Land mit Aussicht - Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
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Mit Schiene <strong>und</strong> Dünger in die<br />
neue Zeit<br />
Obwohl die Oldenburger Regierung schon<br />
seit der Eingliederung des Oldenburger<br />
Münsterlandes in den Oldenburgischen Herrschaftsverband<br />
1803 Versuche unternommen<br />
hatte, die Isolation der südoldenburgischen<br />
Region <strong>mit</strong>tels Straßen- <strong>und</strong> Kanalbau<br />
zu überwinden, gelang der entscheidende<br />
Schritt erst 1875: Die Großherzoglich Oldenburgische<br />
Eisenbahn eröffnete den Zugang<br />
zu Märkten <strong>und</strong> Rohstoffen. Zunächst über<br />
die Linie Oldenburg – Cloppenburg – Quakenbrück<br />
<strong>und</strong> dann, 1876, über die Linie zwischen<br />
Quakenbrück <strong>und</strong> Osnabrück, die eine<br />
Verbindung zum Ruhrgebiet nach Rheine<br />
schaffte. Wenig später folgten die Nebenstrecken,<br />
die Vechta <strong>mit</strong> Lohne <strong>und</strong> Delmenhorst<br />
verbanden. 13<br />
Diese infrastrukturelle Neuerung hatte<br />
enorme Auswirkung auf die landwirtschaftliche<br />
<strong>Entwicklung</strong>. Wo sich zuvor mangels<br />
geeigneter Böden nicht genügend Feldfrüchte<br />
anbauen ließen, um da<strong>mit</strong> Tiere zu mästen,<br />
konnten die Bauern jetzt große Mengen Futter<strong>mit</strong>tel<br />
importieren. Sie begannen sich auf<br />
die Viehzucht zu konzentrieren <strong>und</strong> ebneten<br />
so den Weg zur heute so wichtigen Intensivtierhaltung.<br />
In deren Folge entstand eine<br />
Veredelungswirtschaft von Agrarprodukten,<br />
die zu einem wichtigen Standbein der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
wurde.<br />
Gleichzeitig ließen sich <strong>mit</strong> der Eisenbahn<br />
auch Dünge<strong>mit</strong>tel herbeischaffen. 1840<br />
hatte der deutsche Chemiker Justus von<br />
Liebig beschrieben, dass Pflanzen besser<br />
wuchsen, wenn man sie <strong>mit</strong> Extragaben von<br />
Stickstoff, Phosphat <strong>und</strong> Kalium versorgte.<br />
Diese Wachstumshelfer stammten zunächst<br />
aus natürlichen Quellen wie den südamerikanischen<br />
Guanominen <strong>und</strong> wurden per Schiff<br />
nach Europa <strong>und</strong> von den Häfen weiter <strong>mit</strong><br />
der Bahn zu den Abnehmern verfrachtet. Als<br />
dann der Chemiker Fritz Haber Anfang des<br />
20. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>mit</strong> der Ammoniak-Synthese<br />
eine Methode erfand, Stickstoff-Dünger<br />
industriell zu produzieren, verkürzten sich<br />
die Lieferwege für Dünge<strong>mit</strong>tel radikal. Mit<br />
diesen neuen Wirkstoffen konnten auch die<br />
Ödländereien für die <strong>Land</strong>wirtschaft urbar<br />
gemacht werden.<br />
Moor- <strong>und</strong> Ödlandflächen schrumpften<br />
zugunsten von Äckern. Die Flächenproduktivität<br />
stieg <strong>und</strong> kleinbäuerliche Strukturen<br />
wurden durch großbäuerliche Höfe abgelöst.<br />
Die Schafe verschwanden Zug um Zug aus der<br />
<strong>Land</strong>schaft. An ihrer Stelle wurden mehr <strong>und</strong><br />
mehr Schweine gehalten. Zur Modernisierung<br />
des Agrarsektors um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende<br />
gehörte auch die Gründung von <strong>Land</strong>wirtschaftsschulen<br />
durch das Großherzogtum<br />
Oldenburg.<br />
Träger der Agrarmodernisierung waren<br />
vorrangig die zuvor landlosen Heuerleute.<br />
Durch den nun möglichen Erwerb von eigenem<br />
Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden entkamen sie den<br />
drückenden Lasten der Hilfedienste für die<br />
Bauern oder mussten nicht mehr nach Amerika<br />
auswandern. Ohne die Angst im Nacken,<br />
das bestellte <strong>Land</strong> <strong>und</strong> die Erträge mehr<br />
oder weniger gr<strong>und</strong>los an den Verpächter zu<br />
verlieren, konnten sie für die eigene Zukunft<br />
planen. Fleiß zahlte sich nun un<strong>mit</strong>telbar<br />
aus <strong>und</strong> die <strong>Aussicht</strong> auf wirtschaftlichen<br />
Erfolg motivierte zusätzlich zur Arbeit <strong>und</strong><br />
Innovation. Die Tatkraft der Heuerleute trieb<br />
so beispielsweise die marktorientierte Mastschweinehaltung<br />
voran, die bis heute von<br />
großer wirtschaftlicher Bedeutung ist. 13<br />
Mit dieser <strong>Entwicklung</strong> ließ sich Ende des 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts die lange Isolation des Oldenburger<br />
Münsterlandes überwinden <strong>und</strong> der<br />
Gr<strong>und</strong>stein für den weiteren wirtschaftlichen<br />
Erfolg legen. Im Vergleich zu vielen anderen<br />
Teilen Deutschlands, aber auch innerhalb<br />
des Gebietes des heutigen B<strong>und</strong>eslandes<br />
Niedersachsen, blieb das Oldenburger<br />
Münsterland jedoch bis nach dem Ende des<br />
Zweiten Weltkriegs immer noch ein Armenhaus.<br />
Es mangelte an der Wasser- <strong>und</strong> Stromversorgung,<br />
wie auch an einer effizienten<br />
Verkehrsanschließung.<br />
Kapitel 2<br />
<strong>Berlin</strong>-<strong>Institut</strong> 19