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INTERNATIONAL<br />
Schauspielerin Tilda<br />
Swinton hielt im Juli<br />
vor dem Wahrzeichen<br />
Russlands die Regenbogenflagge<br />
hoch.<br />
Für ihre Solidarität<br />
hätte sie verhaftet<br />
werden können<br />
Foto: picture alliance / dpa<br />
Politischer Wintereinbruch in Russland<br />
Mit Inkrafttreten des Anti-Homosexualitätsgesetzes gibt es täglich schlechte Nachrichten aus<br />
Russland. Was kann das Ausland tun? Sind Boykotte sinnvoll? L-MAG hat nachgefragt<br />
In Russland verschlechtert sich die Situation von <strong>Lesben</strong>, Schwulen und Transsexuellen<br />
täglich. Zuletzt wurde die steigende Gewalt auf ebenso erschütternde<br />
wie eindringliche Weise durch Videos russischer Rechtsradikaler vor Augen<br />
geführt, auf denen zu sehen ist, wie sie schwule Jugendliche quälen. Die Teenager<br />
wurden durch vermeintliche Kontaktanzeigen in eine Falle gelockt. In<br />
Russland selbst trifft diese Grausamkeit oft auf Unterstützung – als legitime<br />
„Verteidigung“ konservativer Werte gegen „Perverse“.<br />
Die Kriminalisierung und Einschüchterung Schwuler und <strong>Lesben</strong> gehört zur<br />
Regierungsstrategie: Im Juni unterzeichnete Präsident Putin den „Artikel<br />
6.13.1“, der quasi einstimmig durch das Parlament gebilligt wurde. Er untersagt,<br />
Homosexualität öffentlich zu zeigen, und verbietet außerdem „homosexuelle<br />
Propaganda“ in Anwesenheit von Minderjährigen.<br />
Dadurch wird zum Beispiel die HIV-Aufklärung von Jugendlichen fast<br />
unmöglich gemacht. <strong>Das</strong> Gesetz verbannt Homosexualität aus der<br />
Öffentlichkeit und wird nicht selten als Aufforderung zur Gewalt gegen diese<br />
Minderheiten verstanden.<br />
Dabei schaffte vor 20 Jahren der damalige Präsident Boris Jelzin die Strafbarkeit<br />
von Homosexualität ab, um die Aufnahme in den Europarat zu<br />
erreichen. „Die Heimlichkeit, mit der damals dieser natürlich begrüßenswerte<br />
Schritt vollzogen wurde, ist eine Wurzel des Problems: Zwar wurde Homosexualität<br />
entkriminalisiert, es entstand aber nie eine breite politisch-rechtliche<br />
Unterstützung“, erklärt Renate Rampf, Pressesprecherin des <strong>Lesben</strong>- und<br />
Schwulenverbandes (LSVD).<br />
Die Motivation der Regierung in Moskau geht über reine Homophobie weit<br />
hin aus: Große Teile der Bevölkerung leiden unter Armut und fehlender Infrastruktur.<br />
„Mit Homophobie wird Politik gemacht“, so Rampf. Der Hass auf<br />
Homosexuelle kanalisiert Aggressionen, die Politik kann einen Sündenbock<br />
präsentieren, der <strong>für</strong> den Verfall von Werten verantwortlich ist. Internationale,<br />
aber auch russische Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich <strong>für</strong><br />
Demokratie und Menschenrechte einsetzen, werden durch Geldstrafen,<br />
Versammlungsverbote und Razzien eingeschüchtert oder an den Rand ihrer<br />
Existenz gebracht. Internationaler Druck kann die Lage sogar verschärfen: Als<br />
die US-Regierung Ende 2012 Einreiseverbote gegen russische Regierungsbeamte<br />
erließ, die gegen Menschenrechte verstießen und <strong>für</strong> den Tod des<br />
Regierungskritikers Sergej <strong>Mag</strong>nitski verantwortlich sein sollen, entzog der<br />
Kreml amerikanischen Paaren das Recht, russische Kinder zu adoptieren.<br />
Regenbogenfamilien beantragen Asyl im Ausland<br />
Da Russland nach wie vor Mitglied des Europarates ist, sind der Regierung<br />
Grenzen gesetzt. Die Gewalt überlässt sie anderen. Die Täter sind dabei nicht<br />
nur Ultranationalisten, sondern auch Durchschnittsbürgerinnen und -bürger.<br />
Renate Rampf erklärt, warum vor allem <strong>Lesben</strong> betroffen sind: „Viele Frauen,<br />
die in Deutschland Asyl suchen, haben Kinder, die ihnen weggenommen werden,<br />
sollte ihre sexuelle Identität öffentlich werden. <strong>Das</strong> macht sie zur leichten<br />
Beute <strong>für</strong> Menschen aus ihrem Umfeld, die das Gesetz nutzen, um Geld zu<br />
erpressen.“<br />
Fraglich ist, wie das Bundesamt <strong>für</strong> Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf<br />
die steigenden Asylanträge reagiert. Denn Russland gilt nicht offiziell als<br />
Verfolgerland. Es ist daher entscheidend, wie sich die Bundesregierung in<br />
Zukunft verhält. „Die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes ist ein wichtiger<br />
Schritt“, meint Rampf. Der LSVD plädiert <strong>für</strong> eine Überarbeitung des Asyl-<br />
14 L-MAG