Vielfalt der Lebenswelten fordert die Seelsorge - Kirchenblatt
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<strong>Vielfalt</strong> <strong>der</strong> <strong>Lebenswelten</strong> for<strong>der</strong>t<br />
Ein Blick von aussen nach innen<br />
MICHAEL KRÜGGELER<br />
Thema<br />
«Zur Erfüllung <strong>die</strong>ser Aufgabe obliegt <strong>der</strong><br />
Kirche durch alle Zeiten <strong>die</strong> Pflicht, <strong>die</strong> Zeichen<br />
<strong>der</strong> Zeit zu erforschen und im Licht<br />
des Evangeliums auszulegen, so dass sie in<br />
einer <strong>der</strong> jeweiligen Generation angemessenen<br />
Weise auf <strong>die</strong> beständigen Fragen<br />
<strong>der</strong> Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen<br />
und des zukünftigen Lebens und<br />
nach ihrem gegenseitigen Verhältnis antworten<br />
kann».<br />
Pastoralkonstitution «Gaudium et Spes» Nr. 4<br />
Michael Krüggeler<br />
Nach dem Theologie- und Germanistikstudium<br />
in Tübingen doktorierte<br />
Michael Krüggeler über ein pastoraltheologisches<br />
Thema an <strong>der</strong> Universität<br />
Freiburg/Schweiz. Er ist Projektleiter im<br />
von <strong>der</strong> Katholischen Kirche getragenen<br />
Schweizerischen Pastoralsoziologischen<br />
Institut St.Gallen (SPI), seit 1986 zudem<br />
Mitarbeit an verschiedenen National-<br />
Fonds-Stu<strong>die</strong>n zum Thema «Religion in<br />
<strong>der</strong> Schweiz».<br />
4<br />
KIRCHENBLATT 10 09<br />
Damit <strong>die</strong> Kirche mit ihrer <strong>Seelsorge</strong> an<br />
<strong>der</strong> Gestaltung einer menschlichen Welt<br />
mit allen Menschen zusammenwirken<br />
kann, muss sie <strong>die</strong> «Zeichen <strong>der</strong> Zeit» erforschen<br />
und sie im Licht des Evangeliums<br />
auslegen. Dazu reichen nach <strong>der</strong><br />
Meinung des II. Vatikanischen Konzils <strong>die</strong><br />
dogmatischen, lehrmässigen Aussagen<br />
<strong>der</strong> Kirche über den Menschen allein aber<br />
nicht mehr aus. Vielmehr muss sich <strong>die</strong><br />
Kirche zusätzlich den Einsichten <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Humanwissenschaften öffnen.<br />
Wenn Kirche, Theologie und <strong>Seelsorge</strong><br />
wissenschaftliche Erkenntnisse über<br />
Mensch und Gesellschaft einbeziehen<br />
sollen und wollen, dann vollzieht das<br />
Konzil einen grossen Schritt auf <strong>die</strong> Welt<br />
von heute zu: Das, was man früher eher<br />
abwertend als «<strong>die</strong> Welt» ausserhalb <strong>der</strong><br />
Kirche bezeichnet hat, wird jetzt mitten in<br />
das Leben <strong>der</strong> Kirche hinein genommen.<br />
«Die Welt» ist <strong>der</strong> Ausgangspunkt des<br />
seelsorgerlichen Handelns. Genau in <strong>die</strong>ser<br />
Perspektive möchte ich als «Pastoral-<br />
Soziologe» (ohne das Konzil könnte es<br />
<strong>die</strong>se Berufsbezeichnung gar nicht geben)<br />
einige Herausfor<strong>der</strong>ungen für «neue<br />
Wege in <strong>der</strong> <strong>Seelsorge</strong>» skizzieren.<br />
Wir sehen immer mehr Menschen, <strong>die</strong><br />
an<strong>der</strong>s leben<br />
Schon seit Längerem leben wir auch in<br />
<strong>der</strong> Schweiz in einer ausgesprochen vielfältigen<br />
Gesellschaft: Wir sehen neue Lebensformen<br />
und an<strong>der</strong>e o<strong>der</strong> gar fremde<br />
kulturelle Werte und neue soziale Milieus,<br />
in und mit denen Menschen ihren<br />
Alltag heute gestalten. Allein in religiöser<br />
Hinsicht müssen Christen und Konfessionslose,<br />
Freikirchliche und Muslime, Juden,<br />
Buddhisten und Spirituelle miteinan<strong>der</strong><br />
leben und ihre Ansprüche auszugleichen<br />
lernen. In kultureller Hinsicht stehen<br />
traditionelle Werte neben neuen Familienformen,<br />
Konsumwelten neben hohen<br />
Ansprüchen in Ausbildung und Beruf,<br />
neue Me<strong>die</strong>n prägen unsere zwischenmenschlichen<br />
Kontakte, und <strong>die</strong> private<br />
Lebensplanung erfor<strong>der</strong>t vielfältige Abstimmungen.<br />
Im Alltag nehmen wir <strong>die</strong> <strong>Vielfalt</strong> unserer<br />
Umwelt oftmals gar nicht so wahr, weil<br />
wir uns meist in unseren eigenen Kreisen<br />
bewegen. Genau das aber darf <strong>die</strong> kirchliche<br />
<strong>Seelsorge</strong> nicht: Sie muss vielmehr<br />
mit offenen Augen <strong>die</strong> <strong>Vielfalt</strong> in unserer<br />
Lebenswelt aufspüren und <strong>die</strong> Kirchentüren<br />
für an<strong>der</strong>e Menschen, für neue Lebenswege<br />
und unterschiedliche soziale<br />
Milieus zu öffnen versuchen. Aber nicht,<br />
um an<strong>der</strong>e Menschen einzugemeinden.<br />
Es geht vielmehr darum, <strong>die</strong> existenziellen<br />
Fragen <strong>der</strong> heutigen Menschen genau<br />
kennen zu lernen und gemeinsam an einer<br />
Vermenschlichung unserer Welt zu<br />
arbeiten. Neue Wege in <strong>der</strong> <strong>Seelsorge</strong> mit<br />
<strong>Seelsorge</strong>einheiten und Pastoralräumen,<br />
mit <strong>Seelsorge</strong>teams, an<strong>der</strong>en Gottes<strong>die</strong>nstformen<br />
und einer kreativen Katechese<br />
<strong>die</strong>nen dem Aufbau einer menschlichen<br />
Welt für alle.<br />
Wir müssen auswählen und selbst<br />
entscheiden<br />
Auch <strong>die</strong> Schweiz ist heute von einer allgemeinen<br />
Individualisierung geprägt. Wir<br />
alle müssen angesichts <strong>der</strong> Überfülle an<br />
Möglichkeiten <strong>die</strong> Bestandteile unseres<br />
Lebens auswählen und unsere eigene Lebensführung<br />
quasi zusammenbasteln.<br />
Ob wir dabei Erfolg anstreben o<strong>der</strong> soziale<br />
Beziehungen pflegen wollen, ob uns<br />
familiäres Zusammenleben wichtiger ist<br />
als totale Selbstverfügung, ob das Geld<br />
mehr zählt als <strong>die</strong> Qualität des Lebens –