PSC 6-01 - FSP
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P s y c h o s c o p e 6 / 2 0 0 1 16/17<br />
wer jemanden tätlich oder in grober<br />
Weise durch Worte sexuell belästigt<br />
(etwa, wenn ein Patient der Krankenschwester<br />
an den Hintern greift).<br />
Es gibt je nach Schwere der Übergriffe<br />
zwei Verfahren zur Ahndung sexueller<br />
Übergriffe.<br />
● Das Strafverfahren: Ein Strafverfahren<br />
wird durch eine Anzeige<br />
ausgelöst. Grundsätzlich sind wir alle<br />
berechtigt, eine Anzeige einzureichen.<br />
Es gibt Personen die anzeigepflichtig<br />
sind. Dies ist kantonal geregelt. In vielen<br />
Kantonen sind Staatsangestellte –<br />
also auch MitarbeiterInnen von staatlichen<br />
Spitälern – anzeigepflichtig. Die<br />
Frage der Anzeigepflicht muss individuell<br />
abgeklärt werden. Das Strafverfahren<br />
findet im Kanton respektive im<br />
Bezirk statt, in dem die Straftat begangen<br />
wurde. Deswegen sollte eine Anzeige<br />
auch dort eingereicht werden.<br />
Ist eine Anzeige eingereicht, so gibt es<br />
kein Zurück mehr. Die Straftatbestände,<br />
die bei sexuellen Übergriffen zur<br />
Anwendung kommen, sind Offizialdelikte;<br />
der Staat muss diese Strafverfahren<br />
zum Abschluss führen. Eine<br />
Ausnahme bilden die Verfahren wegen<br />
sexueller Belästigung.<br />
Nach der Einreichung der Anzeige<br />
erfolgen erste Massnahmen durch die<br />
Polizei. Diese hat die ersten Ermittlungen<br />
zu treffen (Spuren sichern,<br />
erstes Protokoll erstellen). In einem<br />
zweiten Schritt gehen die Akten an<br />
eine Untersuchungsbehörde, welche<br />
dann noch genauer die Beweise erhebt,<br />
insbesondere Befragungen durchführt,<br />
Gutachten einholt, Augenscheine vornimmt.<br />
Befragt werden der Angeklagte,<br />
das Opfer und ZeugInnen.<br />
Wenn eine Patientin oder ein Patient<br />
betroffen ist, werden die SpitalmitarbeiterInnen<br />
unter Umständen als<br />
ZeugInnen vorgeladen. Es ist deswegen<br />
sehr wichtig, dass MitarbeiterInnen<br />
im Spital bei einem Verdacht<br />
ihre diesbezüglichen Wahrnehmungen<br />
möglichst genau aufschreiben, auch<br />
wenn noch völlig offen ist, ob je einmal<br />
ein Strafverfahren eingeleitet wird.<br />
Diese Beobachtungen und die Wahrnehmungen<br />
können unter Umständen<br />
zu einem viel späteren Zeitpunkt sehr<br />
wichtig und hilfreich für das Verfahren<br />
sein. Auf jedem Fall ist es ganz wichtig,<br />
sehr sensibel mit Daten und Fragen<br />
umzugehen. Offen zu sein und<br />
Wahrnehmungen zu registrieren heisst<br />
nicht, mögliche Opfer auszufragen. Es<br />
ist nicht Aufgabe der Pflegepersonen,<br />
Detektiv zu spielen. Die Unterstützung<br />
einer betroffenen Person kann in der<br />
Vermittlung von Beratungsangeboten<br />
oder in der Vernetzung mit professioneller<br />
Beratung bestehen. Wichtig ist<br />
es, Vertrauensperson für sie zu sein.<br />
In Strafverfahren wegen Verletzung der<br />
sexuellen Integrität ist die Beweisführung<br />
schwierig, aber nicht unmöglich.<br />
Oft steht Aussage gegen Aussage. Die<br />
Aussagen des Opfers sind meist die<br />
einzigen Beweise. Ebenso oft bestreitet<br />
der Täter jede Verantwortung. Das<br />
Gericht hat dann zu entscheiden, wer<br />
glaubwürdig ist. Die Untersuchungsbehörden<br />
oder das Gericht können zur<br />
Klärung dieser Frage ein Glaubwürdigkeitsgutachten<br />
in Auftrag geben.<br />
Bestehen Zweifel an der strafrechtlichen<br />
Verantwortung eines Angeklagten,<br />
wird das Gericht den Angeklagten<br />
im Zweifel freisprechen. Diese<br />
Situation ist für ein Opfer sehr schwierig.<br />
Es bleibt beim Opfer immer der<br />
Eindruck zurück, dass ihm nicht<br />
geglaubt wurde und es wieder völlig<br />
respektlos behandelt wurde.<br />
Wohl bedeutet jedes Strafverfahren<br />
eine Belastung für die betroffene<br />
Person. Seit dem 1. 1. 1993 ist aber<br />
das Opferhilfegesetz in Kraft. Dieses<br />
eidgenössische Gesetz hat die Rechte<br />
der Opfer wesentlich verbessert. Das<br />
Opfer eines Verfahrens wegen Verletzung<br />
der sexuellen Integrität hat beispielsweise<br />
die Möglichkeit, sich bei<br />
allen Befragungen durch eine Vertrauensperson<br />
begleiten zu lassen und bei<br />
der eigenen Befragung den Ausschluss<br />
des Angeklagten zu verlangen.<br />
● Spezielles Verfahren bei sexueller<br />
Belästigung: Bei sexueller Belästigung<br />
am Arbeitsplatz gibt es nebst oder an<br />
Stelle des strafrechtlichen Verfahrens<br />
die Möglichkeit, ein Verfahren wegen<br />
Diskriminierung einzureichen. Die<br />
Kantone haben dafür spezielle gerichtliche<br />
Instanzen mit einem einfachen<br />
und kostengünstigen Verfahren vorzusehen.<br />
Grundlage für dieses Verfahren<br />
bilden das eidgenössische Gleichstellungsgesetz<br />
und entsprechende kantonale<br />
Verordnungen. Diese sehen vor,<br />
dass jeder Arbeitgeber dafür zu sorgen<br />
hat, dass in seinem Betrieb keine<br />
sexuelle Belästigung vorkommt.<br />
Verboten sind unter anderem anzügliche<br />
Witze, pornografische Bilder<br />
oder Poster und selbstverständlich auch<br />
weitere unliebsame Verhaltensweisen<br />
mit sexuellem Bezug. Diese Verpflichtung<br />
gilt selbstverständlich auch für<br />
die Spitäler, unabhängig davon, ob<br />
diese staatlich oder privat sind.<br />
Schadenersatzpflicht<br />
Bleibt ein Arbeitgeber untätig, obwohl<br />
er weiss, dass solch unliebsames Verhalten<br />
in seinem Betrieb vorkommt, so<br />
verletzt er dadurch seine Pflicht zum<br />
Schutz der Persönlichkeit der MitarbeiterInnen<br />
und wird schadenersatzpflichtig.<br />
In diversen Kantonen sowie auch in<br />
grösseren Firmen und Institutionen<br />
gibt es Vertrauenspersonen, die bei<br />
sexueller Belästigung am Arbeitsplatz<br />
als Ansprechpersonen im Betrieb eingesetzt<br />
sind. Diese Vertrauenspersonen<br />
sind eigens für die Beratung und<br />
Unterstützung von betroffenen MitarbeiterInnen<br />
geschult. Sie können<br />
unter Umständen ein betriebsinternes<br />
Beschwerdeverfahren durchführen.<br />
Dabei ist es wichtig, dass sich der<br />
Arbeitgeber respektive die Institution<br />
zu einer klaren Haltung bezüglich<br />
sexuellen Grenzverletzungen bekennt,<br />
die Kompetenzen und das betriebsinterne<br />
Verfahren regelt und dies alles in<br />
einem schriftlichen Reglement festhält.<br />
Wichtig ist auch, dass diese Reglemente<br />
prozesshaft erarbeitet und<br />
umgesetzt werden und dass alle<br />
Personen, die in einem Betrieb tätig<br />
sind, dabei einbezogen werden. Mit der<br />
Erarbeitung solcher Reglemente leistet<br />
das Recht auch einen Beitrag zur Prävention<br />
vor sexuellen Grenzverletzungen.