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04 Dossier Psychologie im Strafvollzug DOSSIER: Psychologie im Strafvollzug PSYCHOSCOPE 10/2008 Wenn Frauen delinquieren Frauenkriminalität im Umfeld eines männlich geprägten Strafwesens Frauen sind nicht gewalttätiger geworden, doch die Motive haben sich verändert. So lautet einer der Schlüsse, den die Rechtspsychologin Leena Hässig Ramming für diesen Psychoscope-Artikel gezogen hat. Dies nach zwanzig Jahren Therapieerfahrung mit Straftäterinnen und vier Jahren Vergleichsmöglichkeit mit männlichen Delinquenten. Frauen sind nicht kriminell; Frauen töten nicht, sie sind dazu nicht fähig; Frauen sind friedliebend und fürsorglich. Wenn Frauen schwere Delikte begehen oder gar töten, dann verletzen sie deshalb nicht nur das Gesetz, sie verletzen auch ihr Selbstverständnis als Frau in der Gesellschaft. – Wann und unter welchen Bedingungen Frauen kriminell werden, bleibt im Moment noch eine offene Frage. – Frauen verbringen ihre Freiheitsstrafen innerhalb von männlich geprägten Vollzugskonzepten. Diesen Thesen soll im Rahmen dieses Artikels nachgegangen werden sowie der Frage, ob Frauen heute aggressiver, gewalttätiger geworden sind, und wie sie mit ihrer Schuld umgehen.
Foto: Elena Martinez 05 Unter «Frauenkriminalität» wird die Summe der registrierten Straftaten von Personen weiblichen Geschlechts verstanden. Im Jahr 2004 waren gemäss Bundesamt für Statistik 5,5 Prozent aller Insassen in schweizerischen Strafvollzugsanstalten Frauen. Andrea Linder bestätigt in ihrer Untersuchung «100 Jahre Frauenkriminalität» (Linder 2006), dass die Kriminalität der Frau hauptsächlich durch ihren niedrigen Anteil (ca. 20 Prozent) an der Gesamtkriminalität gekennzeichnet ist. Mehr junge Gewalttäterinnen Der Schwerpunkt der weiblichen Delinquenz liegt bei den Eigentums- und Vermögensdelikten. Das am häufigsten von Frauen begangene Delikt ist der einfache Diebstahl. Neben dem Diebstahl steht Betrug an zweiter Stelle. Frauen favorisieren Straftaten, deren Ausführung ohne Einsatz von Gewalt, einfach und risikoarm möglich ist. Der Frauenanteil an der Gewaltkriminalität ist hingegen gering. Andrea Linder zeigt zudem, dass seit den Siebzigerjahren ein flacher Anstieg der Frauenkriminalität zu verzeichnen ist. Erhöht habe sich dabei einzig die Straffälligkeit bei jungen Mädchen: Bei den unter 16-Jährigen und den bis unter 18-Jährigen lässt sich eine leichte Erhöhung bei den Delikten «einfache Körperverletzung» und «Raub» feststellen. Ob dieser Zuwachs an gewalttätigen jungen Mädchen ein zukünftig zu beachtendes Phänomen ist oder auf ein verändertes Anzeigeverhalten zurückzuführen ist, lässt sich erst in ein paar Jahren abschätzen. Die häufig vermerkte Veränderung der weiblichen Deliktstruktur, hin zu einer generell vermehrten Gewaltbereitschaft der Frau, kann durch das statistische Material nicht belegt werden. Von einer von einigen Autoren prognostizierten sukzessiven Angleichung der weiblichen und männlichen Kriminalität kann nicht die Rede sein. Unbefriedigende Erklärungsmodelle Kriminalität stellt ein komplexes Phänomen dar, welches sich nicht anhand einer einzigen Theorie erklären lässt. Unterschiedliche Delikte beruhen auf unterschiedlichen Motivationen. Die meisten der gängigen Theorien stützen sich nur auf Forschung zur Männerkriminalität. Untersuchungen über und mit Frauen sind infolge ihres geringen Anteils an der Kriminalität schwieriger zu gestalten. Die bisherigen Erklärungsmodelle können die weibliche Kriminalität und ihre Besonderheiten nicht befriedigend erklären. Die aktuell kontrovers diskutierten emanzipatorischen- und kriminalbiologischen Ansätze sind wenig hilfreich, gelten sie doch als einseitig oder veraltet. Ein brauchbares Erklärungsmodell für die Frauenkriminalität gibt es demnach nicht. Frauenstrafvollzug in der Schweiz Im Jahr 2006 gab es gemäss Bundesamt für Statistik in der Schweiz insgesamt 119 Institutionen des Freiheitsentzugs mit total 6724 Plätzen. Institutionen für Frauen sind die Anstalten Hindelbank im Kanton Bern mit 107 Plätzen sowie eine Abteilung für Frauen mit 54 Plätzen im Prison de la Tuilière in Lonay. Aufgrund der beschriebenen Statistiken ist nachvollziehbar, dass die Konzepte für Vollzugsanstalten auf Männer ausgerichtet sind: Auch der Frauenstrafvollzug funktioniert in seinen Grundzügen weitgehend nach dem Konzept einer Männeranstalt. Eine offensichtliche Ausnahme davon bilden Mutter-Kind-Abteilungen, in welchen Frauen ihre Kinder bis zu deren drittem Lebensjahr bei sich behalten dürfen. Der Frauenstrafvollzug in der Schweiz muss deshalb nicht nur eine Balance finden zwischen den aus vier Landesteilen der Schweiz, vielen Nationen, und mit unterschiedlichsten Vollzugsaufträgen eingewiesenen Frauen, sondern auch seine Identität im Schatten der für Männer konzipierten Vollzugsanstalten. Dies ist eine äusserst komplexe Aufgabe. Wenn Frauen kriminell werden, dann stehlen oder betrügen sie hauptsächlich. Diese Delikte führen selten zu einem Freiheitsentzug. Frauen hinter Gittern haben dagegen getötet, mit Drogen gedealt oder Drogen transportiert. Ist man mit der Frauenkriminalität hinter Gittern konfrontiert, verschiebt sich der Blickwinkel deshalb auf Frauen mit schwerwiegenden Delikten. Im Jahr 2007 sassen in den Anstalten Hindelbank 27 von 93 Insassinnen wegen Delikten gegen Leib und Leben ein. D.h. ca. 30 Prozent der Insassinnen sind
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