Ausgabe als PDF downloaden - Jusos München
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S C H W E R P U N K T<br />
Livorno, Lucarelli, Kommunismus<br />
Eine proletarische Liebesgeschichte aus Italien<br />
Der italienische Fußball zeichnet sich<br />
im Wesentlichen durch zwei Eigenschaften<br />
aus: Erstens ist das, was auf<br />
dem Feld passiert nie schön anzusehen.<br />
Will meinen: Die gemeine<br />
italienische Fußballmannschaft stellt<br />
sich zuerst mal hinten rein, macht<br />
die Räume eng, lässt keinen Spielfluss<br />
aufkommen (weder in die<br />
eigene, noch in die gegnerische<br />
Richtung), bekommt nach einer<br />
Schwalbe eine Standardsituation die<br />
zum 1:0 führt, danach wird bis zum<br />
Ende doppelt so intensiv verteidigt<br />
und natürlich gnadenlos auf Zeit<br />
gespielt (nach jedem gegnerischen<br />
Foul muss der Notarzt den Gefoulten<br />
wieder ins Leben zurückholen,<br />
Einwürfe und Abstöße dauern Ewigkeiten).<br />
Zweitens ist das, was neben dem<br />
Feld passiert noch weniger schön<br />
anzusehen. Während sich in den<br />
nördlicheren Regionen Europas der<br />
Fußball in anständigen Arbeitersportvereinen<br />
organisierte, wo man<br />
<strong>als</strong> Spieler für einen Sack Kartoffeln<br />
ein Leben lang für seinen Verein<br />
Blutgrätschen kassierte, diente in<br />
Italien der Fußball von Anfang an<br />
der Potenzdemonstration selbstsüchtiger,<br />
oft zwielichtiger Gestalten aus<br />
Wirtschaft, Politik, Untergrund die<br />
mit allen möglichen Geschäftspraktiken<br />
Spieler und Spiele verschoben.<br />
Das hat sich bis heute so gut wie<br />
nicht geändert. Keine Saison vergeht<br />
ohne Skandale, sei dies nun in Form<br />
von Spielmanipulationen, kreativer<br />
Buchführung, Dopingskandalen,<br />
komischen Fernsehregelungen usw.<br />
„Der Calcio stinkt gewaltig.“ Bringt<br />
es ein gewisser Lucarelli auf den<br />
Punkt und eigentlich müsste man<br />
dabei genauso wie bei so vielen<br />
anderen Dingen die Hoffnung<br />
fahren lassen, gäbe es da nicht eine<br />
Geschichte in der eben jener<br />
Lucarelli eine Hauptrolle einnimmt<br />
und die in Zeiten, in denen die<br />
großen Erzählungen erzählt sind, so<br />
außergewöhnlich ist, dass man sie<br />
fast nicht glauben kann.<br />
Ort dieser Geschichte ist die<br />
Toskana, genauer Livorno. Wer bei<br />
Livorno/Toskana an Renaissancekathedralen,<br />
romantische Gassen<br />
oder stattliche Weingüter denkt, liegt<br />
f<strong>als</strong>ch. Livorno ist eine jener<br />
mediterranen Hafenstädte, die eher<br />
<strong>als</strong> hässlich einzustufen sind.<br />
Große, nicht mehr genutzte<br />
Industrieanlagen sowie heruntergekommene<br />
Wohnkasernen prägen<br />
das Bild. In diese Stadt fährt man im<br />
Normalfall nur um möglichst<br />
schnell wieder herauszukommen -<br />
mit der nächsten Fähre nach<br />
Korsika nämlich. Wie so viele<br />
hässliche Städte war Livorno eine<br />
Hochburg der Arbeiterbewegung.<br />
1921 hielt die sozialistische Partei<br />
dort einen Parteitag ab, bei dem ein<br />
gewisser Antonio Gramsci, dam<strong>als</strong><br />
noch von der Leninschen Revolutionstheorie<br />
überzeugt, mit weiteren<br />
Genossen die Abspaltung der kommunistischen<br />
Fraktion in eine<br />
eigene „Kommunistische Partei“<br />
betrieb – dieser folgenschwerer<br />
Fehler, wie er später einsah, „war<br />
ohne Zweifel der größte Triumph der<br />
Reaktion.“ Die Folgen hatte auch<br />
Livorno zu tragen, <strong>als</strong> Transportund<br />
Industriestandort des<br />
faschistischen Italiens wurde es von<br />
den Alliierten in Schutt und Asche<br />
gelegt.<br />
Genauso wie in anderen hoch<br />
industrialisierten Regionen Europas<br />
auch, schluckte dann in den 70ern<br />
der Strukturwandel die fordistischen<br />
Produktionsstätten während er die<br />
Arbeiter in die Arbeitslosigkeit<br />
ausspuckte. Anders <strong>als</strong> sonst wo<br />
wurde dabei allerdings deren<br />
proletarischer Stolz nicht mit-eliminiert.<br />
Dass hier die Kommunistische<br />
Partei Italiens gegründet wurde,<br />
dass es hier Arbeiterkämpfe gab,<br />
dass hier Widerstand gegen die<br />
Faschisten ausgeübt wurde, dass es<br />
einen kategorischen Imperativ gibt<br />
– alle Verhältnisse umzuschmeißen<br />
in denen der Mensch ein<br />
geknechtetes Wesen ist - , ist in<br />
Livorno nicht in Vergessenheit<br />
geraten. Kristallisationspunkt dieser<br />
Kultur wurde das „Armando<br />
Picchi“, das örtliche Fußballstadion,<br />
das den AS Livorno<br />
beherbergt. Es ist nicht weit vom<br />
Meer entfernt und ähnelt von außen<br />
in Form und Heruntergekommen-