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Land mit Aussicht - Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

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2<br />

Vom Armenhaus der<br />

Moorbauern zur<br />

agrarischen Dienstleistungsgesellschaft<br />

Das Oldenburger Münsterland im westlichen Niedersachsen<br />

Anfang des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts war das Oldenburger<br />

Münsterland einer der ärmsten <strong>und</strong><br />

strukturschwächsten <strong>Land</strong>striche des damaligen<br />

Deutschen B<strong>und</strong>es. Die Region war<br />

geprägt von Moorlandschaften, sandiger<br />

Geest <strong>und</strong> Heide <strong>mit</strong> entsprechend kargen,<br />

ertragsarmen Böden, die oft erst urbar gemacht<br />

werden mussten, bevor die Bauern <strong>mit</strong><br />

der Arbeit beginnen konnten. Der Lohn der<br />

mühseligen Beschäftigung in Moorkolonien<br />

oder am Rande der Moore reichte oft kaum<br />

zum Leben. Gerade im westlichen Niedersachsen<br />

galt die Redensart der Moorbauern<br />

„dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not,<br />

dem Dritten das Brot“.<br />

Obendrein gehörte Vielen nicht einmal der<br />

Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden, auf dem sie arbeiteten. Sie<br />

waren landlose Heuerleute, die in unsicheren<br />

Pachtverhältnissen lebten, „Brinksitzer“,<br />

Kleinstbauern <strong>und</strong> Tagelöhner, die am Rande<br />

des Dorfes auf leicht erhöhten Standorten,<br />

der „Brink“, <strong>mit</strong> schlechten Böden siedelten<br />

oder auf der „Allmende“, dem Allgemeingut<br />

der Dörfer. Als Folge des starken<br />

Bevölkerungswachstums zu Anfang des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts gab es immer mehr nachgeborene<br />

Bauernsöhne, die keinen Erbanspruch<br />

auf den elterlichen Besitz hatten <strong>und</strong> die<br />

Schicht der <strong>Land</strong>losen <strong>und</strong> Heuerleute stark<br />

anwachsen ließen. Mancherorts machte die<br />

unterbäuerliche Schicht bis zu 60 Prozent<br />

der Einwohner aus.<br />

Andernorts, im Schwarzwald oder im Erzgebirge,<br />

verhalf die Heimindustrie zu einem<br />

Zubrot – nicht so im Oldenburger Münsterland.<br />

Lediglich eine Korkschneiderei in Lohne<br />

<strong>und</strong> die verbreitete Strickerei brachten etwas<br />

Nebenverdienst. Allerdings waren selbst die<br />

genügsamen Heidschnucken als Wolllieferanten<br />

Teil einer typischen „Armutsökonomie“,<br />

denn Hausschafe ließen sich auf den Heide<strong>und</strong><br />

Moorlandschaften kaum halten. 13 Die<br />

minderwertige, grobe Heidschnuckenwolle<br />

war kaum verkäuflich <strong>und</strong> reichte meist nur<br />

für den Eigenbedarf.<br />

Die Not zwang viele zur Saisonarbeit in den<br />

benachbarten Niederlanden. Im Gegensatz<br />

zum Oldenburger Münsterland gehörte die<br />

damalige Handelsweltmacht <strong>mit</strong> ihren Kolonien<br />

in Südamerika, Afrika <strong>und</strong> Südostasien<br />

zu den wohlhabendsten Regionen Europas.<br />

Die „Hollandgänger“ fanden Beschäftigung<br />

in der <strong>Land</strong>wirtschaft, als Grasmäher oder<br />

Torfstecher. Einige wurden auch „Büßgänger“,<br />

also „Heringsfischer“, die auf der<br />

„Haringbius“, einem holländischen Fischkutter,<br />

angeheuert hatten. Das Ende der<br />

Hollandgängerei kam im frühen 19. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

als die Löhne sanken <strong>und</strong> das Nervenfieber<br />

Typhus in Holland grassierte, welches<br />

auch viele Angehörige zuhause dahinraffte.<br />

Um dem Elend <strong>und</strong> dem Bevölkerungsdruck<br />

zu entkommen <strong>und</strong> ein besseres Leben zu finden,<br />

waren zudem viele Menschen dauerhaft<br />

ausgewandert. Einige zog es ins nahe Holland<br />

oder nach Südosteuropa. Die meisten aber<br />

versuchten ihr Glück jenseits des Ozeans in<br />

Amerika. Die starke Auswanderung ebbte<br />

Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts ab. 13 Da<strong>mit</strong> einher<br />

ging ein tief greifender struktureller Wandel<br />

in der Region. Er vollzog sich in zwei wesentlichen<br />

Schritten über einen Zeitraum von fast<br />

h<strong>und</strong>ert Jahren.<br />

18 <strong>Land</strong> <strong>mit</strong> <strong>Aussicht</strong>

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