05.05.2014 Aufrufe

Land mit Aussicht - Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Land mit Aussicht - Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Land mit Aussicht - Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Dennoch beruht die große Zunahme weiblicher<br />

Erwerbspersonen vorrangig auf<br />

unsicheren Arbeitsverhältnissen wie geringfügig<br />

bezahlter Arbeit (Mini-Jobs), nicht<br />

sozialversicherungspflichtiger Teilzeitarbeit<br />

oder selbstständiger Beschäftigung etwa als<br />

<strong>mit</strong>helfende Familienangehörige. 6<br />

Diese Arbeitsverhältnisse sind durchaus<br />

vereinbar <strong>mit</strong> dem traditionellen Familienmodell,<br />

welches in der Region nach wie vor<br />

häufig gelebt wird. Die daran geknüpfte Kinderbetreuung,<br />

die überwiegend die Mütter<br />

leisten, erfährt eine hohe Wertschätzung <strong>und</strong><br />

wird als gleichwertig <strong>mit</strong> einer Erwerbsarbeit<br />

angesehen. Demnach stehen öffentliche<br />

Betreuungsangebote auch nur im geringem<br />

Maße zur Verfügung, wobei unklar ist, ob dies<br />

auf einem mangelnden Angebot oder einer<br />

fehlenden Nachfrage beruht.<br />

Das traditionelle Familienmodell überschneidet<br />

sich <strong>mit</strong> der besonderen Rolle<br />

der katholischen Religion im Oldenburger<br />

Münsterland. Zwar machen die b<strong>und</strong>esweit<br />

zu verzeichnenden Säkularisierungstendenzen<br />

auch vor dem Oldenburger Münsterland<br />

nicht halt, dennoch bekennt sich immer noch<br />

ein Großteil der hier lebenden Menschen zum<br />

katholischen Glauben. Im Jahr 2006 waren<br />

es im <strong>Land</strong>kreis Vechta 65 Prozent <strong>und</strong> im<br />

<strong>Land</strong>kreis Cloppenburg knapp 63 Prozent der<br />

Bevölkerung, das sind mehr als doppelt so<br />

viel wie im deutschen Mittel. 7<br />

Die andauernde Bedeutung der Religion <strong>und</strong><br />

vor allem ihrer Wertvorstellungen schlägt<br />

sich auch im Wahlverhalten nieder. Die<br />

Olden burger Münsterländer wählen seit jeher<br />

christlich-konservativ: Vor dem Zweiten<br />

Weltkrieg die Deutsche Zentrumspartei 8 <strong>und</strong><br />

später die CDU, deren Stimmenanteil bei den<br />

Kommunal-, <strong>Land</strong>tags- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>estagswahlen,<br />

aber auch bei den Europawahlen seit den<br />

1950er Jahren konstant hoch liegt.<br />

Was charakterisiert ländliche Räume?<br />

Angesichts der demografischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Besonderheiten des Oldenburger<br />

Münsterlandes stellt sich die Frage, wie<br />

stark sich diese <strong>Entwicklung</strong>en von anderen<br />

ländlich geprägten Räumen in Deutschland<br />

unterscheidet.<br />

Ländliche Räume wurden lange Zeit <strong>und</strong> zum<br />

Teil bis heute allein in Abgrenzung zur Stadt<br />

definiert. Mit den Gegenpolen von Stadt<br />

<strong>und</strong> <strong>Land</strong> – letzteres oftmals gleichgesetzt<br />

<strong>mit</strong> dem Bild des „Dorfes“ – gingen dabei<br />

unterschiedliche Assoziationen einher, etwa<br />

der strukturelle <strong>Entwicklung</strong>sbedarf des<br />

ländlichen Raumes gegenüber der Stadt, aber<br />

auch eine Romantisierung des idyllischen<br />

<strong>Land</strong>lebens. Dass man jedoch weder von dem<br />

ländlichen Raum sprechen kann, noch, dass<br />

„Ruralität […] gleichbedeutend <strong>mit</strong> Niedergang“<br />

9 ist, zeigt der OECD-Bericht „Das neue<br />

Paradigma für den ländlichen Raum“ aus<br />

dem Jahr 2006: Demzufolge zeichnen sich<br />

ländliche Räume ganz im Gegenteil durch<br />

eine bemerkenswerte Vielfalt in ihrer Kultur,<br />

Struktur oder Bevölkerungs- <strong>und</strong> Wirtschaftsentwicklung<br />

aus. Längst ist <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

nicht mehr der Maßstab für Ländlichkeit.<br />

Um diese zu definieren, nutzt die OECD vor<br />

allem zwei Kriterien: zum einen die Bevölkerungsdichte<br />

<strong>und</strong> zum anderen die relative<br />

Entlegenheit. Unterscheiden lassen sich demnach<br />

vorwiegend ländliche, intermediäre <strong>und</strong><br />

vorwiegend städtische Regionen. Bezogen<br />

auf die Bevölkerungsdichte sind Regionen<br />

vorwiegend ländlich, wenn über 50 Prozent<br />

ihrer Bevölkerung in ländlichen Gemeinden<br />

leben, intermediär, wenn der Anteil zwischen<br />

15 <strong>und</strong> 50 Prozent liegt. Ländlich ist eine<br />

Gemeinde dann, wenn in ihr höchstens 150<br />

Einwohner je Quadratkilometer leben. Fehlt<br />

ein großes städtisches Zentrum, ist das zweite<br />

Kriterium erfüllt.<br />

Fasst man die <strong>Land</strong>kreise Cloppenburg <strong>und</strong><br />

Vechta zum Oldenburger Münsterland zusammen,<br />

dann ist die Region als vorwiegend<br />

ländlich einzustufen, betrachtet man sie<br />

getrennt voneinander, so gilt diese Zuordnung<br />

lediglich für Cloppenburg. Im <strong>Land</strong>kreis<br />

Vechta leben nur 29 Prozent der Bevölkerung<br />

in ländlichen Gemeinden. Er ist da<strong>mit</strong> als<br />

intermediär zu bezeichnen.<br />

Die OECD sieht den Großteil der ländlichen<br />

Regionen vor vier Herausforderungen: Die<br />

Abwanderung von jungen Menschen <strong>und</strong> die<br />

da<strong>mit</strong> verb<strong>und</strong>ene Alterung der Gesellschaft;<br />

ein niedriges Bildungsniveau der Bevölkerung;<br />

eine geringe durchschnittliche Arbeitsproduktivität;<br />

sowie ein insgesamt niedriges<br />

öffentliches Dienstleistungsangebot.<br />

Regionen, die nur bedingt von diesen Problemen<br />

betroffen sind oder erfolgreiche Wege<br />

zur Bewältigung gef<strong>und</strong>en haben, sind vor<br />

allem dort zu finden, wo es gelungen ist,<br />

„aus öffentlichen oder quasi-öffentlichen<br />

Gütern wie sauberer Umwelt, attraktivem<br />

<strong>Land</strong>schaftsbild oder Kulturerbe (einschließlich<br />

Esskultur) Kapital zu schlagen“. 9 Folglich<br />

können auch Regionen, die Kraft ihrer natürlichen<br />

Umwelt oder ihres Kulturangebotes<br />

Touristen anlocken, trotz Entlegenheit <strong>und</strong><br />

geringer Bevölkerungsdichte wirtschaftlich<br />

<strong>und</strong> demografisch stabil sein.<br />

Kapitel 1<br />

<strong>Berlin</strong>-<strong>Institut</strong> 9

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!