PSC 10-08 - FSP
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antwortung für die Tat zu übernehmen und das Delikt<br />
innerhalb seiner Kausalkette zu verarbeiten. In der deliktspezifischen<br />
Arbeit geht es darum, ein dem Delikt<br />
adäquates Schuldbewusstsein und eine Opferempathie<br />
zu erarbeiten, mit dem Ziel, weiteres Delinquieren zu<br />
verhindern.<br />
Die Deliktverarbeitung von Männern und Frauen unterscheidet<br />
sich jedoch: Ist der Mann, der zum Täter<br />
wird, innerhalb seiner gesellschaftlichen Rolle zu weit<br />
gegangen, so hat die Frau mit ihrer gesellschaftlichen<br />
Rolle gebrochen. Dieser Bruch löst bei den Täterinnen<br />
zusätzlich sehr viele Emotionen aus. Frauen fühlen<br />
sich doppelt schuldig, so dass sie entweder die Schuldgefühle<br />
zu sehr verinnerlichen oder die Schuld abspalten<br />
und damit ihre Verantwortung für das Delikt völlig<br />
ablehnen. In beiden Fällen aber scheinen sie durch ihren<br />
Rollenbruch nicht nur überrascht und erschrocken<br />
zu sein, sondern auf traumatisierende Weise bis in ihre<br />
Grundstruktur verunsichert.<br />
Bei der Deliktarbeit mit Frauen geht es deshalb viel<br />
mehr als bei den Männern um eine Gratwanderung<br />
zwischen Behutsamkeit, wenn die Schuldgefühle zu<br />
gross sind, und Konfrontation, wenn die Schuld völlig<br />
abgespalten wird. Bei beiden beschriebenen Täterinnentypen<br />
gilt es darum, ein adäquates Mass an<br />
Schuldempfinden herzustellen. Gelingt dies, können<br />
im Extremfall sogar Selbsttötungen verhindert werden.<br />
Alleingelassene PraktikerInnen<br />
Fazit: Durch die Tatsache, dass die Zahl der delinquenten<br />
Frauen so gering ist, bestehen in der Forschung für<br />
den frauenspezifischen Strafvollzug und die frauenspezifische<br />
Behandlung der Täterin und deren Tatverarbeitung<br />
zu wenig geeignete Erklärungsansätze. Dies führt<br />
dazu, dass Praktikerinnen und Praktiker zu sehr auf eigene<br />
Erfahrungen zurückgreifen müssen und zu wenig<br />
Unterstützung durch die Wissenschaft erhalten. Mit<br />
meinen Ausführungen in diesem Artikel habe ich darzustellen<br />
versucht, wie eine Systematisierung therapeutischer<br />
Erfahrungen aussehen könnte. Der Vergleich<br />
zwischen meiner aktuellen Arbeit im Männerstrafvollzug<br />
mit den Erfahrungen im Frauenstrafvollzug ermöglichte<br />
mir zudem, die geschlechtsspezifischen Unterschiede<br />
im Strafwesen klarer zu sehen.<br />
Leena Hässig<br />
Bibliografie<br />
Linder, Andrea (2006): <strong>10</strong>0 Jahre Frauenkriminalität,<br />
Würzburger Schriften zur Kriminalwissenschaft, Band<br />
22, Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften,<br />
Frankfurt am Main.<br />
Urban-Gohlke, Veronika (2006): Frauendelinquenz unter<br />
besonderer Berücksichtigung von Tötungsdelikten<br />
innerhalb und ausserhalb sozialer Beziehungen. Grauer<br />
Verlag, Berlin 2006<br />
Hässig, Leena (2005): Gewalttätige Frauen – Sind die<br />
Frauen von heute gewalttätiger als die Frauen von gestern?<br />
Vortrag anlässlich der 20. Münchner Herbsttagung<br />
der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation<br />
in der Forensischen Psychiatrie (AGFP).<br />
Möller, Heidi, Hrsg. (1996): Frauen legen Hand an,<br />
Untersuchungen zu Frauen und Kriminalität, dgvt-Verlag,<br />
Tübingen 1996.<br />
Die Autorin<br />
Lic. phil. Leena Hässig Ramming ist Fachpsychologin<br />
für Klinische Psychologie <strong>FSP</strong>, Strafrechtlerin und<br />
Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für<br />
Rechtspsychologie SGRP. Sie arbeitet seit 1984 im<br />
Forensisch-Psychiatrischen Dienst der Universität Bern<br />
und führt gerichtlich verordnete Einzel- und Gruppentherapien<br />
mit Strafgefangenen durch, in dieser Funktion<br />
seit 1984 mit Insassinnen in Hindelbank und seit 2004<br />
mit Strafgefangenen der geschlossenen Männeranstalt<br />
Thorberg. Sie ist zudem Mitglied der Fachgruppe<br />
«Reform im Strafwesen» der Caritas Schweiz.<br />
Anschrift<br />
Lic. phil. Leena Hässig Ramming<br />
Forensisch-Psychiatrischer Dienst der Uni Bern<br />
Abteilung Therapie<br />
Falkenplatz 18<br />
3012 Bern<br />
leena.haessig@fpd.unibe.ch<br />
Résumé<br />
Dans son article, la psychologue légale Leena Hässig<br />
évoque vingt années de pratique thérapeutique avec<br />
des détenues féminines et les met en balance avec<br />
quatre ans d’expériences avec des délinquants masculins.<br />
L’auteure déplore l’absence presque complète<br />
de bases théoriques spécifiques aux femmes dans<br />
son domaine professionnel, ce qui l’engage à tirer des<br />
conclusions personnelles sur le développement de la<br />
criminalité violente chez les femmes. Les statistiques<br />
montrent qu’en matière de délits commis par des femmes,<br />
ni le nombre ou le mode opératoire ni le profil des<br />
victimes n’ont changé, mais bien, comme l’observe<br />
l’auteure, les mobiles: les femmes semblent de moins<br />
en moins disposées à attendre d’être victimes avant de<br />
passer à l’acte et de recourir à la violence.<br />
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