Internationales Privatrecht - besonderer Teil
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<strong>Internationales</strong> Privat- und<br />
Zivilverfahrensrecht<br />
Besonderer <strong>Teil</strong><br />
nach der Vorlesung von<br />
Dr. iur. Pascal Grolimund<br />
an der Universität Basel<br />
lic. iur. Roman Gubser<br />
mail@gubserweb.ch<br />
www.gubserweb.ch<br />
Basel, Februar 2008
Inhaltsverzeichnis<br />
§ 1 Überblick über den allgemeinen <strong>Teil</strong> des IPRG 5<br />
A. Internationaler Sachverhalt 5<br />
B. Die klassischen Fragestellungen des IPR 5<br />
I. Übersicht 5<br />
II. Rechtsquellen 6<br />
III. Zuständigkeit 7<br />
IV. anwendbares Recht 7<br />
V. Anerkennung und Vollstreckung 8<br />
VI. Fall 1 8<br />
§ 2 <strong>Internationales</strong> Personenrecht 11<br />
A. Gegenstand des Internationalen Personenrechts 11<br />
B. Merkmale der Regelung im IPRG 11<br />
C. Internationale Erkenntniszuständigkeit 12<br />
D. Anwendbares Recht 13<br />
I. Allgemeines 13<br />
II. Die einzelnen Aspekte des internationalen Persönlichkeitsrechts 14<br />
III. Fall 2 15<br />
E. Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheiden 16<br />
§ 3 <strong>Internationales</strong> Familienrecht 17<br />
A. <strong>Internationales</strong> Eherecht 17<br />
I. Gegenstand des internationalen Eherechts 17<br />
B. Rechtsquellen, Entwicklungen im EG-Recht 17<br />
C. Eheschliessung (Art. 43 – 45a IPRG) 18<br />
D. Wirkungen der Ehe (Art. 46 – 50 IPRG; exkl. Ehegüterrecht) 20<br />
I. Allgemeines 20<br />
II. IPR relevante Fragestellungen 21<br />
E. Ehegüterrecht (Art. 51 – 58 IPRG) 24<br />
I. Allgemeines 24<br />
II. Zuständigkeit (Art. 51 IPRG) 24<br />
III. Anwendbares Recht 25<br />
F. Ehescheidung und Ehetrennung 28<br />
I. Zuständigkeit 28<br />
2
II. Anwendbares Recht (Art. 61 IPRG) 28<br />
III. Fall 4 30<br />
IV. angrenzende Fragestellungen 33<br />
§ 4 <strong>Internationales</strong> Erbrecht 42<br />
A. Gegenstand des internationalen Erbrechts 42<br />
B. Internationale Zuständigkeit 42<br />
C. Anwendbares Recht 46<br />
D. Fall 5 47<br />
E. Sonderfragen 49<br />
I. Art. 92 IPRG 49<br />
II. Art. 93 IPRG 49<br />
III. Art. 94 IPRG 50<br />
IV. Art. 95 IPRG 50<br />
§ 5 <strong>Internationales</strong> Sachenrecht 51<br />
A. Gegenstand des internationalen Sachenrechts, Rechtsquellen 51<br />
B. Unbewegliche Sachen, insbesondere Grundstücke 51<br />
I. Internationale Zuständigkeit 51<br />
II. Anwendbares Recht 53<br />
C. bewegliche Sachen 54<br />
I. Zuständigkeit 54<br />
II. Anwendbares Recht 54<br />
III. Fall 6 57<br />
§ 6 internationales Vertragsrecht 60<br />
A. Grundsatz 60<br />
I. Privatautonomie 60<br />
II. besondere Verträge vs. allgemeine Verträge 60<br />
III. gemeinsame Bestimmungen 60<br />
B. Zuständigkeit 61<br />
I. Subjektive Anknüpfungen der Zuständigkeit 61<br />
II. Objektive Anknüpfungen der Zuständigkeit 65<br />
C. Anwendbares Recht 68<br />
I. Subjektive Anknüpfung: Rechtswahl 68<br />
II. Objektive Anknüpfungen 69<br />
D. Besondere Vertragsverhältnisse 70<br />
I. Kauf von beweglichen Sachen 70<br />
II. Verträge über Grundstücke 72<br />
3
III. Konsumentenverträge 73<br />
IV. Arbeitsverträge 75<br />
V. gemeinsame Bestimmungen über Verträge 77<br />
E. Fall 7 79<br />
§ 7 <strong>Internationales</strong> Bereicherungsrecht 81<br />
A. Gegenstand 81<br />
B. Zuständigkeit 81<br />
I. Allgemeines 81<br />
II. Sonderfrage: vertragliche Rückabwicklung 81<br />
C. Anwendbares Recht 82<br />
§ 8 <strong>Internationales</strong> Deliktsrecht 83<br />
A. Gegenstand 83<br />
B. Zuständigkeit 83<br />
I. Allgemeines 83<br />
II. Multi-State-Delikte 84<br />
C. Anwendbares Recht 84<br />
D. Besondere Delikte 85<br />
I. Strassenverkehrsdelikte 85<br />
II. Produktemängel 86<br />
III. Wettbewerbsrecht 87<br />
IV. Immissionen 88<br />
V. Persönlichkeitsverletzungen 88<br />
VI. Art. 140 ff. IPRG 89<br />
VII. Fall 6 90<br />
§ 9 <strong>Internationales</strong> Gesellschaftsrecht 92<br />
A. Allgemeines 92<br />
B. Exkurs: Der Trust 92<br />
C. Einfache Gesellschaft 93<br />
D. Anwendbares Recht 93<br />
E. Zuständigkeit 97<br />
F Kurzfälle 97<br />
4
§ 1 ÜBERBLICK ÜBER DEN ALLGEMEINEN TEIL DES IPRG<br />
A. Internationaler Sachverhalt<br />
Ausgangspunkt des internationalen <strong>Privatrecht</strong>s ist der internationale Sachverhalt.<br />
Dieser muss einen relevanten Bezug zum Ausland aufweisen. Ein relevanter<br />
Auslandsbezug ist beispielsweise der Wohnsitz.<br />
Internationalität wird dann bejaht, wenn der Sachverhalt einen Bezug zum Ausland<br />
aufweist, den das IPRG oder ein Staatsvertrag in der betreffenden Sach- oder<br />
Rechtsfrage als Anknüpfungspunkt verwendet.<br />
Im Zweifel wird die Internationalität bejaht. Dies ist jedoch nur im Zusammenhang mit<br />
dem Kollisionsrecht praktikabel. In diesem Rahmen geht man davon aus, dass wenn<br />
der Sachverhalt solch untergeordnete Auslandsbezüge hat, trotzdem Schweizer<br />
Recht zur Anwendung gelangen wird. Die Begründung liegt darin, dass dieser<br />
untergeordnete Bezug nicht zur Anwendung des ausländischen Rechts führen wird.<br />
Es spielt somit – im Bezug auf das anwendbare Recht – keine Rolle, ob die<br />
Internationalität bejaht wird, da man faktisch auf jeden Fall wieder zurück zum<br />
Schweizer Recht gelangt.<br />
Diese Regel ist jedoch nur begrenzt auch auf die Frage der Zuständigkeit<br />
anwendbar. Bei einem internationalen Sachverhalt ist die Zuständigkeit in den Art. 2<br />
ff. IPRG oder im LugÜ geregelt. Liegt jedoch kein internationaler Sachverhalt vor, ist<br />
das Schweizer Gerichtsstandsgesetz massgeblich. Allerdings regeln weder IPRG<br />
noch Gerichtsstandsgesetz den erwähnten Zweifelsfall. Es kann somit nicht auf eine<br />
gesetzliche Lösung zurückgegriffen werden. Ebenso wenig kann man argumentieren,<br />
es sei sowieso irrelevant, da das Gerichtsstandsgesetz viele andere Zuständigkeiten<br />
vorsieht. In der Praxis ist es somit von zentraler Bedeutung, ob nun das<br />
Gerichtsstandsgesetz oder LugÜ/IPRG zur Anwendung gelangt.<br />
B. Die klassischen Fragestellungen des IPR<br />
I. Übersicht<br />
Wird die Internationalität bejaht, stellen sich folgende klassische Fragen des IPR:<br />
- Zuständigkeit<br />
Sind in diesem Sachverhalt überhaupt die Schweizer Gerichte zuständig?<br />
- Anwendbares Recht<br />
Ist überhaupt Schweizer <strong>Privatrecht</strong> anwendbar?<br />
- Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Entscheids<br />
Unter welchen Voraussetzungen ist ein ausländisches Urteil in der Schweiz<br />
vollstreckbar?<br />
5
Als erstes stellt sich die Frage der Zuständigkeit. Jedes Gericht wendet sein eigenes<br />
IPRG an. Diese jeweiligen Bestimmungen sehen natürlich unterschiedliche<br />
Regelungen vor, z.B. gilt im Nachlassverfahren in der Schweiz das Wohnsitz-, in<br />
Deutschland jedoch das Staatsangehörigkeitsprinzip. Je nach dem, welches Recht<br />
zur Anwendung gelangt, können unterschiedliche Rechtsfolgen eintreten. Daher ist<br />
es für die Frage des anwendbaren Rechts zuerst von zentraler Bedeutung, welches<br />
Gericht überhaupt zuständig ist.<br />
Diese Überlegung kommt im Rahmen von Verträgen in den Gerichtsstands- und<br />
Rechtswahlklauseln zum Ausdruck. Die privatautonome Wahl des Gerichtsstandes<br />
oder des anwendbaren Rechts ist gemäss den meisten Handelsrechtsordnungen auf<br />
der Welt möglich.<br />
II. Rechtsquellen<br />
1. Staatsverträge<br />
Art. 1 IPRG<br />
1 Dieses Gesetz regelt im internationalen Verhältnis:<br />
a. die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte oder Behörden;<br />
b. das anzuwendende Recht;<br />
c. die Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen;<br />
d. den Konkurs und den Nachlassvertrag;<br />
e. die Schiedsgerichtsbarkeit.<br />
2 Völkerrechtliche Verträge sind vorbehalten.<br />
Gemäss Art. 1 Abs. 2 IPRG ist somit vorrangig, die mögliche Anwendbarkeit von<br />
Staatsverträgen zu prüfen. Subsidiär ist das IPRG anwendbar.<br />
2. Anwendbarkeit<br />
Beispiel LugÜ<br />
- sachliche Anwendbarkeit<br />
Art. 1 LugÜ: Zivil- und Handelssachen<br />
(ausnahmsweise auch Unterhaltsfragen)<br />
- räumlich, persönliche Anwendbarkeit<br />
Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 LugÜ:<br />
Wohnort Beklagter in einem Vertragsstaat<br />
- zeitliche Anwendbarkeit<br />
wird am 1.1.2008 wieder relevant, wenn LugÜ revidiert wurde<br />
6
III. Zuständigkeit<br />
1. internationale Zuständigkeit: Die internationale Zuständigkeit bezeichnet<br />
die zuständigen Gerichte des betreffenden Staates.<br />
2. örtliche Zuständigkeit: Die örtliche Zuständigkeit bezeichnet ein<br />
bestimmtes Gericht, z.B. das Basler Gericht.<br />
3. Alternativität: Der Kläger hat mehrere Gerichtsstände zur Verfügung, z.B.<br />
Wohnsitz des Beklagten oder Erfüllungsort des Vertrages (forum<br />
Shopping)<br />
4. Ausschliesslichkeit: Nur ein Gerichtsstand ist möglich, klassischerweise<br />
der Ort der belegenen Sache bei Grundstücken<br />
5. Zwingende Zuständigkeit: Es sind keine Gerichtsstandsvereinbarungen<br />
möglich, klassischerweise im Konsumentenschutz, Arbeitsrecht,<br />
Familienrecht<br />
6. Fakultativer Gerichtsstand: Die Parteien können willkürlich einen<br />
Gerichtsstand vereinbaren<br />
IV. anwendbares Recht<br />
1. Begriff<br />
Das anwendbare Recht befasst sich mit der Frage, welches materielle Recht auf den<br />
internationalen Sachverhalt anzuwenden ist. Damit befassen sich die sog.<br />
Verweisungs- oder Kollisionsnormen.<br />
Eine Kollisionsnorm besteht aus einem Tatbestand und einer Rechtsfolge. Der<br />
Tatbestand befasst sich mit dem sog. Verweisungsbegriff, z.B. Eheschliessung,<br />
Nachlass, etc. Zuerst ist also der Anwendungsbereich einer Kollisionsnorm zu<br />
bestimmen. Für diesen Bereich gibt die Norm dann einen Anknüpfungspunkt vor,<br />
z.B. den Wohnsitz.<br />
Die Rechtsfolge ist der Verweis auf ein bestimmtes materielles Recht. Es wird<br />
beispielsweise auf das Recht am Wohnsitz des Beklagten verwiesen. Grundsätzlich<br />
handelt es sich dabei um einen Verweis auf das jeweilige materielle Recht, dies ist<br />
der Fall bei einer Sachnormverweisung. Im Gegensatz dazu verweist eine<br />
Gesamtverweisung auf das gesamte ausländische Recht, also inkl. auf das<br />
ausländische Kollisionsrecht. Diese Grundsätze sind in Art. 14 IPRG geregelt.<br />
2. Korrekturmöglichkeiten<br />
- Art. 17 IPRG: Ordre public<br />
Im Rahmen des Ordre public wird ein ungerechtes Ergebnis des<br />
ausländischen Rechts korrigiert.<br />
- Art. 15 IPRG: Ausnahmeklausel<br />
Korrigiert wird die Verweisung an sich, berufen wird das Recht mit dem<br />
engsten Zusammenhang.<br />
7
- Art. 18 IPRG: Schweizer Eingriffsnorm<br />
Eine Schweizer materiellrechtliche Norm will trotz der Anwendbarkeit eines<br />
ausländischen Rechts angewendet werden.<br />
- Art. 19 IPRG: Trotz der Anwendbarkeit des Schweizer Rechts will eine<br />
ausländische Norm angewendet werden.<br />
V. Anerkennung und Vollstreckung<br />
1. Rechtsquellen<br />
Erneut sind Staatsverträge vorrangig und wiederum ist der wichtigste Staatsvertrag<br />
in diesem Zusammenhang das LugÜ.<br />
2. Verfahren<br />
Die Art. 25 ff. IPRG und LugÜ regeln die Anerkennung und Vollstreckung der<br />
ausländischen Entscheide. Voraussetzungen hierfür sind:<br />
- endgültige Entscheidung<br />
- indirekte Zuständigkeit des ausländischen Gerichts (Art. 26 IPRG; nicht im<br />
LugÜ)<br />
- Gründe für die Verweigerung der Vollstreckung<br />
Insbesondere der Verstoss gegen den schweizerischen Ordre public ist ein<br />
Grund für die Nichtvollstreckung einer ausländischen Entscheidung.<br />
VI. Fall 1<br />
Sachverhalt 1<br />
Die Ehegatten A und B, beides griechische Staatsangehörige, haben sich endgültig<br />
auseinander gelebt. Nach einem heftigen Streit ist die Ehefrau B vor 2 Monaten aus<br />
dem gemeinsamen Haus in Basel aus- und zu ihren Eltern nach Griechenland<br />
zurückgezogen. A bittet Sie um Rechtsauskunft betreffend eine mögliche Scheidung.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
1. Ermittlung des relevanten Rechtsgebiets (wer will was von wem woraus?)<br />
A will gegen B die Scheidung erwirken. Der Fall befindet sich also im<br />
Rechtsbereich der Scheidung und Trennung. Dies ist in den Art. 59 ff. IPRG<br />
geregelt.<br />
2. internationaler Sachverhalt?<br />
Ein internationaler Sachverhalt liegt vor, wenn die relevanten<br />
Anknüpfungsmerkmale im jeweiligen Rechts- und Sachbereich ins Ausland<br />
verweisen. Internationalität ist zu bejahen, wenn der Sachverhalt einen<br />
Auslandsbezug aufweist, der im betreffenden Rechts- oder Sachbereich<br />
relevant ist.<br />
8
Gemäss Art. 59 lit. a IPRG ist der Wohnsitz ein relevantes Kriterium. Ebenso<br />
ist in den Art. 60 und 61 IPRG die Staatsangehörigkeit von Bedeutung. In casu<br />
sind beide Anknüpfungsmerkmale gegeben, da beide griechische<br />
Staatsbürger sind und B ihren Wohnsitz in Griechenland hat.<br />
3. Welche IPR-rechtliche Fragestellung ist relevant?<br />
a. Zuständigkeit<br />
i. LugÜ (-)<br />
ii. Staatsverträge: SR 0.2 und 0.17 (-)<br />
iii. IPRG<br />
Art. 59 IPRG<br />
Für Klagen auf Scheidung oder Trennung sind zuständig:<br />
a. die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten;<br />
b. die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Klägers, wenn dieser sich<br />
seit einem Jahr in der Schweiz aufhält oder wenn er Schweizer Bürger ist.<br />
In casu ist die Jahresfrist von Art. 59 lit. b IPRG gegeben, da<br />
beide Eheleute längere Zeit in der Schweiz lebten.<br />
Fazit: Die Schweizer Gerichte sind zuständig.<br />
b. Anwendbares Recht<br />
i. Staatsvertrag? (-)<br />
ii. Art. 61 ff IPRG<br />
Art. 61 IPRG<br />
1 Scheidung und Trennung unterstehen schweizerischem Recht.<br />
2 Haben die Ehegatten eine gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit<br />
und hat nur einer von ihnen Wohnsitz in der Schweiz, so ist ihr gemeinsames<br />
Heimatrecht anzuwenden.<br />
3 Ist die Scheidung nach dem gemeinsamen ausländischen Heimatrecht nicht<br />
oder nur unter ausserordentlich strengen Bedingungen zulässig, so ist<br />
schweizerisches Recht anzuwenden, wenn einer der Ehegatten auch<br />
Schweizer Bürger ist oder sich seit zwei Jahren in der Schweiz aufhält.<br />
4 Sind nach Artikel 60 die schweizerischen Gerichte am Heimatort zuständig,<br />
so wenden sie schweizerisches Recht an.<br />
Grundsätzlich ist für ein Scheidungsverfahren vor einem<br />
Schweizer Gericht gemäss Art. 61 Abs. 1 IPRG Schweizer Recht<br />
anwendbar.<br />
Die Ausnahme davon ist in Abs. 2 geregelt und betrifft den<br />
„engsten Bezug“. Dieser ist in casu gegeben, da beide Ehegatten<br />
die griechische Staatsangehörigkeit haben und nur der Ehemann<br />
bei Klageeinreichung in der Schweiz lebt. Für diesen Fall<br />
verweist das Schweizer IPRG auf das griechische Recht.<br />
Es ist nun jedoch zu prüfen, ob es sich bei dieser Verweisung um<br />
eine Sachnorm- oder eine Gesamtverweisung handelt. Sollte das<br />
9
griechische IPR ebenfalls an die Staatsangehörigkeit anknüpfen,<br />
die Verweisung also annehmen, käme griechisches Recht zur<br />
Anwendung. Bei einer Anknüpfung an den Wohnsitz des<br />
Klägers, würde es sich um eine Rückverweisung, um einen sog.<br />
Renvoi handeln. Diese Rückverweisung wird vom BGer als<br />
Sachnormverweisung verstanden, was zur Anwendbarkeit des<br />
Schweizer Rechts führen würde.<br />
In casu ist Art. 61 II eine Gesamtverweisung (vgl. Art. 14 IPRG)<br />
10
§ 2 INTERNATIONALES PERSONENRECHT<br />
A. Gegenstand des Internationalen Personenrechts<br />
Um zu umschreiben, was das internationale Personenrecht regelt, ist ein Vergleich<br />
mit den Regelungen des ZGB möglich:<br />
- Rechts- und Handlungsfähigkeit<br />
- Wirkung entsprechender Rechtshandlungen<br />
- Wohnsitz, Aufenthalt und Sitz<br />
- Namensrecht (Namensschutz und Namensänderung)<br />
- Beginn und Ende der Persönlichkeit<br />
Das internationale Personenrecht betrifft exakt diese Fragestellungen, einzig mit dem<br />
Zusatz des internationalen Bezugs. Die Vorschriften, welche diese internationalen,<br />
personenrechtlichen Fragestellungen betreffen, finden sich in den Art. 33 – 42 IPRG.<br />
Weiter sind die Art. 20 ff. IPRG von Bedeutung: Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt,<br />
Niederlassung, Sitz und Staatsangehörigkeit sowie Staatenlosigkeit.<br />
B. Merkmale der Regelung im IPRG<br />
- Unterscheidung zwischen natürlichen und juristischen Personen<br />
Die juristischen Personen sind nicht in den Art. 33 ff. IPRG geregelt, sondern<br />
werden im Gesellschaftsrecht der Art. 150 ff. IPRG behandelt.<br />
- Regelanknüpfung vs. Sonderanknüpfungen (BGE 119 II 254)<br />
Die grundsätzliche Anknüpfung im internationalen Personenrecht ist im Art. 33<br />
Abs. 1 IPRG geregelt. Allerdings gibt es verschiedenste Sondervorschriften,<br />
welche der Grundregel von Art. 33 IPRG vorgehen. Es gibt Sondervorschriften<br />
bezüglich:<br />
o Rechtsfähigkeit<br />
o Handlungsfähigkeit<br />
o Namensrecht<br />
o Verschollenerklärung<br />
o Persönlichkeitsverletzung<br />
o Wohnsitz<br />
Für den Grundsatz bleibt somit praktisch kein Spielraum mehr. Gemäss BGer<br />
spielte er nur noch für die Frage einer Geschlechtsumwandlung eine Rolle. Es<br />
stellte sich die Frage, welches Gericht im internationalen Verhältnis für diesen<br />
Sachverhalt zuständig sei und welches Recht dafür zur Anwendung gelange.<br />
Das BGer entschied, dass dies ein letzter Anwendungsfall der Grundnorm von<br />
Art. 33 Abs. 1 IPRG sei.<br />
Es lässt sich also zusammenfassend feststellen, dass die Grundnorm<br />
praktisch keine Bedeutung mehr hat, ganz im Gegensatz zu den viel<br />
bedeutsameren Sonderanknüpfungen in Bezug auf die oben genannten<br />
Anknüpfungsmerkmale.<br />
11
- <strong>Internationales</strong> Personenrecht als <strong>Teil</strong>frage<br />
Die personenrechtlichen Fragen betreffen in einem Verfahren<br />
klassischerweise nicht Hauptfragen, sondern <strong>Teil</strong>fragen oder Vorfragen eines<br />
anderen Verfahrens.<br />
Beispiel Namensänderung<br />
Der Name ist klassischerweise im Fall der Namensänderung die Hauptfrage.<br />
Andererseits sind Fragen des Verlustes des Namens im Scheidungsverfahren<br />
Nebenfragen. In diesem Fall ist die Ehescheidung die Hauptfrage, die<br />
Namensänderung erscheint dabei als Nebenfolge.<br />
Vielfach bildet die personenrechtliche Fragestellung einen <strong>Teil</strong> eines anderen<br />
Verfahrens. Es stellen sich dann spezielle Fragen der Zuständigkeit oder des<br />
anwendbaren Rechts in dieser <strong>Teil</strong>frage.<br />
C. Internationale Erkenntniszuständigkeit<br />
- internationales Personenrecht als <strong>Teil</strong>frage<br />
Beispiel:<br />
Vertrag mit einer Person, welche zu jung war zum Vertragsschluss. Nach<br />
welchen Vorschriften bestimmt sich die Zuständigkeit in einem solchen Fall?<br />
In einem solchen Fall bildet das Vertragsrecht gemäss Art. 112 ff. IPRG die<br />
Hauptfrage und die personenrechtlichen Aspekte erscheinen als <strong>Teil</strong>frage. In<br />
casu handelt es sich um eine Vertragsstreitigkeit, denn der Gläubiger verlangt<br />
die Erfüllung des Vertrages. Es gelten die Gerichtsstände des Vertragsrechts.<br />
Der Richter wird sich der Streitsache annehmen und die Frage der<br />
Handlungsfähigkeit erst später behandeln.<br />
Daraus lässt sich ein Grundsatz ableiten: Erscheint die personenrechtliche<br />
Frage nicht als Hauptfrage, erfolgt die Anknüpfung akzessorisch an diejenige<br />
der Hauptfrage.<br />
- <strong>Internationales</strong> Personenrecht als Hauptfrage<br />
o Besondere Zuständigkeitsvorschrift (Deliktsrecht, Namensrecht,<br />
Verschollenerklärung)<br />
In diesen genannten Fällen ist das internationale Personenrecht als<br />
Hauptfrage zu behandeln.<br />
Eine Persönlichkeitsverletzung ist gemäss Art. 33 Abs. 2 IPRG nach<br />
den Vorschriften des Deliktsrechts zu beurteilen. Diese befinden sich in<br />
den Art. 129 ff. IPRG. Geklagt werden muss somit entweder an den<br />
klassischen Anknüpfungsorten (Wohnsitz, Aufenthalt, Niederlassung)<br />
oder speziell am deliktischen Handlungs- bzw. Erfolgsort.<br />
12
Die Namensänderung im Rahmen des IPRG erfolgt am Wohnsitz des<br />
Gesuchsstellers oder bei einem Schweizer Bürger ohne Wohnsitz in der<br />
Schweiz bei der zuständigen Behörde an seinem Heimatort. Dies richtet<br />
sich nach Art. 38 IPRG.<br />
Die Verschollenerklärung erfolgt gemäss Art. 41 IPRG durch die<br />
Behörden am letzten bekannten Wohnsitz der verschollenen Person.<br />
Dies ist die einzig mögliche Zuständigkeit. Die Schweizer Behörden<br />
sind sogar dann zuständig, wenn der Verschollene seinen letzten<br />
Wohnsitz nicht in der Schweiz hatte, aber ein schützenswertes<br />
Interesse nachgewiesen werden kann. Ein schützenswertes Interesse<br />
in diesem Sinne wäre beispielsweise ein erbrechtliches Interesse.<br />
o Auffangtatbestand Art. 33 Abs. 1 IPRG<br />
Dieser hat kaum mehr eine Bedeutung siehe Ausführungen oben.<br />
D. Anwendbares Recht<br />
I. Allgemeines<br />
- Sonderanknüpfungen: Rechtsfähigkeit, Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit,<br />
Handlungsfähigkeit (BGE 113 II 476), Namensrecht (BGE 116 II 202),<br />
Verschollenerklärung<br />
Grundsätzlich bilden die personrechtlichen Fragen vielfach einen <strong>Teil</strong> eines<br />
anderen Verfahrens. Dabei wird diese Fragestellung gesondert angeknüpft.<br />
Im Gegensatz zur Zuständigkeit erfolgt die Anknüpfung im Rahmen des<br />
anwendbaren Rechts gesondert.<br />
Im Beispiel des Vertragsschlusses mit einer handlungsunfähigen Person<br />
wurde die akzessorische Anknüpfung zur Bestimmung der Zuständigkeit<br />
bereits erläutert. Die Frage nach dem anwendbaren Recht betreffend<br />
Handlungsfähigkeit bestimmt sich nach Art. 35 IPRG.<br />
Personenrechtliche Fragen werden grundsätzlich als lex specialis gesondert<br />
angeknüpft.<br />
Die Deliktsfähigkeit andererseits bestimmt sich nach Art. 142 IPRG. Dabei<br />
handelt es sich um eine Umkehr des eben erwähnten Grundsatzes. Hier gilt<br />
nicht die Sonderanknüpfung der personenrechtlichen Fragen, sondern die<br />
Hauptfrage des Personenrechts. Eine weitere solche Anknüpfung findet sich<br />
im internationalen Erbrecht in Art. 94 IPRG. Nach herrschender Lehre besteht<br />
diese Ausnahme der Ausnahme auch beim Eheschliessungsstatut (Art. 44<br />
IPRG). Das auf die Eheschliessung anwendbare Recht umfasst somit auch<br />
die Frage der Ehemündigkeit.<br />
13
Es gilt also der Grundsatz der selbständigen Anknüpfung des anwendbaren<br />
Rechts, es sei denn, das IPRG sieht speziell für einzelne Fälle eine<br />
Anknüpfung nach der Hauptsache vor.<br />
- Auffangtatbestand Art. 33 Abs. 1 IPRG<br />
II. Die einzelnen Aspekte des internationalen Persönlichkeitsrechts<br />
1. Rechtsfähigkeit (Art. 34 IPRG)<br />
Die Rechtsfähigkeit ist dogmatisch wohl die wichtigste Frage hinsichtlich des<br />
Personenrechtes. Es geht um die Frage desjenigen Rechts, nach welchem sich<br />
bestimmt, ob eine Person Träger von Rechten und Pflichten sein kann.<br />
Art. 34 Abs. 1 IPRG beruft für diese Fragen, als einseitige Kollisionsnorm, das<br />
Schweizer Recht.<br />
Dagegen ist Art. 34 Abs. 2 IPRG eine akzessorische Anknüpfung. Beginn und Ende<br />
der Persönlichkeit unterstehen bspw. demjenigen Recht, welches auch den Nachlass<br />
regelt.<br />
Hinsichtlich der Beendigung des Vertragsverhältnisses bei Tod eines<br />
Vertragspartners, richtet sich die Bestimmung des Todes, also ob die Person<br />
beispielsweise schon bei Atemstillstand als tot gilt, nach dem Recht, welches auf das<br />
Vertragsverhältnis angewendet wird (Art. 34 Abs. 2 IPRG).<br />
Die Rechtsfähigkeit untersteht also prinzipiell dem Schweizer Recht. Anders ist die<br />
Frage nach Beginn und Ende der Persönlichkeit zu behandeln. Hier wird<br />
akzessorisch an das Recht angeknüpft, welches Beginn und Ende der Persönlichkeit<br />
für eine konkrete Rechtsfrage als relevant erklärt.<br />
2. Handlungsfähigkeit (Art. 35 IPRG)<br />
Art. 35 IPRG sagt im Grundsatz, dass die Handlungsfähigkeit einer Person dem<br />
Recht an deren Wohnsitz untersteht. Somit bestimmt das Recht, welches am<br />
Wohnsitz einer Person gilt, ob diese handlungsfähig ist oder nicht.<br />
Hiervon gibt es zwei Ausnahmen:<br />
- eine Person, welche einmal handlungsfähig wurde, behält diese auch bei<br />
Wohnsitzwechsel (Art. 35 S. 2 IPRG)<br />
- Grolimund: „…das ist der klassische Mexikanerfall…“<br />
Ein 20-jähriger Mexikaner wollte in Paris eine Uhr kaufen. Er war nach<br />
mexikanischem Recht noch nicht handlungsfähig. Konnte der Vertragspartner<br />
nicht erkennen, dass der Mexikaner noch nicht handlungsfähig war, darf sich<br />
dieser auch nicht später auf seine Handlungsunfähigkeit berufen. Art. 36 IPRG<br />
regelt dies im Sinne des Verkehrsschutzes.<br />
14
3. Name (Art. 37 ff. IPRG)<br />
Die Fälle, in welchen sich ein Statusakt (Eheschliessung, Ehescheidung, Adoption,<br />
auf die Welt kommen, etc.) auf den Namen auswirkt, sind in Art. 37 IPRG geregelt.<br />
Wird der Name jedoch aufgrund eines behördlichen Aktes (z.B. Namenswechsel auf<br />
Antrag) beeinflusst, fällt dies unter die Bestimmungen des Art. 38 IPRG.<br />
a) Wechsel des Namens aufgrund eines Statusaktes (Art. 37 IPRG)<br />
Primäre Anknüpfung im Rahmen des Art. 37 IPRG ist die Rechtswahl. Bei<br />
Eheschliessung kann für die Fragen des Namens eine Rechtswahl zugunsten<br />
des Heimatrechts getroffen werden.<br />
Wird dies nicht gewählt, gilt bei Personen mit Wohnsitz in der Schweiz<br />
Schweizer Recht. Bei Personen mit Wohnsitz im Ausland kommt dasjenige<br />
Recht zur Anwendung, auf welches das Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates<br />
verweist. Es handelt sich bei Art. 37 Abs. 1 IPRG um eine Gesamtverweisung,<br />
da das ausländische Kollisionsrecht explizit in der Norm erwähnt wird.<br />
Dies ergibt sich auch in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 IPRG. Dort steht, dass<br />
eine Verweisung grundsätzlich eine Sachnormverweisung ist – es sei denn,<br />
dass das Gesetz selbst (also das IPRG selbst) eine Gesamtverweisung<br />
vorschreibt. Dies ist in Art. 37 IPRG der Fall.<br />
b) Behördlicher Namenswechsel (Art. 38 IPRG)<br />
Bei behördlichem Namenswechsel gilt gemäss Art. 38 Abs. 3 IPRG Schweizer<br />
Recht.<br />
4. Verschollenerklärung<br />
Auch die Verschollenerklärung untersteht gemäss Art. 41 Abs. 3 IPRG Schweizer<br />
Recht. Dies ist an dieser Stelle nicht weiter auszuführen.<br />
III. Fall 2<br />
Sachverhalt 2<br />
Mary und John haben im Alter von 16 Jahren im schottischen Inverness geheiratet.<br />
Mary ist in der Folge mit ihren Eltern in die Schweiz gezogen. Vor einer Woche hat<br />
Mary, nun 17-jährig, in Basel auf Scheidung geklagt.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
1. Wer will was von wem woraus?<br />
Mary will gegen John die Scheidung.<br />
2. liegt ein internationaler Sachverhalt vor?<br />
Im Familienrecht ist immer die Staatsangehörigkeit von grosser Bedeutung.<br />
15
Der Auslandsbezug ergibt sich aus der Eheschliessung im Ausland und der<br />
ausländischen Staatsangehörigkeit der Eheleute.<br />
3. Welches sind die IPR-relevanten Fragestellungen?<br />
- Zuständigkeit der Schweizer Gerichte?<br />
Die Zuständigkeit der Schweizer Gerichte ergibt sich aus Art. 59 lit. b IPRG.<br />
Diese ist in casu gegeben, falls Mary mehr als ein Jahr in der Schweiz<br />
gewohnt hat.<br />
Im Hinblick auf die Scheidung ist die Eheschliessung IPR-rechlich gesehen<br />
eine Vorfrage. Es ist somit vorfrageweise zu prüfen, ob überhaupt eine Ehe<br />
geschlossen wurde. Weiter ist zu prüfen, ob Mary im Alter von 17 Jahren<br />
überhaupt Klage einreichen kann. Es stellt sich also die Frage der<br />
Prozessfähigkeit.<br />
Ist aufgrund der Heirat der Mary mit dem John die Mündigkeit eingetreten?<br />
Mary hat aufgrund des Art. 45a IPRG durch die Heirat mit John die<br />
Handlungsfähigkeit erlangt. Diese behält sie auch bei Wohnsitzwechsel (Art.<br />
35 IPRG), denn dieser berührt die einmal erworbene Handlungsfähigkeit nicht.<br />
Zweite Vorfrage: Ist die Ehe überhaupt in der Schweiz anerkennbar?<br />
Art. 45 Abs. 1 IPRG sagt, dass eine im Ausland gültig geschlossene Ehe in<br />
der Schweiz anerkannt wird. Die Ehe zwischen Mary und John wurde in<br />
England gültig geschlossen. Nun stellt sich die Frage, ob diese<br />
Eheschliessung in der Schweiz gegen den geltenden Ordre public verstösst.<br />
Dies ist jedoch zu verneinen.<br />
E. Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheiden<br />
- internationales Personenrecht als <strong>Teil</strong>frage<br />
- <strong>Internationales</strong> Personenrecht als Hauptfrage<br />
o Besondere Vorschriften über die indirekte Zuständigkeit<br />
(Persönlichkeitsverletzung, Namensänderung, Verschollen- und<br />
Todeserklärung)<br />
o Auffangtatbestand: Art. 26 lit. a IPRG<br />
16
§ 3 INTERNATIONALES FAMILIENRECHT<br />
A. <strong>Internationales</strong> Eherecht<br />
I. Gegenstand des internationalen Eherechts<br />
Der Begriff der Ehe ist breiter zu fassen als im ZGB. Es kann durchaus sein, dass<br />
sich das IPR mit Eheschliessungen befasst, welche nicht durch Behörden, sondern<br />
beispielsweise durch ein Stammesoberhaupt geschlossen wurden.<br />
Es geht um Lebensformen, welche vergleichbar sind mit dem Institut der Ehe im<br />
ZGB. Diese sind nicht lose, im Sinne des Zusammenlebens in einer Partnerschaft<br />
oder Wohngemeinschaft, sondern von einer bestimmten Intensität, woraus sich dann<br />
auch Rechte und Pflichten ergeben.<br />
Im Rahmen des internationalen Eherechts geht es also um das Zusammenleben,<br />
welches eine gewisse Intensität erreichen muss, von zwei unterschiedlichgeschlechtlichen<br />
Partnern.<br />
Davon abzugrenzen ist das Verlöbnis, welches im internationalen Eherecht nicht<br />
geregelt ist. Es stellt sich somit die Frage, wie dieser Status international zu<br />
handhaben ist.<br />
Weiter sind die Aspekte des Konkubinats – loseres Zusammenleben – und der<br />
gleichgeschlechtlichen Partnerschaft zu berücksichtigen und von der Ehe<br />
abzugrenzen.<br />
Zusammenfassend:<br />
- Anknüpfung am Institut der Ehe<br />
- Eingetragene Partnerschaft (bisher: vgl. BGE 119 II 264¸neu, ab 1.1.07, Art.<br />
65a ff. sowie Art. 45 Abs. 3)<br />
- Konkubinat<br />
- Verlöbnis<br />
- (Eheungültigkeit, Ehenichtigkeit)<br />
Bei den eheähnlichen Beziehungen stellt sich schlussendlich die Frage, ob die<br />
Bestimmungen des Eherechts analog angewendet werden können.<br />
B. Rechtsquellen, Entwicklungen im EG-Recht<br />
Die relevanten Vorschriften des internationalen Eherechts sind in verschiedensten<br />
Erlassen geregelt. Dabei gilt ebenfalls der Grundsatz, dass Staatsverträge den<br />
nationalen Regelungen vorgehen.<br />
Wichtig dabei ist, dass auch das LugÜ Fragen des Unterhaltes regelt. Dies ergibt<br />
sich aus Art. 5 Abs. 2 LugÜ: Gerichtsstand für Unterhaltssachen.<br />
- Tafel 72<br />
17
- Brüssel-III-VO, Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November<br />
2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von<br />
Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche<br />
Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000<br />
- Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung EG Nr.<br />
2201/2003 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung<br />
von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich, KOM<br />
(2006) 399 vom 17. Juli 2006.<br />
- Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das<br />
anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung<br />
von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der<br />
Unterhaltspflichten vom 15. Dezember 2005, KOM (2005) 0649. Dem<br />
Vorschlag war vorausgegangen das Grünbuch Unterhaltspflichten vom 15.<br />
April 2004, KOM (2004) 254 endg.<br />
C. Eheschliessung (Art. 43 – 45a IPRG)<br />
Die relevanten Fragestellungen im Zusammenhang mit der Eheschliessung können<br />
aus dem ZGB abgeleitet werden. Wie auch im IPRG betreffen die Regelungen des<br />
ZGB unter anderem das Verfahren und die materiellen Voraussetzungen der<br />
Eheschliessung (positive Voraussetzungen wie Alter oder Urteilsfähigkeit sowie<br />
Ehehindernisse wie Verwandtschaft, Mehrfachehe, u. ä.).<br />
Im internationalen Verhältnisse werden zusätzlich die folgenden Punkte relevant:<br />
- internationale Zuständigkeit<br />
Art. 43 IPRG regelt die Frage nach der Zuständigkeit der Schweizer<br />
Behörden, international eine Ehe zu schliessen.<br />
Grundsätzlich sind die Schweizer Behörden gemäss Abs. 1 immer dann<br />
zuständig, wenn die Braut oder der Bräutigam Wohnsitz in der Schweiz oder<br />
das Schweizer Bürgerrecht hat.<br />
Es braucht also bei den Ehegatten entweder das Schweizer Bürgerrecht oder<br />
den Wohnsitz in der Schweiz.<br />
Weiter regelt diese Vorschrift nur die internationale Zuständigkeit zur<br />
Eheschliessung, die zuständige Behörde bestimmt sie jedoch nicht.<br />
Der erwähnte Grundsatz kann jedoch gemäss Abs. 2 gelockert werden. Will<br />
ein ausländisches Ehepaar ohne Wohnsitz in der Schweiz trotzdem hier<br />
heiraten, kann dies durch die zuständige Behörde bewilligt werden. Damit will<br />
man ein sog. hinkendes Rechtsverhältnis vermeiden. Der Gedanke, dass<br />
Schweizer zwar beispielsweise in den Ferien im Ausland heiraten können und<br />
Ausländer in der Schweiz nicht, soll durch diese Bestimmung korrigiert werden<br />
können.<br />
Hiervon macht das IPRG nochmals eine Ausnahme. Abs. 3 ist sozusagen die<br />
Ausnahme von der Ausnahme. Brautleute können auch dann in der Schweiz<br />
heiraten, wenn eine zuvor nötige Scheidung im Ausland nicht<br />
anerkennungsfähig wäre. Diese ist eine Folge der Ehefreiheit.<br />
18
Das maltesische Recht beispielsweise sieht ausdrücklich keine<br />
Scheidungsmöglichkeit vor.<br />
Beispiel: Ein bereits verheirateter Malteser will in der Schweiz heiraten. Die<br />
Voraussetzungen des Abs. 2 wären nicht erfüllt, da eine allfällige Scheidung in<br />
Malta nicht anerkannt würde und so eine erneute Heirat ebenfalls nicht, da der<br />
Malteser so doppelt verheiratet wäre. Eine Heirat wäre somit gemäss Abs. 2 in<br />
der Schweiz nicht möglich, denn die erneute Heirat würde in Malta nicht<br />
anerkannt.<br />
Abs. 3 bildet nun als Ausfluss der Ehefreiheit die Gegenausnahme von der<br />
Ausnahme und begründet trotzdem eine Schweizer Zuständigkeit, sodass der<br />
Malteser trotzdem eine neue Ehe eingehen kann.<br />
- Anwendbares Recht<br />
Der Grundsatz des Art. 44 Abs. 1 IPRG ist der, dass bei einer Heirat in der<br />
Schweiz auch Schweizer Recht anwendbar ist. Es handelt sich um eine<br />
einseitige Kollisionsnorm mit einer Verweisung auf die Art. 97 ff. ZGB.<br />
Hiervon macht das Gesetz wieder eine Ausnahme in Abs. 2:<br />
Bei einer Eheschliessung zwischen zwei Ausländern, welche die<br />
Voraussetzungen des Schweizer Rechts zur Eheschliessung nicht erfüllen,<br />
können die Brautleute die Ehe unter das eigene Heimatrecht stellen. Dies<br />
jedoch nur, falls das berufene Recht andere Gültigkeitsvoraussetzungen kennt<br />
und der konkrete Fall nach Heimatrecht zulässig ist.<br />
Beispiele:<br />
o Alter: das ausländische Recht lässt die Ehe ab 16 Jahren zu<br />
o Polygamie: das ausländische Recht lässt die Polygamie zu<br />
o Verwandtschaft: das ausländische Recht lässt die Ehe unter<br />
Geschwistern zu<br />
o Urteilsfähigkeit: das ausländische Recht lässt die Ehe zwischen zwei<br />
urteilsunfähigen zu<br />
Das Problem ist jedoch, dass viele dieser Beispiele dem Ordre public in der<br />
Schweiz zuwider laufen. Der einzig mögliche Anwendungsfall ist das Alter, wie<br />
es im Sachverhalt 2 behandelt wurde. Alle anderen, vom Schweizer Recht<br />
abweichenden Gültigkeitsvoraussetzungen sind Ordre public widrig.<br />
Die Form der Eheschliessung untersteht gemäss Abs. 3 in jedem Fall dem<br />
Schweizer Recht. Dadurch werden rein religiöse Heiraten ausgeschlossen. In<br />
der Schweiz gibt es nur die Möglichkeit der Eheschliessung durch den Staat.<br />
- Anerkennung von im Ausland geschlossenen Ehen (Art. 45 IPRG)<br />
Generell wird jede im Ausland gültig geschlossene Ehe in der Schweiz<br />
anerkannt (Art. 45 Abs. 1 IPRG), es sei denn es läge ein Umgehungstatbestand<br />
gemäss Art. 45 Abs. 2 IPRG vor.<br />
Das Schweizer IPRG ist sehr grosszügig in der Anerkennung von im Ausland<br />
abgeschlossenen Ehen. Es prüft insbesondere keine Fragen der indirekten<br />
19
Zuständigkeit. Es spielt aus Schweizer Sicht somit keine Rolle, ob die<br />
ausländische Behörde zuständig war oder nicht.<br />
Mit den Nichtigkeitsgründen in Abs. 2 meint das IPRG all jene Ehehindernisse,<br />
welche nicht sowieso vom Ordre public erfasst werden. Im Prinzip ist hier<br />
wiederum nur das fehlende Mündigkeitsalter gemeint.<br />
Beispiel für Fragestellungen in der Rechtsprechung:<br />
- Eheschliessung und Ordre public, z.B. Verheiratung des Kindes durch die<br />
Eltern oder ausländische Ehe einzig durch einen Geistlichen (vgl. BGE 114 II<br />
1);<br />
- Geltendmachung von Ehewirkungen im Inland bei Doppelehe (Ordre public<br />
Verstoss?)<br />
D. Wirkungen der Ehe (Art. 46 – 50 IPRG; exkl. Ehegüterrecht)<br />
I. Allgemeines<br />
In der Systematik des materiellen Rechts wird unterschieden zwischen den<br />
Ehewirkungen im Allgemeinen und dem ehelichen Güterrecht. Es ist also immer von<br />
zentraler Bedeutung, ob man von den Ehewirkungen im Allgemeinen spricht oder<br />
vom Güterrecht. Dieses ist separat geregelt.<br />
Auch andere Ehewirkungen werden separat geregelt. Darunter fallen:<br />
- Name: Der Name wird nicht im Rahmen des Eherechts behandelt, sondern<br />
folgt einer Sonderanknüpfung (Art. 37 ff IPRG)<br />
- Bürgerrecht: Das Bürgerrecht wird in der Schweiz nicht durch das IPRG<br />
geregelt, sondern durch das Bürgerrechtsgesetz (BüG). Diese Normen sind<br />
Eingriffsnormen gemäss Art. 18 und 19 IPRG.<br />
Nachdem bereits behandelt wurde, was alles nicht durch das Familienrecht des<br />
IPRG geregelt wird, folgen nun die Themenbereiche, welche im Rahmen des IPRG<br />
behandelt werden:<br />
- Wirkungen der Ehe zwischen den Ehegatten<br />
o Treue und Beistand: Unterhalt<br />
o Arbeitserwerb<br />
o Rechtsgeschäfte<br />
o Auskunftsrechte<br />
o Zustimmungserfordernisse<br />
- Wirkungen gegenüber Dritten<br />
o Vertretung der Gemeinschaft<br />
o Zustimmungserfordernisse und<br />
20
- entsprechende Verfahren (insbesondere: Eheschutz)<br />
Der hauptsächlichste Fall in der Praxis ist die Frage des Getrenntlebens und<br />
fällt unter die Art. 43 ff. IPRG.<br />
II. IPR relevante Fragestellungen<br />
- internationale Zuständigkeit<br />
Für die Geltendmachung der Ehewirkungen sind gemäss Art. 46 IPRG die<br />
Schweizer Gerichte zuständig, wenn einer der Ehegatten seinen Wohnsitz in<br />
der Schweiz hat. Subsidiär tritt anstelle des Wohnsitzes der gewöhnliche<br />
Aufenthalt.<br />
Eine Ausnahme hiervon bildet Art. 47 IPRG mit dem Heimat- oder<br />
Notgerichtsstand. Ausnahmsweise, wenn ein Ehegatte Schweizer Bürger ist,<br />
es aber nicht möglich ist am ausländischen Wohnsitz oder Aufenthalt auf<br />
Trennung zu klagen, kann der Schweizer Bürger notfallmässig in der Schweiz<br />
die Trennung verlangen. Es handelt sich also um einen Auffangtatbestand für<br />
Schweizer Bürger, welche sich irgendwo in der Welt befinden. Diese können<br />
unter den gegebenen Umständen in der Schweiz die Trennung regeln lassen,<br />
sofern das Verfahren im Ausland unmöglich oder unzumutbar ist.<br />
Beispiele:<br />
- Unmöglichkeit: keine Zuständigkeit im Ausland, keine gesetzliche<br />
Regelung des Getrenntlebens, unverhältnismässig langes Verfahren<br />
- Zumutbarkeit: Fremde Sprache, unverhältnismässig hohe Kosten<br />
ACHTUNG: eine inhaltliche „Schlechterstellung“ eines Ehegatten<br />
genügt jedoch nicht.<br />
Grenzen der Zumutbarkeit sind allenfalls im Rahmen des Ordre public<br />
zu behandeln.<br />
- Anwendbares Recht<br />
Das anwendbare Recht bestimmt sich nach den Art. 48 und 49 IPRG.<br />
Grundsätzlich werden Fragen des Unterhaltes in Art. 49 IPRG geregelt, alle<br />
andern Fragen wie Vertretung, Auskunft oder Zustimmung in Art. 48 IPRG.<br />
Art. 48 IPRG<br />
1 Die ehelichen Rechte und Pflichten unterstehen dem Recht des Staates, in dem die<br />
Ehegatten ihren Wohnsitz haben.<br />
2 Haben die Ehegatten ihren Wohnsitz nicht im gleichen Staat, so unterstehen die ehelichen<br />
Rechte und Pflichten dem Recht des Wohnsitzstaates, mit dem der Sachverhalt in engerem<br />
Zusammenhang steht.<br />
3 Sind nach Artikel 47 die schweizerischen Gerichte oder Behörden am Heimatort zuständig,<br />
so wenden sie schweizerisches Recht an.<br />
In Art. 48 Abs. 1 IPRG wird nicht vorausgesetzt, dass beide Ehegatten<br />
denselben Wohnsitz haben. Für die Anwendbarkeit des Schweizer Rechts<br />
21
eicht es aus, dass beide Ehegatten in der Schweiz wohnen. Massgeblich ist<br />
somit, dass beide Ehegatten ihren Wohnsitz im gleichen Staat haben.<br />
Ist dies nicht der Fall gilt das Prinzip des engeren Sachzusammenhangs.<br />
Kriterien sind etwa:<br />
- Wo haben die Ehegatten während der Dauer der Ehe effektiv gewohnt?<br />
- Die Lehre stellt auch auf die „Schutzbedürftigkeit“ ab, was jedoch zu einem<br />
nicht ganz unproblematischen Ermessensentscheid führt.<br />
Art. 49 IPRG<br />
Für die Unterhaltspflicht zwischen Ehegatten gilt das Haager Übereinkommen vom 2. Oktober<br />
1973 über das auf die Unterhaltspflichten anzuwendende Recht.<br />
Für die Fragen des Unterhaltes verweist Art. 49 IPRG auf das Haager<br />
Übereinkommen für Unterhaltspflichten. Wenn das IPRG auf einen<br />
Staatsvertrag verweist, handelt es sich dabei um einen unbedingten<br />
Staatsvertrag, welcher weltweit zur Anwendung gelangt. Diese Staatsverträge<br />
gelten im Gegensatz zu den gegenseitigen Staatsverträgen nicht nur inter<br />
partes, sondern erga omnes und haben keinerlei Einschränkungen, was den<br />
räumlich-persönlichen Anwendungsbereich anbelangt.<br />
Das Haager Unterhaltsübereinkommen verweist in den Art. 4 ff. auf das Recht<br />
des gewöhnlichen Aufenthaltes des Unterhaltsberechtigten. Wenn dieses<br />
keinerlei Unterhalt zuspricht, wird gemäss Art. 5 HaagÜ das gemeinsame<br />
Heimatrecht der Ehegatten berufen. Wenn auch dieses keinen Unterhalt<br />
zuspricht, beruft Art. 6 des Übereinkommens das Recht am Ort der<br />
angerufenen Behörde, beruft also die lex fori.<br />
Bei diesen Anknüpfungen handelt es sich um einen klassischen Fall einer<br />
Kaskadenanknüpfung.<br />
- Anerkennung ausländischer Entscheidungen und Massnahmen<br />
Sachverhalt 3:<br />
Zur Überwindung seiner Midlife Crisis hat Peter M. das letzte Jahr auf Reisen<br />
in Afrika verbracht. Dabei hat er die Kenianerin Katie T. kennen gelernt und<br />
diese in Kenia geheiratet. Sechs Monate später ist Peter M. heimlich aus<br />
Kenia abgereist und an seinen Wohnsitz nach Basel zurückgekehrt.<br />
Auf der Suche nach ihrem Ehemann ist Katie T. vor Kurzem in Basel fündig<br />
geworden. Dabei hat sie feststellen müssen, dass ihr Peter schon seit 25<br />
Jahren mit einer Schweizerin verheiratet ist und 2 Kinder hat.<br />
Katie T. will wenigstens, dass ihr Peter M. angemessene Unterhaltszahlungen<br />
leistet. Wie ist die Rechtslage?<br />
Annahme: Nach den für Katie T. verbindlichen kenianischen Regeln kann ein<br />
Mann mit mehreren Frauen verheiratet sein.<br />
1. K will Unterhaltszahlungen von P gemäss Eherecht<br />
22
2. liegt ein internationaler Sachverhalt vor?<br />
Es handelt sich um zwei verschiedene Staatsangehörige<br />
3. IPR relevante Fragestellungen?<br />
- Zuständigkeit für die Unterhaltsfrage<br />
Das LugÜ ist für Unterhaltsfragen anwendbar. Gemäss Art. 5 Ziff. 2<br />
LugÜ muss die Entscheidung jedoch in Zusammenhang mit dem<br />
Personenstand (Scheidung oder Trennung) stehen. K will jedoch<br />
nur Unterhaltszahlungen.<br />
Gemäss Art. 2 Abs. 1 LugÜ sind die Gerichte des Staates<br />
zuständig, in welchem der Beklagte wohnt. Die örtliche Schweizer<br />
Zuständigkeit ergibt sich aus dem IPRG: Art. 46 IPRG verweist auf<br />
den Wohnsitz des Beklagten. Die Zuständigkeit der Basler Gerichte<br />
ergibt sich somit aus Art. 2 Abs. 1 LugÜ i. V. m. Art. 46 IPRG.<br />
- Anwendbares Recht<br />
Gemäss Art. 49 IPRG kommt das Haager Übereinkommen zur<br />
Anwendung. Dieses verweist in den Art. 4 ff. auf den gewöhnlichen<br />
Aufenthalt des Klägers. Die Klägerin hat in casu ihren Wohnsitz in<br />
Kenia, womit das kenianische Recht zur Anwendung gelangt.<br />
- Anerkennung der in Kenia geschlossenen Ehe<br />
Vorfrage: Für die Frage des ehelichen Unterhaltes stellt sich vorerst<br />
und vorfrageweise die Frage, ob K und T überhaupt verheiratet sind.<br />
Es stellt sich die Frage der Anerkennbarkeit der kenianischen<br />
Eheschliessung in der Schweiz. Die anerkennbare Ehe ist eine<br />
Grundbedingung für den Unterhalt.<br />
Die Anerkennung dieser im Ausland geschlossenen Ehe wird in Art.<br />
45 Abs. 1 IPRG geregelt. Die Ehe muss im Ausland gültig sein. In<br />
casu wäre dies gemäss Sachverhalt gegeben.<br />
Betrachtet man die generellen Bestimmungen über die<br />
Anerkennung von ausländischen Entscheiden in den Art. 25 ff.<br />
IPRG, fällt in Art. 27 IPRG auf, dass die Polygamie ein Verstoss<br />
gegen den Schweizer Ordre public darstellen könnte.<br />
Gemäss BGer fällt die Mehrfachehe jedoch nicht unter den Ordre<br />
public. Es handle sich dabei um einen Grundsatz der grundrechtlich<br />
garantierten Ehefreiheit.<br />
Es lässt sich jedoch ebenso gut der Standpunkt vertreten, dass die<br />
Mehrfachehe in der Schweiz Ordre public widrig sei. Jedoch ist auch<br />
dann anzuerkennen, dass es Fälle gibt, welche für die Zulässigkeit<br />
der Polygamie sprechen.<br />
In casu lässt sich die Annahme der Mehrfachehe deshalb vertreten,<br />
weil sich dies insbesondere aus einem gewissen Schutzgedanken<br />
bezüglich des unterhaltsberechtigten Ehegatten ergibt. Die K,<br />
welche aus ihrer Sicht durchaus davon ausgehen durfte, dass auch<br />
23
eine allfällige Mehrfachehe kein Hinderungsgrund für ihre Ehe mit P<br />
darstellt, hat Anspruch auf Unterhaltszahlungen.<br />
Beispiele für Fragestellungen in der Rechtsprechung:<br />
- Abgrenzung zwischen Eheschutz und Ehegüterrecht bei der Frage der<br />
güterrechtlichen Auseinandersetzung eines Eheverfahrens (BGE 119 II 167);<br />
- Abgrenzung zwischen den allgemeinen Ehewirkungen und dem<br />
Unterhaltsanspruch sowie Einzelfragen zum Haager Unterhaltsübereinkommen<br />
(BGE 119 II 167)<br />
E. Ehegüterrecht (Art. 51 – 58 IPRG)<br />
I. Allgemeines<br />
Das internationale Ehegüterrecht befasst sich mit Fragestellungen der Auswirkungen<br />
der Ehe auf die Vermögensverhältnisse der Ehegatten. Es ist dabei zwischen zwei<br />
Betrachtungsweisen zu unterscheiden:<br />
1. Verhältnis zwischen den Ehegatten: Das güterrechtliche Innenverhältnis<br />
Im Rahmen des güterrechtlichen Innenverhältnisses befasst man sich mit den<br />
Fragen betreffend Güterstand: Welchem Güterstand unterstehen die<br />
Ehegatten? Wie sind die Eigentumsverhältnisse geregelt? Wie sind die<br />
Verfügungsverhältnisse?<br />
2. Verhältnis der Ehegatten mit Dritten: Das güterrechtliche Aussenverhältnis<br />
Beim güterrechtlichen Aussenverhältnis geht es um Fragen des<br />
Haftungssubstrates, der Vertretung des anderen Ehegatten gegenüber Dritten,<br />
insbesondere auch um Zustimmungserfordernisse für Rechtsgeschäfte.<br />
II. Zuständigkeit (Art. 51 IPRG)<br />
Ausgangsfrage im Zusammenhang mit der Zuständigkeit ist auch hier die Frage nach<br />
den Behörden, welche für einen Sachverhalt mit internationalem Bezug zuständig<br />
sind.<br />
Art. 51 IPRG<br />
Für Klagen oder Massnahmen betreffend die güterrechtlichen Verhältnisse sind zuständig:<br />
a. für die güterrechtliche Auseinandersetzung im Falle des Todes eines Ehegatten die<br />
schweizerischen Gerichte oder Behörden, die für die erbrechtliche Auseinandersetzung<br />
zuständig sind (Art. 86–89);<br />
b. für die güterrechtliche Auseinandersetzung im Falle einer gerichtlichen Auflösung oder<br />
Trennung der Ehe die schweizerischen Gerichte, die hierfür zuständig sind (Art. 59, 60, 63, 64);<br />
c. in den übrigen Fällen die schweizerischen Gerichte oder Behörden, die für Klagen oder<br />
Massnahmen betreffend die Wirkungen der Ehe zuständig sind (Art. 46, 47).<br />
24
Art. 51 IPRG ist eine klassische Form der akzessorischen Zuständigkeitsanknüpfung.<br />
Die Zuständigkeit selbst wird nicht geregelt, sondern es wird akzessorisch an andere<br />
Zuständigkeiten angeknüpft:<br />
- lit. a: erbrechtliche Streitigkeiten<br />
- lit. b: Scheidung und Trennung<br />
- lit. c: sonstige Fälle, in welchen sich güterrechtliche Fragestellungen ergeben<br />
können<br />
Litera a knüpft an die Art. 86 ff. an: Zuständig sind die Schweizer Gerichte, welche<br />
auch für den Nachlass zuständig sind. Gemäss Art. 86 IPRG sind die Schweizer<br />
Gerichte zuständig, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz<br />
hatte.<br />
Dies zeigt, wieso überhaupt akzessorisch angeknüpft wird. Dahinter stehen<br />
materiellrechtliche Überlegungen: Wenn eine verheiratete Person stirbt, muss<br />
zwingend vor der erbrechtlichen die güterrechtliche Auseinandersetzung erfolgen.<br />
Dies ist unumgänglich, um den Nachlass überhaupt zu bestimmen.<br />
Zuständig für die güterrechtliche Auseinandersetzung sind daher die Gerichte,<br />
welche sich auch mit dem Nachlass auseinander zu setzen haben.<br />
Der zweite Fall regelt die Anknüpfung in Bezug auf Scheidung und Trennung. Der<br />
Scheidungsrichter hat somit nicht nur über die Scheidung an sich zu entscheiden,<br />
sondern er muss eine Reihe von Nebenfolgen regeln, wovon eine die güterrechtliche<br />
Auseinandersetzung betrifft.<br />
Mit den vorgenannten Fragen sind praktisch 98 % der Fälle abgedeckt, in welchen<br />
sich überhaupt vor Gericht unmittelbar güterrechtliche Auseinandersetzung ergeben.<br />
In lit. c bleiben somit nur noch wenige Fälle übrig. Denkbar wären etwa Fragen im<br />
Zusammenhang mit der Gütertrennung infolge Konkurses oder im Rahmen der<br />
Eheschutzmassnahmen. Es handelt sich um Fälle des ausserordentlichen<br />
Güterstandes.<br />
Zusammenfassend sind die Schweizer Behörden in güterrechtlichen Fragen<br />
zuständig, wenn sie bereits im Rahmen der Erbschaftsauseinandersetzung,<br />
Scheidung und Trennung oder der allgemeinen Ehewirkungen zuständig sind.<br />
III. Anwendbares Recht<br />
Die Frage nach dem anwendbaren Recht ist die Frage, welcher Güterstand zwischen<br />
den Ehegatten in einem internationalen Verhältnis zu gelten hat. Dies regeln die Art.<br />
52 ff. IPRG.<br />
Wie bereits erwähnt, ist hier zwischen dem Innen- (Art. 52 ff. IPRG) und dem<br />
Aussenverhältnis (Art. 57 IPRG) des Güterrechtes zu unterscheiden. Weiter ist zu<br />
unterscheiden zwischen der subjektiven Anknüpfung (Rechtswahl) gemäss Art. 52,<br />
53 sowie z. T. 56 IPRG einerseits – und der objektiven (oder gesetzlichen)<br />
Anknüpfung bei Fehlen einer Rechtswahl gemäss Art. 54, 55 und wiederum z. T. 56<br />
IPRG andererseits.<br />
25
Der Schweizer Gesetzgeber lässt bis zu einem gewissen Grad die Parteiautonomie<br />
zu. Es gibt die Möglichkeit der Rechtswahl. Diese ist in den Art. 52 und 53 IPRG<br />
geregelt.<br />
Art. 52 IPRG<br />
1 Die güterrechtlichen Verhältnisse unterstehen dem von den Ehegatten gewählten Recht.<br />
2 Die Ehegatten können wählen zwischen dem Recht des Staates, in dem beide ihren Wohnsitz haben<br />
oder nach der Eheschliessung haben werden, und dem Recht eines ihrer Heimatstaaten. Artikel 23<br />
Absatz 2 ist nicht anwendbar.<br />
Art. 52 Abs. 2 IPRG ermöglicht jedoch nur eine beschränkte Rechtswahlmöglichkeit.<br />
Die Parteien können nur zwischen dem Recht am gemeinsamen Wohnsitz oder dem<br />
Heimatrecht eines der Ehegatten wählen.<br />
Dabei ist Art. 23 Abs. 2 IPRG nicht anwendbar. Dies betrifft diejenigen Personen,<br />
welche die Staatsangehörigkeit mehrer Staaten besitzen. Abs. 2 würde das<br />
anwendbare Recht regeln. Berufen wäre das Recht desjenigen Staates, zu welchem<br />
der Doppelstaatler den engsten Bezug hat. Im Rahmen des Art. 52 Abs. 2 IPRG<br />
spielt Art. 23 Abs. 2 IPRG jedoch keine Rolle. Somit kann jede Staatsangehörigkeit,<br />
unabhängig davon, welches die effektive ist, für eine Rechtswahl massgeblich sein.<br />
Gewählt werden können also eines der Heimatrechte der Ehegatten oder das Recht<br />
am gemeinsamen Wohnsitz.<br />
Art. 53 IPRG<br />
1 Die Rechtswahl muss schriftlich vereinbart sein oder sich eindeutig aus dem Ehevertrag ergeben. Im<br />
übrigen untersteht sie dem gewählten Recht.<br />
2 Die Rechtswahl kann jederzeit getroffen oder geändert werden. Wird sie nach Abschluss der Ehe<br />
getroffen, so wirkt sie, wenn die Parteien nichts anderes vereinbaren, auf den Zeitpunkt der<br />
Eheschliessung zurück.<br />
3 Das gewählte Recht bleibt anwendbar, bis die Ehegatten ein anderes Recht wählen oder die<br />
Rechtswahl aufheben.<br />
Das anwendbare Recht kann jederzeit – vor oder während der Ehe – schriftlich<br />
vereinbart werden. Die Rechtswahl gilt – ohne andere Vereinbarung – rückwirkend<br />
ab Eheschliessung.<br />
Praktisch viel wahrscheinlicher ist die Rechtswahl bei Abschluss und Beurkundung<br />
eines Ehevertrages. Die Form des Ehevertrages ergibt sich aus Art. 56 IPRG. Es<br />
handelt sich dabei um einen sog. favor validitatis. Es bestehen zwei Möglichkeiten,<br />
die Form anzuknüpfen: Entweder gilt für die Form des Ehevertrages die Form,<br />
welche das berufene Recht für den Ehevertrag vorschreibt oder es gilt das Recht am<br />
Abschlussort.<br />
Art. 54 IPRG<br />
1 Haben die Ehegatten keine Rechtswahl getroffen, so unterstehen die güterrechtlichen Verhältnisse:<br />
a. dem Recht des Staates, in dem beide gleichzeitig ihren Wohnsitz haben, oder, wenn dies nicht<br />
der Fall ist,<br />
b. dem Recht des Staates, in dem beide Ehegatten zuletzt gleichzeitig ihren Wohnsitz hatten.<br />
2 Hatten die Ehegatten nie gleichzeitig Wohnsitz im gleichen Staat, so ist ihr gemeinsames<br />
Heimatrecht anwendbar.<br />
26
3 Hatten die Ehegatten nie gleichzeitig Wohnsitz im gleichen Staat und haben sie auch keine<br />
gemeinsame Staatsangehörigkeit, so gilt die Gütertrennung des schweizerischen Rechts.<br />
Abs. 3 ist eine IPR-Sachnorm bezüglich der Gütertrennung. Hier hat der<br />
Gesetzgeber nicht nur das anwendbare Recht bestimmt, sondern darüber hinaus die<br />
materiellrechtlichen Konsequenzen angeordnet.<br />
Ein Wechsel des Anknüpfungsbegriffes nennt man Statutenwechsel: Änderung von<br />
Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt, Staatsangehörigkeit, etc. Dies kann nur bei<br />
wandelbaren Anknüpfungsbegriffen gegeben sein, also bei Begriffen, welche mit der<br />
Zeit ändern können. Nicht wandelbar ist der Ort der belegenen Sache bei Immobilien<br />
oder der Erfolgsort bei Delikten.<br />
Das IPRG hat drei Möglichkeiten, auf derartige Statutenwechsel zu reagieren:<br />
- Rückwirkung des neuen Rechts (Art. 55 Abs. 2 IPRG)<br />
- Spaltung des Rechts durch Anschluss und Rückwirkung<br />
- Weitergeltung des alten Rechts (Art. 55 Abs. 3 IPRG)<br />
Zieht beispielsweise ein texanisches Ehepaar in die Schweiz, gilt rückwirkend ab<br />
dem Zeitpunkt der Eheschliessung das Schweizer Recht. Die Ehegatten haben<br />
jedoch die Möglichkeit, weiterhin das alte Recht für anwendbar zu erklären –<br />
insbesondere durch eine schriftliche Vereinbarung.<br />
Was in der Praxis Probleme bereiten kann, ist der Fall, in welchem die Parteien das<br />
anwendbare Recht spalten.<br />
Beispiel:<br />
- von 1980 bis 1990 texanisches Güterrecht<br />
- von 1990 bis 2000 englisches Güterrecht<br />
- von 2000 bis 2007 Schweizer Güterrecht<br />
Eine solche Regelung verursacht Streit und Kosten. Im Prinzip müssen<br />
phasenweise drei verschiedene güterrechtliche Auseinandersetzungen<br />
vorgenommen werden.<br />
Art. 57 IPRG<br />
1 Die Wirkungen des Güterstandes auf das Rechtsverhältnis zwischen einem Ehegatten und einem<br />
Dritten unterstehen dem Recht des Staates, in dem dieser Ehegatte im Zeitpunkt der Entstehung des<br />
Rechtsverhältnisses seinen Wohnsitz hat.<br />
2 Hat der Dritte im Zeitpunkt der Entstehung des Rechtsverhältnisses das Recht, dem die<br />
güterrechtlichen Verhältnisse unterstanden, gekannt oder hätte er es kennen müssen, so ist dieses<br />
anzuwenden.<br />
Bei den Wirkungen des Güterrechtes gegen aussen geht es insbesondere um<br />
Fragen des Haftungssubstrates, um Verfügungsbeschränkungen oder<br />
vertretungsrechtliche Fragen.<br />
Im Verhältnis zu Dritten, welche mit einem Ehegatten einen Vertrag schliessen, gilt<br />
gemäss Art. 57 IPRG grundsätzlich das Güterrecht am Wohnsitz des Ehegatten zum<br />
Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Grundsätzlich kann ein Dritter also darauf<br />
27
vertrauen, dass das Recht dessen Staates anwendbar ist, in welchem der<br />
Vertragspartner-Ehegatte seinen Wohnsitz hat.<br />
Haben die Ehegatten ihren Güterstand einem anderen Recht unterstellt –<br />
beispielsweise einem Recht, in welchem die Ehefrau überhaupt kein Vermögen hat –<br />
und hat der Dritte dies gewusst, kann ihm dies entgegengehalten werden.<br />
Beispiele für Fragestellungen aus der Rechtsprechung:<br />
Einbezug von im Ausland belegenen Vermögenswerten in die güterrechtliche<br />
Auseinandersetzung vor Schweizer Gericht<br />
F. Ehescheidung und Ehetrennung<br />
Es geht allgemein formuliert darum, das Verhältnis aufzulösen, welches als Ehe<br />
begründet wurde. Dabei beginnt man stets mit der Statusfrage, mit der Scheidung als<br />
Hauptfolge. Von Bedeutung sind die folgenden zwei Fragen:<br />
a. kann in der Schweiz überhaupt geschieden werden und<br />
b. nach welchem Recht kann geschieden werden?<br />
I. Zuständigkeit<br />
Erst wenn die Möglichkeit der Scheidung gegeben ist, stellen sich die Fragen<br />
betreffend Nebenfolgen. Mit der Zuständigkeitsbejahung nach Art. 59 und 60 IPRG<br />
sind jedoch bereits die vorsorglichen Massnahmen zu berücksichtigen. Dies ergibt<br />
sich aus Art. 62 IPRG.<br />
Art. 59 IPRG<br />
Für Klagen auf Scheidung oder Trennung sind zuständig:<br />
a. die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten;<br />
b. die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Klägers, wenn dieser sich seit einem Jahr in der<br />
Schweiz aufhält oder wenn er Schweizer Bürger ist.<br />
Art. 60 IPRG<br />
Haben die Ehegatten keinen Wohnsitz in der Schweiz und ist einer von ihnen Schweizer Bürger, so<br />
sind die Gerichte am Heimatort für Klagen auf Scheidung oder Trennung der Ehe zuständig, wenn es<br />
unmöglich oder unzumutbar ist, die Klage am Wohnsitz eines der Ehegatten zu erheben.<br />
Die Bestimmung der Zuständigkeit ist gemäss den genannten Bestimmungen keine<br />
grosse Hexerei.<br />
II. Anwendbares Recht (Art. 61 IPRG)<br />
1. Die Scheidung<br />
Art. 61 IPRG<br />
1 Scheidung und Trennung unterstehen schweizerischem Recht.<br />
28
2 Haben die Ehegatten eine gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit und hat nur einer von<br />
ihnen Wohnsitz in der Schweiz, so ist ihr gemeinsames Heimatrecht anzuwenden.<br />
3 Ist die Scheidung nach dem gemeinsamen ausländischen Heimatrecht nicht oder nur unter<br />
ausserordentlich strengen Bedingungen zulässig, so ist schweizerisches Recht anzuwenden, wenn<br />
einer der Ehegatten auch Schweizer Bürger ist oder sich seit zwei Jahren in der Schweiz aufhält.<br />
4 Sind nach Artikel 60 die schweizerischen Gerichte am Heimatort zuständig, so wenden sie<br />
schweizerisches Recht an.<br />
Gemäss Art. 61 Abs. 1 ist für die Scheidungsvoraussetzungen das Schweizer Recht<br />
anwendbar, d.h. Scheidung auf gemeinsames Begehren, Scheidung nach 2 Jahren<br />
Trennung sowie Scheidung wegen Unzumutbarkeit bzw. Zerrüttung.<br />
Abs. 2 bildet davon eine Ausnahme. Anstelle des Schweizer Rechts kann das<br />
ausländische Heimatrecht berufen werden. Hat einer der Ehegatten seinen Wohnsitz<br />
im Ausland und haben beide die gleiche Staatsangehörigkeit, verweist Abs. 2 auf das<br />
gemeinsame Heimatrecht.<br />
Hiervon gibt es wieder eine Ausnahme, welche in Abs. 3 geregelt wird. Ist die<br />
Scheidung nach Abs. 2 nicht möglich oder ausserordentlich strengen Bedingungen<br />
unterworfen, ist Schweizer Recht anzuwenden, sofern einer der Ehegatten<br />
Schweizer Bürger ist oder sich seit zwei Jahren in der Schweiz aufhält.<br />
Die Bezeichnung „…auch Schweizer Bürger…“ bezieht sich auf Doppelstaatler. In<br />
diesem Fall ist Art. 23 Abs. 2 IPRG wieder nicht von Bedeutung und es ist wieder<br />
einzig die Schweizer Staatsangehörigkeit massgeblich. Es ist also wiederum nicht<br />
die effektive Staatsangehörigkeit massgeblich, sondern nur, dass eine der<br />
Staatsbürgerschaften die schweizerische ist.<br />
Art. 61 Abs. 3 IPRG ist letztendlich eine Ordre public Vorschrift, welche einem<br />
Schweizer Bürger oder einer Personen, welche sich mindestens 2 Jahre in der<br />
Schweiz aufgehalten hat, die Scheidung garantieren bzw. ermöglichen soll.<br />
2. Die Nebenfolgen (Art. 63 IPRG)<br />
Art. 63 IPRG<br />
1 Die für Klagen auf Scheidung oder Trennung zuständigen schweizerischen Gerichte sind auch für<br />
die Regelung der Nebenfolgen zuständig.<br />
2 Die Nebenfolgen der Scheidung oder Trennung unterstehen dem auf die Scheidung anzuwendenden<br />
Recht. Die Bestimmungen dieses Gesetzes über den Namen (Art. 37–40), die Unterhaltspflicht der<br />
Ehegatten (Art. 49), das eheliche Güterrecht (Art. 52–57), die Wirkungen des Kindesverhältnisses<br />
(Art. 82 und 83) und den Minderjährigenschutz (Art. 85) sind vorbehalten.<br />
Art. 63 Abs. 1 IPRG regelt die Zuständigkeit relativ simpel: Der Schweizer Richter,<br />
der die Scheidung ausspricht, ist grundsätzlich auch zuständig über die Nebenfolgen<br />
zu entscheiden.<br />
Nebenfolgen sind:<br />
- Eheliches Güterrecht<br />
- Name<br />
- Unterhalt<br />
- Kinderbelange<br />
- Zuteilung der ehelichen Wohnung<br />
29
Nicht geregelt ist der Vorsorgeausgleich. Gemäss Abs. 2 gilt im Grundsatz für jede<br />
dieser Nebenfolgen eine Sonderanknüpfung, resp. eine akzessorische Anknüpfung.<br />
Was übrig bleibt, folgt gemäss Art. 63 Abs. 2 S. 1 dem Scheidungsstatut. Dieses<br />
regelt die weiteren Nebenfolgen, wie beispielsweise den Vorsorgeausgleich.<br />
Die vorsorglichen Massnahmen sind in Art. 62 IPRG bewusst ganz ähnlich geregelt:<br />
Art. 62 IPRG<br />
1 Das schweizerische Gericht, bei dem eine Scheidungs- oder Trennungsklage hängig ist, kann<br />
vorsorgliche Massnahmen treffen, sofern seine Unzuständigkeit zur Beurteilung der Klage nicht<br />
offensichtlich ist oder nicht rechtskräftig festgestellt wurde.<br />
2 Die vorsorglichen Massnahmen unterstehen schweizerischem Recht.<br />
3 Die Bestimmungen dieses Gesetzes über die Unterhaltspflicht der Ehegatten (Art. 49), die<br />
Wirkungen des Kindesverhältnisses (Art. 82 und 83) und den Minderjährigenschutz (Art. 85) sind<br />
vorbehalten.<br />
Ist der Schweizer Richter für die Scheidung zuständig, ist er ebenfalls zuständig für<br />
die vorsorglichen Massnahmen. Das anwendbare Recht ist auch hier das Schweizer<br />
Recht – es sei denn, es gehe eine Sonderanknüpfung gemäss Art. 62 Abs. 3 IPRG<br />
vor.<br />
Voraussetzungen der Aufhebung oder Trennung des Ehebandes, Nebenfolgen von Scheidung und<br />
Trennung, insbesondere: Statusfragen (Name, Bürgerrecht), Güterrecht, Erbrecht, nachehelicher<br />
Unterhalt, Vorsorgeausgleich, Kinderzuteilung und Kinderunterhalt; Verfahren der Scheidung und<br />
Trennung; vorsorgliche Massnahmen; Ergänzung und Abänderung von Scheidungsurteilen<br />
- internationale Zuständigkeit<br />
- Anwendbares Recht<br />
- Anerkennung ausländischer Entscheidungen<br />
Beispiele aus der Rechtsprechung: Wird für die Berechnung der 1 Jahresfrist von Art.<br />
59 lit. b IPRG auf die Anhängigmachung der Scheidungsklage oder auf den<br />
Urteilszeitpunkt abgestellt (vgl. BGE 119 II 64)? Wann begründet ein ausländischer<br />
Ehegatte in der Schweiz Wohnsitz im Sinne von Art. 59 lit. b IPRG? Der Bestand der<br />
im Ausland geschlossenen Ehe als Vorfrage der Ehescheidung (BGE 114 II 1);<br />
Rücksichtnahme des Schweizer Richters auf die Anerkennbarkeit der Schweizer<br />
Scheidung im Heimatstaat der Ehegatten? Welches ist das Verhältnis zwischen<br />
vorsorglichen Massnahmen nach Art. 62 und nach Art. 10 IPRG? Sind vorsorgliche<br />
Massnahmen anerkennbare „Entscheidungen“ im Sinne von Art. 25 IPRG?<br />
Ergänzung eines französischen Scheidungsurteils, das keine Regelung über den<br />
Vorsorgeausgleich enthält (BGE 131 III 289, sodann auch BGE 130 III 336)?<br />
Zahlreiche ordre public Fragen bei der Anerkennung ausländischer Scheidungen<br />
(Privatscheidung, Verstossung, Stellvertretung u. ä.)<br />
III. Fall 4<br />
Sachverhalt 4<br />
Die Ehegatten Z und K sind beides irische Staatsangehörige. Sie haben vor 12<br />
Jahren in der Schweiz Wohnsitz genommen. Der Ehemann hat in den letzten 12<br />
Jahren bei einer Schweizer Bank gearbeitet. Die Ehefrau ist Hausfrau. Letztes Jahr<br />
30
ist es zum Streit gekommen. Die Ehefrau ist zu ihrer Mutter nach Irland gezogen. Vor<br />
kurzem hat der Ehemann in Basel auf Scheidung geklagt.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
Nach irischem Recht ist eine Scheidung unter folgenden Voraussetzungen möglich:<br />
- the parties must have been living apart from one another for a period<br />
amounting to four out of the previous five years before the application is made.<br />
- There must be no reasonable prospect of reconciliation.<br />
1. Der Ehemann will die Scheidung inklusive Nebenfolgen<br />
2. Internationalität<br />
Wohnsitz und Staatsangehörigkeit der Parteien weisen auf einen<br />
internationalen Sachverhalt hin.<br />
3. Zuständigkeit für die Statusfrage<br />
In diesem Sachverhalt stellt sich zuerst die Frage nach der Zuständigkeit der<br />
Basler Gerichte. Weiter ist die Frage des anwendbaren Rechts zu klären. Erst<br />
wenn die Basler Gerichte zuständig sind, stellt sich die Frage nach der<br />
Zuständigkeit und dem anwendbaren Recht bezüglich allfälliger Nebenfolgen.<br />
Gemäss Art. 59 lit. b IPRG sind die Gerichte am Wohnsitz des Klägers<br />
zuständig, wenn sich dieser seit einem Jahr in der Schweiz aufhält.<br />
4. anwendbares Recht für die Statusfrage<br />
Art. 61 IPRG<br />
1 Scheidung und Trennung unterstehen schweizerischem Recht.<br />
2 Haben die Ehegatten eine gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit und hat nur einer<br />
von ihnen Wohnsitz in der Schweiz, so ist ihr gemeinsames Heimatrecht anzuwenden.<br />
3 Ist die Scheidung nach dem gemeinsamen ausländischen Heimatrecht nicht oder nur unter<br />
ausserordentlich strengen Bedingungen zulässig, so ist schweizerisches Recht anzuwenden,<br />
wenn einer der Ehegatten auch Schweizer Bürger ist oder sich seit zwei Jahren in der<br />
Schweiz aufhält.<br />
4 Sind nach Artikel 60 die schweizerischen Gerichte am Heimatort zuständig, so wenden sie<br />
schweizerisches Recht an.<br />
Art. 61 Abs. 2 IPRG verweist weiter auf das Heimatrecht der Eheleute. Dabei<br />
stellt sich die Frage, ob dieser Artikel eine Gesamt- oder<br />
Sachnormverweisung ist.<br />
Art. 14 IPRG<br />
1 Sieht das anwendbare Recht eine Rückverweisung auf das schweizerische Recht oder eine<br />
Weiterverweisung auf ein anderes ausländisches Recht vor, so ist sie zu beachten, wenn<br />
dieses Gesetz sie vorsieht.<br />
2 In Fragen des Personen- oder Familienstandes ist die Rückverweisung auf das<br />
schweizerische Recht zu beachten.<br />
31
Gemäss Art. 14 IPRG ist jede Verweisung grundsätzlich eine<br />
Sachnormverweisung, ausser das Gesetz bestimmt ausdrücklich etwas<br />
anderes. Dies ist allerdings nur bei Art. 37 oder 91 IPRG der Fall.<br />
Gemäss Art. 14 Abs. 2 IPRG sind Statusfragen als Rückverweisungen zu<br />
betrachten.<br />
Art. 61 Abs. 2 IPRG verweist auf das irische IPRG. Es stellt sich somit die<br />
Frage, nach welchem Recht der irische Richter die Scheidung beurteilen<br />
würde. Das irische IPRG stellt auf das Heimatrecht ab. Dies wäre die<br />
Annahme der Gesamtverweisung.<br />
Sollte das irische IPRG an den letzten gemeinsamen Wohnsitz anknüpfen,<br />
wäre dies eine Rückverweisung oder ein Renvoi auf das schweizerische<br />
Recht. Diese Rückverweisung ist gemäss BGer als Sachnormverweisung zu<br />
betrachten.<br />
Sollte der Ehemann mittlerweile in Spanien seinen Wohnsitz begründet haben<br />
und sollte das irische IPRG auf den Wohnsitz des Ehemannes abstellen, wäre<br />
diese eine Weiterverweisung. Gemäss Art. 14 Abs. 2 IPRG sind jedoch nur<br />
Rückverweisungen zu beachten.<br />
Art. 14 Abs. 2 ist nur eine halbe Gesamtnormverweisung. Art. 14 Abs. 1 i. V.<br />
m. 37 oder 91 IPRG sind ganze Gesamtnormverweisungen. Hier würde auch<br />
eine Weiterverweisung berücksichtigt und das berufene Recht des Drittstaates<br />
käme zur Anwendung.<br />
Im Rahmen von Art. 14 Abs. 2 IPRG wäre eine Weiterverweisung<br />
unbeachtlich. Das Schweizer Recht kommt jedoch grundsätzlich nur zur<br />
Anwendung, wenn das irische Recht zurückverweist. Sollte das irische Recht<br />
weiter verweisen, würde dies aber so interpretiert, dass es nicht angewendet<br />
werden will. Es käme somit trotzdem das Schweizer Recht zur Anwendung.<br />
In casu ist jedoch davon auszugehen, dass das irische Recht die Verweisung<br />
annimmt. Eine Scheidung wäre gemäss dem irischen Recht nicht möglich, da<br />
die Eheleute in den letzten 5 Jahren mindestens 4 Jahren getrennt gelebt<br />
haben müssten.<br />
Eine Scheidung käme nur im Rahmen des Art. 61 Abs. 3 IPRG unter<br />
Berücksichtigung des Schweizer Ordre public in Frage. Dies wird jedoch<br />
äusserst schwierig, wohl könnte aber argumentiert werden, dass die Schweiz<br />
aufgrund der früheren 4-jahres Frist vom EuGH gerügt wurde.<br />
Fazit: In casu kann nicht geschieden werden.<br />
Variante:<br />
Annahme: Die 4 Jahresfrist ist Ordre public widrig, sie können also scheiden.<br />
32
Von Interesse sind somit die Nebenfolgen:<br />
- Unterhalt<br />
o Zuständigkeit:<br />
Art. 2 Abs. 1 LugÜ; die Gerichte am Wohnsitz des Ehemannes sind<br />
zuständig<br />
o Anwendbares Recht:<br />
Art. 63 Abs. 2 IPRG verweist auf den Art. 49 IPRG. Dieser erklärt für<br />
Unterhaltsfragen das Haager Übereinkommen für anwendbar.<br />
Das Haager Übereinkommen beruft das Recht am gewöhnlichen<br />
Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten, ersatzweise das<br />
gemeinsame Heimatrecht und schliesslich das Recht des<br />
Forumsstaates (Art. 8 HaagÜ).<br />
Das Haager Übereinkommen bestimmt, dass sich der Unterhalt nach<br />
dem Recht bestimmt, welches auch die Scheidung regelt.<br />
- Güterrecht<br />
o Zuständigkeit:<br />
Art. 51 lit. b IPRG erklärt den Scheidungsrichter für zuständig<br />
o Anwendbares Recht<br />
Wurde keine Rechtswahl getroffen, ist Schweizer Güterrecht<br />
massgeblich<br />
- Vorsorgeausgleich<br />
o Zuständigkeit:<br />
Art. 63 Abs. 1 IPRG (da LugÜ nicht anwendbar): Schweizer Richter<br />
o anwendbares Recht<br />
Art. 61 Abs. 3 IPRG beruft das Schweizer Recht<br />
IV. angrenzende Fragestellungen<br />
1. Verlöbnis<br />
Bei einem Verlöbnis geht es um eine Vorstufe zur Eheschliessung. Ein Paar<br />
entscheidet sich zu heiraten und gibt sich das Eheversprechen.<br />
Das Verlöbnis wird im ZGB geregelt, nicht jedoch im IPRG. Das Schweizer Recht ist<br />
daher eher speziell, indem es das Verlöbnis regelt.<br />
Aus Schweizer Sicht hat das Verlöbnis gewisse Wirkungen, man kann jedoch nicht<br />
auf Realerfüllung klagen und einen Verlobten zur Heirat verurteilen. Wurden jedoch<br />
während der Dauer des Verlöbnisses Geschenke gemacht, können diese gemäss<br />
ZGB zurückverlangt werden. Weiter sind die Aufwendungen im Hinblick auf die<br />
Hochzeit derart geregelt, dass sich ein allfällig Geschädigter schadlos halten kann.<br />
Beispiel<br />
Ein Schweizer mit Wohnsitz in Basel, hat sich mit einer Deutschen – ebenfalls mit<br />
Wohnsitz in Basel – verlobt. Anlässlich dieser Verlobung hat der Verlobte dieser<br />
Verlobten ein Collier geschenkt.<br />
33
Schliesslich ist es zum Bruch gekommen und die Verlobte zieht zurück nach<br />
Deutschland. Der Verlobte möchte den Schmuck zurück.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
Fragestellung: Welchem Recht untersteht nun ein allfälliger Anspruch des ehemals<br />
Verlobten gegen seine damalige Lebensgefährtin auf Rückgabe des Schmucks?<br />
a. anwendbares Recht<br />
Da das Verlöbnis nicht im IPRG geregelt wird, stellt sich die Frage der<br />
analogen Anwendung von anderen Bestimmungen. Möglich wären:<br />
- Vertragsrecht<br />
- Bereicherungsrecht<br />
- Gesellschaftsrecht<br />
- Eherecht<br />
- Personenrecht<br />
Ist nicht feststellbar, welche der Vorschriften nun Geltung verlangt, liegt ein<br />
klassischer Fall eines Qualifikationsproblems vor. Im materiellen Recht gibt es<br />
eine Rechtsbeziehung, welche im IPRG nicht geregelt wurde. Nun stellt sich<br />
das Problem der Qualifikation, da dieses Gebilde unter die bestehenden<br />
Vorschriften des IPRG zu subsumieren ist.<br />
Ein ähnliches Problem stellt sich mit der Behandlung der<br />
gleichgeschlechtlichen Ehe. Das Problem besteht darin, dass ein<br />
ausländisches Recht – beispielsweise das Dänische Recht – ein Rechtsinstitut<br />
kennt, welches das Schweizer Recht nicht vorsieht.<br />
Der dritte Fall, in welchem es zu einem Qualifikationsproblem kommt, ist<br />
derjenige, in welchem das ausländische und das Schweizer Recht dieselbe<br />
Frage unterschiedlich regeln. Das eine Recht regelt sie im materiellen Recht,<br />
das andere Recht betrachtet sie als prozessuale Frage. Hauptbeispiel hierfür<br />
sind die Verjährungsfragen.<br />
aa) Qualifikation der Schenkung als Vertrag<br />
Art. 117 IPRG<br />
1 Bei Fehlen einer Rechtswahl untersteht der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er am<br />
engsten zusammenhängt.<br />
2 Es wird vermutet, der engste Zusammenhang bestehe mit dem Staat, in dem die Partei,<br />
welche die charakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder,<br />
wenn sie den Vertrag aufgrund einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat,<br />
in dem sich ihre Niederlassung befindet.<br />
3 Als charakteristische Leistung gilt namentlich:<br />
a. bei Veräusserungsverträgen die Leistung des Veräusserers;<br />
b. bei Gebrauchsüberlassungsverträgen die Leistung der Partei, die eine Sache oder ein<br />
Recht zum Gebrauch überlässt;<br />
c. bei Auftrag, Werkvertrag und ähnlichen Dienstleistungsverträgen die Dienstleistung;<br />
d. bei Verwahrungsverträgen die Leistung des Verwahrers;<br />
e. bei Garantie- oder Bürgschaftsverträgen die Leistung des Garanten oder des Bürgen.<br />
34
Gemäss Art. 117 Abs. 2 IPRG wird bei Verträgen das Recht am Aufenthaltsort<br />
derjenigen Partei berufen, welche die charakteristische Leistung erbringt.<br />
Diese charakteristische Leistung wird in Absatz 3 beispielhaft ausgeführt.<br />
In einem Synallagma ist die grundsätzlich diejenige Leistung charakteristisch,<br />
welche nicht die Geldleistung ist.<br />
Die charakteristische Leistung in einem Verlöbnis ist kaum bestimmbar.<br />
Art. 117 Abs. 2 IPRG stellt aber eine Vermutung auf. Er vermutet, dass der<br />
engste Zusammenhang mit dem Staat bestehe, in welchem die Partei, welche<br />
die charakteristische Leistung erbringt, ihren Wohnsitz hat.<br />
Wenn diese Vermutung – wie in casu – nicht greift, gelangt wieder Art. 117<br />
Abs. 1 IPRG zur Anwendung: Berufen wird das Recht, welches mit dem<br />
Sachverhalt den engsten Zusammenhang aufweist.<br />
Bei einem Verlöbnis könnten der Abschlussort oder der gemeinsame Wohnsitz<br />
massgeblich sein.<br />
Im Beispiel spricht viel dafür, dass der engste Zusammenhang mit dem<br />
Schweizer Recht besteht.<br />
bb. bereicherungsrechtliche Qualifikation des Anspruchs<br />
Art. 128 IPRG<br />
1 Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung unterstehen dem Recht, dem das<br />
bestehende oder das vermeintliche Rechtsverhältnis unterstellt ist, aufgrund dessen die<br />
Bereicherung stattgefunden hat.<br />
2 Besteht kein Rechtsverhältnis, so unterstehen die Ansprüche aus ungerechtfertigter<br />
Bereicherung dem Recht des Staates, in dem die Bereicherung eingetreten ist; die Parteien<br />
können vereinbaren, dass das Recht am Gerichtsort anzuwenden ist.<br />
Dabei handelt es sich um eine akzessorische Anknüpfung: Jemand hat im<br />
Rahmen eines Rechtsverhältnisses eine Leistung erbracht. Dieses ist jedoch<br />
nachträglich weggefallen und nun untersteht der Bereicherungsanspruch<br />
ebenfalls dem Recht, welchem auch dieses Rechtsverhältnis unterstanden<br />
hat.<br />
In casu ist dieses Rechtsverhältnis das Verlöbnis und der<br />
Bereicherungsanspruch wird somit als <strong>Teil</strong>aspekt dieses Verlöbnisses<br />
betrachtet. Das Verlöbnis wird wieder vertragsrechtlich qualifiziert, womit man<br />
über Art. 128 Abs. 1 IPRG zurück zu Art. 117 IPRG gelangt. Es ergäbe sich<br />
die gleiche, oben schon behandelte Lösung.<br />
cc) gesellschaftsrechtliche Qualifikation des Anspruches<br />
Art. 150 IPRG<br />
1 Als Gesellschaften im Sinne dieses Gesetzes gelten organisierte<br />
Personenzusammenschlüsse und organisierte Vermögenseinheiten.<br />
2 Für einfache Gesellschaften, die sich keine Organisation gegeben haben, gilt das auf<br />
Verträge anwendbare Recht (Art. 116 ff.).<br />
Gemäss Art. 150 Abs. 2 würde man wieder zurück auf die Art. 116 ff. IPRG<br />
verwiesen. Bei einfachen Gesellschaften wird das Qualifikationsproblem im<br />
35
Gesetz geregelt und durch den Verweis ebenfalls dem Vertragsrecht<br />
unterstellt.<br />
In casu würde man wieder zurück zum Art. 117 IPRG gelangen.<br />
dd) eherechtliche Qualifikation<br />
Art. 48<br />
1 Die ehelichen Rechte und Pflichten unterstehen dem Recht des Staates, in dem die<br />
Ehegatten ihren Wohnsitz haben.<br />
2 Haben die Ehegatten ihren Wohnsitz nicht im gleichen Staat, so unterstehen die ehelichen<br />
Rechte und Pflichten dem Recht des Wohnsitzstaates, mit dem der Sachverhalt in engerem<br />
Zusammenhang steht.<br />
3 Sind nach Artikel 47 die schweizerischen Gerichte oder Behörden am Heimatort zuständig,<br />
so wenden sie schweizerisches Recht an.<br />
Im internationalen Eherecht werden die Folgen der Auflösung eines<br />
Verlöbnisses nicht mit den Scheidungsfolgen gleichgestellt. Es gibt eine<br />
Auffassung, welche besagt, die Verlobung unterstehe analog den Vorschriften<br />
über die allgemeinen Ehewirkungen (Art. 48 IPRG).<br />
Gemäss Abs. 2 kommt in casu eines der Wohnsitzrechte zur Anwendung.<br />
Berufen wird dasjenige, welches den engsten Zusammenhang aufweist. Da<br />
die Verlobten zwei Jahre in der Schweiz gewohnt haben, ist der engere<br />
Zusammenhang in casu wohl zum Schweizer Recht gegeben.<br />
Bei der Qualifikation von Ansprüchen aus dem Verlöbnis wird man am Schluss<br />
zur Lösung gelangen, dass dasjenige Recht mit dem engsten Zusammenhang<br />
zur Anwendung gelangen soll. Dies lässt sich sowohl über Art. 117 als auch<br />
48 Abs. 2 IPRG begründen.<br />
b. Zuständigkeit der Klage<br />
aa) Anwendbarkeit des LugÜ<br />
Es ist zu qualifizieren, ob die Verlobung unter dem sachlichen<br />
Anwendungsbereich des LugÜ steht. Der EuGH hat die Tendenz, das LugÜ<br />
weit auszulegen, es ist jedoch nicht klar, ob er eine Anwendbarkeit bejahen<br />
würde.<br />
Mit der Revision des LugÜ wird die EG als Vertragsstaat unterzeichnen. Der<br />
EuGH ist Auslegungsinstanz sämtlicher von der EG unterzeichneten Verträge.<br />
Dies wird dazu führen, dass unter dem revidierten LugÜ beispielsweise das<br />
Münchner Gericht zur Auslegung des Verlöbnisbegriffs den EuGH anruft. So<br />
kann es kommen, dass der Schweizer Begriff der Verlobung trotzdem<br />
irgendwann einmal vom EuGH zu beurteilen sein wird.<br />
36
) Anwendbarkeit des IPRG<br />
Im Gegensatz zum anwendbaren Recht, ist im Rahmen der Zuständigkeit<br />
nicht unbedingt zu qualifizieren. Bei der Frage des anwendbaren Rechts ist<br />
eine Norm im BT zu suchen, unter welche subsumiert werden kann.<br />
Bei der Zuständigkeit gelten die Art. 2 ff IPRG subsidiär, wenn sich im BT<br />
keine Zuständigkeitsnormen finden lassen. Es muss nicht einmal gross<br />
qualifiziert werden, denn da das IPRG das Verlöbnis gar nicht regelt, kommen<br />
automatisch die Bestimmungen der Art. 2 ff IPRG zur Anwendung.<br />
Gemäss Art. 2 IPRG ist somit das Beklagtenforum zuständig. Nur wenn die<br />
deutschen Behörden auch ihre Zuständigkeit bezüglich Verlobung verneinen,<br />
würde die Notzuständigkeit des Art. 3 IPRG zur Anwendung gelangen. Somit<br />
könnte wieder in der Schweiz geklagt werden.<br />
2. Konkubinat<br />
Bei einem Konkubinat handelt es sich um ein Zusammenleben von 2 Personen. In<br />
der Praxis gibt es verschiedenste Erscheinungsformen, beginnend mit einem losen<br />
Zusammenleben im Sinne einer WG bis hin zum Zusammenleben zweier Verlobter.<br />
Probleme ergeben sich hier ebenfalls, wenn die beiden auseinander gehen.<br />
a. anwendbares Recht<br />
Es handelt sich um ein doppeltes Qualifikationsproblem. Das Konkubinat ist weder<br />
im materiellen Recht, noch im IPRG geregelt. Materiellrechtlich wird es als einfache<br />
Gesellschaft qualifiziert. Im IPRG stellt sich wieder die Frage, ob das Konkubinat<br />
unter das Vertrags- oder das Eherecht zu subsumieren ist.<br />
Letztlich wird man zu einer dem Verlöbnis ähnlichen Lösung gelangen. Gemäss<br />
herrschender Lehre ist ebenfalls das Recht anwendbar, welches den engsten Bezug<br />
zum Sachverhalt aufweist. Auch hier kommt man über Art. 150 Abs. 2 zu Art. 117<br />
Abs. 1 IPRG und hat somit die gleichen Kriterien, welche bereits oben erläutert<br />
wurden.<br />
b. Zuständigkeit<br />
Gemäss Art. 1 und 2 LugÜ ist das Beklagtenforum massgeblich. Es ergibt sich<br />
jedoch die gleiche Diskussion, wie sie schon beim Verlöbnis geführt wurde.<br />
3. eingetragene Partnerschaft<br />
a. Allgemeines<br />
Seit es Staaten gibt, welche die eingetragene Partnerschaft in ihrem materiellen<br />
Recht vorsehen, haben sich Fragen zu diesem Institut im IPR etabliert. Es ist also<br />
aus der Sicht des IPRG nicht ein neues Phänomen.<br />
37
Weiter lässt sich sagen, dass seit dem 1. Januar 2007 das Gesetz über die<br />
eingetragene Partnerschaft in Kraft ist und das IPRG punktuell revidiert sowie mit<br />
den entsprechenden Vorschriften ergänzt wurde.<br />
Revidiert oder eingefügt wurden die folgenden Artikel bzw. Absätze:<br />
Art. 45 IPRG<br />
1 Eine im Ausland gültig geschlossene Ehe wird in der Schweiz anerkannt.<br />
2 Sind Braut oder Bräutigam Schweizer Bürger oder haben beide Wohnsitz in der Schweiz, so wird die<br />
im Ausland geschlossene Ehe anerkannt, wenn der Abschluss nicht in der offenbaren Absicht ins<br />
Ausland verlegt worden ist, die Vorschriften des schweizerischen Rechts über die Eheungültigkeit zu<br />
umgehen.<br />
3 Eine im Ausland gültig geschlossene Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts wird in der<br />
Schweiz als eingetragene Partnerschaft anerkannt.<br />
Kapitel 3a: Die eingetragene Partnerschaft<br />
I. Anwendung des dritten Kapitels<br />
Art. 65a IPRG<br />
Die Bestimmungen des dritten Kapitels gelten für die eingetragene Partnerschaft sinngemäss, mit<br />
Ausnahme der Artikel 43 Absatz 2 und 44 Absatz 2.<br />
II. Zuständigkeit am Eintragungsort bei Auflösung<br />
Art. 65b IPRG<br />
Haben die Partnerinnen oder Partner keinen Wohnsitz in der Schweiz und ist keine oder keiner von<br />
ihnen Schweizer Bürger, so sind für Klagen oder Begehren betreffend Auflösung der eingetragenen<br />
Partnerschaft die schweizerischen Gerichte am Eintragungsort zuständig, wenn es unmöglich oder<br />
unzumutbar ist, die Klage oder das Begehren am Wohnsitz einer der Personen zu erheben.<br />
III. Anwendbares Recht<br />
Art. 65c IPRG<br />
1 Kennt das nach den Bestimmungen des dritten Kapitels anwendbare Recht keine Regeln über die<br />
eingetragene Partnerschaft, so ist schweizerisches Recht anwendbar; vorbehalten bleibt Artikel 49.<br />
2 Zusätzlich zu den in Artikel 52 Absatz 2 bezeichneten Rechten können die Partnerinnen oder Partner<br />
das Recht des Staates wählen, in dem die Partnerschaft eingetragen worden ist.<br />
IV. Entscheidungen oder Massnahmen des Eintragungsstaats<br />
Art. 65d IPRG<br />
Ausländische Entscheidungen oder Massnahmen werden in der Schweiz anerkannt, wenn:<br />
a. sie im Staat ergangen sind, in dem die Partnerschaft eingetragen worden ist; und<br />
b. es unmöglich oder unzumutbar war, die Klage oder das Begehren in einem Staat zu erheben,<br />
dessen Zuständigkeit in der Schweiz gemäss den Bestimmungen des dritten Kapitels<br />
anerkannt ist.<br />
BGE 119 II 264: Die Anerkennung einer im Ausland eingetragene Partnerschaft<br />
wurde versagt, weil sie gegen den Schweizer Ordre public verstosse (vgl. Art. 27<br />
IPRG).<br />
Dies zeigt, dass der Ordre public zeitlich wandelbar ist.<br />
38
. Fragestellungen<br />
Bezüglich der neuen Regelung im IPRG lassen sich drei Merkpunkte festhalten:<br />
1. Verweisung auf die Vorschriften über die Ehe<br />
2. Auffangregeln, falls ein ausländischer Staat solche Vorschriften nicht kennt<br />
3. Kein Tourismus für eingetragene Partnerschaften in der Schweiz<br />
Die Fragen betreffend eingetragene Partnerschaft korrespondieren mit den<br />
Fragestellungen der Eheschliessung:<br />
- wie wird eine Partnerschaft geschlossen?<br />
o Voraussetzungen für Alter<br />
o Geistige Gesundheit<br />
o Hindernisse<br />
o Verwandtschaft<br />
o Verfahren<br />
- Wirkungen der Partnerschaft?<br />
o Unterhalt<br />
o Treue und Beistand<br />
o Auskunft<br />
o Vertretung<br />
o Güterrecht: Es gilt ein der Gütertrennung angeglichener Güterstand, es<br />
kann aber vertraglich die Errungenschaftsbeteiligung vereinbart<br />
werden.<br />
- Auflösung<br />
- Nebenfolgen<br />
c. Zuständigkeit<br />
Grundsätzlich wird akzessorisch an die Regeln über das Eherecht angeknüpft.<br />
Die zentrale Bestimmung ist Art. 65a IPRG.<br />
Art. 65a IPRG<br />
Die Bestimmungen des dritten Kapitels gelten für die eingetragene Partnerschaft sinngemäss, mit<br />
Ausnahme der Artikel 43 Absatz 2 und 44 Absatz 2.<br />
Da nicht alle Staaten die eingetragene Partnerschaft kennen, müssen Regeln<br />
erlassen werden um das Qualifikationsproblem zu lösen.<br />
Aufgrund der akzessorischen Anknüpfung ist der Schweizer Richter gemäss Art. 59<br />
und 60 IPRG zuständig, eine eingetragene Partnerschaft aufzulösen.<br />
39
Er ist zuständig, wenn<br />
- der beklagte Partner in der Schweiz wohnt (Art. 59 lit. a IPRG)<br />
- der klagende Partner in der Schweiz ein Jahr Aufenthalt hatte oder<br />
Schweizer Bürger ist (Art. 59 lit. b IPRG)<br />
- einer der Partner Schweizer Bürger ist und eine Trennung im Ausland nicht<br />
möglich ist<br />
Nicht geregelt ist der Fall, in welchem zwei Ausländer sich in der Schweiz eintragen<br />
liessen und dann im Ausland, beispielsweise in den USA Wohnsitz nehmen. Das<br />
amerikanische Recht sieht keine Möglichkeit vor, etwas zu trennen, was nach<br />
amerikanischem Recht Ordre public widrig wäre.<br />
Für die Eingetragenen gibt es keine Möglichkeit, die Eintragung wieder aufzulösen.<br />
Der Gesetzgeber wollte dem entgegenwirken. Wenn die Partnerschaft in der<br />
Schweiz eingetragen wurde, besteht hier auch subsidiär die Möglichkeit der<br />
Auflösung.<br />
d. Anwendbares Recht<br />
Art. 65c IPRG<br />
1 Kennt das nach den Bestimmungen des dritten Kapitels anwendbare Recht keine Regeln über die<br />
eingetragene Partnerschaft, so ist schweizerisches Recht anwendbar; vorbehalten bleibt Artikel 49.<br />
2 Zusätzlich zu den in Artikel 52 Absatz 2 bezeichneten Rechten können die Partnerinnen oder Partner<br />
das Recht des Staates wählen, in dem die Partnerschaft eingetragen worden ist.<br />
Für das anwendbare Recht bestimmt Art. 65c IPRG, dass subsidiär Schweizer Recht<br />
anzuwenden sei, wenn das ausländische Recht die eingetragene Partnerschaft nicht<br />
kennt.<br />
Dies ist vor allem für die Wirkungen und die Trennung der Partnerschaft relevant. Es<br />
könnte sein, dass aufgrund der akzessorischen Anknüpfung das gemeinsame<br />
Heimatrecht der ausländischen Partner zur Anwendung gelangt. Sollte dieses keine<br />
Partnerschaft und somit auch keine Trennung vorsehen, wäre eine sofortige<br />
Trennung nach Schweizer Recht möglich.<br />
Dies ist eine krasse Diskriminierung gegenüber gemischten Paaren, welche<br />
ausländische Bürger sind. Hier kommen die Bestimmungen des IPRG zur<br />
Anwendung: Diese sehen vor, dass einer der Ehegatten mindestens zwei Jahre in<br />
der Schweiz gewohnt haben muss, damit Schweizer Recht zur Anwendung gelangt<br />
und somit eine Scheidung möglich ist (vgl. Art. 61 Abs. 3 IPRG).<br />
Ausländische Ehepaare: Zwei Jahre Wohnsitzfrist<br />
Ausländische Partner: Schweizer Recht keine Wohnsitzfrist<br />
Gemäss Abs. 2 können die Partner zusätzlich das Eintragungsstatut berufen.<br />
Der dritte Grundsatz betreffend die eingetragene Partnerschaft ist die Verhinderung<br />
von „Partnerschafts-Tourismus“ in der Schweiz. Art. 65a IPRG schliesst die Art. 43<br />
Abs. 2 und 44 Abs. 2 IPRG explizit aus.<br />
Nicht möglich ist die Bewilligung der Schliessung einer Partnerschaft. Es gibt nur die<br />
Möglichkeit, eine Partnerschaft zu schliessen nach Art. 43 Abs. 1 IPRG: Einer der<br />
40
Partner ist Schweizer Bürger oder hat seinen Wohnsitz in der Schweiz. Feriengäste<br />
können sich somit nicht in der Schweiz eintragen lassen.<br />
Der zweite Ausschluss betrifft das anwendbare Recht. Eine Partnerschaft soll auch<br />
nicht nach dem gemeinsamen Heimatrecht geschlossen werden können.<br />
Jede in der Schweiz durchgeführte eingetragene Partnerschaft erfolgt nach<br />
materiellem Schweizer Recht.<br />
41
§ 4 INTERNATIONALES ERBRECHT<br />
A. Gegenstand des internationalen Erbrechts<br />
Das schweizerische materielle Recht regelt das Erbrecht in Art. 457 ff. ZGB. Die<br />
internationalen Regelungen dazu finden sich in Art. 86 ff. IPRG.<br />
Als Einstieg in die Thematik eignet sich Art. 92 IPRG sehr gut. Dieser gibt einen<br />
kurzen Überblick über die Fragestellungen des internationalen Erbrechts.<br />
Art. 92 IPRG<br />
1 Das auf den Nachlass anwendbare Recht bestimmt, was zum Nachlass gehört, wer in welchem<br />
Umfang daran berechtigt ist, wer die Schulden des Nachlasses trägt, welche Rechtsbehelfe und<br />
Massnahmen zulässig sind und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können.<br />
2 Die Durchführung der einzelnen Massnahmen richtet sich nach dem Recht am Ort der zuständigen<br />
Behörde. Diesem Recht unterstehen namentlich die sichernden Massnahmen und die<br />
Nachlassabwicklung mit Einschluss der Willensvollstreckung.<br />
Weiter stellen sich Fragen im Zusammenhang mit den Pflichtteilen sowie der<br />
Verfügungen von Todeswegen, etc. Im Rahmen der Rechtsbehelfe sind die<br />
Ungültigkeits- sowie die Herabsetzungsklagen von Bedeutung. Bei der<br />
Ungültigkeitsklage wird geltend gemacht, eine Verfügung sei wegen Form- oder<br />
Willensmangel nichtig und daher aufzuheben, während bei der Herabsetzungsklage<br />
der Fokus auf den Pflichtteilsschutz und das Weiterbestehen der Verfügung gerichtet<br />
ist.<br />
Weitere Klagen sind die <strong>Teil</strong>ungsklage – also die Klage auf Auflösung der<br />
Gesamthandschaft der Erbgemeinschaft – sowie die Erbschaftsklage. Diese ist die<br />
Klage des nicht besitzenden Erben gegen den besitzenden Nicht-Erben. Aus<br />
Schweizer Sicht ist das Korrelat zur Erbschaftsklage die Vindikation gemäss Art. 641<br />
Abs. 2 ZGB.<br />
BGE 132 III 677 behandelt die Thematik, inwiefern eine Erbschaftsklage international<br />
unter die Vorschriften des IPRG fällt. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass bei<br />
einem Schweizer Erblasser mit letztem Wohnsitz in der Schweiz dann internationales<br />
Erbrecht zur Anwendung gelangt, wenn er Vermögenswerte im Ausland hatte.<br />
Abs. 2 des Art. 92 IPRG befasst sich mit den sichernden Massnahmen und der<br />
Nachlassabwicklung: Eröffnung des Testaments und Vollstreckung der<br />
testamentarischen Anordnungen.<br />
B. Internationale Zuständigkeit<br />
Das IPRG regelt die Zuständigkeitsfragen in den Art. 86 – 89 IPRG. Vorab ist jedoch<br />
zu prüfen, ob Staatsverträge vorliegen, welche berücksichtigt werden müssen. Im<br />
Rahmen der Zuständigkeit ist dies jedoch meistens zu verneinen, da durch<br />
Staatsverträge meistens kollisionsrechtliche Fragen, also Fragen des anwendbaren<br />
Rechts geregelt werden. Das LugÜ findet im Erbrecht ebenfalls keine Anwendung.<br />
Dies wird in Art. 1 Abs. 2 LugÜ ausdrücklich ausgeschlossen.<br />
42
Es gibt jedoch diverse bilaterale Staatsverträge, z.B. mit Italien. Dieser sieht<br />
beispielsweise vor, dass grundsätzlich die Gerichte am letzten Wohnsitz des<br />
Italieners in Italien zuständig sind. Das führt zu Problemen mit der Behandlung von<br />
Nachlassstreitigkeiten von Italienern der zweiten Generation in der Schweiz.<br />
Die Schweizer Gerichte sind gemäss Art. 86 Abs. 1 IPRG grundsätzlich zuständig,<br />
wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz hatte. Abs. 2 schränkt<br />
diese Zuständigkeit jedoch für Immobilien ein.<br />
Art. 86 IPRG<br />
1 Für das Nachlassverfahren und die erbrechtlichen Streitigkeiten sind die schweizerischen Gerichte<br />
oder Behörden am letzten Wohnsitz des Erblassers zuständig.<br />
2 Vorbehalten ist die Zuständigkeit des Staates, der für Grundstücke auf seinem Gebiet die<br />
ausschliessliche Zuständigkeit vorsieht.<br />
Die Schweizer Gerichte sind dann unzuständig, wenn die Liegenschaft im Ausland<br />
belegen ist und sich die ausländischen Gerichte für diese Liegenschaft für zuständig<br />
erklärten. Gerade Frankreich oder England kennen beispielsweise eine solche<br />
ausschliessliche Zuständigkeit, was Liegenschaften in Erbstreitigkeiten anbelangt.<br />
Diese Frage ist also beispielsweise unter Einbezug des französischen IPRG zu<br />
klären, denn jeder Staat legt seine Zuständigkeit in seinem eigenen Recht fest. Somit<br />
bestimmt das französische Recht, ob es in derartigen Sachverhalten zuständig ist.<br />
Stirbt ein Schweizer im Ausland und hat er noch Liegenschaften in der Schweiz,<br />
kennt diese gemäss Art. 96 IPRG keine ausschliessliche Zuständigkeit. Das<br />
ausländische Gericht ist also in Nachlasssachen für die in der Schweiz belegene<br />
Liegenschaft zuständig. Dies kann man daraus erkennen, dass gemäss Art. 96 IPRG<br />
ausländische Urteile über in der Schweiz belegene Liegenschaften anerkannt<br />
werden.<br />
Art. 86 Abs. 1 IPRG normiert weiter einen fundamentalen Grundsatz des<br />
internationalen Erbrechts: Die Nachlasseinheit.<br />
Die Schweizer Gerichte beanspruchen grundsätzlich eine Zuständigkeit, unabhängig<br />
davon, wo auch immer der betreffende Nachlass in der Welt liegt. Das Schweizer<br />
Recht bestimmt umfassend für alle auf der Welt verstreuten Vermögenswerte des<br />
Erblassers.<br />
Art. 86 Abs. 2 IPRG anerkennt jedoch ausnahmsweise die ausschliessliche<br />
Zuständigkeit eines ausländischen Staates für Liegenschaften. Dies führt zu einer<br />
Nachlassspaltung.<br />
Grundsätzlich bedeutet dies, dass zwei voneinander unabhängige Nachlässe<br />
entstehen. Einerseits beurteilt beispielsweise ein französisches Gericht den<br />
französischen <strong>Teil</strong> des Nachlasses und andererseits sind für den Schweizer <strong>Teil</strong> die<br />
Gerichte in der Schweiz zuständig. Die verschiedenen Verfahren laufen voneinander<br />
völlig unabhängig.<br />
Materiellrechtlich soll ein Schweizer Richter allenfalls für den Schweizer Nachlass<br />
berücksichtigen, was die ausländischen Gerichte jeweils für ihren <strong>Teil</strong> des<br />
Nachlasses entscheiden. Er hat dies unter Berücksichtigung von Treu und Glauben<br />
zu tun. Diese Praxis ist jedoch höchst umstritten.<br />
43
Beispiel:<br />
Ein Erblasser stirbt in Basel. Im Nachlass befinden sich eine Liegenschaft (Wert: 1<br />
Mio. Franken) in Frankreich und ein Konto mit CHF 10'000.00 in Basel.<br />
In seinem Testament setzt er die Kinder auf den Pflichtteil und begünstigt seine Frau<br />
meistmöglich. Die Kinder sollen die CHF 10'000.00 auf dem Konto erhalten. Es<br />
handelt sich somit um eine <strong>Teil</strong>ungsregel und eine Pflichtteilsbegründung.<br />
Die Schweizer Gerichte lehnen die Zuständigkeit bezüglich Liegenschaft ab und<br />
behandeln nur das Bankkonto. Die Frau kann also einwenden, dass die Zuteilung der<br />
CHF 10'000.00 bezüglich des Schweizer Nachlasses ihr gegenüber eine<br />
Pflichtteilsverletzung darstellt obwohl sie aus dem Nachlass in Frankreich zusätzlich<br />
mindestens CHF 750'000.00 erhält.<br />
Um einem solchen Ergebnis entgegenzuwirken, ist der Schweizer Richter für den<br />
französischen <strong>Teil</strong> zwar nicht zuständig, er hat diesen jedoch in seinem Entscheid zu<br />
berücksichtigen.<br />
Es ist erneut darauf hinzuweisen, dass diese Praxis in der Schweiz sehr umstritten<br />
ist. Unter Berücksichtigung des Gebotes von Treu und Glauben gemäss Art. 2 ZGB<br />
ist sie jedoch durchaus vertretbar, denn die Geltendmachung einer<br />
Pflichtteilsverletzung wäre in casu klar als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren.<br />
Die Art. 87 – 89 IPRG befassen sich mit weiteren Sonderfällen und Ausnahmen des<br />
Grundsatzes der Zuständigkeit am Wohnsitz.<br />
Art. 87 IPRG<br />
1 War der Erblasser Schweizer Bürger mit letztem Wohnsitz im Ausland, so sind die schweizerischen<br />
Gerichte oder Behörden am Heimatort zuständig, soweit sich die ausländische Behörde mit seinem<br />
Nachlass nicht befasst.<br />
2 Sie sind stets zuständig wenn ein Schweizer Bürger mit letztem Wohnsitz im Ausland sein in der<br />
Schweiz gelegenes Vermögen oder seinen gesamten Nachlass durch letztwillige Verfügung oder<br />
Erbvertrag der schweizerischen Zuständigkeit oder dem schweizerischen Recht unterstellt hat. Artikel<br />
86 Absatz 2 ist vorbehalten.<br />
Art. 87 IPRG regelt eine ganz spezifische Situation:<br />
Voraussetzungen:<br />
a. Der Erblasser hatte nicht seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz<br />
Hätte der Erblasser seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz gehabt, wäre er<br />
von Art. 86 IPRG erfasst worden. Art. 87 behandelt also diejenigen Fälle, in<br />
welchen der Erblasser seinen letzten Wohnsitz im Ausland hatte.<br />
und<br />
b. Es handelt sich um einen Schweizer Staatsangehörigen<br />
Es geht also um Auslandschweizer.<br />
Art. 87 IPRG regelt den Fall, dass ein Auslandschweizer im Ausland stirbt.<br />
Die Schweizer Gerichte sind grundsätzlich nicht zuständig, da gem. Art. 86 IPRG<br />
eine Zuständigkeit nur begründet wird, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz<br />
44
in der Schweiz hatte. Hiervon macht Art. 87 IPRG nun zwei Ausnahmen bei<br />
Auslandschweizern.<br />
- Abs. 1: Der ausländische Staat befasst sich nicht mit dem Nachlass. Dies<br />
könnte passieren, wenn das ausländische IPRG an die Staatsangehörigkeit<br />
anknüpft.<br />
- Abs. 2: Der Auslandschweizer kann in einem Testament oder einem<br />
Erbvertrag eine Rechtswahl treffen. Er kann <strong>Teil</strong>e oder den gesamten<br />
Nachlass der Schweizer Zuständigkeit unterstellen.<br />
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Formulierung der Bestimmung in<br />
Abs. 2. Die Schweizer Gerichte nehmen an, dass wenn ein Schweizer seinen<br />
Nachlass dem Schweizer Recht unterstellt, auch die Schweizer Gerichte zuständig<br />
sind. Es wird also aufgrund der Rechtswahl auf die Zuständigkeit geschlossen.<br />
Art. 88 IPRG<br />
1 War der Erblasser Ausländer mit letztem Wohnsitz im Ausland, so sind die schweizerischen Gerichte<br />
oder Behörden am Ort der gelegenen Sache für den in der Schweiz gelegenen Nachlass zuständig,<br />
soweit sich die ausländischen Behörden damit nicht befassen.<br />
2 Befindet sich Vermögen an mehreren Orten, so sind die zuerst angerufenen schweizerischen<br />
Gerichte oder Behörden zuständig.<br />
Im Rahmen des Art. 88 IPRG geht es um Personen, welche ihren letzten Wohnsitz<br />
im Ausland hatten, jedoch nicht Schweizer Bürger waren. Es geht also um<br />
ausländische Staatsangehörige mit letztem Wohnsitz im Ausland.<br />
Eine Zuständigkeit der Schweizer Gerichte ist in diesen Fällen nur vorgesehen, wenn<br />
der Ort der belegenen Sache in der Schweiz ist und die ausländischen Behörden<br />
sich als unzuständig betrachten. Dieser Fall kann eintreten, wenn die ausländische<br />
Bestimmung nicht von der Universalität des Nachlasses ausgeht, sondern die<br />
Zuständigkeit der jeweiligen Behörden am Ort der gelegenen Sache vorsieht.<br />
Art. 88 IPRG bildet somit eine Notzuständigkeit für diese negativen<br />
Kompetenzkonflikte.<br />
Art. 89 IPRG<br />
Hinterlässt der Erblasser mit letztem Wohnsitz im Ausland Vermögen in der Schweiz, so ordnen die<br />
schweizerischen Behörden am Ort der gelegenen Sache die zum einstweiligen Schutz der<br />
Vermögenswerte notwendigen Massnahmen an.<br />
Art. 89 IPRG betrifft sichernde Massnahmen für den Fall des in der Schweiz<br />
belegenen Vermögens, ohne dass der (ausländische) Erblasser seinen letzten<br />
Wohnsitz in der Schweiz hatte. Massnahmen wären etwa Siegelungen, Inventare,<br />
Erbschaftsverwaltungen und dergleichen.<br />
In diesen verfahrensrechtlichen Mechanismen besteht eine Schweizer Zuständigkeit<br />
für Sachen, welche in der Schweiz belegen sind.<br />
Art. 89 IPRG ist eine lex specialis zu Art. 10 IPRG:<br />
45
Art. 10 IPRG<br />
Die schweizerischen Gerichte oder Behörden können vorsorgliche Massnahmen treffen, auch wenn<br />
sie für die Entscheidung in der Sache selbst nicht zuständig sind.<br />
Aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit ist bei der Anwendung von<br />
Sicherungsmassnahmen die Frage der Zuständigkeit erst in einer späteren Phase zu<br />
prüfen und die Sicherung sofort vorzunehmen.<br />
C. Anwendbares Recht<br />
Bezüglich des anwendbaren Rechts bildet Art. 90 IPRG die Grundnorm, Art. 91 IPRG<br />
die Ausnahme dazu.<br />
Art. 90 IPRG<br />
1 Der Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz in der Schweiz untersteht schweizerischem Recht.<br />
2 Ein Ausländer kann jedoch durch letztwillige Verfügung oder Erbvertrag den Nachlass einem seiner<br />
Heimatrechte unterstellen. Diese Unterstellung fällt dahin, wenn er im Zeitpunkt des Todes diesem<br />
Staat nicht mehr angehört hat oder wenn er Schweizer Bürger geworden ist.<br />
Ist die Zuständigkeit des Schweizer Richters aufgrund des letzten Wohnsitzes des<br />
Erblassers gegeben, wendet er gemäss Art. 90 Abs. 1 IPRG Schweizer Recht an.<br />
Ein Ausländer hat jedoch gemäss Abs. 2 die Möglichkeit, in der Form einer<br />
letztwilligen Verfügung sein Heimatrecht zu wählen.<br />
Ein Schweizer hat diese Möglichkeit, auch wenn er Doppelbürger ist, nicht. Es geht<br />
dabei um den Pflichtteilsschutz des Schweizer Rechts. Der Pflichtteil gehört nicht in<br />
den Anwendungsfall des Ordre public, sodass ein Ausländer sein Testament einem<br />
Recht unterstellen kann, welches keinen Pflichtteilsschutz kennt.<br />
Ergibt sich die Zuständigkeit aufgrund Art. 87 und 88 IPRG für Personen, welche<br />
ihren letzten Wohnsitz nicht in der Schweiz hatten, kommt Art. 91 IPRG zur<br />
Anwendung.<br />
Art. 91 IPRG<br />
1 Der Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz im Ausland untersteht dem Recht, auf welches das<br />
Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates verweist.<br />
2 Soweit nach Artikel 87 die schweizerischen Gerichte oder Behörden am Heimatort zuständig sind,<br />
untersteht der Nachlass eines Schweizers mit letztem Wohnsitz im Ausland schweizerischem Recht,<br />
es sei denn, der Erblasser habe in der letztwilligen Verfügung oder im Erbvertrag ausdrücklich das<br />
Recht an seinem letzten Wohnsitz vorbehalten.<br />
Art. 91 Abs. 1 IPRG hingegen kann nur Ausländer betreffen, welche ihren letzten<br />
Wohnsitz im Ausland hatten und sich eine Zuständigkeit gemäss Art. 88 IPRG ergibt.<br />
Im Prinzip ist Art. 90 Abs. 1 IPRG die Weiterführung der Überlegung des Art. 88<br />
IPRG. In der Schweiz liegt Vermögen, niemand will zuständig sein und somit erklärt<br />
sich das Schweizer Gericht für zuständig und wendet das Schweizer Recht an.<br />
Art. 91 Abs. 1 IPRG verweist auf dasjenige Recht, auf welches das Kollisionsrecht<br />
des Wohnsitzstaates verweist. Es handelt sich dabei um eine Gesamtverweisung.<br />
Nimmt das dritte ausländische Recht nun die Verweisung nicht an, wird argumentiert,<br />
dass dieses offenbar nicht angewendet werden will und es sich um eine Rück- oder<br />
46
Weiterverweisung handelt. Wie bereits oben erläutert, gelangt in diesen Fällen<br />
automatisch das Schweizer Recht zur Anwendung.<br />
Auf den Nachlass von Schweizern im Ausland kommt grundsätzlich Schweizer Recht<br />
zur Anwendung. Eine Schweizer Zuständigkeit ergibt sich entweder, weil sich der<br />
ausländische Staat nicht um den Nachlass kümmert (Art. 87 I), oder es wird eine<br />
Schweizer Zuständigkeit, bzw. Schweizer Recht gewählt (Art. 87 II).<br />
Gemäss Art. 91 Abs. 2 IPRG kommt in den soeben erläuterten Fällen Schweizer<br />
Recht zur Anwendung – es sei denn, der Erblasser habe in seinem Testament oder<br />
Erbvertrag das Recht am letzten Wohnsitz berufen.<br />
Dies muss ausdrücklich geschehen. Stellt der Erblasser seinen Nachlass nämlich<br />
gemäss Art. 87 Abs. 1 IPRG unter die Zuständigkeit eines Schweizer Gerichts, muss<br />
er ausdrücklich die Anwendbarkeit des Wohnsitzrechts bestimmen. Tut er dies nicht,<br />
wird die stillschweigende Berufung des Schweizer Rechts angenommen.<br />
D. Fall 5<br />
Sachverhalt 5<br />
Die Familie Robert hat 1985 bis ins Jahr 2000 in Nizza gelebt. 2001 ist Herr Robert<br />
aus beruflichen Gründen mit seiner Familie nach Basel gezogen. Letzten Monat ist<br />
Herr Robert überraschend verstorben. Er hinterlässt eine Ehefrau und zwei Kinder.<br />
Sein Vermögen umfasst eine Liegenschaft (Wert: 1 Mio.) in Nizza sowie ein<br />
Bankguthaben über CHF 400'000.00 bei der Banque National de Paris in Paris.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
1. 4w-Frage: <strong>Teil</strong>ungsklage<br />
Der Nachlass sei festzustellen, zu teilen und jeweils mit CHF xy zuzusprechen<br />
2. Internationaler Sachverhalt?<br />
Relevante Auslandsbezüge: Begebenheitsort von Vermögen im Ausland eines<br />
in der Schweiz verstorbenen Erblassers<br />
3. IPR-relevante Fragestellungen<br />
a. Zuständigkeit<br />
Grundsätzlich sind die Schweizer Gerichte zuständig, da der Erblasser<br />
seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz hatte (Art. 86 Abs. 1 IPRG).<br />
Allerdings ist die im Ausland belegene Liegenschaft zu berücksichtigen<br />
und falls sich der ausländische Staat für zuständig erklärt, geht diese<br />
Zuständigkeit vor. Diese Zuständigkeit des ausländischen Staates<br />
bezieht sich dabei ausschliesslich auf die Liegenschaft.<br />
Die Schweizer Zuständigkeit gilt aufgrund des Universalitätsprinzips für<br />
das Bankguthaben. Im Schweizer Nachlass befinden sich somit CHF<br />
400'000.00.<br />
47
. Anwendbares Recht<br />
Da es sich um einen ausländischen Staatsangehörigen mit letztem<br />
Wohnsitz in der Schweiz handelt, kommt gemäss Art. 90 Abs. 1 IPRG<br />
Schweizer Recht zur Anwendung. Eine Rechtswahl nach Art. 90 Abs. 2<br />
IPRG wurde nicht getroffen.<br />
In casu ist also bezüglich des Kontos das Schweizer Recht anwendbar.<br />
ACHTNUNG: Um den Vorschlag zu berechnen, muss zuerst die<br />
güterrechtliche Auseinandersetzung vorgenommen werden.<br />
4. Güterrechtliche Auseinandersetzung<br />
a. Zuständigkeit<br />
Der Nachlassrichter ist gemäss Art. 51 lit. a IPRG auch für die<br />
güterrechtliche Auseinandersetzung zuständig.<br />
b. anwendbares Recht<br />
Art. 54 Abs. 1 lit. a IPRG: Anwendung findet das Recht des<br />
gemeinsamen Wohnsitzstaates. Dies ist in casu Basel, womit für die<br />
güterrechtliche Auseinandersetzung Schweizer Recht zur Anwendung<br />
gelangt.<br />
Gemäss Sachverhalt haben die Eheleute ihren Wohnsitz von Nizza<br />
nach Basel verlegt. Es handelt sich dabei um einen Statutenwechsel.<br />
Der anknüpfungsrelevante Sachverhalt wird über die Grenze verlegt.<br />
Gemäss Art. 55 Abs. 1 IPRG ist in diesem Fall rückwirkend für die<br />
ganze Ehe das Schweizer Recht anwendbar.<br />
Die güterrechtliche Auseinandersetzung richtet sich somit nach den<br />
Regeln der Errungenschaftsbeteiligung. Die Ehefrau hat Anspruch auf<br />
die Hälfte des Vorschlages des Ehemannes, muss aber ihrerseits die<br />
Hälfte ihres Vorschlages an den Ehemann und somit in den Nachlass<br />
geben.<br />
Die Rechtsnatur des Anspruchs ist ein geldwerter Anspruch. Die<br />
Ehefrau bekommt grundsätzlich nicht die Liegenschaft zu Eigentum,<br />
sondern hat Anspruch auf den Wert x. Um diesen Wert festzustellen,<br />
wird der Wert der Liegenschaft miteinbezogen. Art. 86 Abs. 2 IPRG<br />
bezieht sich also nicht auf die güterrechtliche Auseinandersetzung,<br />
sondern nur auf den Nachlass.<br />
Der gesamte Vorschlag, also die Summe der Vorschläge der Ehefrau<br />
und des Ehemannes, beläuft sich auf CHF 1,4 Mio. Davon hat die<br />
Ehefrau einen Anspruch auf die Hälfte, also auf CHF 700'000.00.<br />
Der Nachlass in der Schweiz beläuft sich aber nur auf CHF 400'000.00.<br />
Somit wäre der Nachlass überschuldet, denn die Ehefrau hat davon<br />
CHF 700'000.00 güterrechtlich zugute. Aus Schweizer Sicht würden die<br />
Kinder somit vom Bankkonto nichts erhalten, denn die Ehefrau könnte<br />
ihre Forderung von 700'000.00 mit diesen 400'000.00 verrechnen. Die<br />
Kinder würden aus Schweizer Sicht leer ausgehen und würden erst<br />
aufgrund der Verteilung der Liegenschaft aus Frankreich etwas<br />
bekommen.<br />
48
E. Sonderfragen<br />
I. Art. 92 IPRG<br />
Art. 92 IPRG<br />
1 Das auf den Nachlass anwendbare Recht bestimmt, was zum Nachlass gehört, wer in welchem<br />
Umfang daran berechtigt ist, wer die Schulden des Nachlasses trägt, welche Rechtsbehelfe und<br />
Massnahmen zulässig sind und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können.<br />
2 Die Durchführung der einzelnen Massnahmen richtet sich nach dem Recht am Ort der zuständigen<br />
Behörde. Diesem Recht unterstehen namentlich die sichernden Massnahmen und die<br />
Nachlassabwicklung mit Einschluss der Willensvollstreckung.<br />
Art. 92 Abs. 1 IPRG bestimmt das auf den Nachlass anwendbare Recht und gemäss<br />
Abs. 2 richten sich die Massnahmen nach dem Recht am Ort der zuständigen<br />
Behörde. Technisch gesagt, befasst sich Abs. 1 mit dem Erbstatut, während sich<br />
Abs. 2 dem Eröffnungsstatut widmet.<br />
Das Verfahren bestimmt sich auch im internationalen Sachverhalt nach der lex fori.<br />
Dies sind in der Schweiz jeweils die kantonalen Zivilprozessordnungen. Das<br />
Kollisionsrecht bestimmt grundsätzlich nur das anwendbare materielle Recht,<br />
während die Frage nach den Verfahrensregeln formelle Aspekte betreffen.<br />
Die Unterscheidung zwischen formellem und materiellem Recht kann sehr heikel<br />
sein.<br />
II. Art. 93 IPRG<br />
Art. 93 IPRG<br />
1 Für die Form der letztwilligen Verfügung gilt das Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über<br />
das auf die Form letztwilliger Verfügungen anwendbare Recht.<br />
2 Dieses Übereinkommen gilt sinngemäss auch für die Form anderer Verfügungen von Todes wegen.<br />
Art. 93 IPRG befasst sich mit der Form der Testamente. Abs. 1 der Bestimmung<br />
verweist auf das Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger<br />
Verfügungen anwendbare Recht. Es handelt sich um einen erga omnes<br />
Staatsvertrag. Er gilt somit für alle Staatsangehörige aller Staaten. Wohnsitz,<br />
Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt, etc. spielen somit keine Rolle.<br />
Es gilt der Grundsatz des favor testamenti. Da jeder Staat unterschiedliche<br />
Formvorschriften erlässt, soll dasjenige Recht zur Anwendung gelangen, welches die<br />
Gültigkeit des Testamentes vorsieht. Im internationalen Verhältnis sollen Testamente<br />
nicht daran scheitern, weil sie formungültig sind.<br />
49
III. Art. 94 IPRG<br />
Art. 94 IPRG<br />
Eine Person kann von Todes wegen verfügen, wenn sie im Zeitpunkt der Verfügung nach dem Recht<br />
am Wohnsitz oder am gewöhnlichen Aufenthalt oder nach dem Recht eines ihrer Heimatstaaten<br />
verfügungsfähig ist.<br />
Art. 94 IPRG ist lex specialis zu Art. 35 IPRG. Gemäss Art. 35 IPRG gilt<br />
grundsätzlich das Wohnsitzrecht der betroffenen Person. In Bezug auf das<br />
Testament erweitert der Gesetzgeber diese Anknüpfungsmerkmale. Er beruft<br />
entweder das Wohnsitz-, Aufenthalts- oder Heimatrecht des Erblassers. Dies ist<br />
erneut eine Favorisierung der Verfügungs-, oder Handlungsfähigkeit.<br />
IV. Art. 95 IPRG<br />
Art. 95 IPRG<br />
1 Der Erbvertrag untersteht dem Recht am Wohnsitz des Erblassers zur Zeit des Vertragsabschlusses.<br />
2 Unterstellt ein Erblasser im Vertrag den ganzen Nachlass seinem Heimatrecht, so tritt dieses an die<br />
Stelle des Wohnsitzrechts.<br />
3 Gegenseitige Verfügungen von Todes wegen müssen dem Wohnsitzrecht jedes Verfügenden oder<br />
dem von ihnen gewählten gemeinsamen Heimatrecht entsprechen.<br />
4 Vorbehalten bleiben die Bestimmungen dieses Gesetzes über die Form und die Verfügungsfähigkeit<br />
(Art. 93 und 94).<br />
Absatz 1 bezieht sich auf einseitige Erbverträge, z.B. ein Erbverzicht oder eine<br />
Erbeneinsetzung. Berufen wird das Recht, welches im Zeitpunkt des<br />
Vertragsschlusses am Wohnsitz galt.<br />
Absatz 2 ist eine Sonderregel zu Absatz 1. Der Erblasser kann den Erbvertrag<br />
zudem seinem Heimatrecht unterstellen, wenn er den gesamten Nachlass diesem<br />
Recht unterstellt.<br />
Absatz 3 regelt die Situation, in welcher mehrere Erblasser verfügen. Behandelt<br />
werden insbesondere die gegenseitigen sowie korrespondierenden Erbverträge. Da<br />
hier mehrere Erblasser verfügen, gilt kumulativ das Recht am Wohnsitz beider<br />
Erblasser. Um die Gültigkeit eines solchen Erbvertrages zu beurteilen, sind somit<br />
beide Rechte kumulativ anzuwenden, der Erbvertrag muss also am Wohnsitz beider<br />
Erblasser gültig sein. Ist dies nicht gegeben, kann das gemeinsame Heimatrecht<br />
massgeblich sein.<br />
50
§ 5 INTERNATIONALES SACHENRECHT<br />
A. Gegenstand des internationalen Sachenrechts, Rechtsquellen<br />
Im internationalen Sachenrecht geht es um Erwerb, Verlust, Inhalt und Ausübung<br />
von dinglichen Rechten an Sachen:<br />
- Eigentum<br />
o Gemeinschaftliches Eigentum<br />
o Miteigentum<br />
o Gesamteigentum<br />
o Stockwerkeigentum<br />
- Beschränkte dingliche Rechte<br />
- Definition der Sache<br />
- Besitz<br />
Zentral im Sachenrecht ist die Unterscheidung von beweglichen und unbeweglichen<br />
Sachen.<br />
B. Unbewegliche Sachen, insbesondere Grundstücke<br />
I. Internationale Zuständigkeit<br />
Zuständig sind die Gerichte am Ort der belegenen Sache. Dies ergibt sich im Bereich<br />
der Anwendbarkeit des LugÜ aus Art. 16 LugÜ, andernfalls aus Art. 97 IPRG.<br />
1. Art. 16 LugÜ<br />
Art. 16 LugÜ<br />
Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschliesslich zuständig<br />
1. a) für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder<br />
Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des<br />
Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist,<br />
b) für Klagen betreffend die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum vorübergehenden<br />
privaten Gebrauch für höchstens sechs aufeinander folgende Monate sind jedoch auch<br />
die Gerichte des Vertragsstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat,<br />
sofern es sich bei dem Mieter oder Pächter um eine natürliche Person handelt und weder<br />
die eine noch die andere Partei ihren Wohnsitz in dem Vertragsstaat hat, in dem die<br />
unbewegliche Sache belegen ist;<br />
2. für Klagen, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder<br />
juristischen Person oder der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben, die Gerichte<br />
des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren<br />
Sitz hat;<br />
3. für Klagen, welche die Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register zum Gegenstand<br />
haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Register geführt werden;<br />
51
4. für Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Warenzeichen, Mustern<br />
und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen,<br />
zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die<br />
Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines<br />
zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt;<br />
5. für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben,<br />
die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung<br />
durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist.<br />
Art. 16 LugÜ begründet eine ausschliessliche Zuständigkeit. Es gibt also nur einen<br />
zwingenden Gerichtsstand. Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist somit gemäss Art.<br />
17 Abs. 3 LugÜ nicht gültig.<br />
Bei einer Verletzung von Art. 16 LugÜ wird eine Entscheidung nicht vollstreckt. Dies<br />
regelt Art. 28 Abs. 1 LugÜ.<br />
Art. 28 LugÜ<br />
Eine Entscheidung wird ferner nicht anerkannt, wenn die Vorschriften des 3., 4. und 5. Abschnitts des<br />
Titels II verletzt worden sind oder wenn ein Fall des Artikels 59 vorliegt.<br />
Des Weiteren kann die Anerkennung einer Entscheidung versagt werden, wenn ein Fall des Artikels<br />
54b Absatz 3 bzw. des Artikels 57 Absatz 4 vorliegt.<br />
Das Gericht oder die Behörde des Staates, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ist bei der<br />
Prüfung, ob eine der in den vorstehenden Absätzen angeführten Zuständigkeiten gegeben ist, an die<br />
tatsächlichen Feststellungen gebunden, aufgrund deren das Gericht des Ursprungsstaats seine<br />
Zuständigkeit angenommen hat.<br />
Die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsstaats darf, unbeschadet der Bestimmungen der<br />
Absätze 1 und 2, nicht nachgeprüft werden; die Vorschriften über die Zuständigkeit gehören nicht zur<br />
öffentlichen Ordnung im Sinne des Artikels 27 Nummer 1.<br />
Im Rahmen des LugÜ wird die Zuständigkeit der verfügenden Behörde grundsätzlich<br />
nicht überprüft. Liegt jedoch unter anderem eine Verletzung des 5. Abschnitts und<br />
somit eine Verletzung von Art. 16. LugÜ vor, wird die ausländische Entscheidung<br />
nicht anerkannt.<br />
Art. 16 Ziff. 1 LugÜ regelt jedoch nur die internationale Zuständigkeit. Die örtliche<br />
Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 97 IPRG.<br />
a. räumlich-persönliche Anwendbarkeit des LugÜ<br />
Die räumlich persönliche Anwendbarkeit des LugÜ ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1<br />
LugÜ. Es ist anwendbar, wenn sich der Wohnsitz des Beklagten in einem<br />
Vertragsstaat befindet.<br />
Art. 2 LugÜ<br />
Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem<br />
Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den<br />
Gerichten dieses Staates zu verklagen.<br />
Auf Personen, die nicht dem Staat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, angehören, sind die für Inländer<br />
massgebenden Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden.<br />
Art. 4 Abs. 1 LugÜ verweist weiter auf Art. 16 LugÜ für den Fall, dass der Beklagte<br />
seinen Wohnsitz nicht in einem Vertragsstaat hat.<br />
52
Art. 4 LugÜ<br />
Hat der Beklagte keinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats, so bestimmt sich,<br />
vorbehaltlich des Artikels 16, die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Vertragsstaats nach seinen<br />
eigenen Gesetzen.<br />
Gegenüber einem Beklagten, der keinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat,<br />
kann sich jede Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in diesem<br />
Staat auf die dort geltenden Zuständigkeitsvorschriften, insbesondere auf die in Artikel 3 Absatz 2<br />
angeführten Vorschriften, wie ein Inländer berufen, ohne dass es auf ihre Staatsangehörigkeit<br />
ankommt.<br />
Dies garantiert, dass wenn der Ort der belegenen Sache in einem Vertragsstaat liegt,<br />
sowieso immer das LugÜ zur Anwendung gelangt. Es kommt also nicht auf den<br />
Wohnsitz des Beklagten an.<br />
b. sachliche Anwendbarkeit<br />
Der EuGH interpretiert Art. 16 LugÜ sehr weit. Das LugÜ ist sachlich anwendbar für:<br />
- Klagen betreffend Feststellung der Eigentümerschaft<br />
- Berichtigungsklagen<br />
- Eintragung von gesetzlichen Pfandrechten (z.B. Bauhandwerkerpfandrecht)<br />
Nicht unter die Anwendbarkeit des Art. 16 LugÜ fallen Erfüllungsklagen, wie<br />
beispielsweise Erfüllung aufgrund Kaufvertrages aber auch Unterlassungsklagen,<br />
beispielsweise wegen Emissionen des Nachbargrundstückes sowie die actio<br />
negatoria.<br />
2. Anwendbarkeit des IPRG<br />
Art. 97 IPRG<br />
Für Klagen betreffend dingliche Rechte an Grundstücken in der Schweiz sind die Gerichte am Ort der<br />
gelegenen Sache ausschliesslich zuständig<br />
Grundsätzlich sind die Schweizer Gerichte nicht zuständig, wenn sich die<br />
Liegenschaft in einem Drittstaat befindet. Der Anwendungsbereich von Art. 97 IPRG<br />
beschränkt sich somit eigentlich nur noch auf die Bestimmung der örtlichen<br />
Zuständigkeit.<br />
II. Anwendbares Recht<br />
Grundsätzlich gelangt auch hier das Recht am Ort der gelegenen Sache zur<br />
Anwendung (lex rei sitae). Dies ergibt sich aus Art. 99 Abs. 1 IPRG.<br />
Art. 99 IPRG<br />
1 Dingliche Rechte an Grundstücken unterstehen dem Recht am Ort der gelegenen Sache.<br />
2 Für Ansprüche aus Immissionen, die von einem Grundstück ausgehen, gelten die Bestimmungen<br />
dieses Gesetzes über unerlaubte Handlungen (Art. 138).<br />
53
Hiervon macht Art. 99 IPRG eine Ausnahme, was das Deliktsrecht in Bezug auf<br />
Emissionen anbelangt. Es handelt sich um einen Verweis auf die deliktsrechtliche<br />
Anknüpfung der Art. 138 IPRG.<br />
C. bewegliche Sachen<br />
I. Zuständigkeit<br />
1. LugÜ<br />
Das LugÜ sieht keine besondere Zuständigkeit für sachenrechtliche Fragen in Bezug<br />
auf Mobilien vor. Es gilt der allgemeine Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten in<br />
einem Vertragsstaat (Art. 2 Abs. 1 LugÜ).<br />
Wohnt der Beklagte in einem Vertragsstaat, ist die Klage also an seinem Wohnsitz<br />
einzureichen.<br />
2. IPRG<br />
Art. 98 IPRG<br />
1 Für Klagen betreffend dingliche Rechte an beweglichen Sachen sind die schweizerischen Gerichte<br />
am Wohnsitz oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen am gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten<br />
zuständig.<br />
2 Hat der Beklagte in der Schweiz weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt, so sind die<br />
schweizerischen Gerichte am Ort der gelegenen Sache zuständig.<br />
Art. 98 IPRG regelt nur die örtliche und nicht die internationale Zuständigkeit. Fehlt<br />
ein Wohnsitz, ist der gewöhnliche Aufenthaltsort massgeblich. Dies ist beispielsweise<br />
bei einem Student an einer Uni gegeben.<br />
Absatz 2 regelt die Situation, in welcher der Beklagte weder Wohnsitz noch<br />
Aufenthalt in der Schweiz hat. Dort sind die Gerichte am Ort der gelegenen Sache in<br />
der Schweiz zuständig.<br />
II. Anwendbares Recht<br />
Art. 100 IPRG<br />
1 Erwerb und Verlust dinglicher Rechte an beweglichen Sachen unterstehen dem Recht des Staates,<br />
in dem die Sache im Zeitpunkt des Vorgangs, aus dem der Erwerb oder der Verlust hergeleitet wird,<br />
liegt.<br />
2 Inhalt und Ausübung dinglicher Rechte an beweglichen Sachen unterstehen dem Recht am Ort der<br />
gelegenen Sache.<br />
Bei beweglichen Sachen ist im IPRG zuerst eine Unterscheidung zu treffen. Das<br />
IPRG unterscheidet zwischen Erwerb und Verlust sowie zwischen der Ausübung und<br />
dem Inhalt des Eigentums.<br />
54
1. Erwerb und Verlust<br />
Art. 104 IPRG<br />
1 Die Parteien können den Erwerb und den Verlust dinglicher Rechte an beweglichen Sachen dem<br />
Recht des Abgangs- oder des Bestimmungsstaates oder dem Recht unterstellen, dem das<br />
zugrundeliegende Rechtsgeschäft untersteht.<br />
2 Die Rechtswahl kann Dritten nicht entgegengehalten werden.<br />
Sollten die Parteien eine Rechtswahl getroffen haben, was den Erwerb oder den<br />
Verlust des Eigentums betrifft, ist diese massgeblich. Dafür stehen drei verschieden<br />
Möglichkeiten zur Verfügung:<br />
- Recht des Abgangsstaates<br />
- Recht des Bestimmungsstaates<br />
- Recht des zugrundeliegenden Rechtsgeschäftes<br />
Art. 104 Abs. 2 IPRG hält fest, dass eine solche Rechtswahl Dritten gegenüber nicht<br />
entgegengehalten werden kann. Der Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist der<br />
Schutz des Publizitätsprinzips. In der Schweiz kann angenommen werden, dass der<br />
Besitzer einer Sache auch deren Eigentümer ist. Wird nun im Rahmen eines Kaufes<br />
eine Rechtswahl getroffen, nach welcher das Eigentum schon bei Abschluss des<br />
Kaufvertrages über geht, kann in der Schweiz trotzdem aufgrund des<br />
Publizitätsprinzips ein Dritter davon ausgehen, dass der Besitzer der Sache immer<br />
noch deren Eigentümer ist. Somit hat Art. 104 Abs. 1 IPRG fast keine praktische<br />
Bedeutung.<br />
Treffen die Parteien keine Rechtswahl, ist Art. 100 Abs. 1 IPRG massgeblich. Dieser<br />
beruft das Recht am Lageort der Sache zum Zeitpunkt des Erwerbs oder des<br />
Verlustes.<br />
Liegt der Kaufgegenstand beispielsweise in Frankreich, richtet sich der<br />
Eigentumsübergang nach französischem Recht. In Frankreich herrscht das<br />
Konsensualprinzip. Somit geht das Eigentum bereits mit Vertragsschluss über.<br />
2. Ausübung und Inhalt<br />
Aus Art. 100 Abs. 2 IPRG ergibt sich, dass die Ausübung und der Inhalt eines<br />
dinglichen Rechts dem Recht am Ort der gelegenen Sache, im gegenwärtigen<br />
Zeitpunkt der Fragestellung untersteht. Das ermöglicht einen Statutenwechsel, wenn<br />
die Sache eine Landesgrenze überschreitet.<br />
Diese Möglichkeit ist im Anwendungsbereich des Art. 100 Abs. 1 IPRG nicht<br />
gegeben.<br />
3. Sachen im Transit<br />
Art. 101 IPRG<br />
Rechtsgeschäftlicher Erwerb und Verlust dinglicher Rechte an Sachen im Transit unterstehen dem<br />
Recht des Bestimmungsstaates.<br />
Art. 101 IPRG bezieht sich auf Sachen im Transit. Die Sache ist also irgendwo in der<br />
Welt, beispielsweise auf einem Lastwagen, in Bewegung. Wird die Ware nun im<br />
55
Container X gekauft, stellt sich die Frage, ob Eigentum schon übergegangen ist.<br />
Grundsätzlich ist gemäss Art. 100 Abs. 1 IPRG das Recht am Lageort zum Zeitpunkt<br />
des Erwerbs massgeblich.<br />
Ist die Sache nun in Bewegung und hat somit keinen Lageort, fällt dies unter den<br />
Anwendungsbereich des Art. 101 IPRG. Massgeblich ist dabei das Recht des<br />
Bestimmungsstaates der Sache.<br />
4. Art. 102 IPRG<br />
Art. 102 IPRG<br />
1 Gelangt eine bewegliche Sache in die Schweiz und ist der Erwerb oder der Verlust eines dinglichen<br />
Rechts an ihr nicht bereits im Ausland erfolgt, so gelten die im Ausland eingetretenen Vorgänge als in<br />
der Schweiz erfolgt.<br />
2 Gelangt eine bewegliche Sache in die Schweiz und ist an ihr im Ausland ein Eigentumsvorbehalt<br />
gültig begründet worden, der den Anforderungen des schweizerischen Rechts nicht genügt, so bleibt<br />
der Eigentumsvorbehalt in der Schweiz noch während drei Monaten gültig.<br />
3 Dem gutgläubigen Dritten kann der Bestand eines solchen Eigentumsvorbehalts nicht<br />
entgegengehalten werden.<br />
Art. 102 Abs. 1 regelt die Ersitzung im grenzüberschreitenden Verhältnis. Hat<br />
beispielsweise jemand eine Sache im Ausland drei Jahre besessen und gelangt<br />
diese Sache nun in die Schweiz, werden diese drei Jahre für die Ersitzungsfrist<br />
angerechnet.<br />
Art. 102 Abs. 2 und 3 IPRG regeln den Eigentumsvorbehalt. Dieser muss nach<br />
Schweizer Recht am Wohnort des Käufers in ein Register eingetragen werden. Ohne<br />
Eintragung wird der Käufer sofort mit Übergabe der Sache Eigentümer.<br />
Diverse Länder kennen zwar den Eigentumsvorbehalt, eine Pflicht zur Eintragung<br />
besteht jedoch nicht.<br />
Grundsätzlich gilt für eine Sache, welche in die Schweiz kommt ebenfalls das<br />
Publizitätsprinzip. Derjenige, welcher die Sache besitzt, wird als ihr Eigentümer<br />
vermutet. Nun macht das Gesetz zugunsten des im Ausland begründeten<br />
Eigentumsvorbehalts eine Sonderregelung. Ist im Ausland ein Eigentumsvorbehalt<br />
gültig begründet worden, welcher den Schweizer Anforderungen jedoch nicht genügt,<br />
bleibt dessen Gültigkeit noch während 3 Monaten in Kraft.<br />
Art. 102 IPRG ist eine lex imperfecta. Ein Eigentumsvorbehalt muss am Wohnsitz<br />
des Käufers eingetragen werden. Bringt nun ein Deutscher eine Kaffeemaschine in<br />
sein Ferienhaus in Lugano, ist dort nicht sein Wohnsitz, sondern nur der Lageort der<br />
Sache. Eine Eintragung kann somit gar nicht stattfinden, was bedeuten würde, dass<br />
er nach drei Monaten lastenfreies Eigentum erworben hätte. Es ist daher strittig, ob<br />
der Eigentumsvorbehalt auch am Lageort der Sache eingetragen werden kann.<br />
Art. 102 Abs. 3 IPRG hält das Prinzip des Schweizer ZGB fest, dass ein solcher<br />
Eigentumsvorbehalt einem gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden<br />
kann. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Registereintrag (im Gegensatz zum<br />
Grundbuch) keine Publizitätswirkung hat.<br />
56
III. Fall 6<br />
Sachverhalt 6<br />
Die beiden Freunde Markus und Samuel aus Zürich bzw. Basel haben vor 2 Jahren<br />
ein Segelboot gekauft. Letzten Sommer sind sie damit via den Rhein-Rhône-Kanal<br />
ans Mittelmeer gefahren, wo das Boot heute stationiert ist. Vor kurzem haben sich M<br />
und S heftig zerstritten. M droht nun, die Hälfte dieses Bootes an einen Dritten zu<br />
verkaufen. S will dies verhindern.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
1. 4-W-Frage: S will Unterlassung des Verkaufs durch M<br />
a. Bei Gesamteigentum bedürfte es der Zustimmung der anderen<br />
Gesamteigentümer<br />
b. Kann ein gutgläubiger Dritter Eigentum erwerben?<br />
c. S könnte ein Vorkaufsrecht gegenüber M haben<br />
d. Sind S & M eine einfache Gesellschaft?<br />
2. Internationaler Sachverhalt?<br />
Im internationalen Sachenrecht ist das relevante Anknüpfungsmerkmal der<br />
Lageort der Sache. Die Sache liegt in Frankreich, womit ein internationaler<br />
Sachverhalt gegeben ist.<br />
3. IPR-relevante Fragestellungen<br />
Es stellen sich Fragen von vorsorglichen Massnahmen. Es herrscht eine<br />
gewisse Dringlichkeit, da ein Verkauf des Anteils droht.<br />
a. Zuständigkeit<br />
Art. 24 LugÜ<br />
Die in dem Recht eines Vertragsstaats vorgesehenen einstweiligen Massnahmen<br />
einschliesslich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den<br />
Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in<br />
der Hauptsache das Gericht eines anderen Vertragsstaats aufgrund dieses<br />
Übereinkommens zuständig ist.<br />
Gemäss Art. 24 LugÜ sind für vorsorgliche Massnahmen die Gerichte<br />
zuständig, welche auch in der Hauptsache zuständig sind. Dies führt in<br />
Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 LugÜ zu einer Zuständigkeit der Schweizer<br />
Gerichte. Dies ist die internationale Zuständigkeit.<br />
Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 98 Abs. 1 IPRG.<br />
Art. 98 IPRG<br />
1 Für Klagen betreffend dingliche Rechte an beweglichen Sachen sind die<br />
schweizerischen Gerichte am Wohnsitz oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen am<br />
gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten zuständig.<br />
2 Hat der Beklagte in der Schweiz weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt, so<br />
sind die schweizerischen Gerichte am Ort der gelegenen Sache zuständig.<br />
S hat seinen Wohnsitz in Zürich. Somit ist die Zuständigkeit der Zürcher<br />
Gerichte gegeben.<br />
57
Weiter ist es zulässig, weitergehende Zuständigkeiten anzubieten,<br />
wenn ein genügender Konnex zwischen der Massnahme und dem<br />
Gerichtsort vorhanden ist. Dies führt in casu zu einer weiteren<br />
Zuständigkeit nach Art. 10 IPRG.<br />
Art. 10 IPRG<br />
Die schweizerischen Gerichte oder Behörden können vorsorgliche Massnahmen<br />
treffen, auch wenn sie für die Entscheidung in der Sache selbst nicht zuständig sind.<br />
Neben der Zuständigkeit aus Art. 24 LugÜ, ist die Zuständigkeit der<br />
Gerichte am Ort der Vollstreckung einer Massnahme möglich.<br />
Voraussetzungen aus Schweizer Sicht für die Anordnung einer<br />
vorsorglichen Massnahme:<br />
- Dringlichkeit<br />
- Glaubhaftmachung des Anspruchs nach lex fori: ZPO ZH<br />
- Interessenabwägung<br />
Die Glaubhaftmachung des Anspruchs erfolgt nach dem Recht,<br />
welches auf den Sachverhalt Anwendung findet. Findet auf den<br />
Sachverhalt in casu französisches Recht Anwendung, hat der Kläger<br />
also glaubhaft zu machen, dass er nach französischem Recht einen<br />
Anspruch hat.<br />
Das anwendbare Recht in einem internationalen Sachverhalt ist<br />
grundsätzlich durch das Gericht zu ermitteln. Dies ergibt sich aus Art.<br />
16 Abs. 1 IPRG. Ist eine Feststellung nicht möglich, kommt gemäss Art.<br />
16 Abs. 2 IPRG subsidiär das Schweizer Recht zur Anwendung. Unter<br />
Art. 16 Abs. 2 IPRG fällt auch die zeitliche Dringlichkeit bei<br />
vorsorglichen Massnahmen.<br />
Entscheide über vorsorgliche Massnahmen sind nach den Art. 31 ff.<br />
LugÜ grenzüberschreitend vollstreckbar. Das Bundesgericht hat dies in<br />
BGE 129 III 626 ff. bestätigt.<br />
b. Anwendbares Recht<br />
Art. 100 IPRG<br />
1 Erwerb und Verlust dinglicher Rechte an beweglichen Sachen unterstehen dem<br />
Recht des Staates, in dem die Sache im Zeitpunkt des Vorgangs, aus dem der<br />
Erwerb oder der Verlust hergeleitet wird, liegt.<br />
2 Inhalt und Ausübung dinglicher Rechte an beweglichen Sachen unterstehen dem<br />
Recht am Ort der gelegenen Sache.<br />
Gemäss Art. 100 Abs. 2 IPRG findet das Recht am Ort der gelegenen<br />
Sache Anwendung.<br />
Das Schiff wurde in der Schweiz erworben. Der Erwerb des Eigentums<br />
richtet sich gemäss Art. 100 Abs. 1 IPRG nach Schweizer Recht.<br />
Massgeblich sind hierfür die Art. 646 ff. ZGB.<br />
58
Fährt das Schiff nun über die Grenze, findet nach Art. 100 Abs. 2 IPRG<br />
ein Statutenwechsel statt. Massgeblich ist nun das französische Recht.<br />
Fazit: Der Inhalt und die Ausübung des Eigentums – also die Fragen,<br />
ob es ein Vorkaufsrecht gibt, ob es der Zustimmung der übrigen<br />
Gesamteigentümer bedarf, etc – richten sich nach französischem<br />
Recht.<br />
Würden S & M eine einfache Gesellschaft bilden, kämen die<br />
Vorschriften über die einfache Gesellschaft zur Anwendung. Dies ist in<br />
Art. 150 Abs. 2 IPRG geregelt, welcher auf das anwendbare Recht<br />
betreffend des Kaufvertrages verweist. Somit wäre gemäss Art. 117<br />
IPRG das Schweizer Recht anwendbar.<br />
59
§ 6 INTERNATIONALES VERTRAGSRECHT<br />
A. Grundsatz<br />
I. Privatautonomie<br />
Der zentralste Grundsatz des internationalen Vertragsrechts ist der Grundsatz der<br />
Privatautonomie. Dabei handelt es sich um die klassischen Freiheiten des<br />
Vertragsrechts wie Abschlussfreiheit, Partnerwahlfreiheit oder Inhaltsfreiheit.<br />
Im Bereich des IPR spricht man diesbezüglich von Parteiautonomie. Die Parteien<br />
können prinzipiell in den Schranken der Rechtsordnung frei verfügen. Daraus<br />
fliessen verschiedene Ausprägungen der Parteiautonomie. Unter anderem sind dies:<br />
- Rechtswahlfreiheit: Art. 116 IPRG (Berufung der lex causae)<br />
Die Parteien können festlegen, welchem Recht der Vertrag unterstehen soll.<br />
- Gerichtsstandsvereinbarung: Art. 5 ff. und 112 ff IPRG<br />
II. besondere Verträge vs. allgemeine Verträge<br />
Ein zweites Systemmerkmal des internationalen <strong>Privatrecht</strong>s ist die Unterscheidung<br />
zwischen besonderen und allgemeinen Verträgen. Die allgemeinen Regelungen<br />
befinden sich in den Art. 116 und 117 IPRG für das anwendbare Recht und Art. 112<br />
und 113 IPRG für die Zuständigkeit.<br />
Diese Regelungen gelten grundsätzlich – es sei denn, der Gesetzgeber sehe für<br />
einen bestimmten Vertragstyp eine besondere Vorschrift vor. Dies gilt etwa für:<br />
- Kaufverträge (Art. 118 IPRG)<br />
- Grundstückverträge (Art. 119 IPRG)<br />
- Konsumentenverträge (Art. 120 IPRG)<br />
- Arbeitsverträge (Art. 121 IPRG)<br />
- Kauf von Immaterialgüterrechten (Art. 122 IPRG)<br />
- Versicherungsverträge (VVG und Art. 7 LugÜ)<br />
Versicherungsverträge unterstehen, was die Zuständigkeit anbelangt, einer<br />
Sonderregelung. Im VVG befinden sich diesbezüglich am Ende Vorschriften,<br />
worin die internationale Zuständigkeit geregelt wird.<br />
III. gemeinsame Bestimmungen<br />
Neben der Unterscheidung von allgemeinen und besonderen Verträgen, kennt das<br />
IPRG zusätzlich gemeinsame Bestimmungen. Diese finden sich in den Art. 123 ff.<br />
IPRG. Diese gemeinsamen Bestimmungen gelten nicht nur für das Vertragsrecht,<br />
sondern allgemein für das ganze Schuldrecht.<br />
60
Dabei handelt es sich um eine Ausnahme von einem ganz zentralen Grundsatz des<br />
internationalen <strong>Privatrecht</strong>s, um eine Ausnahme von der lex causae. Generell gilt der<br />
Grundsatz, dass alle Fragen im Zusammenhang mit einem Vertrag, demselben<br />
Recht wie der Vertrag unterstehen. Es handelt sich um Sonderanknüpfungen für<br />
<strong>Teil</strong>aspekte.<br />
B. Zuständigkeit<br />
Bei Vertragszuständigkeiten gibt es verschiedenste Gerichtsstände, welche es zu<br />
berücksichtigen gibt:<br />
- Wohnsitz oder Sitz des Beklagten<br />
- Erfüllungsort<br />
- Niederlassung<br />
- Einlassung des Beklagten<br />
- Gerichtsstandsvereinbarungen<br />
Die massgeblichen Rechtsquellen sind das LugÜ und das IPRG.<br />
I. Subjektive Anknüpfungen der Zuständigkeit<br />
1. Gerichtsstandsvereinbarung<br />
Art. 17 LugÜ<br />
(1) Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines<br />
Vertragsstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats über eine<br />
bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis<br />
entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses<br />
Staates ausschliesslich zuständig. Eine solche Gerichtstandsvereinbarung muss geschlossen werden<br />
a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung;<br />
b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien<br />
entstanden sind, oder<br />
c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die<br />
Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem<br />
betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmässig beachten.<br />
Wenn eine solche Vereinbarung von Parteien geschlossen wurde, die beide ihren Wohnsitz nicht im<br />
Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, so können die Gerichte der anderen Vertragsstaaten nicht<br />
entscheiden, es sei denn, das vereinbarte Gericht oder die vereinbarten Gerichte haben sich<br />
rechtskräftig für unzuständig erklärt.<br />
(2) Ist in schriftlich niedergelegten «trust»-Bedingungen bestimmt, dass über Klagen gegen einen<br />
Begründer, «trustee» oder Begünstigten eines «trust» ein Gericht oder die Gerichte eines<br />
Vertragsstaats entscheiden sollen, so ist dieses Gericht oder sind diese Gerichte ausschliesslich<br />
zuständig, wenn es sich um Beziehungen zwischen diesen Personen oder ihre Rechte oder Pflichten<br />
im Rahmen des «trust» handelt.<br />
(3) Gerichtsstandsvereinbarungen und entsprechende Bestimmungen in «trust»-Bedingungen haben<br />
keine rechtliche Wirkung, wenn sie den Vorschriften der Artikel 12 oder 15 zuwiderlaufen oder wenn<br />
die Gerichte, deren Zuständigkeit abbedungen wird, aufgrund des Artikels 16 ausschliesslich<br />
zuständig sind.<br />
(4) Ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nur zugunsten einer der Parteien getroffen worden, so behält<br />
diese das Recht, jedes andere Gericht anzurufen, das aufgrund dieses Übereinkommens zuständig<br />
ist.<br />
61
(5) Bei individuellen Arbeitsverträgen haben Gerichtsstandsvereinbarungen nur dann rechtliche<br />
Wirkung, wenn sie nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen werden.<br />
Art. 5 IPRG<br />
1 Für einen bestehenden oder für einen zukünftigen Rechtsstreit über vermögensrechtliche Ansprüche<br />
aus einem bestimmten Rechtsverhältnis können die Parteien einen Gerichtsstand vereinbaren. Die<br />
Vereinbarung kann schriftlich, durch Telegramm, Telex, Telefax oder in einer anderen Form der<br />
Übermittlung, die den Nachweis der Vereinbarung durch Text ermöglicht, erfolgen. Geht aus der<br />
Vereinbarung nichts anderes hervor, so ist das vereinbarte Gericht ausschliesslich zuständig.<br />
2 Die Gerichtsstandsvereinbarung ist unwirksam, wenn einer Partei ein Gerichtsstand des<br />
schweizerischen Rechts missbräuchlich entzogen wird.<br />
3 Das vereinbarte Gericht darf seine Zuständigkeit nicht ablehnen:<br />
a. wenn eine Partei ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Niederlassung im<br />
Kanton des vereinbarten Gerichts hat, oder<br />
b. wenn nach diesem Gesetz auf den Streitgegenstand schweizerisches Recht anzuwenden<br />
ist.<br />
Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist typischerweise in den AGB enthalten. Eine<br />
mögliche Formulierung wäre: „…das Zivilgericht Basel-Stadt ist ausschliesslich<br />
zuständig für sämtliche Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem<br />
Vertrag...“.<br />
a. LugÜ und IPRG vs. GestG<br />
Das Gerichtsstandsgesetz kommt bei Verträgen, welche keinen internationalen<br />
Bezug aufweisen zur Anwendung. Dies ist insbesondere der Fall wenn:<br />
- beide Parteien ihren Wohnsitz in der Schweiz haben und<br />
- der Erfüllungsort in der Schweiz liegt.<br />
b. LugÜ vs. IPRG<br />
Das LugÜ kommt zur Anwendung, wenn eine der Parteien ihren Wohnsitz, bzw. Sitz<br />
in einem Vertragsstaat des LugÜ hat oder wenn sich das gewählte Gericht in einem<br />
Vertragsstaat befindet. Die Anwendbarkeit des LugÜ ergibt sich aus dem LugÜ<br />
selber. Der Staatsvertrag geht dem nationalen Recht vor und definiert selber, unter<br />
welchen Umständen er angewendet werden will.<br />
Demgegenüber findet das IPRG Anwendung, wenn keine der Parteien ihren<br />
Wohnsitz im Anwendungsbereich des LugÜ hat und ein Schweizer Gericht als<br />
zuständig gewählt wurde (Prorogation).<br />
Weiter ist das IPRG anwendbar, wenn in der Gerichtsstandsvereinbarung zwar ein<br />
Nicht-LugÜ-Gericht (z.B. eine chinesisches Gericht) vereinbart wurde, trotzdem aber<br />
vor einem Schweizer Gericht Klage erhoben wird. Das Schweizer Gericht prüft dann<br />
seine Unzuständigkeit nach Art. 5 IPRG und stellt fest, dass es wegen der<br />
Gerichtsstandsvereinbarung nicht zuständig ist. Es prüft also, ob seine Zuständigkeit<br />
aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung derogiert wurde.<br />
62
c. Voraussetzungen<br />
1. Konsens<br />
Die Frage, ob Konsens besteht, richtet sich gemäss der herrschenden Lehre<br />
nach dem Recht, welchem das gesamte Vertragsverhältnis untersteht. Für die<br />
Gerichtsstandsvereinbarung könnten die Vertragsparteien schlauerweise eine<br />
Rechtswahl treffen: „Die Gerichtsstandsvereinbarung untersteht Schweizer<br />
Recht.“<br />
2. Einhaltung der Form<br />
Der eigentliche Knackpunkt von Gerichtsstandsvereinbarungen ist die Form.<br />
Gemäss Art. 5 IPRG bedarf es bei einer Gerichtsstandsvereinbarung<br />
grundsätzlich der doppelten Schriftlichkeit. Das bedeutet, dass beide Parteien<br />
unterschreiben müssen.<br />
Art. 17 LugÜ bestimmt, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung im<br />
Anwendungsbereich des LugÜ grundsätzlich nur der einfachen Schriftlichkeit<br />
bedarf. Vom Erfordernis der Schriftlichkeit gibt es sogar Ausnahmen:<br />
- kaufmännisches Bestätigungsschreiben (lit. a)<br />
- Handelsbrauch<br />
- Gepflogenheiten<br />
Die Handelsbräuche und Gepflogenheiten spielen in der Praxis jedoch kaum<br />
eine Rolle.<br />
Probleme:<br />
o Formgültigkeit indiziert Konsens<br />
Gemäss dem EuGH ist Konsens gegeben, sobald die Form eingehalten<br />
wurde.<br />
o AGB<br />
Der Einbezug von AGB wird nicht als Konsens-, sondern als<br />
Formproblem betrachtet. Gemäss der neueren Rechtsprechung des<br />
EuGH werden die AGB unter dem Aspekt der Form geprüft und nicht<br />
mehr unter dem des Konsenses.<br />
Formgültigkeit besteht nach IPRG, wenn der Hauptvertrag von beiden<br />
Seiten unterschrieben ist und einen Hinweis auf die AGB enthält.<br />
Nach LugÜ richtet sich die Formgültigkeit nach den oben erläuterten<br />
Aspekten des Art. 17 LugÜ in Bezug auf den Hauptvertrag. Auch hier<br />
bedarf es jedoch einer klaren Verweisung auf die AGB.<br />
o E-Commerce<br />
Bei genauer Betrachtung des Art. 5 IPRG wird nicht ausdrücklich<br />
Schriftlichkeit verlangt, sondern der Nachweis der Vereinbarung durch<br />
Text. Aus dem Text müssen Wortlaut und Einigung ersichtlich sein.<br />
Das LugÜ enthält keine derartige Bestimmung. Die Revision des Art. 17<br />
LugÜ sieht jedoch einen Absatz 2 mit dem folgenden Text vor:<br />
„Elektronische Übermittlung, die eine dauerhafte Aufzeichnung der<br />
Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt.“<br />
63
Das ist heute schon nach herrschender Lehre im Anwendungsbereich<br />
des LugÜ Standard.<br />
3. bestimmtes Rechtsverhältnis<br />
Die Gerichtsstandsvereinbarung muss sich auf ein bestimmtes<br />
Rechtsverhältnis beziehen. Nicht möglich sind Vereinbarungen wie „…alle<br />
Streitigkeiten sind vor dem Zivilgericht Basel zu behandeln…“, sondern sie<br />
muss sich auf ein konkretes Rechtsverhältnis – beispielsweise auf einen<br />
konkreten Kaufvertrag – beziehen.<br />
Dies ist eher ein theoretisches Problem, es ist aber dennoch von Bedeutung.<br />
4. bestimmtes Gericht muss zuständig sein<br />
Die Gerichtsstandsvereinbarung muss ferner das zuständige Gericht<br />
bezeichnen. Im Rahmen des Art. 5 IPRG muss das jeweilige Gericht exakt<br />
bezeichnet werden. Eine Vereinbarung, welche die Gerichte des Kantons X<br />
berufen würde, wäre nicht genügend. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss<br />
sich auf das örtliche Gericht beziehen.<br />
Anders ist die Situation im Anwendungsbereich des LugÜ. Hier können die<br />
Gerichte eines Vertragsstaates als zuständig erklärt werden: „Gerichtsstand ist<br />
die Schweiz.“ Einerseits wird dies befürwortet, da der Kläger dadurch eine<br />
Wahlmöglichkeit innerhalb des Vertragsstaates hat. Im Beispiel kann er<br />
wählen, vor welchem Schweizer Gericht er Klage erheben will. Andererseits<br />
kann dies jedoch erhebliche Rechtsunsicherheiten schaffen. Es ist daher<br />
ratsam, auch im Anwendungsbereich des LugÜ jeweils ein klar definiertes<br />
Gericht zu bestimmen.<br />
5. Vermögensrechtliche Streitigkeit<br />
d. Folgen einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung<br />
Eine Gerichtsstandsvereinbarung begründet sowohl nach LugÜ als auch nach IPRG<br />
eine ausschliessliche Zuständigkeit des berufenen Gerichtes. Sie hat eine<br />
derogatorische Wirkung, was bedeutet, dass alle andern Gerichte für unzuständig<br />
erklärt werden.<br />
Im Anwendungsbereich des IPRG ist die Gerichtsstandsvereinbarung im Rahmen<br />
des Art. 5 IPRG bindend. Das Gericht darf seine Zuständigkeit insbesondere unter<br />
den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 IPRG nicht ablehnen.<br />
Art. 5 Abs. 2 IPRG ist unter dem Aspekt des Arbeitnehmerschutzes nur bei<br />
Arbeitsverträgen anwendbar. Im Vordergrund steht das Missbrauchsverbot einer<br />
Gerichtsstandsvereinbarung im Arbeitsverhältnis. Der Arbeitgeber darf den<br />
Arbeitsvertrag nicht zulasten des Arbeitnehmers unter einen für ihn günstigeren<br />
Gerichtsstand stellen.<br />
Im Anwendungsbereich des LugÜ darf das berufene Gericht grundsätzlich seine<br />
Zuständigkeit nicht ablehnen.<br />
64
2. Einlassung als Zuständigkeitsbegründung<br />
Zur Einlassung genügt eine Äusserung zur Hauptsache. Die Einrede der<br />
Unzuständigkeit ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Wer vor Gericht<br />
erscheint, eine Äusserung zur Hauptsache macht und die sofortige Einrede der<br />
Unzuständigkeit unterlässt, lässt sich vorbehaltlos auf den Prozess ein.<br />
II. Objektive Anknüpfungen der Zuständigkeit<br />
Wurde keine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen und haben sich die Parteien nicht<br />
vorbehaltlos eingelassen, wird an objektive Kriterien der Zuständigkeit angeknüpft,<br />
beziehungsweise sind die gesetzlichen Gerichtsstände massgeblich. Die<br />
Rechtsquellen, in welchen diese Gerichtsstände geregelt werden, sind entweder das<br />
Lugano-Übereinkommen oder das IPRG. Ersteres kommt dann zur Anwendung,<br />
wenn eine der Parteien ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat des LugÜ hat. Ist dies<br />
nicht der Fall, fällt der Sachverhalt in den Anwendungsbereich des IPRG.<br />
Im Vertragsrecht stehen verschiedene Gerichtsstände im Vordergrund:<br />
- Wohnsitz des Beklagten (Art. 2 Abs. 1 LugÜ)<br />
- Niederlassung (Art. 5 Ziff. 5 LugÜ)<br />
- Vertraglicher Erfüllungsort (Art. 5 Ziff. 1 LugÜ)<br />
Art. 2 LugÜ<br />
Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem<br />
Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den<br />
Gerichten dieses Staates zu verklagen.<br />
Auf Personen, die nicht dem Staat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, angehören, sind die für Inländer<br />
massgebenden Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden.<br />
Art. 5 LugÜ<br />
Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem<br />
anderen Vertragsstaat verklagt werden,<br />
1. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden,<br />
vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;<br />
wenn ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag<br />
den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer<br />
gewöhnlich seine Arbeit verrichtet; verrichtet der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht<br />
in ein und demselben Staat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die Niederlassung<br />
befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat;<br />
2. wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem der<br />
Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder im<br />
Falle einer Unterhaltssache, über die im Zusammenhang mit einem Verfahren in Bezug auf<br />
den Personenstand zu entscheiden ist, vor dem nach seinem Recht für dieses Verfahren<br />
zuständigen Gericht, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht lediglich auf der<br />
Staatsangehörigkeit einer der Parteien;<br />
3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung<br />
gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des<br />
65
Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten<br />
ist;<br />
4. wenn es sich um eine Klage auf Schadenersatz oder auf Wiederherstellung des früheren<br />
Zustands handelt, die auf eine mit Strafe bedrohte Handlung gestützt wird, vor dem<br />
Strafgericht, bei dem die öffentliche Klage erhoben ist, soweit dieses Gericht nach seinem<br />
Recht über zivilrechtliche Ansprüche erkennen kann;<br />
5. wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder<br />
einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese<br />
befindet;<br />
6. wenn sie in ihrer Eigenschaft als Begründer, «trustee» oder Begünstigter eines «trust» in<br />
Anspruch genommen wird, der aufgrund eines Gesetzes oder durch schriftlich<br />
vorgenommenes oder schriftlich bestätigtes Rechtsgeschäft errichtet worden ist, vor den<br />
Gerichten des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der «trust» seinen Sitz hat;<br />
7. wenn es sich um eine Streitigkeit wegen der Zahlung von Berge- und Hilfslohn handelt, der für<br />
Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten gefordert wird, die zugunsten einer Ladung oder einer<br />
Frachtforderung erbracht worden sind, vor dem Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich<br />
diese Ladung oder die entsprechende Frachtforderung<br />
a) mit Arrest belegt worden ist, um die Zahlung zu gewährleisten, oder<br />
b) mit Arrest hätte belegt werden können, jedoch dafür eine Bürgschaft oder eine andere<br />
Sicherheit geleistet worden ist;<br />
diese Vorschrift ist nur anzuwenden, wenn behauptet wird, dass der Beklagte Rechte an der<br />
Ladung oder an der Frachtforderung hat oder zur Zeit der Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten<br />
hatte.<br />
Ist das LugÜ nicht anwendbar, sind die Bestimmungen des IPRG massgeblich.<br />
Art. 112 IPRG<br />
1 Für Klagen aus Vertrag sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten oder, wenn<br />
ein solcher fehlt, diejenigen an seinem gewöhnlichen Aufenthalt zuständig.<br />
2 Für Klagen aufgrund der Tätigkeit einer Niederlassung in der Schweiz sind überdies die Gerichte am<br />
Ort der Niederlassung zuständig.<br />
Art. 113 IPRG<br />
Hat der Beklagte weder Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, noch eine Niederlassung in der<br />
Schweiz, ist aber die Leistung in der Schweiz zu erbringen, so kann beim schweizerischen Gericht am<br />
Erfüllungsort geklagt werden.<br />
1. Gerichtsstand des Erfüllungsortes<br />
Massgeblich ist der Erfüllungsort derjenigen Leistung aus dem Vertrag, welche<br />
geltend gemacht wird. Hiervon gibt es zwei Grundsätze: Einerseits geht es um den<br />
Erfüllungsort der Hautleistungspflicht – Nebenpflichten haben keinen eigenständigen<br />
Erfüllungsort. Andererseits ist die primäre Leistungspflicht massgeblich. Sekundäre<br />
Leistungspflichten haben ebenfalls keinen eigenständigen Erfüllungsort.<br />
Der Erfüllungsort ergibt sich aus den jeweiligen nationalen Gesetzen (z.B. Art. 74<br />
OR). Die Parteien können autonom einen Erfüllungsort bestimmen. Haben sie dies<br />
nicht getan, ergibt sich der Erfüllungsort aus der lex causae. Das Gericht am<br />
Erfüllungsort, das hypothetisch zuständig ist, fragt sich dabei, welches Recht in<br />
Bezug auf den Erfüllungsort anzuwenden sei und bestimmt ihn dann nach eben<br />
diesem Recht. Wenn der Erfüllungsort nach dem auf den Vertrag anwendbaren<br />
Recht am Gerichtsort liegt, ist das angerufene Gericht an diesem Ort zuständig.<br />
66
Das Gericht nimmt also zuerst hypothetisch an, dass es zuständig sei.<br />
Anschliessend bestimmt es das auf den Vertrag anwendbare Recht und prüft dann<br />
nach diesem, ob der Erfüllungsort auch am Gerichtsort liegt. Diese Variante<br />
bestimmt die Zuständigkeit nach der lex causae, also nach dem auf die Sache<br />
anwendbaren Recht.<br />
Das Gericht hat auch eine andere Möglichkeit: Es könnte nach der lex fori<br />
entscheiden. Das Schweizer Gericht könnte auch direkt nach Art. 74 OR feststellen,<br />
wo der Erfüllungsort liegt und so seine Zuständigkeit prüfen.<br />
Die Variante der lex causae ist die herrschende Rechtsprechung des EuGH in Bezug<br />
auf das LugÜ. Im Anwendungsbereich des IPRG ist die herrschende Meinung, dass<br />
bezüglich Art. 113 IPRG nach der lex fori zu entscheiden sei.<br />
Beispiel 1<br />
Ein Schweizer bestellt ein Buch in Deutschland. Das Buch wird nicht geliefert.<br />
Die Zuständigkeit richtet sich nach dem LugÜ, eine Klage ist entweder am Wohnsitz<br />
des Beklagten oder am Erfüllungsort zu erheben. Es stellt sich die Frage, wo die<br />
Erfüllung der Buchlieferung zu erfolgen hat.<br />
Der Ort der Erfüllung muss in casu nach der lex causae bestimmt werden. Somit ist<br />
festzustellen, welches Recht auf den Vertrag anwendbar ist. Da es sich um einen<br />
internationalen Kaufvertrag handelt und beide Parteien in unterschiedlichen Staaten<br />
ihren Wohnsitz haben, ist in casu das CISG massgeblich. Der Erfüllungsort ergibt<br />
sich somit aus Art. 31 lit. c CISG: Der Ort der Niederlassung des Verkäufers, also in<br />
Deutschland.<br />
Art. 31 CISG<br />
Hat der Verkäufer die Ware nicht an einem anderen bestimmten Ort zu liefern, so besteht seine<br />
Lieferpflicht in folgendem:<br />
a) Erfordert der Kaufvertrag eine Beförderung der Ware, so hat sie der Verkäufer dem ersten<br />
Beförderer zur Übermittlung an den Käufer zu übergeben;<br />
b) bezieht sich der Vertrag in Fällen, die nicht unter Buchstabe a fallen, auf bestimmte Ware oder<br />
auf gattungsmässig bezeichnete Ware, die aus einem bestimmten Bestand zu entnehmen ist,<br />
oder auf herzustellende oder zu erzeugende Ware und wussten die Parteien bei<br />
Vertragsabschluss, dass die Ware sich an einem bestimmten Ort befand oder dort<br />
herzustellen oder zu erzeugen war, so hat der Verkäufer die Ware dem Käufer an diesem Ort<br />
zur Verfügung zu stellen;<br />
c) in den anderen Fällen hat der Verkäufer die Ware dem Käufer an dem Ort zur Verfügung zu<br />
stellen, an dem der Verkäufer bei Vertragsabschluss seine Niederlassung hatte.<br />
Beispiel 2<br />
Ein Schweizer bestellt in Deutschland ein Buch. Der Kaufpreis wird nicht bezahlt.<br />
Die Zuständigkeit richtet sich ebenfalls nach dem LugÜ, eine Klage ist entweder am<br />
Wohnsitz des Beklagten oder am Erfüllungsort zu erheben. Es stellt sich die Frage,<br />
wo die Kaufpreiszahlung zu erfolgen hat.<br />
Der Erfüllungsort ist wieder nach der lex causae zu bestimmen. Auf den Kaufvertrag<br />
findet das CISG Anwendung. Der Erfüllungsort ergibt sich für die Kaufpreiszahlung<br />
aus Art. 57 lit. a CISG: Eine Geldschuld ist eine Bringschuld – der Kaufpreiszahlung<br />
hat am Sitz des Verkäufers und somit in Deutschland zu erfolgen. Der Gerichtsstand<br />
ist also in Deutschland.<br />
67
Art. 57 CISG<br />
1 Ist der Käufer nicht verpflichtet, den Kaufpreis an einem anderen bestimmten Ort zu zahlen, so hat er<br />
ihn dem Verkäufer wie folgt zu zahlen:<br />
a) am Ort der Niederlassung des Verkäufers oder,<br />
b) wenn die Zahlung gegen Übergabe der Ware oder von Dokumenten zu leisten ist, an dem Ort,<br />
an dem die Übergabe stattfindet.<br />
2 Der Verkäufer hat alle mit der Zahlung zusammenhängenden Mehrkosten zu tragen, die durch einen<br />
Wechsel seiner Niederlassung nach Vertragsschluss entstehen.<br />
Beispiel 3<br />
Der Käufer will für die verspätete Lieferung Schadenersatz.<br />
Die Zuständigkeit richtet sich wiederum nach dem LugÜ. Da die Schadenersatzpflicht<br />
eine sekundäre Leistungspflicht ist, richtet sich der Gerichtsstand entsprechend der<br />
Hauptleistung und befindet sich somit wie bereits im Beispiel 1 erläutert in<br />
Deutschland.<br />
C. Anwendbares Recht<br />
I. Subjektive Anknüpfung: Rechtswahl<br />
1. Wirkungen und gesetzliche Bestimmungen<br />
Der Grundsatz der Privatautonomie gilt nicht nur bei der Zuständigkeit, sondern auch<br />
in Bezug auf die Frage des anwendbaren Rechts. Massgeblich ist diesbezüglich der<br />
Art. 116 IPRG.<br />
Art. 116 IPRG<br />
1 Der Vertrag untersteht dem von den Parteien gewählten Recht.<br />
2 Die Rechtswahl muss ausdrücklich sein oder sich eindeutig aus dem Vertrag oder aus den<br />
Umständen ergeben. Im übrigen untersteht sie dem gewählten Recht.<br />
3 Die Rechtswahl kann jederzeit getroffen oder geändert werden. Wird sie nach Vertragsabschluss<br />
getroffen oder geändert, so wirkt sie auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurück. Die Rechte<br />
Dritter sind vorbehalten.<br />
Eine Rechtswahl ist eine Vereinbarung zwischen den Parteien über das auf ihren<br />
Vertrag anwendbare Recht. Sie bestimmen in einer vertraglichen Abmachung das<br />
anwendbare Recht. Diese findet sich entweder im Vertrag selber oder in beigefügten<br />
AGB. Eine mögliche Formulierung wäre etwa: „…der Vertrag untersteht<br />
schweizerischem Recht…“.<br />
Die Rechtswahl ist unabhängig vom sonstigen Vertrag. Es handelt sich um eine<br />
selbständige Abmachung. Eine allfällige Ungültigkeit des Hauptvertrages berührt die<br />
Rechtswahl somit nicht. Diese hat trotzdem ihre Gültigkeit.<br />
Die Rechtswahl kann nur dadurch zu Fall gebracht werden, indem man<br />
beispielsweise argumentiert, ein Willensmangel betreffe ausdrücklich die<br />
Rechtswahl.<br />
68
Mittels Rechtswahl können im Grunde sämtliche Rechtsordnungen der Welt gewählt<br />
werden. Auch <strong>Teil</strong>rechtswahlen sind möglich, z.B. „…Ziffer 1 bis 5 des Vertrages<br />
unterstehen Schweizer Recht, der Rest dem deutschen…“.<br />
Andererseits ist es nicht möglich, ein nicht-staatliches Recht zu berufen. Der Vertrag<br />
kann beispielsweise nicht den Unidroit Principles of commercial law oder den FIFA-<br />
Statuten unterstellt werden. Diese können nur Vertragsbestandteil werden, die<br />
Bindung an das zwingende Recht bleibt trotzdem bestehen.<br />
Eine Rechtswahlklausel zugunsten eines staatlichen Rechts derogiert auch die<br />
zwingenden Vorschriften der derogierten Rechtsordnung.<br />
2. Entstehung einer Rechtswahl<br />
Für das Zustandekommen einer Rechtswahl bedarf es des Konsenses. Die Frage,<br />
ob Konsens vorliegt, richtet sich nach der lex causae, also nach dem im Vertrag<br />
gewählten und auf diesen anwendbare Recht (Art. 116 IPRG). Der Konsens muss<br />
ausdrücklich oder eindeutig sein. Die Rechtswahl muss also ausdrücklich erfolgen<br />
oder muss sich eindeutig aus dem Vertrag ergeben. Die Umstände müssen derart<br />
eindeutig sein, dass geradezu klar ist, dass keine der Parteien am Bestand einer<br />
Rechtswahl zweifeln konnte.<br />
Andererseits begründen weder Gerichtsstandsvereinbarung, Erfüllungsort noch eine<br />
Sprachenklausel eine Rechtswahl. Weiter kann eine Rechtswahl – im Gegensatz zur<br />
Gerichtsstandsklausel – jederzeit auch rückwirkend und formfrei getroffen werden<br />
(Art. 116 IPRG). Die Rechte Dritter werden davon nicht betroffen. Bereits<br />
entstandene Rechte Dritter werden von einer nachträglichen Änderung der<br />
Rechtswahlklausel nicht tangiert.<br />
II. Objektive Anknüpfungen<br />
Art. 117 IPRG<br />
1 Bei Fehlen einer Rechtswahl untersteht der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er am engsten<br />
zusammenhängt.<br />
2 Es wird vermutet, der engste Zusammenhang bestehe mit dem Staat, in dem die Partei, welche die<br />
charakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder, wenn sie den<br />
Vertrag aufgrund einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat, in dem sich ihre<br />
Niederlassung befindet.<br />
3 Als charakteristische Leistung gilt namentlich:<br />
a. bei Veräusserungsverträgen die Leistung des Veräusserers;<br />
b. bei Gebrauchsüberlassungsverträgen die Leistung der Partei, die eine Sache oder ein Recht<br />
zum Gebrauch überlässt;<br />
c. bei Auftrag, Werkvertrag und ähnlichen Dienstleistungsverträgen die Dienstleistung;<br />
d. bei Verwahrungsverträgen die Leistung des Verwahrers;<br />
e. bei Garantie- oder Bürgschaftsverträgen die Leistung des Garanten oder des Bürgen.<br />
Haben die Parteien keine oder keine wirksame Rechtswahlklausel getroffen, greifen<br />
die Vorschriften des Art. 117 Abs. 1 IPRG. Berufen wird das Recht des Staates, mit<br />
welchem der Vertrag am engsten zusammenhängt. Dieser engste Zusammenhang<br />
wird in Abs. 2 konkretisiert. Vermutungsweise gilt als Vertragsstatut das Recht am<br />
69
Wohnsitz der Partei, welche die charakteristische Leistung des Vertrages erbringen<br />
soll.<br />
Bei einseitigen Verträgen ist die vertragstypische Leistung offensichtlich, da nur eine<br />
Partei verpflichtet wird. Bei zweiseitigen Verträgen gilt gemäss Art. 117 Abs. 3 IPRG<br />
diejenige Leistung als vertragstypisch, welche der Geldleistung entgegensteht.<br />
Fehlt eine vertragstypische Leistung – beispielsweise beim Tausch – findet die<br />
allgemeine Auffangregel des Art. 117 Abs. 1 IPRG Anwendung. Berufen wird<br />
dasjenige Recht, welches mit dem Vertrag am engsten zusammenhängt. Diese<br />
Bestimmung kommt weiter als Auffangregel zum Zug für Fragen betreffend<br />
Konkubinat oder Aktionärsbindungsvertrag. Sie ist zudem lex specialis zu Art. 15<br />
IPRG, welcher ebenfalls das Recht mit dem engeren Zusammenhang beruft.<br />
D. Besondere Vertragsverhältnisse<br />
Für gewisse, bzw. besondere Vertragsverhältnisse sehen das IPRG und diverse<br />
Staatsverträge besondere Regelungen vor, welche als lex specialis den allgemeinen<br />
Regelungen vorgehen. Es handelt sich um:<br />
- Kaufverträge über bewegliche Sachen<br />
- Grundstückverträge (nicht: Grundstückkaufverträge)<br />
- Konsumentenverträge<br />
- Arbeitsverträge<br />
- Verträge über Immaterialgüterrechte<br />
- Sicherungsverträge<br />
Die Sonderregelungen können Fragen über die Zuständigkeit, das anwendbare<br />
Recht oder beides betreffen.<br />
I. Kauf von beweglichen Sachen<br />
1. Allgemeines<br />
Beim Kauf von beweglichen Sachen gibt es keine Sondervorschriften, welche die<br />
Zuständigkeit betreffen. Solche gibt es nur in Bezug auf das anwendbare Recht.<br />
Art. 118 IPRG<br />
1 Für den Kauf beweglicher körperlicher Sachen gilt das Haager Übereinkommen vom 15. Juni 1955<br />
betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen anzuwendende<br />
Recht.<br />
2 Artikel 120 ist vorbehalten.<br />
Art. 118 Abs. 1 IPRG verweist auf das Haager Kaufrechtsübereinkommen, ein erga<br />
omnes Staatsvertrag. Weiter sind unter Umständen die Vorschriften des CISG<br />
anwendbar, wenn ein grenzüberschreitender Kaufvertrag über bewegliche Sachen<br />
vorliegt.<br />
70
Das CISG ist materielles Einheitskaufsrecht. Es ist materielles Recht, welches direkt<br />
die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien regelt. Dagegen enthält das Haager<br />
Übereinkommen kollisionsrechtliche Regelungen (vgl. Art. 2 & 3 HaagÜ).<br />
Beide, sowohl das CISG als auch das HaagÜ, erfassen keine Konsumentenverträge.<br />
2. Verhältnis CISG vs. HaagÜ<br />
Art. 1 CISG<br />
1 Dieses Übereinkommen ist auf Kaufverträge über Waren zwischen Parteien anzuwenden, die ihre<br />
Niederlassung in verschiedenen Staaten haben<br />
a) wenn diese Staaten Vertragsstaaten sind oder<br />
b) wenn die Regeln des internationalen <strong>Privatrecht</strong>s zur Anwendung des Rechts eines<br />
Vertragsstaates führen.<br />
2 Die Tatsache, dass die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben, wird nicht<br />
berücksichtigt, wenn sie sich nicht aus dem Vertrag, aus früheren Geschäftsbeziehungen oder aus<br />
Verhandlungen oder Auskünften ergibt, die vor oder bei Vertragsabschluss zwischen den Parteien<br />
geführt oder von ihnen erteilt worden sind.<br />
3 Bei Anwendung dieses Übereinkommens wird weder berücksichtigt, welche Staatsangehörigkeit die<br />
Parteien haben, noch ob sie Kaufleute oder Nichtkaufleute sind oder ob der Vertrag handelsrechtlicher<br />
oder zivilrechtlicher Art ist.<br />
Das CISG findet unmittelbar Anwendung, wenn beide Vertragsparteien ihre<br />
Niederlassung in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Dies ergibt sich aus Art. 1<br />
Abs. 1 lit. a CISG.<br />
Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG ist die „kollisionsrechtliche Schleife“. Er bestimmt, dass das<br />
CISG dann zur Anwendung kommt, wenn die kollisionsrechtlichen Regelungen eines<br />
Staates auf das CISG verweisen. Es handelt sich um eine mittelbare Anwendung des<br />
CISG. Es kommt also nicht direkt zur Anwendung weil beispielsweise nicht beide<br />
Parteien ihre Niederlassung in einem Vertragsstaat haben, sondern die<br />
kollisionsrechtlichen Normen des massgeblichen Rechts verweisen auf das CISG.<br />
Gemäss Art. 95 CISG kann jedoch ein Staat einen Vorbehalt gegen die derartige<br />
Anwendung des CISG anbringen. Dies führt zur Anwendung des materiellen Rechts<br />
des betreffenden Staates.<br />
Beispiel<br />
Der Verkäufer ist Schweizer, der Käufer ist Engländer und angerufen sind die<br />
Schweizer Gerichte.<br />
Weil der Verkäufer als Erbringer der vertragstypischen Leistung seinen Sitz in der<br />
Schweiz hat, kommt Schweizer Recht zur Anwendung. Die Schweiz ist Mitgliedstaat<br />
des CISG, womit dieses zur Anwendung gelangt.<br />
Beispiel 2:<br />
Der Verkäufer ist Engländer, der Käufer ist Schweizer, das Schweizer Gericht ist<br />
zuständig. Es gilt das materielle Recht von England, da England nicht Vertragsstaat<br />
des CISG ist.<br />
Gemäss Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG kommt dieses zur Anwendung, wenn die<br />
internationalen Kollisionsregeln des auf den betreffenden Vertrag anwendbaren<br />
71
Rechts auf das CISG verweisen. Dieses Kollisionsrecht bestimmt sich nach dem<br />
Haager Übereinkommen.<br />
Sollte das CISG weiter eine Lücke aufweisen, bestimmt das Haager Übereinkommen<br />
dasjenige Recht, nach welchem diese Lücke zu schliessen ist.<br />
Eine Rechtswahl derogiert das CISG grundsätzlich nicht. Falls die Parteien die<br />
Anwendbarkeit des CISG ausschliessen wollen, müssen sie dies ausdrücklich tun.<br />
Dies ergibt sich aus Art. 6 CISG.<br />
Art. 6 CISG<br />
Die Parteien können die Anwendung dieses Übereinkommens ausschliessen oder, vorbehaltlich des<br />
Artikels 12, von seinen Bestimmungen abweichen oder deren Wirkung ändern.<br />
Wird in einer Rechtswahlklausel beispielsweise das Schweizer Recht berufen, ist das<br />
CISG darin als Bestandteil des Schweizer Rechts mit enthalten.<br />
II. Verträge über Grundstücke<br />
1. Zuständigkeit<br />
Art. 16 LugÜ<br />
Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschliesslich zuständig<br />
1. a) für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder<br />
Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des<br />
Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist,<br />
b) für Klagen betreffend die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum vorübergehenden<br />
privaten Gebrauch für höchstens sechs aufeinander folgende Monate sind jedoch auch<br />
die Gerichte des Vertragsstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat,<br />
sofern es sich bei dem Mieter oder Pächter um eine natürliche Person handelt und weder<br />
die eine noch die andere Partei ihren Wohnsitz in dem Vertragsstaat hat, in dem die<br />
unbewegliche Sache belegen ist;<br />
2. für Klagen, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder<br />
juristischen Person oder der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben, die Gerichte<br />
des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren<br />
Sitz hat;<br />
3. für Klagen, welche die Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register zum Gegenstand<br />
haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Register geführt werden;<br />
4. für Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Warenzeichen, Mustern<br />
und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen,<br />
zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die<br />
Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines<br />
zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt;<br />
5. für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben,<br />
die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung<br />
durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist.<br />
Art. 16 LugÜ begründet eine ausschliessliche Zuständigkeit. Nicht unter den<br />
Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen Kaufverträge sowie Streitigkeiten aus<br />
Miete oder Pacht von Grundstücken. In diesen Fällen sind die Gerichte am Ort der<br />
gelegenen Sache ausschliesslich zuständig. Eine Ausnahme hiervon bildet lit. b. Es<br />
handelt sich dabei um die sog. „Gran Canaria Klausel“ für Mietwohnungen.<br />
72
2. anwendbares Recht<br />
Art. 119 IPRG<br />
1 Verträge über Grundstücke oder deren Gebrauch unterstehen dem Recht des Staates, in dem sich<br />
die Grundstücke befinden.<br />
2 Eine Rechtswahl ist zulässig.<br />
3 Die Form untersteht dem Recht des Staates, in dem sich das Grundstück befindet, es sei denn,<br />
dieses Recht lasse die Anwendung eines anderen Rechts zu. Für ein Grundstück in der Schweiz<br />
richtet sich die Form nach schweizerischem Recht.<br />
Art. 119 IPRG regelt das anwendbare Recht in Bezug auf Verträge über<br />
Grundstücke. Gemeint sind sämtliche obligatorischen Verträge, welche eine<br />
Liegenschaft betreffen. Primär ist das gewählte Recht massgeblich (Art. 119 Abs. 2<br />
IPRG), sekundär das Recht am Lageort der Liegenschaft (Art. 119 Abs. 1 IPRG).<br />
Beispiel:<br />
Ein Schweizer kauft seinem Nachbarn dessen Liegenschaft in Spanien ab. Wählen<br />
die Parteien Schweizer Recht, ist Schweizer Recht anwendbar. Für die<br />
Formvorschriften gilt dennoch das spanische Recht, da die Rechtswahl bezüglich der<br />
Formvorschriften gemäss Art. 119 Abs. 3 IPRG keine Wirkungen zeigt.<br />
Eine Ausnahme hiervon ist nur möglich, wenn das spanische Recht eine Rechtswahl<br />
bezüglich der Form des Kaufvertrages zuliesse.<br />
Es ist jedoch umstritten, ob Art. 119 Abs. 3 IPRG eine Sachnormverweisung oder<br />
eine Gesamtverweisung ist. Gemäss Grolimund ist Art. 119 Abs. 3 IPRG sowohl<br />
Sachnorm- als auch Gesamtverweisung.<br />
III. Konsumentenverträge<br />
1. Zuständigkeit<br />
Die Zuständigkeit bei Konsumentenverträgen ist einerseits im LugÜ, andererseits im<br />
IPRG geregelt. Es sind dies die Art. 13 ff. LugÜ sowie der Art. 114 IPRG.<br />
Ein Sachverhalt fällt unter den Anwendungsbereich des LugÜ, wenn sich der<br />
Wohnsitz des Beklagten in einem Vertragsstaat befindet.<br />
Der Konsument hat die Wahlmöglichkeit, entweder an seinem Wohnsitz oder am<br />
Wohnsitz des Beklagten Klage einzureichen. Dies ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1<br />
LugÜ. Der Anbieter seinerseits kann gemäss Abs. 2 nur am Wohnsitz des Beklagten<br />
klagen.<br />
Art. 14 LugÜ<br />
Die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner kann entweder vor den Gerichten<br />
des Vertragsstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz<br />
hat, oder vor den Gerichten des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen<br />
Wohnsitz hat.<br />
Die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher kann nur vor den Gerichten des<br />
Vertragsstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.<br />
Diese Vorschriften lassen das Recht unberührt, eine Widerklage vor dem Gericht zu erheben, bei dem<br />
die Klage selbst gemäss den Bestimmungen dieses Abschnitts anhängig ist.<br />
73
In einem Konsumentenvertrag ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nur unter den<br />
Voraussetzungen des Art. 15 LugÜ möglich.<br />
Art. 15 LugÜ<br />
Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden,<br />
1. wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird;<br />
2. wenn sie dem Verbraucher die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt<br />
angeführten Gerichte anzurufen, oder<br />
3. wenn sie zwischen einem Verbraucher und seinem Vertragspartner getroffen ist, die zum<br />
Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in<br />
demselben Vertragsstaat haben, und die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates<br />
begründet, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung nach dem Recht dieses Staates nicht<br />
zulässig ist.<br />
Diese Bestimmung ist Ausfluss des Konsumentenschutzes und soll dem<br />
Konsumenten einen möglichst umfassenden Schutz gewährleisten.<br />
2. Anwendbares Recht<br />
Art. 120 IPRG<br />
1 Verträge über Leistungen des üblichen Verbrauchs, die für den persönlichen oder familiären<br />
Gebrauch des Konsumenten bestimmt sind und nicht im Zusammenhang mit der beruflichen oder<br />
gewerblichen Tätigkeit des Konsumenten stehen, unterstehen dem Recht des Staates, in dem der<br />
Konsument seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat:<br />
a. wenn der Anbieter die Bestellung in diesem Staat entgegengenommen hat;<br />
b. wenn in diesem Staat dem Vertragsabschluss ein Angebot oder eine Werbung<br />
vorausgegangen ist und der Konsument in diesem Staat die zum Vertragsabschluss<br />
erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen hat, oder<br />
c. wenn der Anbieter den Konsumenten veranlasst hat, sich ins Ausland zu begeben und seine<br />
Bestellung dort abzugeben.<br />
2 Eine Rechtswahl ist ausgeschlossen.<br />
Grundsätzlich wird das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Konsumenten<br />
berufen. Dies ist eine Abweichung zu 117 IPRG, welcher normalerweise das Recht<br />
der vertragstypischen Leistung und somit das Recht am Sitz des Anbieters berufen<br />
würde. Weiter ist gemäss Abs. 2 eine Rechtswahl ausgeschlossen.<br />
Auch dies sind Grundsätze des Konsumentenschutzes.<br />
3. was ist ein Konsumentenvertrag?<br />
Der Konsumentenvertrag ist durch verschiedene Merkmale gekennzeichnet: Diese<br />
ergeben sich aus Art. 120 IPRG.<br />
a. Der Anbieter verfolgt einen gewerblichen, beruflichen Zweck<br />
b. Der Nachfrager seinerseits verfolgt einen privaten Zweck<br />
c. Die Ware dient dem üblichen Verbrauch (a. A. BGE 132 III 268)<br />
Ein internationaler Konsumentenvertrag liegt vor, wenn die sog. Schlüsselreize der<br />
lit. a bis c gegeben sind.<br />
74
4. Sonderfragen Internet<br />
Nach herrschender Lehre ist Litera b massgeblich. Ein Kaufvertrag im Internet gilt<br />
dann als Konsumentenvertrag, wenn die Tätigkeit auf den betreffenden Staat<br />
ausgerichtet gewesen ist. Zur Beurteilung gibt es grundsätzlich drei Kriterien:<br />
- Sprache<br />
- Inhalt<br />
- Länderangabe<br />
Gemäss Grolimund hat der Konsumentenschutz immer Vorrang. Auch wenn sich ein<br />
Angebot nur auf einzelne, separat genannte Staaten richtet, sollen Konsumenten aus<br />
den übrigen Staaten ebenfalls immer geschützt sein.<br />
IV. Arbeitsverträge<br />
1. Zuständigkeit<br />
a. allgemeine Zuständigkeit<br />
Art. 5 LugÜ<br />
Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem<br />
anderen Vertragsstaat verklagt werden,<br />
1. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden,<br />
vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;<br />
wenn ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag<br />
den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer<br />
gewöhnlich seine Arbeit verrichtet; verrichtet der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht<br />
in ein und demselben Staat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die Niederlassung<br />
befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat;<br />
2. wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem der<br />
Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder im<br />
Falle einer Unterhaltssache, über die im Zusammenhang mit einem Verfahren in Bezug auf<br />
den Personenstand zu entscheiden ist, vor dem nach seinem Recht für dieses Verfahren<br />
zuständigen Gericht, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht lediglich auf der<br />
Staatsangehörigkeit einer der Parteien;<br />
3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung<br />
gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des<br />
Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten<br />
ist;<br />
4. wenn es sich um eine Klage auf Schadenersatz oder auf Wiederherstellung des früheren<br />
Zustands handelt, die auf eine mit Strafe bedrohte Handlung gestützt wird, vor dem<br />
Strafgericht, bei dem die öffentliche Klage erhoben ist, soweit dieses Gericht nach seinem<br />
Recht über zivilrechtliche Ansprüche erkennen kann;<br />
5. wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder<br />
einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese<br />
befindet;<br />
6. wenn sie in ihrer Eigenschaft als Begründer, «trustee» oder Begünstigter eines «trust» in<br />
Anspruch genommen wird, der aufgrund eines Gesetzes oder durch schriftlich<br />
vorgenommenes oder schriftlich bestätigtes Rechtsgeschäft errichtet worden ist, vor den<br />
Gerichten des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der «trust» seinen Sitz hat;<br />
7. wenn es sich um eine Streitigkeit wegen der Zahlung von Berge- und Hilfslohn handelt, der für<br />
Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten gefordert wird, die zugunsten einer Ladung oder einer<br />
Frachtforderung erbracht worden sind, vor dem Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich<br />
diese Ladung oder die entsprechende Frachtforderung<br />
a) mit Arrest belegt worden ist, um die Zahlung zu gewährleisten, oder<br />
75
) mit Arrest hätte belegt werden können, jedoch dafür eine Bürgschaft oder eine andere<br />
Sicherheit geleistet worden ist;<br />
diese Vorschrift ist nur anzuwenden, wenn behauptet wird, dass der Beklagte Rechte an der<br />
Ladung oder an der Frachtforderung hat oder zur Zeit der Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten<br />
hatte.<br />
Art. 115 IPRG<br />
1 Für Klagen aus Arbeitsvertrag sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten oder<br />
am Ort zuständig, wo der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.<br />
2 Für Klagen des Arbeitnehmers sind überdies die schweizerischen Gerichte an seinem Wohnsitz oder<br />
an seinem gewöhnlichen Aufenthalt zuständig.<br />
3 Für Klagen bezüglich der auf die Arbeitsleistung anzuwendenden Arbeits- und Lohnbedingungen<br />
sind zudem die Schweizer Gerichte am Ort zuständig, an den der Arbeitnehmer für einen begrenzten<br />
Zeitraum und zur Verrichtung auch nur eines <strong>Teil</strong>s seiner Arbeit aus dem Ausland entsandt worden ist.<br />
Die Zuständigkeit bei Arbeitsverträgen ergibt sich aus Art. 5 Ziff. 1 LugÜ bzw. 115<br />
IPRG. Weitere Zuständigkeiten finden sich in den Art. 2 Abs. 1 sowie 17 Ziff. 5 LugÜ.<br />
Geklagt werden kann somit am Wohnsitz des Beklagten. Dies ergibt sich aus dem<br />
allgemeinen Grundsatz. Zudem kann alternativ am gewöhnlichen Arbeitsort geklagt<br />
werden.<br />
b. Gerichtsstandsvereinbarung<br />
Gemäss Art. 17 Ziff. 5 LugÜ haben Gerichtsstandsvereinbarungen bei<br />
arbeitsrechtlichen Streitigkeiten nur dann eine Wirkung, wenn sie nach Entstehen der<br />
Streitigkeit getroffen worden sind.<br />
Das IPRG sieht keine ähnliche Bestimmung vor. Im Anwendungsbereich des IPRG<br />
ist eine Gerichtsstandsvereinbarung also möglich. Das berufene Gericht muss dies<br />
zulassen.<br />
2. Anwendbares Recht<br />
a. IPRG<br />
Art. 121 IPRG<br />
1 Der Arbeitsvertrag untersteht dem Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine<br />
Arbeit verrichtet.<br />
2 Verrichtet der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich in mehreren Staaten, so untersteht der<br />
Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung oder, wenn eine solche fehlt,<br />
der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des Arbeitgebers befindet.<br />
3 Die Parteien können den Arbeitsvertrag dem Recht des Staates unterstellen, in dem der<br />
Arbeitnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem der Arbeitgeber seine Niederlassung,<br />
seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.<br />
Grundsätzlich gilt das Recht des gewöhnlichen Arbeitsortes. Hat der Arbeitnehmer<br />
keinen gewöhnlichen Arbeitsort, ist der Ort der Niederlassung des Arbeitgebers<br />
massgeblich. Eine Rechtswahl ist zugunsten des Rechts am gewöhnlichen<br />
Aufenthaltsort des Arbeitnehmers, bzw. am Ort der Niederlassung oder Wohnsitz des<br />
Arbeitgebers möglich.<br />
76
. Römer Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse<br />
anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980<br />
In der EU und ihren Mitgliedstaaten gilt für das Schuldvertragsrecht ein<br />
Staatsvertrag: Das Römer Schuldvertragsübereinkommen.<br />
V. gemeinsame Bestimmungen über Verträge<br />
1. Schweigen auf einen Antrag (Art. 123 IPRG)<br />
Art. 123 IPRG<br />
Schweigt eine Partei auf einen Antrag zum Abschluss eines Vertrages, so kann sie sich für die<br />
Wirkungen des Schweigens auf das Recht des Staates berufen, in dem sie ihren gewöhnlichen<br />
Aufenthalt hat.<br />
Art. 123 IPRG betrifft das Schweigen auf einen Antrag. Es handelt sich um eine ganz<br />
spezifische Fragestellung. Im Schweizer materiellen Recht ist in Art. 6 OR der<br />
Grundsatz des quis tacet non considere videtur (wer schweigt, scheint nicht<br />
zuzustimmen) geregelt. Wer auf einen Antrag schweigt, bringt keinen Vertrag<br />
zustande.<br />
Schweigt im internationalen Verhältnis eine Partei auf eine Offerte, kann sie sich auf<br />
diejenigen Wirkungen berufen, welche das Recht am Ort ihres gewöhnlichen<br />
Aufenthaltes vorsieht.<br />
2. Form von Verträgen (Art. 124 IPRG)<br />
Art. 124 IPRG<br />
1 Der Vertrag ist formgültig, wenn er dem auf den Vertrag anwendbaren Recht oder dem Recht am<br />
Abschlussort entspricht.<br />
2 Befinden sich die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in verschiedenen Staaten, so<br />
genügt es, wenn die Form dem Recht eines dieser Staaten entspricht.<br />
3 Schreibt das auf den Vertrag anwendbare Recht die Beachtung einer Form zum Schutz einer Partei<br />
vor, so richtet sich die Formgültigkeit ausschliesslich nach diesem Recht, es sei denn, dieses lasse<br />
die Anwendung eines anderen Rechts zu.<br />
Ob ein Vertrag formgültig ist, bestimmt entweder das Recht am Abschlussort oder<br />
dasjenige, welches die Parteien im Vertrag berufen. Der Grundsatz, welcher dahinter<br />
steht, ist ein materiellrechtlicher: Der IPR Gesetzgeber möchte Verträge möglichst<br />
nicht an einem Formmangel scheitern lassen. Der Vertrag muss entweder die Form<br />
des Vertragsstatutes oder des Rechts am Abschlussort einhalten.<br />
Weiter werden die Formvorschriften nochmals erweitert: Befinden sich die Parteien in<br />
verschiedenen Staaten, hat der Vertrag nur den Formvorschriften eines der beiden<br />
Staaten zu genügen.<br />
Zu beachten sind schliesslich Schutzvorschriften zugunsten einer Partei.<br />
77
3. Erfüllungs- und Untersuchungsmodalitäten (Art. 125 IPRG)<br />
Art. 125 IPRG<br />
Erfüllungs- und Untersuchungsmodalitäten unterstehen dem Recht des Staates, in dem sie tatsächlich<br />
erfolgen.<br />
Im Rahmen des Art. 125 IPRG geht es vor allem um Vorschriften über<br />
Öffnungszeiten. Beispielsweise in Spanien sind die Läden teilweise bis um 01:00 Uhr<br />
geöffnet. Eine Erfüllung ist also bis um diese späte Uhrzeit möglich.<br />
4. In der Praxis wichtig: Stellvertretung (Art. 126 IPRG)<br />
Art. 126 IPRG<br />
1 Bei rechtsgeschäftlicher Vertretung untersteht das Verhältnis zwischen dem Vertretenen und dem<br />
Vertreter dem auf ihren Vertrag anwendbaren Recht.<br />
2 Die Voraussetzungen, unter denen eine Handlung des Vertreters den Vertretenen gegenüber dem<br />
Dritten verpflichtet, unterstehen dem Recht des Staates, in dem der Vertreter seine Niederlassung hat<br />
oder, wenn eine solche fehlt oder für den Dritten nicht erkennbar ist, dem Recht des Staates, in dem<br />
der Vertreter im Einzelfall hauptsächlich handelt.<br />
3 Steht der Vertreter in einem Arbeitsverhältnis zum Vertretenen und besitzt er keine eigene<br />
Geschäftsniederlassung, so befindet sich der Ort seiner Niederlassung am Sitz des Vertretenen.<br />
4 Das nach Absatz 2 anwendbare Recht gilt auch für das Verhältnis zwischen dem nicht ermächtigten<br />
Vertreter und dem Dritten.<br />
Die Stellvertretung nach Art. 126 IPRG unterscheidet drei Personen:<br />
- Geschäftsherr<br />
- Stellvertreter<br />
- Dritter<br />
a. Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Stellvertreter<br />
Zwischen dem Geschäftsherrn und dem Stellvertreter besteht ein<br />
Bevollmächtigungsverhältnis. Dieses untersteht dem Recht, welches auf den Vertrag<br />
anwendbar ist. Art. 126 Abs. 1 IPRG knüpft damit an die Bestimmungen der Art. 116<br />
und 117 IPRG an.<br />
b. Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Drittem<br />
Ob der Geschäftsherr gegenüber einem Dritten verpflichtet wird, richtet sich gemäss<br />
Abs. 2 nach dem Recht des Staates, in welchem der Vertreter seine Niederlassung<br />
hat. Hat der Vertreter keine Niederlassung oder ist diese dem Dritten nicht<br />
erkennbar, ist derjenige Staat massgeblich, in welchem der Stellvertreter<br />
hauptsächlich handelt.<br />
Ausserdem bestimmt Abs. 3, dass falls der Vertretene keine Niederlassung haben<br />
sollte und der Vertreter sein Arbeitnehmer ist, der Ort der Niederlassung des<br />
Vertreters massgeblich ist. Der Dritte muss dabei jedoch erkennen können, dass der<br />
Vertreter in einem Arbeitsverhältnis zum Vertretenen steht.<br />
78
c. Falsus procurator<br />
Fehlt eine Vollmacht und kommt deshalb zwischen Drittem und Vertretenem kein<br />
Vertrag zustande, richten sich allfällige Schadenersatzansprüche nach dem Recht,<br />
unter welchem auch die Vollmacht steht.<br />
E. Fall 7<br />
Sachverhalt 7<br />
Die spanische Kunsthändlerin F hat dem Basler Museum A für die Zwecke einer<br />
Ausstellung 8 antike Tonvasen zur Verfügung gestellt. Beim Auspacken der Vasen<br />
fällt dem Angestellten X das Paket mit den Vasen aus der Hand, wobei alle 8 Vasen<br />
auf dem Boden zerschellen.<br />
Kunsthändlerin F verlangt € 400'000.00 Schadenersatz.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
1. 4-W-Frage<br />
F will Schadenersatz von A, wegen Vertragsverletzung des Leihvertrages.<br />
2. Internationaler Sachverhalt<br />
Ein Sachverhalt ist international, wenn die relevanten Anknüpfungsmerkmale<br />
einen Auslandsbezug aufweisen. Für das internationale Vertragsrecht sind die<br />
relevanten Anknüpfungsmerkmale in den Art. 112 ff. IPRG geregelt.<br />
3. Relevante Fragestellungen<br />
a. Zuständigkeit<br />
Da jedes Gericht sein eigenes Kollisionsrecht anwendet, ist vorerst zu<br />
prüfen, welches Gericht überhaupt zuständig ist. Steht dieses fest, ist<br />
das anwendbare Recht zu bestimmen.<br />
Als erstes stellt sich die Frage, ob ein Staatsvertrag Anwendung findet.<br />
Dies ergibt sich aus Art. 1 Abs. 2 IPRG.<br />
In casu ist die Anwendbarkeit des LugÜ zu prüfen.<br />
Grundsätzlich ist das LugÜ anwendbar, wenn der Beklagte in einem<br />
Vertragsstaat wohnt. In casu ist dies Basel. Das LugÜ ist somit<br />
räumlich-persönlich anwendbar.<br />
Gemäss Art. 2 Abs. 1 LugÜ ist es möglich, an einem Gericht des<br />
Wohnsitzstaates des Beklagten Klage zu erheben.<br />
Art. 2 LugÜ<br />
Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren<br />
Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre<br />
Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen.<br />
Auf Personen, die nicht dem Staat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, angehören, sind<br />
die für Inländer massgebenden Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden.<br />
79
Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 112 IPRG:<br />
Art. 112 IPRG<br />
1 Für Klagen aus Vertrag sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des<br />
Beklagten oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen an seinem gewöhnlichen Aufenthalt<br />
zuständig.<br />
2 Für Klagen aufgrund der Tätigkeit einer Niederlassung in der Schweiz sind überdies<br />
die Gerichte am Ort der Niederlassung zuständig.<br />
Somit gelangt man über Art. 2 LugÜ und 112 IPRG zum Wohnsitz des<br />
Beklagten als Klageort: Zuständig ist also ein Basler Gericht.<br />
Die Spanische Klägerin will aber nicht nach Basel kommen. Sie hat nun<br />
die Möglichkeit, eine Gerichtsstandsvereinbarung mit A zu treffen. Auf<br />
Fragen betreffend Gültigkeit und Wirkung dieser Gerichtsstandsvereinbarung<br />
würde Art. 17 LugÜ Anwendung finden.<br />
Sie hat auch die Möglichkeit, in Spanien zu klagen und auf die<br />
Einlassung des A zu hoffen.<br />
Eine letzte Möglichkeit wäre der Gerichtsstand am vertraglichen<br />
Erfüllungsort. Dieser ist in Art. 5 Ziff. 1 LugÜ geregelt. Massgeblich ist<br />
die Hauptleistungspflicht, welche der Kläger geltend macht.<br />
In casu ist dies die Rückgabe der Vasen. Der Erfüllungsort ist somit der<br />
Ort, an welchem die Vasen zurückgegeben werden müssen.<br />
Im Anwendungsbereich des LugÜ bestimmt sich der Erfüllungsort nach<br />
dem auf den Vertrag anwendbaren Recht, also nach der lex causae.<br />
Das Spanische Gericht wird diese Frage nach seinem Recht, also nach<br />
seinem IPRG beantworten. Dieses wird auf den in allen EU Staaten<br />
massgeblichen Staatsvertrag, auf das Römer Übereinkommen über das<br />
auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht verweisen.<br />
Die Absätze 1 und 2 des Art. 4 dieses Übereinkommens verweisen in<br />
Fällen, in welchen keine Rechtswahl getroffen wurde auf das Recht,<br />
welches mit dem Vertrag am engsten zusammenhängt. Es wird<br />
vermutet, dass der Vertrag mit dem Recht des Staates die engste<br />
Verbindung aufweist, in welchem die Partei, welche zur Erbringung der<br />
vertragstypischen Leitung verpflichtet ist, ihren Wohnsitz hat.<br />
Die vertragstypische Leistung ist in casu die Ausleihe. Diese wurde von<br />
der Kunsthändlerin F erbracht, was zur Anwendung des spanischen<br />
Rechts führt.<br />
Es ist also nach spanischem, materiellem Recht zu bestimmen, wo der<br />
Erfüllungsort in casu ist. Der Erfüllungsort ist der Ort, an welchem die<br />
Vasen zurückgegeben werden müssen. Die Rückgabe ist eine<br />
Holschuld. Die Kunsthändlerin muss die Vasen zurückholen und somit<br />
nach Basel reisen. Sie hat keinen Erfüllungsort in Spanien, sondern nur<br />
in Basel. Zuständig sind somit die Schweizer Gerichte und es ist in<br />
Basel zu klagen.<br />
b. anwendbares Recht<br />
Art. 117 IPRG verweist auf das spanische Recht, welches in casu<br />
anwendbar ist.<br />
80
§ 7 INTERNATIONALES BEREICHERUNGSRECHT<br />
A. Gegenstand<br />
Im Bereicherungsrecht werden drei Typen von Kondiktionen unterschieden:<br />
- Eingriffskondiktion<br />
- Zufallskondiktion<br />
- Leistungskondiktion<br />
o condictio ob causa futuram<br />
o condictio ob causa finitam<br />
o condictio sine causa<br />
B. Zuständigkeit<br />
I. Allgemeines<br />
Grundsätzlich gilt auch im Bereicherungsrecht der Gerichtsstand am Wohnsitz des<br />
Beklagten gemäss Art. 2 Abs. 1 LugÜ. Es gibt grundsätzlich keine besondere<br />
Zuständigkeit im Bereicherungsrecht.<br />
Im Anwendungsbereich des IPRG ergibt sich die Zuständigkeit aus Art. 127 IPRG.<br />
Art. 127 IPRG<br />
Für Klagen aus ungerechtfertigter Bereicherung sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des<br />
Beklagten oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen an seinem gewöhnlichen Aufenthalt oder am Ort<br />
seiner Niederlassung zuständig.<br />
II. Sonderfrage: vertragliche Rückabwicklung<br />
Bei einem vertraglichen Rückabwicklungsverhältnis ist dem materiellen Recht<br />
vorzugreifen und die Klage der Rückabwicklung gemäss Art. 2 Abs. 1 oder Art. 5 Ziff.<br />
1 LugÜ am Wohnort des Beklagten einzureichen. Es handelt sich dabei um einen<br />
vertraglichen Anspruch und nicht um einen Bereicherungs- oder Deliktsanspruch.<br />
Im IPRG muss wohl nach der lex fori bestimmt werden, ob es sich um eine<br />
vertragliche oder ausservertragliche Rückabwicklung handelt. Das IPRG selber kennt<br />
keine konkrete Lösung für dieses Problem.<br />
81
C. Anwendbares Recht<br />
Art. 128 IPRG<br />
1 Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung unterstehen dem Recht, dem das bestehende oder<br />
das vermeintliche Rechtsverhältnis unterstellt ist, aufgrund dessen die Bereicherung stattgefunden<br />
hat.<br />
2 Besteht kein Rechtsverhältnis, so unterstehen die Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung<br />
dem Recht des Staates, in dem die Bereicherung eingetreten ist; die Parteien können vereinbaren,<br />
dass das Recht am Gerichtsort anzuwenden ist.<br />
Bezüglich der Leistungskondiktion knüpft Art. 128 Abs. 1 IPRG an das vermeintliche<br />
Rechtsverhältnis an, beispielsweise an die Art. 116 ff. IPRG. Macht also eine Partei<br />
einen Willensmangel geltend bezüglich eines Vertrages, richten sich die<br />
Rückforderungsansprüche nach dem Recht, welchem der vermeintliche Vertrag<br />
unterstanden hätte.<br />
Im Falle einer Zufalls- bzw. Eingriffskondiktion wird grundsätzlich objektiv<br />
angeknüpft. Die Rückforderung richtet sich primär nach dem Recht an dem Ort, an<br />
welchem die Bereicherung eingetreten ist. Dies kann beispielsweise am Ort der<br />
Niederlassung der kontoführenden Bank geschehen sein. Die Parteien haben weiter<br />
die Möglichkeit, das Recht am Gerichtsort zu wählen. Beides ergibt sich aus Art. 128<br />
Abs. 2 IPRG.<br />
82
§ 8 INTERNATIONALES DELIKTSRECHT<br />
A. Gegenstand<br />
Gegenstand des internationalen Deliktsrechts sind die Ansprüche aus<br />
ausservertraglicher Schädigung.<br />
B. Zuständigkeit<br />
I. Allgemeines<br />
Im Anwendungsbereich des LugÜ richtet sich die Zuständigkeit wiederum nach Art. 2<br />
Abs. 1 sowie zusätzlich nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ. Im IPRG ist der Art. 129<br />
massgeblich. Der grundsätzliche Gerichtsstand ist am Wohnsitz des Beklagten, ein<br />
zusätzlicher befindet sich jeweils am Deliktsort (nach IPRG subsidiär; nach LugÜ<br />
alternativ).<br />
Art. 129 IPRG<br />
1 Für Klagen aus unerlaubter Handlung sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des<br />
Beklagten oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen an seinem gewöhnlichen Aufenthalt oder am Ort<br />
seiner Niederlassung zuständig.<br />
2 Hat der Beklagte weder Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, noch eine Niederlassung in der<br />
Schweiz, so kann beim schweizerischen Gericht am Handlungs- oder am Erfolgsort geklagt werden.<br />
3 Können mehrere Beklagte in der Schweiz belangt werden und stützen sich die Ansprüche im<br />
wesentlichen auf die gleichen Tatsachen und Rechtsgründe, so kann bei jedem zuständigen Richter<br />
gegen alle geklagt werden; der zuerst angerufene Richter ist ausschliesslich zuständig.<br />
Gemäss Art. 129 Abs. 2 IPRG ist der Deliktsort jeweils Handlungs- und Erfolgsort.<br />
Der Handlungsort wird definiert als Ort, an welchem die wesentliche Handlung,<br />
welche zum Erfolg geführt hat, stattgefunden hat. Der Erfolgsort seinerseits<br />
kennzeichnet sich als Ort des ersten Eingriffs in das verletzte Rechtsgut.<br />
Unbeachtlich ist dabei ein allfälliger Schadensort. Dieser wäre der Ort, an welchem<br />
sich allfällige Folgeschäden zeigen.<br />
Beispiel<br />
Der Schweizer Feriengast liegt in der Karibik im Schatten einer Palme. Von dieser<br />
fällt ihm eine Kokosnuss auf den Kopf. Zurück in der Schweiz geht er ins Spital, wo<br />
er behandelt wird.<br />
Der Handlungsort liegt auf der Palme, beim Lösen der Nuss. Der Erfolgsort ist unter<br />
der Palme im Sand, wo die Nuss auf den Kopf trifft. Der Schadensort liegt im Spital,<br />
wo die Kosten entstehen.<br />
Umstritten ist die Beurteilung von reinen Vermögensschäden. Gemäss Grolimund<br />
gibt es bei reinen Vermögensschäden keinen Erfolgsort. Das Bundesgericht ist<br />
allerdings anderer Meinung.<br />
83
II. Multi-State-Delikte<br />
Prinzessin Caroline von Monaco wurde von einer deutschen Zeitung in ihrer Ehre<br />
verletzt und hat diese Zeitung in Frankreich auf Schadenersatz verklagt. Sie konnte<br />
dort jedoch nur den Schaden geltend machen, welcher ihr in Frankreich entstand. Es<br />
gab somit keine Möglichkeit, den Schaden ausserhalb dieses Staates zu ersetzen.<br />
Die ganze Schadenssumme kann nur am Wohnsitz des Beklagten eingeklagt<br />
werden, während in einem bestimmten Staat nur der entsprechende Bruchteil<br />
gefordert werden kann.<br />
Daraus entstand die sog. Mosaik-Theorie des EuGH. Diese betrifft die sog.<br />
Streudelikte. Dabei entstehen in mehreren Staaten Erfolgsorte, was zu mehreren<br />
Zuständigkeiten führt. Die Entscheidung des EuGH wurde oben bereits<br />
vorweggenommen. Am Deliktsort kann also nur der innerstaatliche Schaden geltend<br />
gemacht werden. Der weltweite Schaden kann nur am Wohnsitz des Beklagten<br />
geltend gemacht werden. Dafür ist für die <strong>Teil</strong>schäden ein Forum-shopping möglich.<br />
C. Anwendbares Recht<br />
Das anwendbare Recht ergibt sich aus den Art. 132 ff. IPRG.<br />
Ähnlich wie bei den Verträgen, ist auch hier zwischen allgemeinen und den<br />
Sonderdelikten zu unterscheiden.<br />
Art. 132<br />
Die Parteien können nach Eintritt des schädigenden Ereignisses stets vereinbaren, dass das Recht<br />
am Gerichtsort anzuwenden ist.<br />
Als primäre Anknüpfung gilt gemäss Art. 132 IPRG eine kaum je anzutreffende, nur<br />
sehr begrenzt mögliche Rechtswahl der Parteien. Sie können das Recht am<br />
Gerichtsort berufen.<br />
Art. 133 IPRG<br />
1 Haben Schädiger und Geschädigter ihren gewöhnlichen Aufenthalt im gleichen Staat, so unterstehen<br />
Ansprüche aus unerlaubter Handlung dem Recht dieses Staates.<br />
2 Haben Schädiger und Geschädigter ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im gleichen Staat, so ist das<br />
Recht des Staates anzuwenden, in dem die unerlaubte Handlung begangen worden ist. Tritt der Erfolg<br />
nicht in dem Staat ein, in dem die unerlaubte Handlung begangen worden ist, so ist das Recht des<br />
Staates anzuwenden, in dem der Erfolg eintritt, wenn der Schädiger mit dem Eintritt des Erfolges in<br />
diesem Staat rechnen musste.<br />
3 Wird durch eine unerlaubte Handlung ein zwischen Schädiger und Geschädigtem bestehendes<br />
Rechtsverhältnis verletzt, so unterstehen Ansprüche aus unerlaubter Handlung, ungeachtet der<br />
Absätze 1 und 2, dem Recht, dem das vorbestehende Rechtsverhältnis unterstellt ist.<br />
Haben die Parteien nichts vereinbart, wird akzessorisch an das bestehende<br />
Rechtsverhältnis angeknüpft. Dies ist meistens ein Verhältnis gemäss den Art. 116 ff.<br />
IPRG).<br />
84
Es ist also zuerst zu prüfen, ob eine Rechtswahl getroffen wurde. Ist dies nicht der<br />
Fall, ist als nächstes zu Fragen, ob ein vertragliches Verhältnis besteht. Kann dies<br />
bejaht werden, richten sich auch die deliktischen Ansprüche gemäss Art. 133 Abs. 3<br />
IPRG nach dem Recht, welches auf das Vertragsverhältnis anwendbar ist.<br />
Liegt kein vertragliches Verhältnis vor, gilt Art. 133 Abs. 1 IPRG. Haben Schädiger<br />
und Geschädigter ihren Aufenthalt im gleichen Staat, gilt das Recht dieses Staates.<br />
Das klassische Beispiel sind zwei Schweizer Skifahrer, welche in den französischen<br />
Alpen zusammenstossen. Die Schadenersatzansprüche richten sich nach<br />
französischem Recht.<br />
Abs. 2 regelt die Situation, bei welcher die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt in<br />
verschiedenen Staaten haben. In diesem Fall ist der Erfolgsort massgeblich (Art. 133<br />
Abs. 2 Variante 2). Subsidiär wird das Recht am Handlungsort berufen.<br />
D. Besondere Delikte<br />
Die besonderen Delikte sind in den Art. 134 - 139 IPRG geregelt. Es handelt sich um<br />
Delikte aus den folgenden Bereichen:<br />
- Strassenverkehr (Art. 134 IPRG)<br />
- Produktemängel (Art. 135 IPRG)<br />
- Unlauterer Wettbewerb (Art. 136 IPRG)<br />
- Wettbewerbsbehinderung (Art. 137 IPRG)<br />
- Schäden aus Immissionen (Art. 138 IPRG)<br />
- Persönlichkeitsverletzung (Art. 139 IPRG)<br />
I. Strassenverkehrsdelikte<br />
Art. 134 IPRG<br />
Für Ansprüche aus Strassenverkehrsunfällen gilt das Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über<br />
das auf Strassenverkehrsunfälle anwendbare Recht.<br />
Art. 134 IPRG verweist auf das Haager Übereinkommen über das auf<br />
Strassenverkehrsunfälle anwendbare Recht. Da das IPRG auf den Staatsvertrag<br />
explizit verweist, handelt es sich bei diesem um einen erga-omnes Staatsvertrag.<br />
Der sachliche Anwendungsbereich des HaagÜ ergibt sich aus Art. 2 HaagÜ. Es geht<br />
dabei insbesondere nicht um Regeress- und Versicherungsansprüche.<br />
Dafür bestehen sowohl ein Direktanspruch gegen die Haftpflichtversicherung als<br />
auch ein direkter Schadensausgleich.<br />
Grundsätzlich wird gemäss Art. 3 HaagÜ das Recht am Unfallort berufen.<br />
Ausnahmsweise ist das Recht des Zulassungsstaates (Art. 4a) anwendbar.<br />
85
Eine weitere Frage betrifft die Direktansprüche gegen die Haftpflichtversicherung.<br />
Dieser ist in Art. 9 des Staatsvertrages geregelt. Bei einem Autounfall geht man nie<br />
auf den Fahrer los, sondern jeweils direkt auf dessen Haftpflichtversicherung.<br />
II. Produktemängel<br />
Art. 135 IPRG<br />
1 Ansprüche aus Mängeln oder mangelhafter Beschreibung eines Produktes unterstehen nach Wahl<br />
des Geschädigten:<br />
a. dem Recht des Staates, in dem der Schädiger seine Niederlassung oder, wenn eine solche<br />
fehlt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder<br />
b. dem Recht des Staates, in dem das Produkt erworben worden ist, sofern der Schädiger nicht<br />
nachweist, dass es in diesem Staat ohne sein Einverständnis in den Handel gelangt ist.<br />
2 Unterstehen Ansprüche aus Mängeln oder mangelhafter Beschreibung eines Produktes<br />
ausländischem Recht, so können in der Schweiz keine weitergehenden Leistungen zugesprochen<br />
werden, als nach schweizerischem Recht für einen solchen Schaden zuzusprechen wären.<br />
Artikel 135 IPRG regelt die Ansprüche aus der Haftung für ein fehlerhaftes Produkt<br />
oder eine fehlerhafte Information.<br />
Diese Bestimmung ist kollisionsrechtlich das Dach zu einem materiellrechtlichen<br />
Sondergesetz im OR, zum Produktehaftpflichtgesetz (PrHG).<br />
Grundsätzlich stellt sich die Frage, wer überhaupt Ansprüche geltend machen kann.<br />
Art. 135 IPRG spricht vom Geschädigten. Dieser ist jedoch beispielsweise vom<br />
Erwerber zu unterscheiden. Es geht jedoch nicht nur um den Käufer, sondern um<br />
einen weiten Personenkreis, also um alle Geschädigten, welche von einem<br />
mangelhaften Produkt betroffen sind.<br />
Der Geschädigte hat gemäss Abs. 1 zwei Wahlrechte: Er kann nach lit. a das<br />
Herstellerrecht oder nach lit. b das Recht am Erwerbsort wählen, sofern dieses<br />
Recht, bzw. der Erwerbsort für den Hersteller vorhersehbar gewesen ist.<br />
Massgeblich ist also der letzte Veräusserungsort und es ist zu prüfen, ob dieser Ort<br />
für den Hersteller vorhersehbar war. Es handelt sich dann um den letzten Erwerbsort<br />
der offiziellen Vertriebskette.<br />
Sollte der Geschädigte sein Wahlrecht nicht ausüben, stellt sich die Frage nach dem<br />
anwendbaren Recht. Diese Frage wurde noch nicht abschliessend beantwortet.<br />
Grundsätzlich gilt der Grundsatz des iura novit curia: Das Gericht wendet das Recht<br />
von Amtes wegen an. Er hat in diesem Fall nach den allgemeinen Vorschriften des<br />
Art. 133 IPRG vorzugehen.<br />
Art. 135 Abs. 2 IPRG ist die so genannte „lex americana“. Ausgeschlossen werden<br />
damit die punitive damages des englischen Rechtskreises. Fragen der punitive<br />
damages werden meistens im Zusammenhang mit dem Ordre public behandelt.<br />
Einerseits wird ein solcher Strafschadenersatz nicht anerkannt (Art. 27 IPRG) und<br />
andererseits im Rahmen der Rechtsanwendung korrigiert (Art. 17 IPRG).<br />
86
III. Wettbewerbsrecht<br />
Die Art. 136 und 137 IPRG befassen sich mit den Fragen des Wettbewerbsrechts.<br />
Art. 136 bezieht sich auf Überlegungen des UWG, während sich Art. 137 IPRG mit<br />
Fragen des Kartellrechts beschäftigt.<br />
1. Unlauterer Wettbewerb<br />
Art. 136 IPRG<br />
1 Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb unterstehen dem Recht des Staates, auf dessen Markt die<br />
unlautere Handlung ihre Wirkung entfaltet.<br />
2 Richtet sich die Rechtsverletzung ausschliesslich gegen betriebliche Interessen des Geschädigten,<br />
so ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem sich die betroffene Niederlassung befindet.<br />
3 Artikel 133 Absatz 3 ist vorbehalten.<br />
Zu unterscheiden sind grundsätzlich drei Fragestellungen:<br />
- im ersten Fall wird das Produkt besser dargestellt, als es wirklich ist<br />
- im zweiten Fall darf das Konkurrenzprodukt nicht schlechter dargestellt<br />
werden, als es in Wirklichkeit ist<br />
- der dritte Anwendungsfall ist der Vergleich zweier Produkte<br />
Grundsätzlich gilt das Recht des Staates, auf dessen Markt die unlautere Handlung<br />
ihre Wirkung entfaltet. Dieses Prinzip nennt man das „Markteinwirkungsprinzip“.<br />
Berufen wird das Recht am Ort, an welchem die unlautere Handlung wahrgenommen<br />
wird, also dort, wo die Handlung auf die Konsumenten einwirkt.<br />
Bei unlauterem Wettbewerb im Internet handelt es sich unter Umständen um ein<br />
Multi-State-Delikt. Hier erfolgt eine kumulative Anknüpfung, es gelten sämtliche UWG<br />
Vorschriften dieser Erde nebeneinander. Die Folge ist, dass das schärfste Recht<br />
durchdringt.<br />
Dieses Prinzip wird heute über zwei Grundsätze eingeschränkt:<br />
- Spürbarkeit<br />
Die Handlung gilt nur dort als spürbar, wo es auch Konsumenten dieser<br />
Handlung hat.<br />
- Auswirkung<br />
Im Rahmen der Auswirkung wird gefragt, welche Märkte betroffen sein sollen.<br />
Beispielsweise wird das Fernsehprogramm von SF DRS nur im<br />
deutschsprachigen Raum konsumiert, was die verlangte Auswirkung in<br />
Indonesien – trotz Empfang über Satellit – ausschliesst.<br />
Art. 136 IPRG richtet sich gegen inter partes Delikte, welche sich<br />
wettbewerbsrechtlich auswirken. Es geht um Privatbestechung oder<br />
Wirtschaftsspionage. In beiden Fällen verschafft sich jemand einen unrechtmässigen<br />
Vorteil, welcher Auswirkungen auf die betroffenen Märkte zeigt.<br />
87
2. Kartellrecht<br />
Art. 137 IPRG<br />
1 Ansprüche aus Wettbewerbsbehinderung unterstehen dem Recht des Staates, auf dessen Markt der<br />
Geschädigte von der Behinderung unmittelbar betroffen ist.<br />
2 Unterstehen Ansprüche aus Wettbewerbsbehinderung ausländischem Recht, so können in der<br />
Schweiz keine weitergehenden Leistungen zugesprochen werden als nach schweizerischem Recht für<br />
eine unzulässige Wettbewerbsbehinderung zuzusprechen wären.<br />
Das Kartellrecht kennt zwei pönalisierte Verhalten:<br />
- jemand ist marktbeherrschend und nutzt diese Marktbeherrschung zum<br />
eigenen Vorteil (Beispiel: Microsoft).<br />
- Abreden zwischen zwei oder mehreren Wettbewerbsteilnehmern, welche zu<br />
Schäden von Dritten führen (Beispiel: Preisabsprachen für Vitamine zwischen<br />
Roche und weiteren Marktteilnehmern).<br />
Im Gegensatz zum geltenden Prinzip im Bereich des UWG, gilt im Kartellrecht das<br />
Auswirkungsprinzip. Berufen wird das Recht am Ort, wo die Wettbewerbsverzerrung<br />
ihre Wirkung entfaltet. Auch hier gilt eine kumulative Anknüpfung. Wird also weltweit<br />
der Wettbewerb durch eine Handlung verzerrt, kommen auch weltweit alle<br />
betroffenen, nationalen UWG zur Anwendung.<br />
Abs. 2 ist wiederum eine lex americana, welche den Ausschluss von punitive<br />
damages statuiert.<br />
IV. Immissionen<br />
Art. 138 IPRG<br />
Ansprüche aus schädigenden Einwirkungen, die von einem Grundstück ausgehen, unterstehen nach<br />
Wahl des Geschädigten dem Recht des Staates, in dem das Grundstück liegt, oder dem Recht des<br />
Staates, in dem der Erfolg einer Einwirkung eintritt.<br />
Im Unterschied zu Art. 133 IPRG kann der Geschädigte im Anwendungsbereich des<br />
Art. 138 IPRG wählen, zwischen dem<br />
- Recht am Ausgangsort der Immission oder dem<br />
- Recht am Ort, wo die Immission stattgefunden hat.<br />
Beispiel:<br />
Ein Tschechisches Kernkraftwerk strahlt zu fest und verursacht Schäden in<br />
Österreich.<br />
V. Persönlichkeitsverletzungen<br />
Art. 139 IPRG<br />
1 Ansprüche aus Verletzung der Persönlichkeit durch Medien, insbesondere durch Presse, Radio,<br />
Fernsehen oder durch andere Informationsmittel in der Öffentlichkeit unterstehen nach Wahl des<br />
Geschädigten:<br />
88
a. dem Recht des Staates, in dem der Geschädigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern<br />
der Schädiger mit dem Eintritt des Erfolges in diesem Staat rechnen musste;<br />
b. dem Recht des Staates, in dem der Urheber der Verletzung seine Niederlassung oder seinen<br />
gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder<br />
c. dem Recht des Staates, in dem der Erfolg der verletzenden Handlung eintritt, sofern der<br />
Schädiger mit dem Eintritt des Erfolges in diesem Staat rechnen musste.<br />
2 Das Gegendarstellungsrecht gegenüber periodisch erscheinenden Medien richtet sich<br />
ausschliesslich nach dem Recht des Staates, in dem das Druckerzeugnis erschienen ist oder von dem<br />
aus die Radio oder Fernsehsendung verbreitet wurde<br />
3 Absatz 1 ist auch anwendbar auf Ansprüche aus Verletzung der Persönlichkeit durch das Bearbeiten<br />
von Personendaten sowie aus Beeinträchtigung des Rechts auf Auskunft über Personendaten.<br />
Art. 139 IPRG regelt die Ansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen durch die<br />
Medien. Der Geschädigte hat wiederum ein Wahlrecht, er kann zwischen den<br />
folgenden Rechten wählen:<br />
- Recht am Erfolgsort (lit. c)<br />
- Recht des Mediums<br />
- Recht am Aufenthaltsort des Geschädigten (lit. a)<br />
Litera a hat jedoch keine selbständige Bedeutung, da der Erfolgsort bereits durch lit.<br />
c abgedeckt wird. Litera a ist schlussendlich nur eine Ausdifferenzierung des lit. c.<br />
Wählbar sind somit zwei Rechte: Das Recht am Erfolgsort und das Recht des<br />
Mediums.<br />
Beispiel:<br />
Die Schweizer Illustrierte verletzt die Persönlichkeit eines Schauspielers. Wählbar<br />
sind folgende Rechte:<br />
- Schweizer Recht (Recht des Mediums)<br />
- Recht am vorhersehbaren Erfolgsort. Relevant sind die Länder, wo die<br />
Zeitschrift in einem spürbaren Mass vertrieben wird.<br />
Variante: Eine grosse amerikanische Tageszeitung greift den Artikel in der Schweizer<br />
Illustrierten auf und macht daraus eine Riesenstory…<br />
Es stellt sich die Frage, ob die Schweizer Illustrierte damit rechnen musste, dass<br />
diese Story aufgegriffen werden könnte.<br />
Gemäss Abs. 2 richtet sich das Gegendarstellungsrecht nach dem Recht des<br />
Mediums.<br />
VI. Art. 140 ff. IPRG<br />
Art. 140 IPRG legt fest, dass bei mehreren Schädigern das anwendbare Recht<br />
immer jeweils zwischen den einzelnen, in Frage stehenden Parteien beurteilt werden<br />
muss. Es ist also nicht möglich, Gruppen zu bilden.<br />
Art. 141 IPRG behandelt, ähnlich wie das Haager Strassenverkehrsübereinkommen,<br />
einen direkten Anspruch gegenüber der Versicherung des Schädigers.<br />
Schliesslich besagt Art. 142 IPRG, dass ein Gerichtsstatut sämtliche Fragen regelt,<br />
welche das Delikt betreffen: Haftungsvoraussetzungen, Schadensbemessung,<br />
Kausalität, etc.<br />
89
VII. Fall 6<br />
Sachverhalt 6<br />
B aus Basel hat vor kurzem den Europapark Rust in Deutschland besucht. Während<br />
einer Fahrt auf der Achterbahn kommt es wegen eines Konstruktionsfehlers zu<br />
einem Vollstopp. B verletzt sich erheblich. Er überlegt sich nun, ob er vom<br />
Europapark und/oder von der amerikanischen Herstellerin, der Looping Ltd.,<br />
Schadenersatz verlangen will.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
1. 4-W-Frage:<br />
a. B will Schadenersatz vom Europapark aus Vertrag oder Delikt<br />
b. B will von der Looping Ltd. Schadenersatz aus Delikt<br />
c. B will von der Looping Ltd. Schadenersatz aus Vertrag zu Gunsten<br />
Dritter (Europapark – Looping Ltd.)<br />
2. Zuständigkeit<br />
a. Gegen Europapark<br />
Der Beklagte (Europapark) hat seinen Sitz in einem Vertragsstaat.<br />
Gemäss Art. 2 Abs. 1 LugÜ kann in Deutschland geklagt werden.<br />
Eine weitere Möglichkeit wäre der Gerichtsstand am Erfüllungsort des<br />
Vertrages gemäss Art. 5 Ziff. 1 LugÜ. Hier müsste nach der lex causae<br />
das auf den Vertrag anwendbare Recht bestimmt werden. In casu wäre<br />
es deutsches Recht, weil der Europapark die vertragstypische Leistung<br />
erbringt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird der Erfüllungsort somit<br />
ebenfalls in Rust sein.<br />
Nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ kann bei einem Delikt am Handlungs- oder<br />
Erfolgsort geklagt werden. Auch hier kommt man zu einem<br />
Gerichtsstand in Deutschland.<br />
In Basel könnte nur geklagt werden, wenn argumentiert würde, es<br />
handle sich um einen Konsumentenvertrag.<br />
Der Europapark macht Werbung, bietet also an, damit Leute nach Rust<br />
kommen. Diese kommen in ihrer Freizeit, es handelt sich somit um die<br />
Annahme eines gewerblichen Angebotes zu einem privaten Zweck.<br />
Einschlägig sind die Art. 13 ff. LugÜ. Damit diese zur Anwendung<br />
gelangen, müssen weitere Voraussetzungen erfüllt sein:<br />
- Werbung des Europaparks in der Schweiz<br />
- Bezahlung des Tickets in der Schweiz<br />
Dies ist bei Internetbestellungen gegeben.<br />
Ein Gerichtsstand in Basel ist also unter den oben dargelegten<br />
Voraussetzungen möglich.<br />
90
. Looping Ltd<br />
Das LugÜ gelangt nicht zur Anwendung, da der Beklagte in einem<br />
Drittstaat wohnt. Massgeblich sind somit die Bestimmungen des IPRG.<br />
Einschlägig ist Art. 129 IPRG.<br />
Art. 129 IPRG<br />
1 Für Klagen aus unerlaubter Handlung sind die schweizerischen Gerichte am<br />
Wohnsitz des Beklagten oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen an seinem<br />
gewöhnlichen Aufenthalt oder am Ort seiner Niederlassung zuständig.<br />
2 Hat der Beklagte weder Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, noch eine<br />
Niederlassung in der Schweiz, so kann beim schweizerischen Gericht am Handlungsoder<br />
am Erfolgsort geklagt werden.<br />
3 Können mehrere Beklagte in der Schweiz belangt werden und stützen sich die<br />
Ansprüche im wesentlichen auf die gleichen Tatsachen und Rechtsgründe, so kann<br />
bei jedem zuständigen Richter gegen alle geklagt werden; der zuerst angerufene<br />
Richter ist ausschliesslich zuständig.<br />
Nach den Absätzen 1 und 2 ist die Schweizer Zuständigkeit gegeben,<br />
wenn entweder der Beklagte seinen Wohnsitz in der Schweiz hat oder<br />
der Deliktsort in der Schweiz liegt. Beides ist in casu zu verneinen. Art.<br />
129 IPRG kommt somit nicht zur Anwendung.<br />
Es stellt sich die Frage, ob eine Schadenersatzklage in den USA<br />
möglich wäre. Dies ist über den Gerichtsstand der passiven<br />
Streitgenossenschaft möglich. Wenn in der Schweiz der Europapark<br />
verklagt werden kann, kann sich die Klage auch gegen die Looping Ltd.<br />
richten. Dies ergibt sich aus Art. 129 Abs. 3 IPRG. Hierfür muss gegen<br />
beide Beklagten in der Schweiz ein Gerichtsstand gegeben sein.<br />
Dies ist in casu jedoch nicht der Fall.<br />
Eine letzte Möglichkeit bietet Art. 6 Ziff. 1 des LugÜ.<br />
Art. 6 LugÜ<br />
Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann<br />
auch verklagt werden,<br />
1. wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht, in<br />
dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat;<br />
2. wenn es sich um eine Klage auf Gewährleistung oder um eine<br />
Interventionsklage handelt, vor dem Gericht des Hauptprozesses, es sei denn,<br />
dass diese Klage nur erhoben worden ist, um diese Person dem für sie<br />
zuständigen Gericht zu entziehen;<br />
3. wenn es sich um eine Widerklage handelt, die auf denselben Vertrag oder<br />
Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird, vor dem Gericht, bei dem die<br />
Klage selbst anhängig ist;<br />
4. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des<br />
Verfahrens bilden und die Klage mit einer Klage wegen dinglicher Rechte an<br />
unbeweglichen Sachen gegen denselben Beklagten verbunden werden kann,<br />
vor dem Gericht des Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen<br />
ist.<br />
Am Wohnsitz des einen Beklagten, kann auch ein anderer Beklagter<br />
verklagt werden. Dies ist gemäss der herrschenden Lehre auch auf<br />
einen Amerikaner anwendbar.<br />
91
§ 9 INTERNATIONALES GESELLSCHAFTSRECHT<br />
A. Allgemeines<br />
Im internationalen Gesellschaftsrecht sind die Art. 150 ff. IPRG massgeblich. Eine<br />
Gesellschaft im Sinne des IPR ist abweichend von der Gesellschaft des OR zu<br />
definieren.<br />
Es wird unterschieden zwischen den organisierten Personenzusammenschlüssen<br />
und organisierten Vermögenseinheiten.<br />
Art. 150 IPRG<br />
1 Als Gesellschaften im Sinne dieses Gesetzes gelten organisierte Personenzusammenschlüsse und<br />
organisierte Vermögenseinheiten.<br />
2 Für einfache Gesellschaften, die sich keine Organisation gegeben haben, gilt das auf Verträge<br />
anwendbare Recht (Art. 116 ff.).<br />
Während mit den organisierten Vermögenseinheiten die Stiftungen gemeint sind,<br />
bezieht sich der Ausdruck der organisieren Personenzusammenschlüsse auf die<br />
Gesellschaften, wie sie das OR vorsieht.<br />
Neu werden Bestimmungen zum Trust ins IPRG eingefügt: Art. 150a IPRG. Eine<br />
Anknüpfung erfolgt dabei gesellschaftsrechtlich.<br />
B. Exkurs: Der Trust<br />
(Quelle: Repetitorium Personenrecht, Orell Füssli Verlag AG, Zürich, 2004, S. 184)<br />
Der Trust ist eine Rechtsfigur, die aus dem angelsächsischen Recht, dem so<br />
genannten „common law“ stammt. Ähnlich wie bei einer Stiftung wird beim Trust ein<br />
verselbständigtes Vermögen einem bestimmten Zweck zugewendet, indem es z.B.<br />
ausschliesslich zu Gunsten von ganz bestimmten Destinatären verwaltet wird. So<br />
wird denn auch vom Trust gesprochen, wie wenn er eine selbständige Rechtsform<br />
darstellen würde. Der grosse Unterschied zur Stiftung besteht jedoch darin, dass der<br />
Trust selbst über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt. Das Vermögen des<br />
Trusts kann aber wiederum durch eine einzig und ausschliesslich dafür gegründete<br />
juristische Person verwaltet werden. Dann bedarf es der rechtsgültigen Errichtung<br />
einer entsprechenden Gesellschaft (Vermögensgesellschaft), welche ausschliesslich<br />
dazu da ist, als Trustee zu handeln und das Vermögen zu verwalten.<br />
Weil der Trust von seiner Funktion her mit dem uns vertrauten Treuhandverhältnis<br />
verwandt ist, wird er manchmal auch als wertgleich mit der Treuhand hingestellt. Der<br />
Begriff „Trustee“ wird im Deutschen dabei teilweise als „Treuhänder“ übersetzt, doch<br />
wird diese Übersetzung dem inhaltlichen Wert des Begriffs „Trustee“ keinesfalls<br />
gerecht. Was den „Trustee“ grundsätzlich von einem Treuhänder nach zivilistischem<br />
Rechtsverständnis unterscheidet, ist nämlich der Umstand, dass das angelsächsische<br />
Recht vereinfacht gesagt verschiedene Rechtsgrundlagen für das<br />
Eigentum nebeneinander kennt („law and equity“). Beim Trust wird der Trustee durch<br />
Übertragung des Vermögens Eigentümer „at law“, wobei der „Trustor“ oder auch<br />
„Settlor“ (= Begründer des Trusts) Eigentümer „in equity“ bleibt. Der Treuhänder nach<br />
zivilistischer Tradition wird im Gegensatz dazu grundsätzlich nur Besitzer der ihm<br />
92
übergebenen Sache; es kommt in dem Sinn nicht zu einer vergleichbaren „division of<br />
ownership“ wie beim Trust.<br />
Der Trustee wird also Eigentümer der Vermögenswerte. Trotzdem bleibt das<br />
Trustvermögen ein Sondervermögen, auf welches Drittgläubiger nicht zugreifen<br />
können.<br />
Es stellt sich die Frage, ob ein Trust in der Schweiz anerkannt wird. Gemäss Art. 11<br />
des Haager Trust-Übereinkommens wird dieser in den Vertragsstaaten anerkannt,<br />
sofern er gültig errichtet worden ist.<br />
C. Einfache Gesellschaft<br />
Bei der einfachen Gesellschaft muss gemäss Art. 150 Abs. 2 IPRG unterschieden<br />
werden, ob lockere oder engere Strukturen vorherrschen. Je nachdem ist<br />
vertragsrechtlich oder gesellschaftsrechtlich anzuknüpfen. Lockere Formen sind eher<br />
dem Vertragsrecht zuzuordnen, während bei den Organisationen auf längere Zeit<br />
eher gesellschaftsrechtliche Aspekte im Vordergrund stehen. Diese unterstehen den<br />
Vorschriften der Art. 150 ff. IPRG während die lockeren Strukturen nach der lex<br />
causae, also nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht beurteilt werden (Art.<br />
116 ff. IPRG).<br />
D. Anwendbares Recht<br />
Die Frage nach dem anwendbaren Recht auf die Gesellschaft, ist die Frage nach<br />
dem so genannten Gesellschaftsstatut. Dieses wird in Art. 154 IPRG geregelt.<br />
Art. 154 IPRG<br />
1 Gesellschaften unterstehen dem Recht des Staates, nach dessen Vorschriften sie organisiert sind,<br />
wenn sie die darin vorgeschriebenen Publizitäts- oder Registrierungsvorschriften dieses Rechts<br />
erfüllen oder, falls solche Vorschriften nicht bestehen, wenn sie sich nach dem Recht dieses Staates<br />
organisiert haben.<br />
2 Erfüllt eine Gesellschaft diese Voraussetzungen nicht, so untersteht sie dem Recht des Staates, in<br />
dem sie tatsächlich verwaltet wird.<br />
Art. 154 Abs. 1 IPRG regelt die so genannte Gründungs- oder Inkorporationstheorie.<br />
Nach Schweizer IPRG untersteht eine Gesellschaft dem Recht, unter welchem sie<br />
gegründet worden ist: Eine in der Schweiz gegründete Gesellschaft untersteht<br />
Schweizer Recht, eine in Spanien gegründete Gesellschaft untersteht spanischem<br />
Recht, etc.<br />
Demgegenüber regelt Art. 154 Abs. 2 IPRG die so genannte Sitztheorie. Dabei<br />
untersteht eine Gesellschaft dem Recht des Landes, in welchem sie ihren Sitz hat.<br />
Beide Theorien haben zentrale Vorteile:<br />
- Sitztheorie:<br />
o Vorteil: Vertrauensschutz Dritter<br />
o Nachteil: mangelnde Mobilität<br />
93
- Gründungstheorie:<br />
o Vorteil Mobilität, Schutz der Gesellschafter<br />
o Nachteil: unter Umständen ist es schwierig, das anwendbare Recht zu<br />
bestimmen bzw. einzugrenzen (Beispiel: Gesellschaft wurde in Nigeria<br />
gegründet, es ist schwierig, nigerianisches Recht zu bestimmen)<br />
Problem:<br />
Deutschland beurteilt eine Firma nach der Sitz-, die Schweiz nach der<br />
Gründungstheorie. Zieht nun eine in der Schweiz gegründete Firma nach<br />
Deutschland, stellt sich die Frage des anwendbaren Rechts.<br />
Ein Schweizer Gericht würde nach der Gründungstheorie das Schweizer Recht<br />
anwenden, das deutsche Gericht nach der Sitztheorie das deutsche.<br />
Der Inhalt des Gesellschaftsstatuts wird in Art. 155 IPRG geregelt.<br />
Art. 155 IPRG<br />
Unter Vorbehalt der Artikel 156–161 bestimmt das auf die Gesellschaft anwendbare Recht<br />
insbesondere:<br />
a. die Rechtsnatur;<br />
b. die Entstehung und den Untergang;<br />
c. die Rechts- und Handlungsfähigkeit;<br />
d. den Namen oder die Firma;<br />
e. die Organisation;<br />
f. die internen Beziehungen, namentlich diejenigen zwischen der Gesellschaft und ihren<br />
Mitgliedern;<br />
g. die Haftung aus Verletzung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften;<br />
h. die Haftung für ihre Schulden;<br />
i. die Vertretung der aufgrund ihrer Organisation handelnden Personen.<br />
Prinzipiell unterstehen die gesamten gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen dem<br />
Gesellschaftsstatut. Hiervon gibt es jedoch Ausnahmen (Art. 156 – 159 IPRG).<br />
Art. 156 IPRG<br />
Ansprüche aus öffentlicher Ausgabe von Beteiligungspapieren und Anleihen aufgrund von<br />
Prospekten, Zirkularen und ähnlichen Bekanntmachungen können nach dem auf die Gesellschaft<br />
anwendbaren Recht oder nach dem Recht des Staates geltend gemacht werden, in dem die Ausgabe<br />
erfolgt ist.<br />
Das OR zum Vergleich:<br />
Art. 752 OR<br />
Sind bei der Gründung einer Gesellschaft oder bei der Ausgabe von Aktien, Obligationen oder<br />
anderen Titeln in Emissionsprospekten oder ähnlichen Mitteilungen unrichtige, irreführende oder den<br />
gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechende Angaben gemacht oder verbreitet worden, so haftet<br />
jeder, der absichtlich oder fahrlässig dabei mitgewirkt hat, den Erwerbern der Titel für den dadurch<br />
verursachten Schaden.<br />
Art. 156 IPRG regelt die Frage der Haftung für Prospekte bei Emissionen von<br />
Wertpapieren. Es gilt eine alternative Anknüpfung, entweder an das Recht der<br />
Gesellschaft oder an das Recht des Staates, in welchem die Ausgabe der<br />
94
Wertpapiere erfolgte. Der Geschädigte kann also wählen, womit beide Rechte zu<br />
beachten sind.<br />
Art. 157 IPRG<br />
1 Wird in der Schweiz der Name oder die Firma einer im schweizerischen Handelsregister<br />
eingetragenen Gesellschaft verletzt, so richtet sich deren Schutz nach schweizerischem Recht.<br />
2 Ist eine Gesellschaft nicht im schweizerischen Handelsregister eingetragen, so richtet sich der<br />
Schutz ihres Namens oder ihrer Firma nach dem auf den unlauteren Wettbewerb (Art. 136) oder nach<br />
dem auf die Persönlichkeitsverletzung anwendbaren Recht (Art. 132, 133 und 139).<br />
Das OR zum Vergleich:<br />
Art. 956 OR<br />
1 Die im Handelsregister eingetragene und im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlichte Firma<br />
eines einzelnen Geschäftsinhabers oder einer Handelsgesellschaft oder Genossenschaft steht dem<br />
Berechtigten zu ausschliesslichem Gebrauche zu.<br />
2 Wer durch den unbefugten Gebrauch einer Firma beeinträchtigt wird, kann auf Unterlassung der<br />
weitern Führung der Firma und bei Verschulden auf Schadenersatz klagen.<br />
Gemäss Art. 157 IPRG untersteht eine in der Schweiz gelegene Firma dem<br />
Schweizer Firmenschutz. Ist eine Firma nicht in der Schweiz eingetragen, gilt UWG<br />
oder Persönlichkeitsrecht.<br />
Art. 158 IPRG<br />
Eine Gesellschaft kann sich nicht auf die Beschränkung der Vertretungsbefugnis eines Organs oder<br />
eines Vertreters berufen, die dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts oder der<br />
Niederlassung der anderen Partei unbekannt ist, es sei denn, die andere Partei habe diese<br />
Beschränkung gekannt oder hätte sie kennen müssen.<br />
Das OR zum Vergleich:<br />
Art. 718 OR<br />
1 Der Verwaltungsrat vertritt die Gesellschaft nach aussen. Bestimmen die Statuten oder das<br />
Organisationsreglement nichts anderes, so steht die Vertretungsbefugnis jedem Mitglied einzeln zu.<br />
2 Der Verwaltungsrat kann die Vertretung einem oder mehreren Mitgliedern (Delegierte) oder Dritten<br />
(Direktoren) übertragen.<br />
3 Mindestens ein Mitglied des Verwaltungsrates muss zur Vertretung befugt sein.<br />
Art. 718a OR<br />
1 Die zur Vertretung befugten Personen können im Namen der Gesellschaft alle Rechtshandlungen<br />
vornehmen, die der Zweck der Gesellschaft mit sich bringen kann.<br />
2 Eine Beschränkung dieser Vertretungsbefugnis hat gegenüber gutgläubigen Dritten keine Wirkung;<br />
ausgenommen sind die im Handelsregister eingetragenen Bestimmungen über die ausschliessliche<br />
Vertretung der Hauptniederlassung oder einer Zweigniederlassung oder über die gemeinsame<br />
Vertretung der Gesellschaft.<br />
Materiellrechtlich wird unterschieden zwischen der Vertretungsmacht und der<br />
Vertretungsbefugnis. Es geht dabei darum, zu regeln, was ein Organ kann und was<br />
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ein Organ darf. Die Vertretung bestimmt sich grundsätzlich nach dem<br />
Inkorporationsstatut (Gesellschaftsstatut).<br />
Art. 159 IPRG<br />
Werden die Geschäfte einer Gesellschaft, die nach ausländischem Recht gegründet worden ist, in der<br />
Schweiz oder von der Schweiz aus geführt, so untersteht die Haftung der für sie handelnden<br />
Personen schweizerischem Recht.<br />
Art. 159 IPRG regelt die Verantwortlichkeit der Organe. Passiv legitimiert ist das<br />
Organ als natürliche Person.<br />
Das OR zum Vergleich:<br />
Art. 754 OR<br />
1 Die Mitglieder des Verwaltungsrates und alle mit der Geschäftsführung oder mit der Liquidation<br />
befassten Personen sind sowohl der Gesellschaft als den einzelnen Aktionären und<br />
Gesellschaftsgläubigern für den Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche oder fahrlässige<br />
Verletzung ihrer Pflichten verursachen.<br />
2 Wer die Erfüllung einer Aufgabe befugterweise einem anderen Organ überträgt, haftet für den von<br />
diesem verursachten Schaden, sofern er nicht nachweist, dass er bei der Auswahl, Unterrichtung und<br />
Überwachung die nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat.<br />
Art. 756 OR<br />
1 Neben der Gesellschaft sind auch die einzelnen Aktionäre berechtigt, den der Gesellschaft<br />
verursachten Schaden einzuklagen. Der Anspruch des Aktionärs geht auf Leistung an die<br />
Gesellschaft.<br />
2 Hatte der Aktionär aufgrund der Sach- und Rechtslage begründeten Anlass zur Klage, so verteilt der<br />
Richter die Kosten, soweit sie nicht vom Beklagten zu tragen sind, nach seinem Ermessen auf den<br />
Kläger und die Gesellschaft.<br />
Art. 757 OR<br />
1 Im Konkurs der geschädigten Gesellschaft sind auch die Gesellschaftsgläubiger berechtigt, Ersatz<br />
des Schadens an die Gesellschaft zu verlangen. Zunächst steht es jedoch der Konkursverwaltung zu,<br />
die Ansprüche von Aktionären und Gesellschaftsgläubigern geltend zu machen.<br />
2 Verzichtet die Konkursverwaltung auf die Geltendmachung dieser Ansprüche, so ist hierzu jeder<br />
Aktionär oder Gläubiger berechtigt. Das Ergebnis wird vorab zur Deckung der Forderungen der<br />
klagenden Gläubiger gemäss den Bestimmungen des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes vom<br />
11. April 1889 verwendet. Am Überschuss nehmen die klagenden Aktionäre im Ausmass ihrer<br />
Beteiligung an der Gesellschaft teil; der Rest fällt in die Konkursmasse.<br />
3 Vorbehalten bleibt die Abtretung von Ansprüchen der Gesellschaft gemäss Artikel 260 des<br />
Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes vom 11. April 1889.<br />
Grundsätzlich können folgende Personen gegen den VR einer Gesellschaft klagen:<br />
- Gläubiger<br />
- Aktionäre<br />
- Die Gesellschaft selbst<br />
Solange die Gesellschaft nicht in Konkurs ist, kann der Gläubiger nicht gegen den<br />
VR klagen. Dies ist nur den Aktionären vorbehalten. Der Gläubiger kann erst klagen,<br />
wenn er einen Schaden hat. Einzige Ausnahme ist eine widerrechtliche Handlung<br />
des VR i. S. d. Art. 41 OR.<br />
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Art. 159 IPRG regelt die Verantwortlichkeitsprozesse. Voraussetzung für den<br />
Verantwortlichkeitsprozess ist, dass die Gesellschaft ihren Sitz in der Schweiz hat.<br />
Dies ist eine Überlagerung der Inkorporationstheorie. Massgeblich ist in diesem Fall<br />
also die Sitztheorie.<br />
Art. 159 IPRG wirkt nur gegenüber gutgläubigen Dritten, de facto sind somit nur die<br />
Gläubiger geschützt.<br />
E. Zuständigkeit<br />
Grundsätzlich ist das LugÜ bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten anwendbar,<br />
wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat. Die Abgrenzung<br />
zwischen LugÜ und IPRG ist hier besonders schwierig, weil es unzählige<br />
Anknüpfungsmöglichkeiten gibt.<br />
Geht es um die Nichtigkeitserklärung eines Gesellschaftsbeschlusses, einer<br />
Gesellschaft als solcher sowie eines GV-Beschlusses, fällt dies unter den<br />
Anwendungsbereich von Art. 16 Abs. 2 LugÜ. Ausschliesslich zuständig sind dann<br />
die Gerichte am Ort der Gesellschaft.<br />
Bei einem Drittstaat gelangt Art. 151 IPRG zur Anwendung.<br />
Art. 151 IPRG<br />
1 In gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten sind die schweizerischen Gerichte am Sitz der Gesellschaft<br />
zuständig für Klagen gegen die Gesellschaft, die Gesellschafter oder die aus gesellschaftsrechtlicher<br />
Verantwortlichkeit haftenden Personen.<br />
2 Für Klagen gegen einen Gesellschafter oder gegen eine aus gesellschaftsrechtlicher<br />
Verantwortlichkeit haftende Person sind auch die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz oder, wenn<br />
ein solcher fehlt, diejenigen am gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten zuständig.<br />
3 Für Klagen aus Verantwortlichkeit infolge öffentlicher Ausgabe von Beteiligungspapieren und<br />
Anleihen sind ausserdem die schweizerischen Gerichte am Ausgabeort zuständig. Diese<br />
Zuständigkeit kann durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht ausgeschlossen werden.<br />
F Kurzfälle<br />
Die A AG mit statutarischem Sitz in Basel hat ihr Headquater neu in günstigem<br />
Wohnraum in Lörrach aufgeschlagen. Aktionär Z mit Wohnsitz in Basel will den<br />
diesbezüglich in der Generalversammlung getroffenen Beschluss anfechten. Wie ist<br />
die Rechtslage?<br />
Die Beklagte hat ihren Sitz in der Schweiz oder in Deutschland, was die<br />
Anwendbarkeit des LugÜ begründet.<br />
Art. 16 Abs. 2 LugÜ: Ausschliesslich zuständig sind die Gerichte am Sitz der<br />
Gesellschaft. Dieser bestimmt sich nach Art. 53 LugÜ. Wo sich der Sitz einer<br />
Gesellschaft befindet, hat das Gericht nach seinem eigenen IPR zu bestimmen.<br />
Wird in Basel geklagt, gelangt das Gericht über Art. 21 IPRG zum statutarischen Sitz<br />
der Gesellschaft. In casu sind die Gerichte am statutarischen Sitz der Gesellschaft<br />
zuständig, was die Zuständigkeit der Basler Gerichte begründet.<br />
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Der deutsche Richter würde das deutsche IPR anwenden. Im deutschen IPR<br />
herrscht die Sitztheorie, welche die Zuständigkeit des deutschen Gerichts begründen<br />
würde. Probleme gibt es jedoch bei der Passivlegitimation, denn die Gesellschaft<br />
existiert nach deutschem Recht nicht. Es würde nach der Sitztheorie zuerst einer<br />
Neugründung nach deutschem Recht bedürfen.<br />
Die auf den Bahamas domizilierte P AG mit Geschäftslokalität in Pratteln hat ihre<br />
Zahlungen eingestellt. Geschäftspartner M hat offene Forderungen in Höhe von CHF<br />
200'000.00. Als er an die P AG gelangt, teilt ihm deren Verwaltungsrat V mit, dass<br />
alles Geld aufgebraucht sei und seine Rechnung leider nicht bezahlt werden könne.<br />
In casu ist der Verwaltungsrat passiv legitimiert.<br />
Erfolgt die Klage in der Schweiz, gelangt Art. 2 Abs. 1 LugÜ zur Anwendung.<br />
Gemäss Art. 152 IPRG auch kann am tatsächlichen Sitz einer Gesellschaft geklagt<br />
werden. Somit ist die Zuständigkeit der Schweizer Gerichte gegeben.<br />
Die Anwendbarkeit des schweizerischen Rechts ergibt sich aus Art. 159 IPRG,<br />
wonach sich die Haftung der für die Gesellschaft handelnden Personen nach<br />
Schweizer Recht richtet.<br />
Der Konkurs der Gesellschaft müsste auf den Bahamas eröffnet werden. Dieser<br />
würde gemäss den Bestimmungen der Art. 166 ff. IPRG in der Schweiz anerkannt.<br />
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