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Land mit Aussicht - Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

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dessen Neffen Ferdinand von Bayern. Aber es<br />

war ein besonderer Katholizismus, denn die<br />

Reformation hatte in der Region ihre Spuren<br />

hinterlassen. Anders als der „rheinländischfröhliche<br />

Katholizismus“, meint der Wirtschaftswissenschaftler<br />

Hermann von Laer,<br />

beruht er auf einem starken Arbeitsethos <strong>und</strong><br />

trägt deswegen calvinistische Züge.<br />

Mit Ende des Dreißigjährigen Krieges waren<br />

die kirchlichen Grenzen der Region neu gezogen.<br />

Das Niederstift Münster gehörte jetzt<br />

auch kirchenrechtlich zum katholischen Bistum<br />

Münster, während im oldenburgischen<br />

<strong>und</strong> ostfriesischen Norden, im niederländischen<br />

Westen <strong>und</strong> im Osten die Protestanten<br />

saßen. Die Region des gesamten Fürstbistums<br />

Münster war zu einer katholischen<br />

Insel im protestantischen Gebiet geworden.<br />

Nachdem die äußerliche Rekatholisierung abgeschlossen<br />

war, begann Christoph Bernhard<br />

von Galen, der neue Bischof von Münster,<br />

den katholischen Glauben ins Volk zu tragen.<br />

Er warb für Wallfahrten, stiftete Kirchen <strong>und</strong><br />

Altäre <strong>und</strong> verpflichtete die Pfarrer, dort zu<br />

leben, wo sie auch predigten, da<strong>mit</strong> sie die<br />

Seelsorge <strong>und</strong> andere Verpflichtungen nicht<br />

vernachlässigten. 26 Vor allem aber führte er<br />

die allgemeine Schulpflicht für Jungen <strong>und</strong><br />

Mädchen ein, die er 1675 auf einer der zahlreichen<br />

Synoden verkündete:<br />

„Und weil der Unterricht der Jugend von einer<br />

solchen Bedeutung ist, dass von ihr fast das<br />

ganze Heil des christlichen Staates <strong>und</strong> sein<br />

Verderben abhängt, sollen fortan in allen<br />

Städten, Gemeinden, Dörfern <strong>und</strong> anderen<br />

geeigneten Orten für die Kinder beiderlei<br />

Geschlechtes deutsche Schulen errichtet <strong>und</strong><br />

unterhalten werden, <strong>und</strong> wo sie aber eingestellt<br />

sind, ohne Verzug wiederhergestellt<br />

werden, auch in den entlegeneren Bauernschaften<br />

soll es Nebenschulen geben“. 26<br />

Die Kirche war aus höheren Sphären zu einer<br />

Organisation herabgestiegen, die sich dem<br />

Gemeinwohl verpflichtet sah. Nicht nur der<br />

konfessionelle Unterricht <strong>und</strong> die Gottesdienste<br />

begleiteten das Leben der Menschen.<br />

Die Religion war allgegenwärtig – von der<br />

Wiege bis zur Bahre. Die Menschen wurden<br />

in katholischen Zeremonien getauft <strong>und</strong><br />

getraut, in katholischen Schulen unterrichtet<br />

<strong>und</strong> letztendlich auf katholischen Friedhöfen<br />

beerdigt. 27 Die Kirche bildete das soziale<br />

Rückgrat der Region. Christoph Bernhard von<br />

Gahlen legte in dieser Zeit den Gr<strong>und</strong>stein für<br />

die starke religiöse Prägung der Region, die<br />

bis heute die Regeln des sozialen Miteinanders<br />

<strong>und</strong> vor allem das Selbstverständnis der<br />

Menschen beeinflusst.<br />

War das Fürstbistum Münster schon eine<br />

katholische Insel, so trifft dies für das Niederstift<br />

seit Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts erst<br />

recht zu. Denn als Folge der Revolutionskriege<br />

1792 bis 1802 in Europa wurde das<br />

Niederstift Münster säkularisiert – das heißt,<br />

die Ämter wurden verstaatlicht. Vechta <strong>und</strong><br />

Cloppenburg fielen an den protestantischen<br />

Herzog von Oldenburg. Die kirchliche Zugehörigkeit<br />

zu Münster blieb jedoch weiterhin<br />

bestehen. Diese Besonderheit brachte der<br />

Region den Namen Oldenburger Münsterland<br />

ein. Die Gegend war endgültig zum<br />

katholischen Diasporagebiet geworden. Das<br />

Oldenburger Münsterland erhielt sogar eine<br />

eigene katholische Vertretung des Bischofs<br />

von Münster, die dem Offizial in Vechta den<br />

scherzhaften Namen „Moorpapst“ eingebracht<br />

hat. 28 Die religiöse Insellage untermauerte<br />

jene der weiten Moorlandschaften,<br />

die seit Jahrh<strong>und</strong>erten für eine Isolation<br />

gesorgt hatten.<br />

Gemeinschaft vor Privatinteresse<br />

Wie sich diese auf die sozialen Beziehungen<br />

ausgewirkt hat, beschreibt die Regionalhistorikerin<br />

Maria Anna Zumholz. Sie bezeichnet<br />

das gesellschaftliche Leben im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

in erster Linie als eingeschworene<br />

Solidargemeinschaft, in der jeder über jeden<br />

Bescheid wusste <strong>und</strong> der Familienname für<br />

den gesellschaftlichen Status eine wesentliche<br />

Rolle spielte. Die Menschen fristeten ein<br />

karges Leben, die beschwerliche Arbeit auf<br />

den Moor- <strong>und</strong> Ödlandflächen sicherte nur<br />

ein Überleben auf niedrigem Niveau. Verlass<br />

war dabei lediglich auf die nächsten Nachbarn<br />

<strong>und</strong> Verwandten. Sie halfen bei Hochzeitsvorbereitungen<br />

<strong>und</strong> Taufen, bei Hausbau<br />

<strong>und</strong> Ernte, aber auch in der Not – bei Bränden<br />

oder Unfällen. Ob erster, zweiter oder dritter<br />

Nachbar, so Maria Anna Zumholz, jeder hatte<br />

den Anderen gegenüber Verpflichtungen.<br />

Die Familien waren groß <strong>und</strong> weit verzweigt,<br />

denn die Klein- <strong>und</strong> Großbauern, aber auch<br />

die Heuerleute hatten viele Kinder. Die Kleinen<br />

mussten früh bei den bäuerlichen Arbeiten<br />

<strong>mit</strong> anpacken. Das abgeschiedene Leben<br />

lehrte die Menschen praktisch zu denken <strong>und</strong><br />

zu handeln, die Dinge selbst in die Hand zu<br />

nehmen.<br />

Das familiäre Gedächtnis über Stand <strong>und</strong><br />

Anstand reichte weit zurück. Auf der einen<br />

Seite stand jeder unter sozialer Kontrolle,<br />

auf der anderen konnten sich alle auf die<br />

verwandtschaftliche <strong>und</strong> nachbarschaftliche<br />

Gemeinschaft verlassen. Jeder Einzelne hatte<br />

zum Funktionieren der Gemeinschaft beizutragen<br />

– <strong>mit</strong>unter auch durch Aufgabe seiner<br />

eigenen Interessen. Das Wohl <strong>und</strong> Ansehen<br />

der Familie ging vor. Das galt beispielsweise<br />

auch für das Heiratsverhalten.<br />

24 <strong>Land</strong> <strong>mit</strong> <strong>Aussicht</strong>

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