Land mit Aussicht - Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
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der <strong>Land</strong>schaft. In den kleinen Siedlungen,<br />
die auf Namen wie Friesoyte oder Bakum<br />
hören, berichten die Lokalzeitungen, am<br />
Montag im Sportteil über das „Boßeln“, eine<br />
Art Freiluftbowling ohne Kegel, von der der<br />
überwiegende Teil der Deutschen noch nie<br />
etwas gehört haben dürfte.<br />
Das alles hört sich nicht sonderlich attraktiv<br />
an. Dennoch verzeichnet das Oldenburger<br />
Münsterland mehr Zu- als Abwanderung. Und<br />
es hat die <strong>mit</strong> Abstand höchsten Kinderzahlen<br />
in ganz Deutschland. Auch das ist ungewöhnlich,<br />
denn auf dem <strong>Land</strong> sind heute,<br />
anders als früher, niedrige Kinderzahlen die<br />
Norm. In ganz Europa, in Nordspanien oder<br />
Süditalien, im bayerischen Wald oder der<br />
Südwestpfalz, fehlt es den ländlichen Gebieten<br />
an Nachwuchs.<br />
Die Vermutung, es handle sich bei dem<br />
Olden burger Münsterland um ein zurückgebliebenes<br />
Gebiet, in dem die Zeit der <strong>Land</strong>flucht<br />
<strong>und</strong> der Trend zu kleinen Familien einfach<br />
noch nicht angekommen ist, wird so<strong>mit</strong><br />
von Anfang an widerlegt. Wo sich Wirtschaft<br />
<strong>und</strong> Bevölkerung so positiv entwickeln, kann<br />
von Rückstand nicht die Rede sein.<br />
Die Fragen drängen sich auf, ob es sich beim<br />
Oldenburger Münsterland um eine Region<br />
handelt, die ein gleichermaßen familien- wie<br />
wirtschaftsfre<strong>und</strong>liches Klima vorweist. Ob<br />
sich der Kinderreichtum auf die Wirtschaft<br />
auswirkt oder umgekehrt. Oder welche anderen<br />
Faktoren dabei eine Rolle spielen.<br />
Die vorliegende Studie untersucht, inwieweit<br />
sich hinter dem Familien- <strong>und</strong> Wirtschaftsmodell<br />
des Oldenburger Münsterlandes ein<br />
Prinzip verbirgt, von dem andere ländliche<br />
Regionen, denen es schlechter geht, etwas<br />
lernen können. Vor allem in den neuen<br />
B<strong>und</strong>esländern, wo seit der Wende die peripheren<br />
Regionen geradezu ausbluten <strong>und</strong><br />
wo die <strong>Land</strong>wirtschaft, die im Oldenburger<br />
Münsterland im Zentrum des Wirtschaftsgeschehens<br />
steht, nur noch wenige Menschen<br />
ernähren kann.<br />
Das Sozialkapital ist die Basis für die<br />
<strong>Entwicklung</strong> ländlicher Räume<br />
Sicher ist, dass im Westen von Niedersachsen<br />
ein ganz spezieller Menschenschlag<br />
zuhause ist, der traditionell die Dinge selbst<br />
in die Hand nimmt <strong>und</strong> sich nicht auf andere<br />
verlässt. Bis vor einem halben Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
war die Gegend bettelarm. Die Menschen<br />
haben gelernt, aus wenig viel zu machen <strong>und</strong><br />
<strong>mit</strong> einfachen Mitteln zu überleben. Sicher<br />
ist auch, dass die Gegend einst erzkatholisch<br />
war <strong>und</strong> Familie <strong>und</strong> Nachbarschaftshilfe<br />
sowie klare soziale Regeln die Gr<strong>und</strong>pfeiler<br />
des Zusammenlebens bildeten. Die tiefe<br />
Zugehörigkeit zur Religion hat sich ver ändert.<br />
Aber die prägenden Elemente der alten<br />
Zeit – Fleiß, Solidarität <strong>und</strong> Bodenständig -<br />
keit – sind geblieben.<br />
All dies sind Eigenschaften, die zu Zeiten,<br />
da sich der Staat immer mehr von seinen<br />
Auf gaben zurückzieht, für die Gesellschaft<br />
immer wichtiger werden. Gerade ländliche<br />
Gebiete, die nicht von Investoren <strong>mit</strong> Arbeitsplätzen<br />
überschüttet werden, sind auf ihre<br />
eigenen Potenziale angewiesen <strong>und</strong> dazu<br />
gehören besonders die Fähigkeiten ihrer<br />
Bewohner.<br />
Das Ehrenamt seiner Bürger sei unbezahlbar,<br />
meint Wolfgang Wiese, der Bürgermeister<br />
von Cloppenburg, weil keine staatliche Struktur<br />
diese Arbeit leisten könnte. Die Stadt hat<br />
32.000 Einwohner, aber 180 eingetragene<br />
Vereine <strong>und</strong> eine Menge weiterer inoffizieller<br />
Gruppierungen. Was die Menschen<br />
in Sport- <strong>und</strong> Heimatvereinen, in der Kirche,<br />
in Verbänden, in der Nachbarschaftshilfe<br />
leisten <strong>und</strong> an Verantwortung übernehmen,<br />
auf Neudeutsch: das Sozialkapital, bildet das<br />
F<strong>und</strong>ament des überaus erfolgreichen gesellschaftlichen<br />
<strong>und</strong> wirtschaftlichen Zusammenlebens.<br />
Und das ist eine gute Nachricht<br />
in schwierigen Zeiten: Es sind immer noch<br />
die Menschen selbst, die über ihre Zukunft<br />
bestimmen.<br />
<strong>Berlin</strong>, im März 2009<br />
Reiner Klingholz<br />
Direktor <strong>Berlin</strong>-<strong>Institut</strong> für Bevölkerung<br />
<strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
<strong>Berlin</strong>-<strong>Institut</strong> 5