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QUEER TRAVEL<br />
Eigentlich weiß<br />
man in Marseille<br />
zu feiern, wie dieses<br />
Foto vom<br />
Pride im vergangenen<br />
Jahr zeigt<br />
hinter vorgehaltener Hand. Da kein Geld <strong>für</strong> die<br />
Gagen übrig war, sprangen viele Musik-Acts ab,<br />
Partys wurden gestrichen, ohne die Leute, die<br />
schon Karten gekauft hatten, darüber zu informieren.<br />
Ursprünglich sollte jeder Partyabend 35 Euro<br />
kosten – eine irrwitzige Kalkulation. Die Scharen<br />
an Queers blieben aus: Eine Woche später werden<br />
nach Polizeiangaben zur Parade gerade einmal<br />
10.000 Leute kommen.<br />
Immerhin: Ein Teil des Geländes ist speziell <strong>für</strong><br />
<strong>Lesben</strong> reserviert. Dort treffe ich dann auf die von<br />
Anne schon angekündigte ältere Generation. Obwohl<br />
ich nicht nur Party und Glamour suche, finde<br />
ich das Programm trist. Neben politisch-theoretischen<br />
Diskussionen gibt es kaum Abwechslung.<br />
Doch auch die lesbische Party-Generation ist nur<br />
Macht Laune: Live-Musik<br />
im Club Bella Donna<br />
schwer zu finden. Wahrscheinlich schließt sie sich<br />
ihren schwulen oder heterosexuellen Freunden an.<br />
Die schwule Welt in Marseille ist das Gegenstück<br />
zum lesbischen Aktivismus: Reiche, braun gebrannte<br />
Sonnyboys mit Sixpack-Bauch bestimmen<br />
das Bild. Man trifft sich im Polikarpov unweit des<br />
alten Hafens, auf Strandpartys und in der Disko auf<br />
der Dachterrasse des Friche la Belle de Mai. Für den<br />
zugegebenermaßen atemberaubenden Blick über<br />
die Stadt zahlt man neun Euro <strong>für</strong> ein Bier.<br />
Stadt mit Charme<br />
Schade! Denn Marseille hat mich gleich in der<br />
ersten Sekunde <strong>für</strong> sich gewonnen: eine Stadt mit<br />
langer Geschichte – und viel Charme. Neben<br />
Foto: Euro Pride 2013<br />
Strand, Party und Sonnenschein gibt es jede<br />
Menge zu entdecken.<br />
Etwa den Fischmarkt am alten Hafen, auf dem man<br />
morgens direkt den frisch gefangenen Fisch kaufen<br />
kann. Auch das neue Museum MuCEM ist einen<br />
Besuch wert. Zwischendurch ein kleiner Espresso<br />
auf dem verträumten Cours Honoré d’Estienne<br />
d’Orves und abends ein Gläschen Pastis bei Bouillabaisse<br />
(traditioneller Fischsuppe) oder Aioli<br />
(Knoblauchmayonnaise) mit Fisch versöhnen mich<br />
mit der Stadt. Und wenn man genau hinschaut, finden<br />
sich auch sympathische Bars <strong>für</strong>s gemischte<br />
Publikum, nicht weit vom alten Hafen. Wer Einheimische<br />
– auf Französisch – anspricht, wird<br />
gleich in sympathische Untergrundbars mitgenommen,<br />
die in keinem Touristenguide zu finden<br />
sind, wie das L’Art Haché, nicht weit vom<br />
Aux 3 G. Hier ist es egal, ob man als verliebtes Homopärchen<br />
rumknutscht oder als Heterosingle auf<br />
einen heißen One-Night-Stand aus ist. Zudem haben<br />
die Marseiller ein ganz eigenes Gemüt, sie pöbeln<br />
häufig, aber nehmen eine verlorene Touristin<br />
auch mal schnell mit dem Auto mit – und sie hören<br />
einfach nicht auf zu reden.<br />
Queer-Travel-Autorin Dana<br />
Müller mag das raue Marseille,<br />
das noch nicht so gentrifiziert<br />
ist wie ihr Wohnort<br />
Paris. Sie hat Glück: Mit dem<br />
TGV ist sie in dreieinhalb<br />
Stunden am Mittelmeer.<br />
Foto: privat<br />
Foto: Dana Müller<br />
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www.queer-travel.net<br />
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