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Die Damen sind so frei<br />
Rückblick auf ein Leben ohne Männer<br />
in „Kein Paar wie wir“<br />
Anders lieben<br />
Neue Reihe, neues Glück,<br />
neue Themenvielfalt mit<br />
„Liebe macht Anders“<br />
Was ist das, ein gelebtes Leben? Wer<br />
entscheidet das? Welche wichtigen<br />
Dinge gehören dazu? Diesen<br />
grundlegenden Fragen geht Eberhard Rathgeb<br />
in seinem erstaunlichen, elegant geschriebenen<br />
Debütroman „Kein Paar wie wir“ nach. Es<br />
ist die zutiefst berührende Geschichte der<br />
Schwestern Ruth und Vika und ihres Sieges<br />
über die Geschlechterrollen. Sehr früh entscheiden<br />
sich beide <strong>für</strong> eine schicksalhafte,<br />
symbiotische Lebensgemeinschaft ohne Männer<br />
und ohne Kinder. Jahre später blicken sie<br />
auf ein reiches und komplexes Leben zurück:<br />
Mit den Eltern fliehen sie aus Nazi-Deutschland<br />
nach Südamerika. Die Mutter wird depressiv,<br />
der gefühlskalte Vater erzieht die beiden<br />
Töchter zu unbedingtem Gehorsam. Erst<br />
mit 30 rebellieren die Schwestern und ziehen<br />
L-MAG<br />
Letzte Dinge<br />
in den 60er Jahren zusammen nach New York,<br />
wo die beiden unzeitgemäßen, selbstbestimmten<br />
Frauen schnell Karriere machen. Konventionen<br />
und Männer interessieren sie nicht, sie<br />
können und wollen sich weder als Sexualobjekt<br />
noch als Hausfrau/Mutter sehen. Doch als<br />
ihre Eltern pflegebedürftig werden, ziehen<br />
Ruth und Vika zurück nach Buenos Aires. Inzwischen<br />
sind sie „zwei alte Zimmerpflanzen“<br />
und die Zeit der Erinnerung<br />
und des Endes ist<br />
gekommen ...<br />
Egbert Hörmann<br />
Eberhard Rathgeb:<br />
„Kein Paar wie wir“,<br />
Hanser, 186 Seiten,<br />
17,90 Euro<br />
Warmherzig, rührend, witzig: „Ein schädlicher Einfluss“<br />
Kate Bornstein, 1948 als Albert Bornstein<br />
geboren, lebt heute mit Freundin<br />
und sechs Haustieren in New<br />
York. Nach einer Krebsdiagnose begann die<br />
Bühnenautorin und Gender-Theoretikerin ihre<br />
ganz persönliche „Bucket List“: Dinge, die sie<br />
vor dem Tod tun möchte. Herausgekommen ist<br />
unter anderem das Buch „Ein schädlicher Einfluss“<br />
– eigentlich ein halbes Dutzend Bücher<br />
in einem: Scientology-Aussteiger-Reportage,<br />
schmerzlich offenherziger Bericht über ein<br />
Leben mit Essstörungen und posttraumatischem<br />
Stresssyndrom, die schonungslose Aufzeichnung<br />
des Wegs vom jüdischen Jungen,<br />
dessen Leben vorgezeichnet scheint, zu einer<br />
„umwerfend süßen Blondine“ und Performance-Künstlerin,<br />
Streitschrift gegen das<br />
Zweigeschlechtersystem und Liebesbrief an<br />
eine entfremdete Tochter.<br />
Dank Bornsteins Humor wirkt dieser Mix nie<br />
überladen und der leichtfüßige Stil erlaubt ihr,<br />
die vielen Handlungsstränge elegant mit einander<br />
zu verknüpfen. Der Originaltitel, „A Queer<br />
and Pleasant Danger“ beschreibt dabei vermutlich<br />
noch besser, wie Bornstein sich sieht,<br />
der deutsche Untertitel „Mein mutiges Leben“<br />
jedoch verspricht nichts, was das Buch nicht<br />
halten könnte: die Biografie einer Anwältin <strong>für</strong><br />
alle, die sich eine Welt ohne Schubladen wünschen<br />
– und alle, die bisher noch nicht darüber<br />
nachgedacht haben. Schließlich möchte man<br />
sie zu einem Bier treffen und ihr wünschen,<br />
dass ihre Tochter irgendwann dieses Buch lesen<br />
und stolz sein<br />
wird.<br />
Katrin Heienbrock<br />
Kate Bornstein:<br />
„Ein schädlicher<br />
Einfluss. Mein mutiges<br />
Leben“, Eden<br />
Books, 350 Seiten,<br />
14,95 Euro<br />
Ausgerechnet glänzend rosa ist der Schriftzug<br />
des neuen Romans von Karen-Susan<br />
Fessel, „Liebe macht Anders“. Automatisch<br />
kommt da der Gedanke: offenbar ein Buch<br />
<strong>für</strong> Girls – wie auch nicht, schließlich sind wir<br />
schon ganz und gar infiltriert. Oder wie ist das in<br />
einer Gesellschaft, die eigens <strong>für</strong> die Mädchen<br />
pinke Überraschungseier designt?<br />
Ein geschickter, doppeldeutiger Schachzug, dreht<br />
sich die Geschichte doch um ein in der Literatur<br />
eher vernachlässigtes Thema rund um Geschlechtlichkeit,<br />
Gender (medizinisch wie identitätsstiftend),<br />
Erwartungen und Stereotypen.<br />
Er ist lässig, hat unglaublich blaue Augen, einen offenen<br />
Blick und ein Lächeln, das so einigen seiner<br />
neuen Klassenkameradinnen nicht mehr aus dem<br />
Kopf gehen wird. Anders ist eben besonders. Etwas,<br />
mit dem nicht alle gut umgehen können. Schon gar<br />
nicht, wenn sich das beliebteste Mädchen der Schule<br />
<strong>für</strong> ihn zu interessieren beginnt …<br />
Von Anfang an ist klar, irgendetwas ist hier tragisch<br />
schiefgelaufen, das erste Kapitel startet mit der Zeugenaussage<br />
eines Schülers: War das mit Anders ein<br />
Unfall? Oder hat womöglich jemand nachgeholfen?<br />
Ist er gesprungen oder gefallen oder gestoßen worden?<br />
Immer wieder unterbrechen persönliche Erinnerungen<br />
die sich chronologisch entwickelnde Geschichte.<br />
Karen-Susan Fessel lässt sich Zeit. Sie<br />
peitscht ihre Leserschaft nicht durch konstruierten<br />
Nervenkitzel, sie entblättert nach und nach – er liebt<br />
mich, sie liebt mich nicht – die wahren Beweggründe<br />
hinter der bereits stattgefundenen Tragödie. Darauf<br />
muss man sich einlassen können. Darauf und dass<br />
die Wahrheit niemals fest umrissen ist, sondern<br />
ebenso wie die Eigen- oder Fremdwahrnehmung abhängig<br />
vom Standpunkt – auch eine Lesemöglichkeit<br />
des Genres Thriller, in dem es schließlich genau<br />
darum geht: Wahrnehmung und Wahrheit.<br />
Mit „Herzblut“ hat der Kosmos-Verlag eine neue<br />
Romanreihe ins Leben gerufen, die sich um Liebe<br />
wie Geheimnisse dreht. Gleich unter den ersten beiden<br />
Werken einem solchen ungewöhnlichen Thema<br />
Raum zu geben – Hut ab.<br />
Und Glückwunsch.<br />
sv<br />
Karen-Susan Fessel:<br />
„Liebe macht Anders“,<br />
Kosmos, 170 Seiten,<br />
9,99 Euro<br />
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