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Essay<br />

ihre Studentinnen? Diese sind zwar erwachsen, aber<br />

wenn die Beziehung während des Studiums, d.h. eines<br />

Abhängigkeitsverhältnisses beginnt, ist das zumindest<br />

problematisch, wenn nicht Missbrauch in Abhängigkeitsverhältnissen.<br />

Es ist keine Frage der Zustimmung, ob eine Handlung<br />

einer erwachsenen Person gegenüber einem Kind<br />

oder Jugendlichen sexueller Missbrauch ist. Auch<br />

wenn jugendliche Mädchen, die in ihre Lehrer/innen<br />

und Betreuer/innen verliebt sind, sich eine Beziehung<br />

wünschen und einverstanden sind, bleibt es sexueller<br />

Missbrauch. Professionalität zeichnet sich gerade dadurch<br />

aus, den Verführungen, die von Jugendlichen<br />

zweifelsohne ausgehen, zu widerstehen und die Grenzen<br />

klar zu halten. Wenn die eigenen Gefühle dazwischen<br />

kommen, braucht es kollegiale Beratung und ein<br />

klares Bewusstsein der Grenze, die nicht überschritten<br />

werden darf.<br />

Die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche den sexuellen<br />

Missbrauch selten als solchen benennen würden<br />

- außer wenn er mit physischer Gewalt einher geht —<br />

sondern, dass die vom Täter oder der Täterin geschickt<br />

instrumentalisierte besondere Beziehung im Vordergrund<br />

der Wahrnehmung steht, muss uns in der Interventions-<br />

und Präventionsarbeit bewusst sein, sonst erreichen<br />

unsere Botschaften die Jugendlichen nicht.<br />

Warum hat das Wissen, das die<br />

Fachberatungsstellen seit über 20 Jahren haben,<br />

wenig Eingang ins öffentliche Bewusstsein<br />

gefunden?<br />

Die Zeit scheint reif zu sein für eine gesellschaftliche<br />

Auseinandersetzung mit dem Thema, die Diskussion<br />

um die Misshandlungen von Kindern in Heimen hat<br />

sicher auch zu diesem Klima beigetragen. Die öffentliche<br />

Aufmerksamkeit funktioniert in Wellen, selten kann<br />

ein Thema sehr lange in den Medien gehalten werden,<br />

außer wenn täglich neue Wahrheiten ans Licht kommen.<br />

Im Moment erleben wir ein Massenphänomen.<br />

Das Besondere ist, dass die Betroffenen selbst sprechen<br />

und teilweise auch gehört werden. Da eine anerkannte<br />

gesellschaftliche Gruppe das Wort ergreift und wir<br />

über Missbrauch an Eliteschulen sprechen, führt kein<br />

Weg daran vorbei, die Betroffenen endlich ernst zu nehmen.<br />

Ein weiterer Faktor ist sicher, dass die Männer, die<br />

sich in den letzten Monaten geäußert haben als Personen,<br />

die sexuellen Missbrauch erlebt haben, nicht aus<br />

der Opferposition heraus gesprochen haben, sondern<br />

selbstbewusst aufgetreten sind und ihre Rechte eingefordert<br />

haben.<br />

Warum ist uns Frauen das nicht schon früher gelungen?<br />

Warum hat das Wissen, das die Fachberatungsstellen<br />

seit über 20 Jahren haben, wenig Eingang ins öffentliche<br />

Bewusstsein gefunden? Warum hat es die erwachsenen<br />

Betroffenen, die jetzt sprechen, nicht erreicht?<br />

Ein Diskurs und eine mediale Inszenierung, die darauf<br />

abzielen, „Opferbilder“ zu produzieren und beständig<br />

zu reproduzieren, verstellt den Blick auf die realen Erfahrungen<br />

derjenigen, die sexuelle Gewalt erlebt haben,<br />

und weder ins „Opfer“bild passen noch sich diesem<br />

Bild anpassen wollen. Menschen, die sexuelle Gewalt<br />

in der Kindheit überlebt haben und als Erwachsene ein<br />

„normales“, erfülltes Leben fuhren, passen nicht in das<br />

mediale Bild. Immer wieder entsprechen wir nicht den<br />

Erwartungen der Journalistinnen, weil die Kolleginnen,<br />

die sexuelle Gewalt in der Kindheit erlebt haben, sich<br />

weigern, das Opferklischee zu bedienen.<br />

Warum sind Bewältigungserfahrungen so viel<br />

uninteressanter als Leidensgeschichten?<br />

In der momentanen Debatte wirken auch Geschlechterverhältnisse,<br />

und die Position der Sprechenden spielt<br />

eine Rolle. Wenn die Elite so massenhaft spricht und<br />

gleichzeitig auch über die mediale Inszenierung unmittelbar<br />

die Produktion des Diskurses gestaltet, werden<br />

die Institutionen durch öffentlichen, medialen Druck<br />

gezwungen, ihre Untätigkeit, das Verleugnen, Verdunkeln<br />

und Bagatellisieren zumindest aktuell aufzugeben.<br />

Dazu ist öffentlicher Druck vermutlich das einzige in<br />

dieser Dimension wirksame Mittel, denn der institutionsimmanente<br />

Impuls ist der Schutz des guten Rufs der<br />

Organisation vor dem Angriff von innen und außen<br />

und der Rückzug nach innen. Diese Strategie funktioniert<br />

angesichts der öffentlichen Beobachtung und der<br />

anerkannten Position der Betroffenen, die sprechen,<br />

und der Art und Weise, wie sie sprechen, momentan<br />

nicht mehr.<br />

Bleibt die Frage, was bleibt, wenn die mediale Welle abebbt<br />

und der öffentliche Druck geringer wird. Werden<br />

die Ohren offen bleiben für die unglaublichen Wahrheiten<br />

der Betroffenen? Oder ist es möglich, hinter die<br />

Aufmerksamkeit zurück zu gehen?<br />

Über die Chancen, den Diskurs zu gestalten und<br />

zu bestimmen<br />

Die Chance, aus der Betroffenenperspektive die politische<br />

und öffentliche Diskussion zu beeinflussen, ist so<br />

groß wie noch nie. Nutzen wir die Chance, die Forderungen,<br />

die sich aus unserem Wissen um die erfahrene<br />

sexuelle Gewalt und ihre Bewältigung für diese Gesellschaft<br />

entwickelt haben, öffentlich zu machen und den<br />

Diskurs selbst zu bestimmen oder zumindest mitzugestalten!<br />

Kontakt zur Autorin: Wildwasser e.V., Wriezener<br />

Str. 10/11, 13359 Berlin, Tel.:030/48628232; email:<br />

geschaeftsfuehrung@wildwasser<br />

Oktober 2010 27

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