PSC 10-08 - FSP
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Kein Profit aus den Ängsten der Menschen<br />
Christophe Darbellay zeigt sich besorgt über die generelle<br />
Zunahme psychischer Probleme. Im Psychoscope-<br />
Interview befürwortet der CVP-Präsident die Klärung des<br />
Psychologie-Berufsbilds sowie Bundesregelungen zum<br />
Schutz und zur Förderung der Jugend.<br />
Herr Darbellay, gibt es in Ihrem Alltag Berührungspunkte<br />
zur Arbeit von PsychologInnen<br />
mit Kindern, Erwachsenen, Familien<br />
und älteren Menschen?<br />
Christophe Darbellay: Vielleicht öfters<br />
als ich es bemerke? Spass beiseite:<br />
In meiner Funktion als Präsident<br />
des « Institut international des<br />
droits de l’enfant » in Sion habe ich<br />
zum Beispiel öfters mit psychologischen<br />
Fragestellungen und Fachpersonen<br />
zu tun. Sei es bei Fragen<br />
des Kinderschutzes, der Jugendgewalt<br />
oder der Familienpolitik.<br />
Wussten Sie, dass sich in der Schweiz immer<br />
noch jedermann «Psychologin» oder<br />
«Psychologe» nennen darf?<br />
Die Sachlage ist mir bewusst. Ich<br />
habe den Eindruck, dass Angebote<br />
von Personen ohne genügende Fachkompetenzen<br />
immer häufiger aus<br />
dem Boden spriessen. Offensichtlich<br />
wollen immer mehr Leute Profit aus<br />
den zunehmenden Problemen und<br />
Ängsten der Menschen schlagen.<br />
Das Psychologieberufegesetz (PsyG) soll<br />
Mitte nächsten Jahres ins Parlament kommen<br />
und den Wildwuchs eindämmen sowie<br />
die Qualität der Leistungen für ratsuchende<br />
Menschen erhöhen.<br />
Die Schweiz hat bei vielen Berufsbezeichnungen<br />
eine sehr liberale Praxis,<br />
häufig liberaler als in den umliegenden<br />
Staaten. Ein Paradebeispiel<br />
liefern die Architekten. Die fehlenden<br />
Regelungen können zu vielen Unklarheiten<br />
für die «Kundschaft», aber<br />
auch zu Problemen bei der beruflichen<br />
Mobilität mit der EU führen.<br />
Ich frage mich, ob dieser Zustand<br />
wirklich im öffentlichen Interesse<br />
liegt. In diesem Sinne bin ich für die<br />
Klärung des Berufsbildes auch der<br />
Psychologen vis-à-vis der Öffentlichkeit.<br />
Selbst wenn eine gute Ausbildung<br />
nicht automatisch eine gute Berufsausübung<br />
garantiert.<br />
Sie haben diverse Motionen mitunterschrieben,<br />
die der <strong>FSP</strong> wichtig sind: Zur<br />
Verbesserung der psychischen Gesundheit,<br />
zur Stärkung der Familien, zur Prävention<br />
und Eindämmung von Jugendgewalt ...<br />
Als Familienpartei sind dies ganz zentrale<br />
Themen der CVP. Wir wollen<br />
und können das Rad der Zeit nicht<br />
zurückdrehen und brauchen flexible<br />
Lösungen, die den unterschiedlichen<br />
Notwendigkeiten und Bedürfnissen<br />
der Menschen in der heutigen Zeit<br />
zu Gute kommen. Dabei müssen wir<br />
gute Lösungen für ganz unterschiedliche<br />
Lebensformen finden. Die CVP<br />
gesteht den Familien zu, dass sie die<br />
Form des Zusammenlebens und der<br />
Arbeitsaufteilung selbst bestimmen.<br />
Zum Beispiel sollen Mütter ihre Kinder<br />
nicht zwingend zu <strong>10</strong>0 Prozent,<br />
gewissermassen 24 Stunden am Tag,<br />
betreuen müssen, nur weil dies einem<br />
traditionellen Familienbild entspricht.<br />
In meiner engeren Familie erlebe ich<br />
ganz traditionelle und ganz moderne<br />
Formen, die sich bestens entwickeln<br />
– sowohl für die Kinder wie auch für<br />
die erziehenden und berufstätigen Eltern.<br />
Die Qualität der Erziehung und<br />
Förderung von Kindern hängt nicht<br />
von der stundenmässigen Präsenz der<br />
«alleinerziehenden» Mutter ab.<br />
Der Kanton Wallis hat den Kinderschutz<br />
und die spezialisierte Jugendhilfe gesetzlich<br />
zentralisiert und gestärkt. Der Bund erklärt<br />
sich als nicht zuständig …<br />
Bei Erziehungs- und Familienfragen<br />
ist die Nähe zu den Bürgerinnen<br />
und Bürgern sehr wichtig. Viele konkrete<br />
Fragen können deshalb nicht<br />
in einer zentralen Stelle in Bern, zum<br />
Beispiel im Bundesamt für Sozialversicherung,<br />
entschieden werden. Die<br />
Kantone und besonders die Gemeinden<br />
sind viel näher bei den Menschen<br />
und ihren Bedürfnissen. Allerdings<br />
trete ich dafür ein, dass der<br />
Bund Standards festlegt und koordiniert.<br />
Ohne nationale Standards passiert<br />
in einigen Kantonen gar nichts.<br />
Und weil es nicht sein darf, dass zentrale<br />
Lebensfragen für die persönliche<br />
Entwicklung eines Menschen<br />
je nach Kanton völlig unterschiedlich<br />
oder gar nicht angegangen werden,<br />
setzt sich die CVP für ein Rahmengesetz<br />
des Bundes zum Schutz und zur<br />
Förderung der Jugend ein.<br />
Jährlich erkranken 70’000 Menschen an<br />
einer psychischen Erkrankung; die Hälfte<br />
davon vor dem 14. Lebensjahr. Tendenz<br />
weltweit steigend. Der Bund hat bisher 90<br />
Stellenprozente für diese Anliegen reserviert<br />
und sieht keine Massnahmen vor …<br />
Die Zunahme der psychischen Probleme<br />
ist mir bekannt und macht mir<br />
Sorgen. Die Schweiz weist die höchsten<br />
Suizidraten aus. Das Ausmass<br />
psychischer Erkrankungen bei den<br />
Kindern und Jugendlichen war mir<br />
so nicht bekannt. Ich bin gerne bereit,<br />
mich mit entsprechenden Fakten<br />
vertraut zu machen. Bei den Anstrengungen<br />
des Bundes für die psychische<br />
Gesundheit gehe ich davon<br />
aus, dass insgesamt mehr unternommen<br />
wird als offenbar im Stellenplan<br />
des BAG zum Ausdruck kommt.<br />
Denken wir konkret an die Anstrengungen<br />
im BSV und die Massnahmen<br />
der 5. IV-Revision.<br />
Die <strong>FSP</strong> verlangt in der Vernehmlassung<br />
zum Präventionsgesetz, dass psychische<br />
Gesundheit bzw. psychische Erkrankungen<br />
explizit aufgeführt werden.<br />
Wie stellen Sie sich dazu?<br />
Ich kann der Position zustimmen,<br />
dass zu Gunsten der psychischen Gesundheit<br />
Strategien auf Bundesebe-<br />
25<br />
<strong>FSP</strong> AKTUELL<br />
PSYCHOSCOPE <strong>10</strong>/20<strong>08</strong>