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Das Magazin für Lesben - L-Mag

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In diesem Haus in Jena<br />

lebten Toni Schwabe und<br />

Jugendliebe Sophie<br />

Hoechstetter<br />

Thomas Mann hat eine glühende Rezension zu<br />

Schwabes Debütroman geschrieben, der ihn wiederum<br />

zu seiner weltberühmten Novelle „Tonio<br />

Kröger“ inspiriert hat. Eine eigenständige Forschung<br />

zu Toni Schwabe existiert praktisch nicht.<br />

Ich habe in verschiedenen Archiven ihre Texte,<br />

Briefe und die Ausgaben von „<strong>Das</strong> Landhaus“,<br />

Schwabes eigenem Literaturmagazin, gesichtet.<br />

Ich fand diese Art von Grundlagenforschung sehr<br />

spannend, so habe ich vorher noch nie gearbeitet.<br />

Zu bekannteren Autorinnen gibt es jede Menge<br />

Sekundärliteratur. In diesem Fall gab es bisher so<br />

gut wie gar nichts. Auf die Idee, den Roman „Esther<br />

Franzenius“ neu herauszugeben, bin ich unter<br />

anderem gekommen, weil man dieses wichtige<br />

Buch gerade einmal in drei Bibliotheken in ganz<br />

Deutschland ausleihen kann. Antiquarisch bekommt<br />

man es nur noch sehr, sehr selten.<br />

Wer war Toni Schwabe?<br />

Sie war eine deutsche Schriftstellerin, die im thüringischen<br />

Bad Blankenburg geboren wurde. Mit<br />

ihrer Familie zog sie dann später nach Jena. Als<br />

25-Jährige veröffentlichte sie ihren ersten Roman<br />

„Die Hochzeit der Esther Franzenius“. Um 1900<br />

hat sie auch <strong>für</strong> verschiedene literarische Zeitschriften<br />

geschrieben. Mitten im Ersten Weltkrieg<br />

gründete sie ihren eigenen Verlag, den Landhausverlag,<br />

in dem sie klassische und Gegenwartsliteratur<br />

sowie die Literaturzeitschrift „<strong>Das</strong><br />

Landhaus“ herausgab. Leider musste sie den<br />

Verlag aufgrund der Inflation 1921 schließen. Sie<br />

hat auch als Übersetzerin aus dem Dänischen<br />

gearbeitet. Ihre Mutter war Dänin, daher sprach sie<br />

die Sprache. Im „Landhaus“ finden sich aber auch<br />

Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen<br />

von ihr. Sie hat unter anderem vier Romane<br />

über Goethe aus Sicht verschiedener Frauen in<br />

seinem Leben geschrieben. Später ist Toni<br />

Schwabe zurück nach Blankenburg gezogen, hat<br />

aber parallel dazu immer wieder zeitweise in Berlin<br />

gewohnt. Sie hatte auch Ideen zu einem Wohnprojekt,<br />

einer Art Künstlerkolonie, aber daraus<br />

wurde nie etwas. Ab den 1930ern hat sie nicht<br />

L-MAG<br />

mehr viel veröffentlicht und es scheint, dass sie bis<br />

zu ihrem Tod ein Leben in Armut geführt hat. In<br />

dieser Zeit konnte sie von der Schriftstellerei nicht<br />

mehr leben.<br />

Wie offen lesbisch war Toni Schwabe?<br />

Zumindest <strong>für</strong> Eingeweihte war offensichtlich,<br />

dass ihre Texte auch von lesbischer Liebe handeln.<br />

Insbesondere der Gedichtband „Komm, kühle<br />

Nacht“ von 1908 ist ziemlich eindeutig. Mit ihrer<br />

Jugendliebe, der Schriftstellerin Sophie Hoech -<br />

stetter, lebte sie mehrere Jahre zusammen in Jena.<br />

Aus Briefen der beiden geht allerdings auch hervor,<br />

dass sie ihre Beziehung vor ihren Familien geheim<br />

hielten. <strong>Das</strong> Thema Homosexualität und Öffentlichkeit<br />

taucht in den Briefen auch immer<br />

wieder auf. Der Freundes- und Bekanntenkreis<br />

scheint gewusst zu haben, dass die beiden lesbisch<br />

waren. Wie offen sie in der Jenaer Gesellschaft damit<br />

waren, ist unklar. In Berlin war Schwabe im<br />

Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK)<br />

aktiv, sie hat 1910 als eine der ersten Frauen das<br />

Amt eines „weiblichen Obmannes“ übernommen.<br />

Über ihre Aktivitäten im WhK gibt es leider so gut<br />

wie keine Informationen. Toni Schwabe hat<br />

<strong>Mag</strong>nus Hirschfeld gekannt, aber darüber, wie<br />

lange sie im WhK war, inwiefern sie dessen<br />

politische Ziele geteilt hat oder mit wem sie in Berlin<br />

bekannt war, ist bislang gar nichts bekannt.<br />

Wie lesbisch ist der Roman überhaupt? Er<br />

wurde ja zu einer Zeit geschrieben, in der<br />

Liebesbeziehungen unter Frauen mit einem<br />

starken Tabu belegt waren.<br />

Deswegen steht der Begriff „lesbisch“ im Klappentext<br />

der Neuausgabe auch in Anführungszeichen.<br />

Es gab ihn in dieser Zeit auch noch nicht.<br />

Verliebtheit zwischen Frauen und Mädchen ist ein<br />

Thema in diesem Roman. Esther verliebt sich im<br />

Verlauf der Handlung in verschiedene Frauen und<br />

umgekehrt verlieben sich sowohl Frauen als auch<br />

Männer in sie. Die Liebesgeschichten zwischen<br />

Frauen werden ganz vorsichtig angedeutet. Auf<br />

den ersten Blick wird daher nicht unbedingt deutlich,<br />

dass Esther lesbisch sein soll. Zu Beginn des<br />

Romans ist sie in den Verlobten ihrer Schwester<br />

verliebt und später verlobt sie sich mit einem<br />

anderen Mann. Dieses Verfahren kann man als<br />

homoerotische Camouflage, also Versteckspiel,<br />

bezeichnen. Durch die heterosexuellen Liebesgeschichten<br />

wird der Text quasi entschärft. Insider<br />

verstanden aber, worum es geht, und dennoch wird<br />

der Skandal einer offen lesbischen Thematik vermieden.<br />

In dem Roman ist auch immer wieder<br />

die Rede von „Geheimnis“, „Versteck“ und<br />

„Schweigen“ – das sind typische Signalwörter in<br />

dieser Zeit.<br />

Gibt es noch vergleichbare ungeborgene<br />

Schätze aus dieser Zeit?<br />

In Sophie Hoechstetters Roman „Sehnsucht,<br />

Schönheit, Dämmerung. Die Geschichte einer<br />

Jugend“ (1898) wird Leonore, eine der Hauptfiguren,<br />

als Tomboy vorgestellt. In den anderen Texten<br />

Hoechstetters wird man sicher auch fündig.<br />

Der Roman „Sind es Frauen? Roman über das<br />

dritte Geschlecht“ von Aimée Duc bezieht sich<br />

ziemlich eindeutig auf <strong>Mag</strong>nus Hirschfelds Sexualtheorie.<br />

Von der Wiener Schriftstellerin Therese<br />

Rie, die unter dem Pseudonym „L. Andro“ geschrieben<br />

hat, gibt es die Novelle „Schwester Lukana“,<br />

die 1919 im „Landhaus“ erschien. Von<br />

Schwabe selbst gibt es auch noch unveröffentlichte<br />

Manuskripte, die man sich mal anzuschauen<br />

müsste. Es gibt noch eine Reihe von Autorinnen,<br />

mit denen Toni Schwabe Kontakt hatte und über<br />

die nichts bekannt ist. Diesen Spuren sollte man<br />

unbedingt nachgehen.<br />

Jenny Bauer (Hg.),<br />

Toni Schwabe:<br />

„Die Hochzeit der<br />

Esther Franzenius“,<br />

Igel-Verlag, 147 Seiten,<br />

19,90 Euro<br />

Veranstaltungstipp:<br />

Am 5.9.2013 stellt Jenny Bauer Leben<br />

und Werk Toni Schwabes bei der Buchpräsentation<br />

zu „Die Hochzeit der Esther<br />

Franzenius“ im Schwulen Museum in<br />

Berlin vor. www.schwulesmuseum.de<br />

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