

Beispiel 2<br />

Ein Schweizer bestellt in Deutschland ein Buch. Der Kaufpreis wird nicht bezahlt.<br />

Die Zuständigkeit richtet sich ebenfalls nach dem LugÜ, eine Klage ist entweder am<br />

Wohnsitz des Beklagten oder am Erfüllungsort zu erheben. Es stellt sich die Frage,<br />

wo die Kaufpreiszahlung zu erfolgen hat.<br />

Der Erfüllungsort ist wieder nach der lex causae zu bestimmen. Auf den Kaufvertrag<br />

findet das CISG Anwendung. Der Erfüllungsort ergibt sich für die Kaufpreiszahlung<br />

aus Art. 57 lit. a CISG: Eine Geldschuld ist eine Bringschuld – der Kaufpreiszahlung<br />

hat am Sitz des Verkäufers und somit in Deutschland zu erfolgen. Der Gerichtsstand<br />

ist also in Deutschland.<br />

67


Art. 57 CISG<br />

1 Ist der Käufer nicht verpflichtet, den Kaufpreis an einem anderen bestimmten Ort zu zahlen, so hat er<br />

ihn dem Verkäufer wie folgt zu zahlen:<br />

a) am Ort der Niederlassung des Verkäufers oder,<br />

b) wenn die Zahlung gegen Übergabe der Ware oder von Dokumenten zu leisten ist, an dem Ort,<br />

an dem die Übergabe stattfindet.<br />

2 Der Verkäufer hat alle mit der Zahlung zusammenhängenden Mehrkosten zu tragen, die durch einen<br />

Wechsel seiner Niederlassung nach Vertragsschluss entstehen.<br />

Beispiel 3<br />

Der Käufer will für die verspätete Lieferung Schadenersatz.<br />

Die Zuständigkeit richtet sich wiederum nach dem LugÜ. Da die Schadenersatzpflicht<br />

eine sekundäre Leistungspflicht ist, richtet sich der Gerichtsstand entsprechend der<br />

Hauptleistung und befindet sich somit wie bereits im Beispiel 1 erläutert in<br />

Deutschland.<br />

C. Anwendbares Recht<br />

I. Subjektive Anknüpfung: Rechtswahl<br />

1. Wirkungen und gesetzliche Bestimmungen<br />

Der Grundsatz der Privatautonomie gilt nicht nur bei der Zuständigkeit, sondern auch<br />

in Bezug auf die Frage des anwendbaren Rechts. Massgeblich ist diesbezüglich der<br />

Art. 116 IPRG.<br />

Art. 116 IPRG<br />

1 Der Vertrag untersteht dem von den Parteien gewählten Recht.<br />

2 Die Rechtswahl muss ausdrücklich sein oder sich eindeutig aus dem Vertrag oder aus den<br />

Umständen ergeben. Im übrigen untersteht sie dem gewählten Recht.<br />

3 Die Rechtswahl kann jederzeit getroffen oder geändert werden. Wird sie nach Vertragsabschluss<br />

getroffen oder geändert, so wirkt sie auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurück. Die Rechte<br />

Dritter sind vorbehalten.<br />

Eine Rechtswahl ist eine Vereinbarung zwischen den Parteien über das auf ihren<br />

Vertrag anwendbare Recht. Sie bestimmen in einer vertraglichen Abmachung das<br />

anwendbare Recht. Diese findet sich entweder im Vertrag selber oder in beigefügten<br />

AGB. Eine mögliche Formulierung wäre etwa: „…der Vertrag untersteht<br />

schweizerischem Recht…“.<br />

Die Rechtswahl ist unabhängig vom sonstigen Vertrag. Es handelt sich um eine<br />

selbständige Abmachung. Eine allfällige Ungültigkeit des Hauptvertrages berührt die<br />

Rechtswahl somit nicht. Diese hat trotzdem ihre Gültigkeit.<br />

Die Rechtswahl kann nur dadurch zu Fall gebracht werden, indem man<br />

beispielsweise argumentiert, ein Willensmangel betreffe ausdrücklich die<br />

Rechtswahl.<br />

68


Mittels Rechtswahl können im Grunde sämtliche Rechtsordnungen der Welt gewählt<br />

werden. Auch <strong>Teil</strong>rechtswahlen sind möglich, z.B. „…Ziffer 1 bis 5 des Vertrages<br />

unterstehen Schweizer Recht, der Rest dem deutschen…“.<br />

Andererseits ist es nicht möglich, ein nicht-staatliches Recht zu berufen. Der Vertrag<br />

kann beispielsweise nicht den Unidroit Principles of commercial law oder den FIFA-<br />

Statuten unterstellt werden. Diese können nur Vertragsbestandteil werden, die<br />

Bindung an das zwingende Recht bleibt trotzdem bestehen.<br />

Eine Rechtswahlklausel zugunsten eines staatlichen Rechts derogiert auch die<br />

zwingenden Vorschriften der derogierten Rechtsordnung.<br />

2. Entstehung einer Rechtswahl<br />

Für das Zustandekommen einer Rechtswahl bedarf es des Konsenses. Die Frage,<br />

ob Konsens vorliegt, richtet sich nach der lex causae, also nach dem im Vertrag<br />

gewählten und auf diesen anwendbare Recht (Art. 116 IPRG). Der Konsens muss<br />

ausdrücklich oder eindeutig sein. Die Rechtswahl muss also ausdrücklich erfolgen<br />

oder muss sich eindeutig aus dem Vertrag ergeben. Die Umstände müssen derart<br />

eindeutig sein, dass geradezu klar ist, dass keine der Parteien am Bestand einer<br />

Rechtswahl zweifeln konnte.<br />

Andererseits begründen weder Gerichtsstandsvereinbarung, Erfüllungsort noch eine<br />

Sprachenklausel eine Rechtswahl. Weiter kann eine Rechtswahl – im Gegensatz zur<br />

Gerichtsstandsklausel – jederzeit auch rückwirkend und formfrei getroffen werden<br />

(Art. 116 IPRG). Die Rechte Dritter werden davon nicht betroffen. Bereits<br />

entstandene Rechte Dritter werden von einer nachträglichen Änderung der<br />

Rechtswahlklausel nicht tangiert.<br />

II. Objektive Anknüpfungen<br />

Art. 117 IPRG<br />

1 Bei Fehlen einer Rechtswahl untersteht der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er am engsten<br />

zusammenhängt.<br />

2 Es wird vermutet, der engste Zusammenhang bestehe mit dem Staat, in dem die Partei, welche die<br />

charakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder, wenn sie den<br />

Vertrag aufgrund einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat, in dem sich ihre<br />

Niederlassung befindet.<br />

3 Als charakteristische Leistung gilt namentlich:<br />

a. bei Veräusserungsverträgen die Leistung des Veräusserers;<br />

b. bei Gebrauchsüberlassungsverträgen die Leistung der Partei, die eine Sache oder ein Recht<br />

zum Gebrauch überlässt;<br />

c. bei Auftrag, Werkvertrag und ähnlichen Dienstleistungsverträgen die Dienstleistung;<br />

d. bei Verwahrungsverträgen die Leistung des Verwahrers;<br />

e. bei Garantie- oder Bürgschaftsverträgen die Leistung des Garanten oder des Bürgen.<br />

Haben die Parteien keine oder keine wirksame Rechtswahlklausel getroffen, greifen<br />

die Vorschriften des Art. 117 Abs. 1 IPRG. Berufen wird das Recht des Staates, mit<br />

welchem der Vertrag am engsten zusammenhängt. Dieser engste Zusammenhang<br />

wird in Abs. 2 konkretisiert. Vermutungsweise gilt als Vertragsstatut das Recht am<br />

69


Wohnsitz der Partei, welche die charakteristische Leistung des Vertrages erbringen<br />

soll.<br />

Bei einseitigen Verträgen ist die vertragstypische Leistung offensichtlich, da nur eine<br />

Partei verpflichtet wird. Bei zweiseitigen Verträgen gilt gemäss Art. 117 Abs. 3 IPRG<br />

diejenige Leistung als vertragstypisch, welche der Geldleistung entgegensteht.<br />

Fehlt eine vertragstypische Leistung – beispielsweise beim Tausch – findet die<br />

allgemeine Auffangregel des Art. 117 Abs. 1 IPRG Anwendung. Berufen wird<br />

dasjenige Recht, welches mit dem Vertrag am engsten zusammenhängt. Diese<br />

Bestimmung kommt weiter als Auffangregel zum Zug für Fragen betreffend<br />

Konkubinat oder Aktionärsbindungsvertrag. Sie ist zudem lex specialis zu Art. 15<br />

IPRG, welcher ebenfalls das Recht mit dem engeren Zusammenhang beruft.<br />

D. Besondere Vertragsverhältnisse<br />

Für gewisse, bzw. besondere Vertragsverhältnisse sehen das IPRG und diverse<br />

Staatsverträge besondere Regelungen vor, welche als lex specialis den allgemeinen<br />

Regelungen vorgehen. Es handelt sich um:<br />

- Kaufverträge über bewegliche Sachen<br />

- Grundstückverträge (nicht: Grundstückkaufverträge)<br />

- Konsumentenverträge<br />

- Arbeitsverträge<br />

- Verträge über Immaterialgüterrechte<br />

- Sicherungsverträge<br />

Die Sonderregelungen können Fragen über die Zuständigkeit, das anwendbare<br />

Recht oder beides betreffen.<br />

I. Kauf von beweglichen Sachen<br />

1. Allgemeines<br />

Beim Kauf von beweglichen Sachen gibt es keine Sondervorschriften, welche die<br />

Zuständigkeit betreffen. Solche gibt es nur in Bezug auf das anwendbare Recht.<br />

Art. 118 IPRG<br />

1 Für den Kauf beweglicher körperlicher Sachen gilt das Haager Übereinkommen vom 15. Juni 1955<br />

betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen anzuwendende<br />

Recht.<br />

2 Artikel 120 ist vorbehalten.<br />

Art. 118 Abs. 1 IPRG verweist auf das Haager Kaufrechtsübereinkommen, ein erga<br />

omnes Staatsvertrag. Weiter sind unter Umständen die Vorschriften des CISG<br />

anwendbar, wenn ein grenzüberschreitender Kaufvertrag über bewegliche Sachen<br />

vorliegt.<br />

70


Das CISG ist materielles Einheitskaufsrecht. Es ist materielles Recht, welches direkt<br />

die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien regelt. Dagegen enthält das Haager<br />

Übereinkommen kollisionsrechtliche Regelungen (vgl. Art. 2 & 3 HaagÜ).<br />

Beide, sowohl das CISG als auch das HaagÜ, erfassen keine Konsumentenverträge.<br />

2. Verhältnis CISG vs. HaagÜ<br />

Art. 1 CISG<br />

1 Dieses Übereinkommen ist auf Kaufverträge über Waren zwischen Parteien anzuwenden, die ihre<br />

Niederlassung in verschiedenen Staaten haben<br />

a) wenn diese Staaten Vertragsstaaten sind oder<br />

b) wenn die Regeln des internationalen <strong>Privatrecht</strong>s zur Anwendung des Rechts eines<br />

Vertragsstaates führen.<br />

2 Die Tatsache, dass die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben, wird nicht<br />

berücksichtigt, wenn sie sich nicht aus dem Vertrag, aus früheren Geschäftsbeziehungen oder aus<br />

Verhandlungen oder Auskünften ergibt, die vor oder bei Vertragsabschluss zwischen den Parteien<br />

geführt oder von ihnen erteilt worden sind.<br />

3 Bei Anwendung dieses Übereinkommens wird weder berücksichtigt, welche Staatsangehörigkeit die<br />

Parteien haben, noch ob sie Kaufleute oder Nichtkaufleute sind oder ob der Vertrag handelsrechtlicher<br />

oder zivilrechtlicher Art ist.<br />

Das CISG findet unmittelbar Anwendung, wenn beide Vertragsparteien ihre<br />

Niederlassung in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Dies ergibt sich aus Art. 1<br />

Abs. 1 lit. a CISG.<br />

Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG ist die „kollisionsrechtliche Schleife“. Er bestimmt, dass das<br />

CISG dann zur Anwendung kommt, wenn die kollisionsrechtlichen Regelungen eines<br />

Staates auf das CISG verweisen. Es handelt sich um eine mittelbare Anwendung des<br />

CISG. Es kommt also nicht direkt zur Anwendung weil beispielsweise nicht beide<br />

Parteien ihre Niederlassung in einem Vertragsstaat haben, sondern die<br />

kollisionsrechtlichen Normen des massgeblichen Rechts verweisen auf das CISG.<br />

Gemäss Art. 95 CISG kann jedoch ein Staat einen Vorbehalt gegen die derartige<br />

Anwendung des CISG anbringen. Dies führt zur Anwendung des materiellen Rechts<br />

des betreffenden Staates.<br />

Beispiel<br />

Der Verkäufer ist Schweizer, der Käufer ist Engländer und angerufen sind die<br />

Schweizer Gerichte.<br />

Weil der Verkäufer als Erbringer der vertragstypischen Leistung seinen Sitz in der<br />

Schweiz hat, kommt Schweizer Recht zur Anwendung. Die Schweiz ist Mitgliedstaat<br />

des CISG, womit dieses zur Anwendung gelangt.<br />

Beispiel 2:<br />

Der Verkäufer ist Engländer, der Käufer ist Schweizer, das Schweizer Gericht ist<br />

zuständig. Es gilt das materielle Recht von England, da England nicht Vertragsstaat<br />

des CISG ist.<br />

Gemäss Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG kommt dieses zur Anwendung, wenn die<br />

internationalen Kollisionsregeln des auf den betreffenden Vertrag anwendbaren<br />

71


Rechts auf das CISG verweisen. Dieses Kollisionsrecht bestimmt sich nach dem<br />

Haager Übereinkommen.<br />

Sollte das CISG weiter eine Lücke aufweisen, bestimmt das Haager Übereinkommen<br />

dasjenige Recht, nach welchem diese Lücke zu schliessen ist.<br />

Eine Rechtswahl derogiert das CISG grundsätzlich nicht. Falls die Parteien die<br />

Anwendbarkeit des CISG ausschliessen wollen, müssen sie dies ausdrücklich tun.<br />

Dies ergibt sich aus Art. 6 CISG.<br />

Art. 6 CISG<br />

Die Parteien können die Anwendung dieses Übereinkommens ausschliessen oder, vorbehaltlich des<br />

Artikels 12, von seinen Bestimmungen abweichen oder deren Wirkung ändern.<br />

Wird in einer Rechtswahlklausel beispielsweise das Schweizer Recht berufen, ist das<br />

CISG darin als Bestandteil des Schweizer Rechts mit enthalten.<br />

II. Verträge über Grundstücke<br />

1. Zuständigkeit<br />

Art. 16 LugÜ<br />

Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschliesslich zuständig<br />

1. a) für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder<br />

Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des<br />

Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist,<br />

b) für Klagen betreffend die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum vorübergehenden<br />

privaten Gebrauch für höchstens sechs aufeinander folgende Monate sind jedoch auch<br />

die Gerichte des Vertragsstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat,<br />

sofern es sich bei dem Mieter oder Pächter um eine natürliche Person handelt und weder<br />

die eine noch die andere Partei ihren Wohnsitz in dem Vertragsstaat hat, in dem die<br />

unbewegliche Sache belegen ist;<br />

2. für Klagen, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder<br />

juristischen Person oder der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben, die Gerichte<br />

des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren<br />

Sitz hat;<br />

3. für Klagen, welche die Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register zum Gegenstand<br />

haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Register geführt werden;<br />

4. für Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Warenzeichen, Mustern<br />

und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen,<br />

zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die<br />

Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines<br />

zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt;<br />

5. für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben,<br />

die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung<br />

durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist.<br />

Art. 16 LugÜ begründet eine ausschliessliche Zuständigkeit. Nicht unter den<br />

Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen Kaufverträge sowie Streitigkeiten aus<br />

Miete oder Pacht von Grundstücken. In diesen Fällen sind die Gerichte am Ort der<br />

gelegenen Sache ausschliesslich zuständig. Eine Ausnahme hiervon bildet lit. b. Es<br />

handelt sich dabei um die sog. „Gran Canaria Klausel“ für Mietwohnungen.<br />

72


2. anwendbares Recht<br />

Art. 119 IPRG<br />

1 Verträge über Grundstücke oder deren Gebrauch unterstehen dem Recht des Staates, in dem sich<br />

die Grundstücke befinden.<br />

2 Eine Rechtswahl ist zulässig.<br />

3 Die Form untersteht dem Recht des Staates, in dem sich das Grundstück befindet, es sei denn,<br />

dieses Recht lasse die Anwendung eines anderen Rechts zu. Für ein Grundstück in der Schweiz<br />

richtet sich die Form nach schweizerischem Recht.<br />

Art. 119 IPRG regelt das anwendbare Recht in Bezug auf Verträge über<br />

Grundstücke. Gemeint sind sämtliche obligatorischen Verträge, welche eine<br />

Liegenschaft betreffen. Primär ist das gewählte Recht massgeblich (Art. 119 Abs. 2<br />

IPRG), sekundär das Recht am Lageort der Liegenschaft (Art. 119 Abs. 1 IPRG).<br />

Beispiel:<br />

Ein Schweizer kauft seinem Nachbarn dessen Liegenschaft in Spanien ab. Wählen<br />

die Parteien Schweizer Recht, ist Schweizer Recht anwendbar. Für die<br />

Formvorschriften gilt dennoch das spanische Recht, da die Rechtswahl bezüglich der<br />

Formvorschriften gemäss Art. 119 Abs. 3 IPRG keine Wirkungen zeigt.<br />

Eine Ausnahme hiervon ist nur möglich, wenn das spanische Recht eine Rechtswahl<br />

bezüglich der Form des Kaufvertrages zuliesse.<br />

Es ist jedoch umstritten, ob Art. 119 Abs. 3 IPRG eine Sachnormverweisung oder<br />

eine Gesamtverweisung ist. Gemäss Grolimund ist Art. 119 Abs. 3 IPRG sowohl<br />

Sachnorm- als auch Gesamtverweisung.<br />

III. Konsumentenverträge<br />

1. Zuständigkeit<br />

Die Zuständigkeit bei Konsumentenverträgen ist einerseits im LugÜ, andererseits im<br />

IPRG geregelt. Es sind dies die Art. 13 ff. LugÜ sowie der Art. 114 IPRG.<br />

Ein Sachverhalt fällt unter den Anwendungsbereich des LugÜ, wenn sich der<br />

Wohnsitz des Beklagten in einem Vertragsstaat befindet.<br />

Der Konsument hat die Wahlmöglichkeit, entweder an seinem Wohnsitz oder am<br />

Wohnsitz des Beklagten Klage einzureichen. Dies ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1<br />

LugÜ. Der Anbieter seinerseits kann gemäss Abs. 2 nur am Wohnsitz des Beklagten<br />

klagen.<br />

Art. 14 LugÜ<br />

Die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner kann entweder vor den Gerichten<br />

des Vertragsstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz<br />

hat, oder vor den Gerichten des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen<br />

Wohnsitz hat.<br />

Die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher kann nur vor den Gerichten des<br />

Vertragsstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.<br />

Diese Vorschriften lassen das Recht unberührt, eine Widerklage vor dem Gericht zu erheben, bei dem<br />

die Klage selbst gemäss den Bestimmungen dieses Abschnitts anhängig ist.<br />

73


In einem Konsumentenvertrag ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nur unter den<br />

Voraussetzungen des Art. 15 LugÜ möglich.<br />

Art. 15 LugÜ<br />

Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden,<br />

1. wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird;<br />

2. wenn sie dem Verbraucher die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt<br />

angeführten Gerichte anzurufen, oder<br />

3. wenn sie zwischen einem Verbraucher und seinem Vertragspartner getroffen ist, die zum<br />

Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in<br />

demselben Vertragsstaat haben, und die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates<br />

begründet, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung nach dem Recht dieses Staates nicht<br />

zulässig ist.<br />

Diese Bestimmung ist Ausfluss des Konsumentenschutzes und soll dem<br />

Konsumenten einen möglichst umfassenden Schutz gewährleisten.<br />

2. Anwendbares Recht<br />

Art. 120 IPRG<br />

1 Verträge über Leistungen des üblichen Verbrauchs, die für den persönlichen oder familiären<br />

Gebrauch des Konsumenten bestimmt sind und nicht im Zusammenhang mit der beruflichen oder<br />

gewerblichen Tätigkeit des Konsumenten stehen, unterstehen dem Recht des Staates, in dem der<br />

Konsument seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat:<br />

a. wenn der Anbieter die Bestellung in diesem Staat entgegengenommen hat;<br />

b. wenn in diesem Staat dem Vertragsabschluss ein Angebot oder eine Werbung<br />

vorausgegangen ist und der Konsument in diesem Staat die zum Vertragsabschluss<br />

erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen hat, oder<br />

c. wenn der Anbieter den Konsumenten veranlasst hat, sich ins Ausland zu begeben und seine<br />

Bestellung dort abzugeben.<br />

2 Eine Rechtswahl ist ausgeschlossen.<br />

Grundsätzlich wird das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Konsumenten<br />

berufen. Dies ist eine Abweichung zu 117 IPRG, welcher normalerweise das Recht<br />

der vertragstypischen Leistung und somit das Recht am Sitz des Anbieters berufen<br />

würde. Weiter ist gemäss Abs. 2 eine Rechtswahl ausgeschlossen.<br />

Auch dies sind Grundsätze des Konsumentenschutzes.<br />

3. was ist ein Konsumentenvertrag?<br />

Der Konsumentenvertrag ist durch verschiedene Merkmale gekennzeichnet: Diese<br />

ergeben sich aus Art. 120 IPRG.<br />

a. Der Anbieter verfolgt einen gewerblichen, beruflichen Zweck<br />

b. Der Nachfrager seinerseits verfolgt einen privaten Zweck<br />

c. Die Ware dient dem üblichen Verbrauch (a. A. BGE 132 III 268)<br />

Ein internationaler Konsumentenvertrag liegt vor, wenn die sog. Schlüsselreize der<br />

lit. a bis c gegeben sind.<br />

74


4. Sonderfragen Internet<br />

Nach herrschender Lehre ist Litera b massgeblich. Ein Kaufvertrag im Internet gilt<br />

dann als Konsumentenvertrag, wenn die Tätigkeit auf den betreffenden Staat<br />

ausgerichtet gewesen ist. Zur Beurteilung gibt es grundsätzlich drei Kriterien:<br />

- Sprache<br />

- Inhalt<br />

- Länderangabe<br />

Gemäss Grolimund hat der Konsumentenschutz immer Vorrang. Auch wenn sich ein<br />

Angebot nur auf einzelne, separat genannte Staaten richtet, sollen Konsumenten aus<br />

den übrigen Staaten ebenfalls immer geschützt sein.<br />

IV. Arbeitsverträge<br />

1. Zuständigkeit<br />

a. allgemeine Zuständigkeit<br />

Art. 5 LugÜ<br />

Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem<br />

anderen Vertragsstaat verklagt werden,<br />

1. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden,<br />

vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;<br />

wenn ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag<br />

den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer<br />

gewöhnlich seine Arbeit verrichtet; verrichtet der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht<br />

in ein und demselben Staat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die Niederlassung<br />

befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat;<br />

2. wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem der<br />

Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder im<br />

Falle einer Unterhaltssache, über die im Zusammenhang mit einem Verfahren in Bezug auf<br />

den Personenstand zu entscheiden ist, vor dem nach seinem Recht für dieses Verfahren<br />

zuständigen Gericht, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht lediglich auf der<br />

Staatsangehörigkeit einer der Parteien;<br />

3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung<br />

gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des<br />

Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten<br />

ist;<br />

4. wenn es sich um eine Klage auf Schadenersatz oder auf Wiederherstellung des früheren<br />

Zustands handelt, die auf eine mit Strafe bedrohte Handlung gestützt wird, vor dem<br />

Strafgericht, bei dem die öffentliche Klage erhoben ist, soweit dieses Gericht nach seinem<br />

Recht über zivilrechtliche Ansprüche erkennen kann;<br />

5. wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder<br />

einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese<br />

befindet;<br />

6. wenn sie in ihrer Eigenschaft als Begründer, «trustee» oder Begünstigter eines «trust» in<br />

Anspruch genommen wird, der aufgrund eines Gesetzes oder durch schriftlich<br />

vorgenommenes oder schriftlich bestätigtes Rechtsgeschäft errichtet worden ist, vor den<br />

Gerichten des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der «trust» seinen Sitz hat;<br />

7. wenn es sich um eine Streitigkeit wegen der Zahlung von Berge- und Hilfslohn handelt, der für<br />

Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten gefordert wird, die zugunsten einer Ladung oder einer<br />

Frachtforderung erbracht worden sind, vor dem Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich<br />

diese Ladung oder die entsprechende Frachtforderung<br />

a) mit Arrest belegt worden ist, um die Zahlung zu gewährleisten, oder<br />

75


) mit Arrest hätte belegt werden können, jedoch dafür eine Bürgschaft oder eine andere<br />

Sicherheit geleistet worden ist;<br />

diese Vorschrift ist nur anzuwenden, wenn behauptet wird, dass der Beklagte Rechte an der<br />

Ladung oder an der Frachtforderung hat oder zur Zeit der Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten<br />

hatte.<br />

Art. 115 IPRG<br />

1 Für Klagen aus Arbeitsvertrag sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten oder<br />

am Ort zuständig, wo der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.<br />

2 Für Klagen des Arbeitnehmers sind überdies die schweizerischen Gerichte an seinem Wohnsitz oder<br />

an seinem gewöhnlichen Aufenthalt zuständig.<br />

3 Für Klagen bezüglich der auf die Arbeitsleistung anzuwendenden Arbeits- und Lohnbedingungen<br />

sind zudem die Schweizer Gerichte am Ort zuständig, an den der Arbeitnehmer für einen begrenzten<br />

Zeitraum und zur Verrichtung auch nur eines <strong>Teil</strong>s seiner Arbeit aus dem Ausland entsandt worden ist.<br />

Die Zuständigkeit bei Arbeitsverträgen ergibt sich aus Art. 5 Ziff. 1 LugÜ bzw. 115<br />

IPRG. Weitere Zuständigkeiten finden sich in den Art. 2 Abs. 1 sowie 17 Ziff. 5 LugÜ.<br />

Geklagt werden kann somit am Wohnsitz des Beklagten. Dies ergibt sich aus dem<br />

allgemeinen Grundsatz. Zudem kann alternativ am gewöhnlichen Arbeitsort geklagt<br />

werden.<br />

b. Gerichtsstandsvereinbarung<br />

Gemäss Art. 17 Ziff. 5 LugÜ haben Gerichtsstandsvereinbarungen bei<br />

arbeitsrechtlichen Streitigkeiten nur dann eine Wirkung, wenn sie nach Entstehen der<br />

Streitigkeit getroffen worden sind.<br />

Das IPRG sieht keine ähnliche Bestimmung vor. Im Anwendungsbereich des IPRG<br />

ist eine Gerichtsstandsvereinbarung also möglich. Das berufene Gericht muss dies<br />

zulassen.<br />

2. Anwendbares Recht<br />

a. IPRG<br />

Art. 121 IPRG<br />

1 Der Arbeitsvertrag untersteht dem Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine<br />

Arbeit verrichtet.<br />

2 Verrichtet der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich in mehreren Staaten, so untersteht der<br />

Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung oder, wenn eine solche fehlt,<br />

der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des Arbeitgebers befindet.<br />

3 Die Parteien können den Arbeitsvertrag dem Recht des Staates unterstellen, in dem der<br />

Arbeitnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem der Arbeitgeber seine Niederlassung,<br />

seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.<br />

Grundsätzlich gilt das Recht des gewöhnlichen Arbeitsortes. Hat der Arbeitnehmer<br />

keinen gewöhnlichen Arbeitsort, ist der Ort der Niederlassung des Arbeitgebers<br />

massgeblich. Eine Rechtswahl ist zugunsten des Rechts am gewöhnlichen<br />

Aufenthaltsort des Arbeitnehmers, bzw. am Ort der Niederlassung oder Wohnsitz des<br />

Arbeitgebers möglich.<br />

76


. Römer Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse<br />

anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980<br />

In der EU und ihren Mitgliedstaaten gilt für das Schuldvertragsrecht ein<br />

Staatsvertrag: Das Römer Schuldvertragsübereinkommen.<br />

V. gemeinsame Bestimmungen über Verträge<br />

1. Schweigen auf einen Antrag (Art. 123 IPRG)<br />

Art. 123 IPRG<br />

Schweigt eine Partei auf einen Antrag zum Abschluss eines Vertrages, so kann sie sich für die<br />

Wirkungen des Schweigens auf das Recht des Staates berufen, in dem sie ihren gewöhnlichen<br />

Aufenthalt hat.<br />

Art. 123 IPRG betrifft das Schweigen auf einen Antrag. Es handelt sich um eine ganz<br />

spezifische Fragestellung. Im Schweizer materiellen Recht ist in Art. 6 OR der<br />

Grundsatz des quis tacet non considere videtur (wer schweigt, scheint nicht<br />

zuzustimmen) geregelt. Wer auf einen Antrag schweigt, bringt keinen Vertrag<br />

zustande.<br />

Schweigt im internationalen Verhältnis eine Partei auf eine Offerte, kann sie sich auf<br />

diejenigen Wirkungen berufen, welche das Recht am Ort ihres gewöhnlichen<br />

Aufenthaltes vorsieht.<br />

2. Form von Verträgen (Art. 124 IPRG)<br />

Art. 124 IPRG<br />

1 Der Vertrag ist formgültig, wenn er dem auf den Vertrag anwendbaren Recht oder dem Recht am<br />

Abschlussort entspricht.<br />

2 Befinden sich die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in verschiedenen Staaten, so<br />

genügt es, wenn die Form dem Recht eines dieser Staaten entspricht.<br />

3 Schreibt das auf den Vertrag anwendbare Recht die Beachtung einer Form zum Schutz einer Partei<br />

vor, so richtet sich die Formgültigkeit ausschliesslich nach diesem Recht, es sei denn, dieses lasse<br />

die Anwendung eines anderen Rechts zu.<br />

Ob ein Vertrag formgültig ist, bestimmt entweder das Recht am Abschlussort oder<br />

dasjenige, welches die Parteien im Vertrag berufen. Der Grundsatz, welcher dahinter<br />

steht, ist ein materiellrechtlicher: Der IPR Gesetzgeber möchte Verträge möglichst<br />

nicht an einem Formmangel scheitern lassen. Der Vertrag muss entweder die Form<br />

des Vertragsstatutes oder des Rechts am Abschlussort einhalten.<br />

Weiter werden die Formvorschriften nochmals erweitert: Befinden sich die Parteien in<br />

verschiedenen Staaten, hat der Vertrag nur den Formvorschriften eines der beiden<br />

Staaten zu genügen.<br />

Zu beachten sind schliesslich Schutzvorschriften zugunsten einer Partei.<br />

77


3. Erfüllungs- und Untersuchungsmodalitäten (Art. 125 IPRG)<br />

Art. 125 IPRG<br />

Erfüllungs- und Untersuchungsmodalitäten unterstehen dem Recht des Staates, in dem sie tatsächlich<br />

erfolgen.<br />

Im Rahmen des Art. 125 IPRG geht es vor allem um Vorschriften über<br />

Öffnungszeiten. Beispielsweise in Spanien sind die Läden teilweise bis um 01:00 Uhr<br />

geöffnet. Eine Erfüllung ist also bis um diese späte Uhrzeit möglich.<br />

4. In der Praxis wichtig: Stellvertretung (Art. 126 IPRG)<br />

Art. 126 IPRG<br />

1 Bei rechtsgeschäftlicher Vertretung untersteht das Verhältnis zwischen dem Vertretenen und dem<br />

Vertreter dem auf ihren Vertrag anwendbaren Recht.<br />

2 Die Voraussetzungen, unter denen eine Handlung des Vertreters den Vertretenen gegenüber dem<br />

Dritten verpflichtet, unterstehen dem Recht des Staates, in dem der Vertreter seine Niederlassung hat<br />

oder, wenn eine solche fehlt oder für den Dritten nicht erkennbar ist, dem Recht des Staates, in dem<br />

der Vertreter im Einzelfall hauptsächlich handelt.<br />

3 Steht der Vertreter in einem Arbeitsverhältnis zum Vertretenen und besitzt er keine eigene<br />

Geschäftsniederlassung, so befindet sich der Ort seiner Niederlassung am Sitz des Vertretenen.<br />

4 Das nach Absatz 2 anwendbare Recht gilt auch für das Verhältnis zwischen dem nicht ermächtigten<br />

Vertreter und dem Dritten.<br />

Die Stellvertretung nach Art. 126 IPRG unterscheidet drei Personen:<br />

- Geschäftsherr<br />

- Stellvertreter<br />

- Dritter<br />

a. Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Stellvertreter<br />

Zwischen dem Geschäftsherrn und dem Stellvertreter besteht ein<br />

Bevollmächtigungsverhältnis. Dieses untersteht dem Recht, welches auf den Vertrag<br />

anwendbar ist. Art. 126 Abs. 1 IPRG knüpft damit an die Bestimmungen der Art. 116<br />

und 117 IPRG an.<br />

b. Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Drittem<br />

Ob der Geschäftsherr gegenüber einem Dritten verpflichtet wird, richtet sich gemäss<br />

Abs. 2 nach dem Recht des Staates, in welchem der Vertreter seine Niederlassung<br />

hat. Hat der Vertreter keine Niederlassung oder ist diese dem Dritten nicht<br />

erkennbar, ist derjenige Staat massgeblich, in welchem der Stellvertreter<br />

hauptsächlich handelt.<br />

Ausserdem bestimmt Abs. 3, dass falls der Vertretene keine Niederlassung haben<br />

sollte und der Vertreter sein Arbeitnehmer ist, der Ort der Niederlassung des<br />

Vertreters massgeblich ist. Der Dritte muss dabei jedoch erkennen können, dass der<br />

Vertreter in einem Arbeitsverhältnis zum Vertretenen steht.<br />

78


c. Falsus procurator<br />

Fehlt eine Vollmacht und kommt deshalb zwischen Drittem und Vertretenem kein<br />

Vertrag zustande, richten sich allfällige Schadenersatzansprüche nach dem Recht,<br />

unter welchem auch die Vollmacht steht.<br />

E. Fall 7<br />

Sachverhalt 7<br />

Die spanische Kunsthändlerin F hat dem Basler Museum A für die Zwecke einer<br />

Ausstellung 8 antike Tonvasen zur Verfügung gestellt. Beim Auspacken der Vasen<br />

fällt dem Angestellten X das Paket mit den Vasen aus der Hand, wobei alle 8 Vasen<br />

auf dem Boden zerschellen.<br />

Kunsthändlerin F verlangt € 400'000.00 Schadenersatz.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

1. 4-W-Frage<br />

F will Schadenersatz von A, wegen Vertragsverletzung des Leihvertrages.<br />

2. Internationaler Sachverhalt<br />

Ein Sachverhalt ist international, wenn die relevanten Anknüpfungsmerkmale<br />

einen Auslandsbezug aufweisen. Für das internationale Vertragsrecht sind die<br />

relevanten Anknüpfungsmerkmale in den Art. 112 ff. IPRG geregelt.<br />

3. Relevante Fragestellungen<br />

a. Zuständigkeit<br />

Da jedes Gericht sein eigenes Kollisionsrecht anwendet, ist vorerst zu<br />

prüfen, welches Gericht überhaupt zuständig ist. Steht dieses fest, ist<br />

das anwendbare Recht zu bestimmen.<br />

Als erstes stellt sich die Frage, ob ein Staatsvertrag Anwendung findet.<br />

Dies ergibt sich aus Art. 1 Abs. 2 IPRG.<br />

In casu ist die Anwendbarkeit des LugÜ zu prüfen.<br />

Grundsätzlich ist das LugÜ anwendbar, wenn der Beklagte in einem<br />

Vertragsstaat wohnt. In casu ist dies Basel. Das LugÜ ist somit<br />

räumlich-persönlich anwendbar.<br />

Gemäss Art. 2 Abs. 1 LugÜ ist es möglich, an einem Gericht des<br />

Wohnsitzstaates des Beklagten Klage zu erheben.<br />

Art. 2 LugÜ<br />

Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren<br />

Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre<br />

Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen.<br />

Auf Personen, die nicht dem Staat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, angehören, sind<br />

die für Inländer massgebenden Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden.<br />

79


Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 112 IPRG:<br />

Art. 112 IPRG<br />

1 Für Klagen aus Vertrag sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des<br />

Beklagten oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen an seinem gewöhnlichen Aufenthalt<br />

zuständig.<br />

2 Für Klagen aufgrund der Tätigkeit einer Niederlassung in der Schweiz sind überdies<br />

die Gerichte am Ort der Niederlassung zuständig.<br />

Somit gelangt man über Art. 2 LugÜ und 112 IPRG zum Wohnsitz des<br />

Beklagten als Klageort: Zuständig ist also ein Basler Gericht.<br />

Die Spanische Klägerin will aber nicht nach Basel kommen. Sie hat nun<br />

die Möglichkeit, eine Gerichtsstandsvereinbarung mit A zu treffen. Auf<br />

Fragen betreffend Gültigkeit und Wirkung dieser Gerichtsstandsvereinbarung<br />

würde Art. 17 LugÜ Anwendung finden.<br />

Sie hat auch die Möglichkeit, in Spanien zu klagen und auf die<br />

Einlassung des A zu hoffen.<br />

Eine letzte Möglichkeit wäre der Gerichtsstand am vertraglichen<br />

Erfüllungsort. Dieser ist in Art. 5 Ziff. 1 LugÜ geregelt. Massgeblich ist<br />

die Hauptleistungspflicht, welche der Kläger geltend macht.<br />

In casu ist dies die Rückgabe der Vasen. Der Erfüllungsort ist somit der<br />

Ort, an welchem die Vasen zurückgegeben werden müssen.<br />

Im Anwendungsbereich des LugÜ bestimmt sich der Erfüllungsort nach<br />

dem auf den Vertrag anwendbaren Recht, also nach der lex causae.<br />

Das Spanische Gericht wird diese Frage nach seinem Recht, also nach<br />

seinem IPRG beantworten. Dieses wird auf den in allen EU Staaten<br />

massgeblichen Staatsvertrag, auf das Römer Übereinkommen über das<br />

auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht verweisen.<br />

Die Absätze 1 und 2 des Art. 4 dieses Übereinkommens verweisen in<br />

Fällen, in welchen keine Rechtswahl getroffen wurde auf das Recht,<br />

welches mit dem Vertrag am engsten zusammenhängt. Es wird<br />

vermutet, dass der Vertrag mit dem Recht des Staates die engste<br />

Verbindung aufweist, in welchem die Partei, welche zur Erbringung der<br />

vertragstypischen Leitung verpflichtet ist, ihren Wohnsitz hat.<br />

Die vertragstypische Leistung ist in casu die Ausleihe. Diese wurde von<br />

der Kunsthändlerin F erbracht, was zur Anwendung des spanischen<br />

Rechts führt.<br />

Es ist also nach spanischem, materiellem Recht zu bestimmen, wo der<br />

Erfüllungsort in casu ist. Der Erfüllungsort ist der Ort, an welchem die<br />

Vasen zurückgegeben werden müssen. Die Rückgabe ist eine<br />

Holschuld. Die Kunsthändlerin muss die Vasen zurückholen und somit<br />

nach Basel reisen. Sie hat keinen Erfüllungsort in Spanien, sondern nur<br />

in Basel. Zuständig sind somit die Schweizer Gerichte und es ist in<br />

Basel zu klagen.<br />

b. anwendbares Recht<br />

Art. 117 IPRG verweist auf das spanische Recht, welches in casu<br />

anwendbar ist.<br />

80


§ 7 INTERNATIONALES BEREICHERUNGSRECHT<br />

A. Gegenstand<br />

Im Bereicherungsrecht werden drei Typen von Kondiktionen unterschieden:<br />

- Eingriffskondiktion<br />

- Zufallskondiktion<br />

- Leistungskondiktion<br />

o condictio ob causa futuram<br />

o condictio ob causa finitam<br />

o condictio sine causa<br />

B. Zuständigkeit<br />

I. Allgemeines<br />

Grundsätzlich gilt auch im Bereicherungsrecht der Gerichtsstand am Wohnsitz des<br />

Beklagten gemäss Art. 2 Abs. 1 LugÜ. Es gibt grundsätzlich keine besondere<br />

Zuständigkeit im Bereicherungsrecht.<br />

Im Anwendungsbereich des IPRG ergibt sich die Zuständigkeit aus Art. 127 IPRG.<br />

Art. 127 IPRG<br />

Für Klagen aus ungerechtfertigter Bereicherung sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des<br />

Beklagten oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen an seinem gewöhnlichen Aufenthalt oder am Ort<br />

seiner Niederlassung zuständig.<br />

II. Sonderfrage: vertragliche Rückabwicklung<br />

Bei einem vertraglichen Rückabwicklungsverhältnis ist dem materiellen Recht<br />

vorzugreifen und die Klage der Rückabwicklung gemäss Art. 2 Abs. 1 oder Art. 5 Ziff.<br />

1 LugÜ am Wohnort des Beklagten einzureichen. Es handelt sich dabei um einen<br />

vertraglichen Anspruch und nicht um einen Bereicherungs- oder Deliktsanspruch.<br />

Im IPRG muss wohl nach der lex fori bestimmt werden, ob es sich um eine<br />

vertragliche oder ausservertragliche Rückabwicklung handelt. Das IPRG selber kennt<br />

keine konkrete Lösung für dieses Problem.<br />

81


C. Anwendbares Recht<br />

Art. 128 IPRG<br />

1 Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung unterstehen dem Recht, dem das bestehende oder<br />

das vermeintliche Rechtsverhältnis unterstellt ist, aufgrund dessen die Bereicherung stattgefunden<br />

hat.<br />

2 Besteht kein Rechtsverhältnis, so unterstehen die Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung<br />

dem Recht des Staates, in dem die Bereicherung eingetreten ist; die Parteien können vereinbaren,<br />

dass das Recht am Gerichtsort anzuwenden ist.<br />

Bezüglich der Leistungskondiktion knüpft Art. 128 Abs. 1 IPRG an das vermeintliche<br />

Rechtsverhältnis an, beispielsweise an die Art. 116 ff. IPRG. Macht also eine Partei<br />

einen Willensmangel geltend bezüglich eines Vertrages, richten sich die<br />

Rückforderungsansprüche nach dem Recht, welchem der vermeintliche Vertrag<br />

unterstanden hätte.<br />

Im Falle einer Zufalls- bzw. Eingriffskondiktion wird grundsätzlich objektiv<br />

angeknüpft. Die Rückforderung richtet sich primär nach dem Recht an dem Ort, an<br />

welchem die Bereicherung eingetreten ist. Dies kann beispielsweise am Ort der<br />

Niederlassung der kontoführenden Bank geschehen sein. Die Parteien haben weiter<br />

die Möglichkeit, das Recht am Gerichtsort zu wählen. Beides ergibt sich aus Art. 128<br />

Abs. 2 IPRG.<br />

82


§ 8 INTERNATIONALES DELIKTSRECHT<br />

A. Gegenstand<br />

Gegenstand des internationalen Deliktsrechts sind die Ansprüche aus<br />

ausservertraglicher Schädigung.<br />

B. Zuständigkeit<br />

I. Allgemeines<br />

Im Anwendungsbereich des LugÜ richtet sich die Zuständigkeit wiederum nach Art. 2<br />

Abs. 1 sowie zusätzlich nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ. Im IPRG ist der Art. 129<br />

massgeblich. Der grundsätzliche Gerichtsstand ist am Wohnsitz des Beklagten, ein<br />

zusätzlicher befindet sich jeweils am Deliktsort (nach IPRG subsidiär; nach LugÜ<br />

alternativ).<br />

Art. 129 IPRG<br />

1 Für Klagen aus unerlaubter Handlung sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des<br />

Beklagten oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen an seinem gewöhnlichen Aufenthalt oder am Ort<br />

seiner Niederlassung zuständig.<br />

2 Hat der Beklagte weder Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, noch eine Niederlassung in der<br />

Schweiz, so kann beim schweizerischen Gericht am Handlungs- oder am Erfolgsort geklagt werden.<br />

3 Können mehrere Beklagte in der Schweiz belangt werden und stützen sich die Ansprüche im<br />

wesentlichen auf die gleichen Tatsachen und Rechtsgründe, so kann bei jedem zuständigen Richter<br />

gegen alle geklagt werden; der zuerst angerufene Richter ist ausschliesslich zuständig.<br />

Gemäss Art. 129 Abs. 2 IPRG ist der Deliktsort jeweils Handlungs- und Erfolgsort.<br />

Der Handlungsort wird definiert als Ort, an welchem die wesentliche Handlung,<br />

welche zum Erfolg geführt hat, stattgefunden hat. Der Erfolgsort seinerseits<br />

kennzeichnet sich als Ort des ersten Eingriffs in das verletzte Rechtsgut.<br />

Unbeachtlich ist dabei ein allfälliger Schadensort. Dieser wäre der Ort, an welchem<br />

sich allfällige Folgeschäden zeigen.<br />

Beispiel<br />

Der Schweizer Feriengast liegt in der Karibik im Schatten einer Palme. Von dieser<br />

fällt ihm eine Kokosnuss auf den Kopf. Zurück in der Schweiz geht er ins Spital, wo<br />

er behandelt wird.<br />

Der Handlungsort liegt auf der Palme, beim Lösen der Nuss. Der Erfolgsort ist unter<br />

der Palme im Sand, wo die Nuss auf den Kopf trifft. Der Schadensort liegt im Spital,<br />

wo die Kosten entstehen.<br />

Umstritten ist die Beurteilung von reinen Vermögensschäden. Gemäss Grolimund<br />

gibt es bei reinen Vermögensschäden keinen Erfolgsort. Das Bundesgericht ist<br />

allerdings anderer Meinung.<br />

83


II. Multi-State-Delikte<br />

Prinzessin Caroline von Monaco wurde von einer deutschen Zeitung in ihrer Ehre<br />

verletzt und hat diese Zeitung in Frankreich auf Schadenersatz verklagt. Sie konnte<br />

dort jedoch nur den Schaden geltend machen, welcher ihr in Frankreich entstand. Es<br />

gab somit keine Möglichkeit, den Schaden ausserhalb dieses Staates zu ersetzen.<br />

Die ganze Schadenssumme kann nur am Wohnsitz des Beklagten eingeklagt<br />

werden, während in einem bestimmten Staat nur der entsprechende Bruchteil<br />

gefordert werden kann.<br />

Daraus entstand die sog. Mosaik-Theorie des EuGH. Diese betrifft die sog.<br />

Streudelikte. Dabei entstehen in mehreren Staaten Erfolgsorte, was zu mehreren<br />

Zuständigkeiten führt. Die Entscheidung des EuGH wurde oben bereits<br />

vorweggenommen. Am Deliktsort kann also nur der innerstaatliche Schaden geltend<br />

gemacht werden. Der weltweite Schaden kann nur am Wohnsitz des Beklagten<br />

geltend gemacht werden. Dafür ist für die <strong>Teil</strong>schäden ein Forum-shopping möglich.<br />

C. Anwendbares Recht<br />

Das anwendbare Recht ergibt sich aus den Art. 132 ff. IPRG.<br />

Ähnlich wie bei den Verträgen, ist auch hier zwischen allgemeinen und den<br />

Sonderdelikten zu unterscheiden.<br />

Art. 132<br />

Die Parteien können nach Eintritt des schädigenden Ereignisses stets vereinbaren, dass das Recht<br />

am Gerichtsort anzuwenden ist.<br />

Als primäre Anknüpfung gilt gemäss Art. 132 IPRG eine kaum je anzutreffende, nur<br />

sehr begrenzt mögliche Rechtswahl der Parteien. Sie können das Recht am<br />

Gerichtsort berufen.<br />

Art. 133 IPRG<br />

1 Haben Schädiger und Geschädigter ihren gewöhnlichen Aufenthalt im gleichen Staat, so unterstehen<br />

Ansprüche aus unerlaubter Handlung dem Recht dieses Staates.<br />

2 Haben Schädiger und Geschädigter ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im gleichen Staat, so ist das<br />

Recht des Staates anzuwenden, in dem die unerlaubte Handlung begangen worden ist. Tritt der Erfolg<br />

nicht in dem Staat ein, in dem die unerlaubte Handlung begangen worden ist, so ist das Recht des<br />

Staates anzuwenden, in dem der Erfolg eintritt, wenn der Schädiger mit dem Eintritt des Erfolges in<br />

diesem Staat rechnen musste.<br />

3 Wird durch eine unerlaubte Handlung ein zwischen Schädiger und Geschädigtem bestehendes<br />

Rechtsverhältnis verletzt, so unterstehen Ansprüche aus unerlaubter Handlung, ungeachtet der<br />

Absätze 1 und 2, dem Recht, dem das vorbestehende Rechtsverhältnis unterstellt ist.<br />

Haben die Parteien nichts vereinbart, wird akzessorisch an das bestehende<br />

Rechtsverhältnis angeknüpft. Dies ist meistens ein Verhältnis gemäss den Art. 116 ff.<br />

IPRG).<br />

84


Es ist also zuerst zu prüfen, ob eine Rechtswahl getroffen wurde. Ist dies nicht der<br />

Fall, ist als nächstes zu Fragen, ob ein vertragliches Verhältnis besteht. Kann dies<br />

bejaht werden, richten sich auch die deliktischen Ansprüche gemäss Art. 133 Abs. 3<br />

IPRG nach dem Recht, welches auf das Vertragsverhältnis anwendbar ist.<br />

Liegt kein vertragliches Verhältnis vor, gilt Art. 133 Abs. 1 IPRG. Haben Schädiger<br />

und Geschädigter ihren Aufenthalt im gleichen Staat, gilt das Recht dieses Staates.<br />

Das klassische Beispiel sind zwei Schweizer Skifahrer, welche in den französischen<br />

Alpen zusammenstossen. Die Schadenersatzansprüche richten sich nach<br />

französischem Recht.<br />

Abs. 2 regelt die Situation, bei welcher die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt in<br />

verschiedenen Staaten haben. In diesem Fall ist der Erfolgsort massgeblich (Art. 133<br />

Abs. 2 Variante 2). Subsidiär wird das Recht am Handlungsort berufen.<br />

D. Besondere Delikte<br />

Die besonderen Delikte sind in den Art. 134 - 139 IPRG geregelt. Es handelt sich um<br />

Delikte aus den folgenden Bereichen:<br />

- Strassenverkehr (Art. 134 IPRG)<br />

- Produktemängel (Art. 135 IPRG)<br />

- Unlauterer Wettbewerb (Art. 136 IPRG)<br />

- Wettbewerbsbehinderung (Art. 137 IPRG)<br />

- Schäden aus Immissionen (Art. 138 IPRG)<br />

- Persönlichkeitsverletzung (Art. 139 IPRG)<br />

I. Strassenverkehrsdelikte<br />

Art. 134 IPRG<br />

Für Ansprüche aus Strassenverkehrsunfällen gilt das Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über<br />

das auf Strassenverkehrsunfälle anwendbare Recht.<br />

Art. 134 IPRG verweist auf das Haager Übereinkommen über das auf<br />

Strassenverkehrsunfälle anwendbare Recht. Da das IPRG auf den Staatsvertrag<br />

explizit verweist, handelt es sich bei diesem um einen erga-omnes Staatsvertrag.<br />

Der sachliche Anwendungsbereich des HaagÜ ergibt sich aus Art. 2 HaagÜ. Es geht<br />

dabei insbesondere nicht um Regeress- und Versicherungsansprüche.<br />

Dafür bestehen sowohl ein Direktanspruch gegen die Haftpflichtversicherung als<br />

auch ein direkter Schadensausgleich.<br />

Grundsätzlich wird gemäss Art. 3 HaagÜ das Recht am Unfallort berufen.<br />

Ausnahmsweise ist das Recht des Zulassungsstaates (Art. 4a) anwendbar.<br />

85


Eine weitere Frage betrifft die Direktansprüche gegen die Haftpflichtversicherung.<br />

Dieser ist in Art. 9 des Staatsvertrages geregelt. Bei einem Autounfall geht man nie<br />

auf den Fahrer los, sondern jeweils direkt auf dessen Haftpflichtversicherung.<br />

II. Produktemängel<br />

Art. 135 IPRG<br />

1 Ansprüche aus Mängeln oder mangelhafter Beschreibung eines Produktes unterstehen nach Wahl<br />

des Geschädigten:<br />

a. dem Recht des Staates, in dem der Schädiger seine Niederlassung oder, wenn eine solche<br />

fehlt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder<br />

b. dem Recht des Staates, in dem das Produkt erworben worden ist, sofern der Schädiger nicht<br />

nachweist, dass es in diesem Staat ohne sein Einverständnis in den Handel gelangt ist.<br />

2 Unterstehen Ansprüche aus Mängeln oder mangelhafter Beschreibung eines Produktes<br />

ausländischem Recht, so können in der Schweiz keine weitergehenden Leistungen zugesprochen<br />

werden, als nach schweizerischem Recht für einen solchen Schaden zuzusprechen wären.<br />

Artikel 135 IPRG regelt die Ansprüche aus der Haftung für ein fehlerhaftes Produkt<br />

oder eine fehlerhafte Information.<br />

Diese Bestimmung ist kollisionsrechtlich das Dach zu einem materiellrechtlichen<br />

Sondergesetz im OR, zum Produktehaftpflichtgesetz (PrHG).<br />

Grundsätzlich stellt sich die Frage, wer überhaupt Ansprüche geltend machen kann.<br />

Art. 135 IPRG spricht vom Geschädigten. Dieser ist jedoch beispielsweise vom<br />

Erwerber zu unterscheiden. Es geht jedoch nicht nur um den Käufer, sondern um<br />

einen weiten Personenkreis, also um alle Geschädigten, welche von einem<br />

mangelhaften Produkt betroffen sind.<br />

Der Geschädigte hat gemäss Abs. 1 zwei Wahlrechte: Er kann nach lit. a das<br />

Herstellerrecht oder nach lit. b das Recht am Erwerbsort wählen, sofern dieses<br />

Recht, bzw. der Erwerbsort für den Hersteller vorhersehbar gewesen ist.<br />

Massgeblich ist also der letzte Veräusserungsort und es ist zu prüfen, ob dieser Ort<br />

für den Hersteller vorhersehbar war. Es handelt sich dann um den letzten Erwerbsort<br />

der offiziellen Vertriebskette.<br />

Sollte der Geschädigte sein Wahlrecht nicht ausüben, stellt sich die Frage nach dem<br />

anwendbaren Recht. Diese Frage wurde noch nicht abschliessend beantwortet.<br />

Grundsätzlich gilt der Grundsatz des iura novit curia: Das Gericht wendet das Recht<br />

von Amtes wegen an. Er hat in diesem Fall nach den allgemeinen Vorschriften des<br />

Art. 133 IPRG vorzugehen.<br />

Art. 135 Abs. 2 IPRG ist die so genannte „lex americana“. Ausgeschlossen werden<br />

damit die punitive damages des englischen Rechtskreises. Fragen der punitive<br />

damages werden meistens im Zusammenhang mit dem Ordre public behandelt.<br />

Einerseits wird ein solcher Strafschadenersatz nicht anerkannt (Art. 27 IPRG) und<br />

andererseits im Rahmen der Rechtsanwendung korrigiert (Art. 17 IPRG).<br />

86


III. Wettbewerbsrecht<br />

Die Art. 136 und 137 IPRG befassen sich mit den Fragen des Wettbewerbsrechts.<br />

Art. 136 bezieht sich auf Überlegungen des UWG, während sich Art. 137 IPRG mit<br />

Fragen des Kartellrechts beschäftigt.<br />

1. Unlauterer Wettbewerb<br />

Art. 136 IPRG<br />

1 Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb unterstehen dem Recht des Staates, auf dessen Markt die<br />

unlautere Handlung ihre Wirkung entfaltet.<br />

2 Richtet sich die Rechtsverletzung ausschliesslich gegen betriebliche Interessen des Geschädigten,<br />

so ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem sich die betroffene Niederlassung befindet.<br />

3 Artikel 133 Absatz 3 ist vorbehalten.<br />

Zu unterscheiden sind grundsätzlich drei Fragestellungen:<br />

- im ersten Fall wird das Produkt besser dargestellt, als es wirklich ist<br />

- im zweiten Fall darf das Konkurrenzprodukt nicht schlechter dargestellt<br />

werden, als es in Wirklichkeit ist<br />

- der dritte Anwendungsfall ist der Vergleich zweier Produkte<br />

Grundsätzlich gilt das Recht des Staates, auf dessen Markt die unlautere Handlung<br />

ihre Wirkung entfaltet. Dieses Prinzip nennt man das „Markteinwirkungsprinzip“.<br />

Berufen wird das Recht am Ort, an welchem die unlautere Handlung wahrgenommen<br />

wird, also dort, wo die Handlung auf die Konsumenten einwirkt.<br />

Bei unlauterem Wettbewerb im Internet handelt es sich unter Umständen um ein<br />

Multi-State-Delikt. Hier erfolgt eine kumulative Anknüpfung, es gelten sämtliche UWG<br />

Vorschriften dieser Erde nebeneinander. Die Folge ist, dass das schärfste Recht<br />

durchdringt.<br />

Dieses Prinzip wird heute über zwei Grundsätze eingeschränkt:<br />

- Spürbarkeit<br />

Die Handlung gilt nur dort als spürbar, wo es auch Konsumenten dieser<br />

Handlung hat.<br />

- Auswirkung<br />

Im Rahmen der Auswirkung wird gefragt, welche Märkte betroffen sein sollen.<br />

Beispielsweise wird das Fernsehprogramm von SF DRS nur im<br />

deutschsprachigen Raum konsumiert, was die verlangte Auswirkung in<br />

Indonesien – trotz Empfang über Satellit – ausschliesst.<br />

Art. 136 IPRG richtet sich gegen inter partes Delikte, welche sich<br />

wettbewerbsrechtlich auswirken. Es geht um Privatbestechung oder<br />

Wirtschaftsspionage. In beiden Fällen verschafft sich jemand einen unrechtmässigen<br />

Vorteil, welcher Auswirkungen auf die betroffenen Märkte zeigt.<br />

87


2. Kartellrecht<br />

Art. 137 IPRG<br />

1 Ansprüche aus Wettbewerbsbehinderung unterstehen dem Recht des Staates, auf dessen Markt der<br />

Geschädigte von der Behinderung unmittelbar betroffen ist.<br />

2 Unterstehen Ansprüche aus Wettbewerbsbehinderung ausländischem Recht, so können in der<br />

Schweiz keine weitergehenden Leistungen zugesprochen werden als nach schweizerischem Recht für<br />

eine unzulässige Wettbewerbsbehinderung zuzusprechen wären.<br />

Das Kartellrecht kennt zwei pönalisierte Verhalten:<br />

- jemand ist marktbeherrschend und nutzt diese Marktbeherrschung zum<br />

eigenen Vorteil (Beispiel: Microsoft).<br />

- Abreden zwischen zwei oder mehreren Wettbewerbsteilnehmern, welche zu<br />

Schäden von Dritten führen (Beispiel: Preisabsprachen für Vitamine zwischen<br />

Roche und weiteren Marktteilnehmern).<br />

Im Gegensatz zum geltenden Prinzip im Bereich des UWG, gilt im Kartellrecht das<br />

Auswirkungsprinzip. Berufen wird das Recht am Ort, wo die Wettbewerbsverzerrung<br />

ihre Wirkung entfaltet. Auch hier gilt eine kumulative Anknüpfung. Wird also weltweit<br />

der Wettbewerb durch eine Handlung verzerrt, kommen auch weltweit alle<br />

betroffenen, nationalen UWG zur Anwendung.<br />

Abs. 2 ist wiederum eine lex americana, welche den Ausschluss von punitive<br />

damages statuiert.<br />

IV. Immissionen<br />

Art. 138 IPRG<br />

Ansprüche aus schädigenden Einwirkungen, die von einem Grundstück ausgehen, unterstehen nach<br />

Wahl des Geschädigten dem Recht des Staates, in dem das Grundstück liegt, oder dem Recht des<br />

Staates, in dem der Erfolg einer Einwirkung eintritt.<br />

Im Unterschied zu Art. 133 IPRG kann der Geschädigte im Anwendungsbereich des<br />

Art. 138 IPRG wählen, zwischen dem<br />

- Recht am Ausgangsort der Immission oder dem<br />

- Recht am Ort, wo die Immission stattgefunden hat.<br />

Beispiel:<br />

Ein Tschechisches Kernkraftwerk strahlt zu fest und verursacht Schäden in<br />

Österreich.<br />

V. Persönlichkeitsverletzungen<br />

Art. 139 IPRG<br />

1 Ansprüche aus Verletzung der Persönlichkeit durch Medien, insbesondere durch Presse, Radio,<br />

Fernsehen oder durch andere Informationsmittel in der Öffentlichkeit unterstehen nach Wahl des<br />

Geschädigten:<br />

88


a. dem Recht des Staates, in dem der Geschädigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern<br />

der Schädiger mit dem Eintritt des Erfolges in diesem Staat rechnen musste;<br />

b. dem Recht des Staates, in dem der Urheber der Verletzung seine Niederlassung oder seinen<br />

gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder<br />

c. dem Recht des Staates, in dem der Erfolg der verletzenden Handlung eintritt, sofern der<br />

Schädiger mit dem Eintritt des Erfolges in diesem Staat rechnen musste.<br />

2 Das Gegendarstellungsrecht gegenüber periodisch erscheinenden Medien richtet sich<br />

ausschliesslich nach dem Recht des Staates, in dem das Druckerzeugnis erschienen ist oder von dem<br />

aus die Radio oder Fernsehsendung verbreitet wurde<br />

3 Absatz 1 ist auch anwendbar auf Ansprüche aus Verletzung der Persönlichkeit durch das Bearbeiten<br />

von Personendaten sowie aus Beeinträchtigung des Rechts auf Auskunft über Personendaten.<br />

Art. 139 IPRG regelt die Ansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen durch die<br />

Medien. Der Geschädigte hat wiederum ein Wahlrecht, er kann zwischen den<br />

folgenden Rechten wählen:<br />

- Recht am Erfolgsort (lit. c)<br />

- Recht des Mediums<br />

- Recht am Aufenthaltsort des Geschädigten (lit. a)<br />

Litera a hat jedoch keine selbständige Bedeutung, da der Erfolgsort bereits durch lit.<br />

c abgedeckt wird. Litera a ist schlussendlich nur eine Ausdifferenzierung des lit. c.<br />

Wählbar sind somit zwei Rechte: Das Recht am Erfolgsort und das Recht des<br />

Mediums.<br />

Beispiel:<br />

Die Schweizer Illustrierte verletzt die Persönlichkeit eines Schauspielers. Wählbar<br />

sind folgende Rechte:<br />

- Schweizer Recht (Recht des Mediums)<br />

- Recht am vorhersehbaren Erfolgsort. Relevant sind die Länder, wo die<br />

Zeitschrift in einem spürbaren Mass vertrieben wird.<br />

Variante: Eine grosse amerikanische Tageszeitung greift den Artikel in der Schweizer<br />

Illustrierten auf und macht daraus eine Riesenstory…<br />

Es stellt sich die Frage, ob die Schweizer Illustrierte damit rechnen musste, dass<br />

diese Story aufgegriffen werden könnte.<br />

Gemäss Abs. 2 richtet sich das Gegendarstellungsrecht nach dem Recht des<br />

Mediums.<br />

VI. Art. 140 ff. IPRG<br />

Art. 140 IPRG legt fest, dass bei mehreren Schädigern das anwendbare Recht<br />

immer jeweils zwischen den einzelnen, in Frage stehenden Parteien beurteilt werden<br />

muss. Es ist also nicht möglich, Gruppen zu bilden.<br />

Art. 141 IPRG behandelt, ähnlich wie das Haager Strassenverkehrsübereinkommen,<br />

einen direkten Anspruch gegenüber der Versicherung des Schädigers.<br />

Schliesslich besagt Art. 142 IPRG, dass ein Gerichtsstatut sämtliche Fragen regelt,<br />

welche das Delikt betreffen: Haftungsvoraussetzungen, Schadensbemessung,<br />

Kausalität, etc.<br />

89


VII. Fall 6<br />

Sachverhalt 6<br />

B aus Basel hat vor kurzem den Europapark Rust in Deutschland besucht. Während<br />

einer Fahrt auf der Achterbahn kommt es wegen eines Konstruktionsfehlers zu<br />

einem Vollstopp. B verletzt sich erheblich. Er überlegt sich nun, ob er vom<br />

Europapark und/oder von der amerikanischen Herstellerin, der Looping Ltd.,<br />

Schadenersatz verlangen will.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

1. 4-W-Frage:<br />

a. B will Schadenersatz vom Europapark aus Vertrag oder Delikt<br />

b. B will von der Looping Ltd. Schadenersatz aus Delikt<br />

c. B will von der Looping Ltd. Schadenersatz aus Vertrag zu Gunsten<br />

Dritter (Europapark – Looping Ltd.)<br />

2. Zuständigkeit<br />

a. Gegen Europapark<br />

Der Beklagte (Europapark) hat seinen Sitz in einem Vertragsstaat.<br />

Gemäss Art. 2 Abs. 1 LugÜ kann in Deutschland geklagt werden.<br />

Eine weitere Möglichkeit wäre der Gerichtsstand am Erfüllungsort des<br />

Vertrages gemäss Art. 5 Ziff. 1 LugÜ. Hier müsste nach der lex causae<br />

das auf den Vertrag anwendbare Recht bestimmt werden. In casu wäre<br />

es deutsches Recht, weil der Europapark die vertragstypische Leistung<br />

erbringt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird der Erfüllungsort somit<br />

ebenfalls in Rust sein.<br />

Nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ kann bei einem Delikt am Handlungs- oder<br />

Erfolgsort geklagt werden. Auch hier kommt man zu einem<br />

Gerichtsstand in Deutschland.<br />

In Basel könnte nur geklagt werden, wenn argumentiert würde, es<br />

handle sich um einen Konsumentenvertrag.<br />

Der Europapark macht Werbung, bietet also an, damit Leute nach Rust<br />

kommen. Diese kommen in ihrer Freizeit, es handelt sich somit um die<br />

Annahme eines gewerblichen Angebotes zu einem privaten Zweck.<br />

Einschlägig sind die Art. 13 ff. LugÜ. Damit diese zur Anwendung<br />

gelangen, müssen weitere Voraussetzungen erfüllt sein:<br />

- Werbung des Europaparks in der Schweiz<br />

- Bezahlung des Tickets in der Schweiz<br />

Dies ist bei Internetbestellungen gegeben.<br />

Ein Gerichtsstand in Basel ist also unter den oben dargelegten<br />

Voraussetzungen möglich.<br />

90


. Looping Ltd<br />

Das LugÜ gelangt nicht zur Anwendung, da der Beklagte in einem<br />

Drittstaat wohnt. Massgeblich sind somit die Bestimmungen des IPRG.<br />

Einschlägig ist Art. 129 IPRG.<br />

Art. 129 IPRG<br />

1 Für Klagen aus unerlaubter Handlung sind die schweizerischen Gerichte am<br />

Wohnsitz des Beklagten oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen an seinem<br />

gewöhnlichen Aufenthalt oder am Ort seiner Niederlassung zuständig.<br />

2 Hat der Beklagte weder Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, noch eine<br />

Niederlassung in der Schweiz, so kann beim schweizerischen Gericht am Handlungsoder<br />

am Erfolgsort geklagt werden.<br />

3 Können mehrere Beklagte in der Schweiz belangt werden und stützen sich die<br />

Ansprüche im wesentlichen auf die gleichen Tatsachen und Rechtsgründe, so kann<br />

bei jedem zuständigen Richter gegen alle geklagt werden; der zuerst angerufene<br />

Richter ist ausschliesslich zuständig.<br />

Nach den Absätzen 1 und 2 ist die Schweizer Zuständigkeit gegeben,<br />

wenn entweder der Beklagte seinen Wohnsitz in der Schweiz hat oder<br />

der Deliktsort in der Schweiz liegt. Beides ist in casu zu verneinen. Art.<br />

129 IPRG kommt somit nicht zur Anwendung.<br />

Es stellt sich die Frage, ob eine Schadenersatzklage in den USA<br />

möglich wäre. Dies ist über den Gerichtsstand der passiven<br />

Streitgenossenschaft möglich. Wenn in der Schweiz der Europapark<br />

verklagt werden kann, kann sich die Klage auch gegen die Looping Ltd.<br />

richten. Dies ergibt sich aus Art. 129 Abs. 3 IPRG. Hierfür muss gegen<br />

beide Beklagten in der Schweiz ein Gerichtsstand gegeben sein.<br />

Dies ist in casu jedoch nicht der Fall.<br />

Eine letzte Möglichkeit bietet Art. 6 Ziff. 1 des LugÜ.<br />

Art. 6 LugÜ<br />

Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann<br />

auch verklagt werden,<br />

1. wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht, in<br />

dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat;<br />

2. wenn es sich um eine Klage auf Gewährleistung oder um eine<br />

Interventionsklage handelt, vor dem Gericht des Hauptprozesses, es sei denn,<br />

dass diese Klage nur erhoben worden ist, um diese Person dem für sie<br />

zuständigen Gericht zu entziehen;<br />

3. wenn es sich um eine Widerklage handelt, die auf denselben Vertrag oder<br />

Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird, vor dem Gericht, bei dem die<br />

Klage selbst anhängig ist;<br />

4. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des<br />

Verfahrens bilden und die Klage mit einer Klage wegen dinglicher Rechte an<br />

unbeweglichen Sachen gegen denselben Beklagten verbunden werden kann,<br />

vor dem Gericht des Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen<br />

ist.<br />

Am Wohnsitz des einen Beklagten, kann auch ein anderer Beklagter<br />

verklagt werden. Dies ist gemäss der herrschenden Lehre auch auf<br />

einen Amerikaner anwendbar.<br />

91


§ 9 INTERNATIONALES GESELLSCHAFTSRECHT<br />

A. Allgemeines<br />

Im internationalen Gesellschaftsrecht sind die Art. 150 ff. IPRG massgeblich. Eine<br />

Gesellschaft im Sinne des IPR ist abweichend von der Gesellschaft des OR zu<br />

definieren.<br />

Es wird unterschieden zwischen den organisierten Personenzusammenschlüssen<br />

und organisierten Vermögenseinheiten.<br />

Art. 150 IPRG<br />

1 Als Gesellschaften im Sinne dieses Gesetzes gelten organisierte Personenzusammenschlüsse und<br />

organisierte Vermögenseinheiten.<br />

2 Für einfache Gesellschaften, die sich keine Organisation gegeben haben, gilt das auf Verträge<br />

anwendbare Recht (Art. 116 ff.).<br />

Während mit den organisierten Vermögenseinheiten die Stiftungen gemeint sind,<br />

bezieht sich der Ausdruck der organisieren Personenzusammenschlüsse auf die<br />

Gesellschaften, wie sie das OR vorsieht.<br />

Neu werden Bestimmungen zum Trust ins IPRG eingefügt: Art. 150a IPRG. Eine<br />

Anknüpfung erfolgt dabei gesellschaftsrechtlich.<br />

B. Exkurs: Der Trust<br />

(Quelle: Repetitorium Personenrecht, Orell Füssli Verlag AG, Zürich, 2004, S. 184)<br />

Der Trust ist eine Rechtsfigur, die aus dem angelsächsischen Recht, dem so<br />

genannten „common law“ stammt. Ähnlich wie bei einer Stiftung wird beim Trust ein<br />

verselbständigtes Vermögen einem bestimmten Zweck zugewendet, indem es z.B.<br />

ausschliesslich zu Gunsten von ganz bestimmten Destinatären verwaltet wird. So<br />

wird denn auch vom Trust gesprochen, wie wenn er eine selbständige Rechtsform<br />

darstellen würde. Der grosse Unterschied zur Stiftung besteht jedoch darin, dass der<br />

Trust selbst über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt. Das Vermögen des<br />

Trusts kann aber wiederum durch eine einzig und ausschliesslich dafür gegründete<br />

juristische Person verwaltet werden. Dann bedarf es der rechtsgültigen Errichtung<br />

einer entsprechenden Gesellschaft (Vermögensgesellschaft), welche ausschliesslich<br />

dazu da ist, als Trustee zu handeln und das Vermögen zu verwalten.<br />

Weil der Trust von seiner Funktion her mit dem uns vertrauten Treuhandverhältnis<br />

verwandt ist, wird er manchmal auch als wertgleich mit der Treuhand hingestellt. Der<br />

Begriff „Trustee“ wird im Deutschen dabei teilweise als „Treuhänder“ übersetzt, doch<br />

wird diese Übersetzung dem inhaltlichen Wert des Begriffs „Trustee“ keinesfalls<br />

gerecht. Was den „Trustee“ grundsätzlich von einem Treuhänder nach zivilistischem<br />

Rechtsverständnis unterscheidet, ist nämlich der Umstand, dass das angelsächsische<br />

Recht vereinfacht gesagt verschiedene Rechtsgrundlagen für das<br />

Eigentum nebeneinander kennt („law and equity“). Beim Trust wird der Trustee durch<br />

Übertragung des Vermögens Eigentümer „at law“, wobei der „Trustor“ oder auch<br />

„Settlor“ (= Begründer des Trusts) Eigentümer „in equity“ bleibt. Der Treuhänder nach<br />

zivilistischer Tradition wird im Gegensatz dazu grundsätzlich nur Besitzer der ihm<br />

92


übergebenen Sache; es kommt in dem Sinn nicht zu einer vergleichbaren „division of<br />

ownership“ wie beim Trust.<br />

Der Trustee wird also Eigentümer der Vermögenswerte. Trotzdem bleibt das<br />

Trustvermögen ein Sondervermögen, auf welches Drittgläubiger nicht zugreifen<br />

können.<br />

Es stellt sich die Frage, ob ein Trust in der Schweiz anerkannt wird. Gemäss Art. 11<br />

des Haager Trust-Übereinkommens wird dieser in den Vertragsstaaten anerkannt,<br />

sofern er gültig errichtet worden ist.<br />

C. Einfache Gesellschaft<br />

Bei der einfachen Gesellschaft muss gemäss Art. 150 Abs. 2 IPRG unterschieden<br />

werden, ob lockere oder engere Strukturen vorherrschen. Je nachdem ist<br />

vertragsrechtlich oder gesellschaftsrechtlich anzuknüpfen. Lockere Formen sind eher<br />

dem Vertragsrecht zuzuordnen, während bei den Organisationen auf längere Zeit<br />

eher gesellschaftsrechtliche Aspekte im Vordergrund stehen. Diese unterstehen den<br />

Vorschriften der Art. 150 ff. IPRG während die lockeren Strukturen nach der lex<br />

causae, also nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht beurteilt werden (Art.<br />

116 ff. IPRG).<br />

D. Anwendbares Recht<br />

Die Frage nach dem anwendbaren Recht auf die Gesellschaft, ist die Frage nach<br />

dem so genannten Gesellschaftsstatut. Dieses wird in Art. 154 IPRG geregelt.<br />

Art. 154 IPRG<br />

1 Gesellschaften unterstehen dem Recht des Staates, nach dessen Vorschriften sie organisiert sind,<br />

wenn sie die darin vorgeschriebenen Publizitäts- oder Registrierungsvorschriften dieses Rechts<br />

erfüllen oder, falls solche Vorschriften nicht bestehen, wenn sie sich nach dem Recht dieses Staates<br />

organisiert haben.<br />

2 Erfüllt eine Gesellschaft diese Voraussetzungen nicht, so untersteht sie dem Recht des Staates, in<br />

dem sie tatsächlich verwaltet wird.<br />

Art. 154 Abs. 1 IPRG regelt die so genannte Gründungs- oder Inkorporationstheorie.<br />

Nach Schweizer IPRG untersteht eine Gesellschaft dem Recht, unter welchem sie<br />

gegründet worden ist: Eine in der Schweiz gegründete Gesellschaft untersteht<br />

Schweizer Recht, eine in Spanien gegründete Gesellschaft untersteht spanischem<br />

Recht, etc.<br />

Demgegenüber regelt Art. 154 Abs. 2 IPRG die so genannte Sitztheorie. Dabei<br />

untersteht eine Gesellschaft dem Recht des Landes, in welchem sie ihren Sitz hat.<br />

Beide Theorien haben zentrale Vorteile:<br />

- Sitztheorie:<br />

o Vorteil: Vertrauensschutz Dritter<br />

o Nachteil: mangelnde Mobilität<br />

93


- Gründungstheorie:<br />

o Vorteil Mobilität, Schutz der Gesellschafter<br />

o Nachteil: unter Umständen ist es schwierig, das anwendbare Recht zu<br />

bestimmen bzw. einzugrenzen (Beispiel: Gesellschaft wurde in Nigeria<br />

gegründet, es ist schwierig, nigerianisches Recht zu bestimmen)<br />

Problem:<br />

Deutschland beurteilt eine Firma nach der Sitz-, die Schweiz nach der<br />

Gründungstheorie. Zieht nun eine in der Schweiz gegründete Firma nach<br />

Deutschland, stellt sich die Frage des anwendbaren Rechts.<br />

Ein Schweizer Gericht würde nach der Gründungstheorie das Schweizer Recht<br />

anwenden, das deutsche Gericht nach der Sitztheorie das deutsche.<br />

Der Inhalt des Gesellschaftsstatuts wird in Art. 155 IPRG geregelt.<br />

Art. 155 IPRG<br />

Unter Vorbehalt der Artikel 156–161 bestimmt das auf die Gesellschaft anwendbare Recht<br />

insbesondere:<br />

a. die Rechtsnatur;<br />

b. die Entstehung und den Untergang;<br />

c. die Rechts- und Handlungsfähigkeit;<br />

d. den Namen oder die Firma;<br />

e. die Organisation;<br />

f. die internen Beziehungen, namentlich diejenigen zwischen der Gesellschaft und ihren<br />

Mitgliedern;<br />

g. die Haftung aus Verletzung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften;<br />

h. die Haftung für ihre Schulden;<br />

i. die Vertretung der aufgrund ihrer Organisation handelnden Personen.<br />

Prinzipiell unterstehen die gesamten gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen dem<br />

Gesellschaftsstatut. Hiervon gibt es jedoch Ausnahmen (Art. 156 – 159 IPRG).<br />

Art. 156 IPRG<br />

Ansprüche aus öffentlicher Ausgabe von Beteiligungspapieren und Anleihen aufgrund von<br />

Prospekten, Zirkularen und ähnlichen Bekanntmachungen können nach dem auf die Gesellschaft<br />

anwendbaren Recht oder nach dem Recht des Staates geltend gemacht werden, in dem die Ausgabe<br />

erfolgt ist.<br />

Das OR zum Vergleich:<br />

Art. 752 OR<br />

Sind bei der Gründung einer Gesellschaft oder bei der Ausgabe von Aktien, Obligationen oder<br />

anderen Titeln in Emissionsprospekten oder ähnlichen Mitteilungen unrichtige, irreführende oder den<br />

gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechende Angaben gemacht oder verbreitet worden, so haftet<br />

jeder, der absichtlich oder fahrlässig dabei mitgewirkt hat, den Erwerbern der Titel für den dadurch<br />

verursachten Schaden.<br />

Art. 156 IPRG regelt die Frage der Haftung für Prospekte bei Emissionen von<br />

Wertpapieren. Es gilt eine alternative Anknüpfung, entweder an das Recht der<br />

Gesellschaft oder an das Recht des Staates, in welchem die Ausgabe der<br />

94


Wertpapiere erfolgte. Der Geschädigte kann also wählen, womit beide Rechte zu<br />

beachten sind.<br />

Art. 157 IPRG<br />

1 Wird in der Schweiz der Name oder die Firma einer im schweizerischen Handelsregister<br />

eingetragenen Gesellschaft verletzt, so richtet sich deren Schutz nach schweizerischem Recht.<br />

2 Ist eine Gesellschaft nicht im schweizerischen Handelsregister eingetragen, so richtet sich der<br />

Schutz ihres Namens oder ihrer Firma nach dem auf den unlauteren Wettbewerb (Art. 136) oder nach<br />

dem auf die Persönlichkeitsverletzung anwendbaren Recht (Art. 132, 133 und 139).<br />

Das OR zum Vergleich:<br />

Art. 956 OR<br />

1 Die im Handelsregister eingetragene und im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlichte Firma<br />

eines einzelnen Geschäftsinhabers oder einer Handelsgesellschaft oder Genossenschaft steht dem<br />

Berechtigten zu ausschliesslichem Gebrauche zu.<br />

2 Wer durch den unbefugten Gebrauch einer Firma beeinträchtigt wird, kann auf Unterlassung der<br />

weitern Führung der Firma und bei Verschulden auf Schadenersatz klagen.<br />

Gemäss Art. 157 IPRG untersteht eine in der Schweiz gelegene Firma dem<br />

Schweizer Firmenschutz. Ist eine Firma nicht in der Schweiz eingetragen, gilt UWG<br />

oder Persönlichkeitsrecht.<br />

Art. 158 IPRG<br />

Eine Gesellschaft kann sich nicht auf die Beschränkung der Vertretungsbefugnis eines Organs oder<br />

eines Vertreters berufen, die dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts oder der<br />

Niederlassung der anderen Partei unbekannt ist, es sei denn, die andere Partei habe diese<br />

Beschränkung gekannt oder hätte sie kennen müssen.<br />

Das OR zum Vergleich:<br />

Art. 718 OR<br />

1 Der Verwaltungsrat vertritt die Gesellschaft nach aussen. Bestimmen die Statuten oder das<br />

Organisationsreglement nichts anderes, so steht die Vertretungsbefugnis jedem Mitglied einzeln zu.<br />

2 Der Verwaltungsrat kann die Vertretung einem oder mehreren Mitgliedern (Delegierte) oder Dritten<br />

(Direktoren) übertragen.<br />

3 Mindestens ein Mitglied des Verwaltungsrates muss zur Vertretung befugt sein.<br />

Art. 718a OR<br />

1 Die zur Vertretung befugten Personen können im Namen der Gesellschaft alle Rechtshandlungen<br />

vornehmen, die der Zweck der Gesellschaft mit sich bringen kann.<br />

2 Eine Beschränkung dieser Vertretungsbefugnis hat gegenüber gutgläubigen Dritten keine Wirkung;<br />

ausgenommen sind die im Handelsregister eingetragenen Bestimmungen über die ausschliessliche<br />

Vertretung der Hauptniederlassung oder einer Zweigniederlassung oder über die gemeinsame<br />

Vertretung der Gesellschaft.<br />

Materiellrechtlich wird unterschieden zwischen der Vertretungsmacht und der<br />

Vertretungsbefugnis. Es geht dabei darum, zu regeln, was ein Organ kann und was<br />

95


ein Organ darf. Die Vertretung bestimmt sich grundsätzlich nach dem<br />

Inkorporationsstatut (Gesellschaftsstatut).<br />

Art. 159 IPRG<br />

Werden die Geschäfte einer Gesellschaft, die nach ausländischem Recht gegründet worden ist, in der<br />

Schweiz oder von der Schweiz aus geführt, so untersteht die Haftung der für sie handelnden<br />

Personen schweizerischem Recht.<br />

Art. 159 IPRG regelt die Verantwortlichkeit der Organe. Passiv legitimiert ist das<br />

Organ als natürliche Person.<br />

Das OR zum Vergleich:<br />

Art. 754 OR<br />

1 Die Mitglieder des Verwaltungsrates und alle mit der Geschäftsführung oder mit der Liquidation<br />

befassten Personen sind sowohl der Gesellschaft als den einzelnen Aktionären und<br />

Gesellschaftsgläubigern für den Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche oder fahrlässige<br />

Verletzung ihrer Pflichten verursachen.<br />

2 Wer die Erfüllung einer Aufgabe befugterweise einem anderen Organ überträgt, haftet für den von<br />

diesem verursachten Schaden, sofern er nicht nachweist, dass er bei der Auswahl, Unterrichtung und<br />

Überwachung die nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat.<br />

Art. 756 OR<br />

1 Neben der Gesellschaft sind auch die einzelnen Aktionäre berechtigt, den der Gesellschaft<br />

verursachten Schaden einzuklagen. Der Anspruch des Aktionärs geht auf Leistung an die<br />

Gesellschaft.<br />

2 Hatte der Aktionär aufgrund der Sach- und Rechtslage begründeten Anlass zur Klage, so verteilt der<br />

Richter die Kosten, soweit sie nicht vom Beklagten zu tragen sind, nach seinem Ermessen auf den<br />

Kläger und die Gesellschaft.<br />

Art. 757 OR<br />

1 Im Konkurs der geschädigten Gesellschaft sind auch die Gesellschaftsgläubiger berechtigt, Ersatz<br />

des Schadens an die Gesellschaft zu verlangen. Zunächst steht es jedoch der Konkursverwaltung zu,<br />

die Ansprüche von Aktionären und Gesellschaftsgläubigern geltend zu machen.<br />

2 Verzichtet die Konkursverwaltung auf die Geltendmachung dieser Ansprüche, so ist hierzu jeder<br />

Aktionär oder Gläubiger berechtigt. Das Ergebnis wird vorab zur Deckung der Forderungen der<br />

klagenden Gläubiger gemäss den Bestimmungen des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes vom<br />

11. April 1889 verwendet. Am Überschuss nehmen die klagenden Aktionäre im Ausmass ihrer<br />

Beteiligung an der Gesellschaft teil; der Rest fällt in die Konkursmasse.<br />

3 Vorbehalten bleibt die Abtretung von Ansprüchen der Gesellschaft gemäss Artikel 260 des<br />

Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes vom 11. April 1889.<br />

Grundsätzlich können folgende Personen gegen den VR einer Gesellschaft klagen:<br />

- Gläubiger<br />

- Aktionäre<br />

- Die Gesellschaft selbst<br />

Solange die Gesellschaft nicht in Konkurs ist, kann der Gläubiger nicht gegen den<br />

VR klagen. Dies ist nur den Aktionären vorbehalten. Der Gläubiger kann erst klagen,<br />

wenn er einen Schaden hat. Einzige Ausnahme ist eine widerrechtliche Handlung<br />

des VR i. S. d. Art. 41 OR.<br />

96


Art. 159 IPRG regelt die Verantwortlichkeitsprozesse. Voraussetzung für den<br />

Verantwortlichkeitsprozess ist, dass die Gesellschaft ihren Sitz in der Schweiz hat.<br />

Dies ist eine Überlagerung der Inkorporationstheorie. Massgeblich ist in diesem Fall<br />

also die Sitztheorie.<br />

Art. 159 IPRG wirkt nur gegenüber gutgläubigen Dritten, de facto sind somit nur die<br />

Gläubiger geschützt.<br />

E. Zuständigkeit<br />

Grundsätzlich ist das LugÜ bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten anwendbar,<br />

wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat. Die Abgrenzung<br />

zwischen LugÜ und IPRG ist hier besonders schwierig, weil es unzählige<br />

Anknüpfungsmöglichkeiten gibt.<br />

Geht es um die Nichtigkeitserklärung eines Gesellschaftsbeschlusses, einer<br />

Gesellschaft als solcher sowie eines GV-Beschlusses, fällt dies unter den<br />

Anwendungsbereich von Art. 16 Abs. 2 LugÜ. Ausschliesslich zuständig sind dann<br />

die Gerichte am Ort der Gesellschaft.<br />

Bei einem Drittstaat gelangt Art. 151 IPRG zur Anwendung.<br />

Art. 151 IPRG<br />

1 In gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten sind die schweizerischen Gerichte am Sitz der Gesellschaft<br />

zuständig für Klagen gegen die Gesellschaft, die Gesellschafter oder die aus gesellschaftsrechtlicher<br />

Verantwortlichkeit haftenden Personen.<br />

2 Für Klagen gegen einen Gesellschafter oder gegen eine aus gesellschaftsrechtlicher<br />

Verantwortlichkeit haftende Person sind auch die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz oder, wenn<br />

ein solcher fehlt, diejenigen am gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten zuständig.<br />

3 Für Klagen aus Verantwortlichkeit infolge öffentlicher Ausgabe von Beteiligungspapieren und<br />

Anleihen sind ausserdem die schweizerischen Gerichte am Ausgabeort zuständig. Diese<br />

Zuständigkeit kann durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht ausgeschlossen werden.<br />

F Kurzfälle<br />

Die A AG mit statutarischem Sitz in Basel hat ihr Headquater neu in günstigem<br />

Wohnraum in Lörrach aufgeschlagen. Aktionär Z mit Wohnsitz in Basel will den<br />

diesbezüglich in der Generalversammlung getroffenen Beschluss anfechten. Wie ist<br />

die Rechtslage?<br />

Die Beklagte hat ihren Sitz in der Schweiz oder in Deutschland, was die<br />

Anwendbarkeit des LugÜ begründet.<br />

Art. 16 Abs. 2 LugÜ: Ausschliesslich zuständig sind die Gerichte am Sitz der<br />

Gesellschaft. Dieser bestimmt sich nach Art. 53 LugÜ. Wo sich der Sitz einer<br />

Gesellschaft befindet, hat das Gericht nach seinem eigenen IPR zu bestimmen.<br />

Wird in Basel geklagt, gelangt das Gericht über Art. 21 IPRG zum statutarischen Sitz<br />

der Gesellschaft. In casu sind die Gerichte am statutarischen Sitz der Gesellschaft<br />

zuständig, was die Zuständigkeit der Basler Gerichte begründet.<br />

97


Der deutsche Richter würde das deutsche IPR anwenden. Im deutschen IPR<br />

herrscht die Sitztheorie, welche die Zuständigkeit des deutschen Gerichts begründen<br />

würde. Probleme gibt es jedoch bei der Passivlegitimation, denn die Gesellschaft<br />

existiert nach deutschem Recht nicht. Es würde nach der Sitztheorie zuerst einer<br />

Neugründung nach deutschem Recht bedürfen.<br />

Die auf den Bahamas domizilierte P AG mit Geschäftslokalität in Pratteln hat ihre<br />

Zahlungen eingestellt. Geschäftspartner M hat offene Forderungen in Höhe von CHF<br />

200'000.00. Als er an die P AG gelangt, teilt ihm deren Verwaltungsrat V mit, dass<br />

alles Geld aufgebraucht sei und seine Rechnung leider nicht bezahlt werden könne.<br />

In casu ist der Verwaltungsrat passiv legitimiert.<br />

Erfolgt die Klage in der Schweiz, gelangt Art. 2 Abs. 1 LugÜ zur Anwendung.<br />

Gemäss Art. 152 IPRG auch kann am tatsächlichen Sitz einer Gesellschaft geklagt<br />

werden. Somit ist die Zuständigkeit der Schweizer Gerichte gegeben.<br />

Die Anwendbarkeit des schweizerischen Rechts ergibt sich aus Art. 159 IPRG,<br />

wonach sich die Haftung der für die Gesellschaft handelnden Personen nach<br />

Schweizer Recht richtet.<br />

Der Konkurs der Gesellschaft müsste auf den Bahamas eröffnet werden. Dieser<br />

würde gemäss den Bestimmungen der Art. 166 ff. IPRG in der Schweiz anerkannt.<br />

98

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!