Staatsverschuldung wirksam begrenzen - Sachverständigenrat zur ...
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126 Retrospektive Berechnungen der Schuldenschranke und technische Fragen<br />
Ist die Ausgabenregel zu restriktiv?<br />
2. Schuldenschranke und Bundeshaushalt<br />
203. Die Ausgabenregel unterwirft die staatliche Ausgabenpolitik einer Regelbindung, lässt aber<br />
Finanzierungssalden im Umfang der automatischen Stabilisatoren zu. Prozyklische Effekte sind<br />
dadurch im Idealfall ausgeschlossen. In der praktischen Anwendung kann es allerdings vor allem<br />
aus zwei Gründen zu prozyklischen Wirkungen in dem Sinne kommen, dass die über die Ausgabenregel<br />
ermittelten konjunkturell bedingten Finanzierungsdefizite geringer sind als die „wahren“<br />
konjunkturellen Finanzierungsdefizite. Es wird also von einer sehr weiten Definition von prozyklischer<br />
Politik ausgegangen, die schon dann vorliegen soll, wenn die automatischen Stabilisatoren<br />
nur eingeschränkt <strong>zur</strong> Wirkung kommen. Eine strengere Definition würde eine Prozyklizität<br />
erst dann feststellen, wenn die veranschlagten oder tatsächlichen konjunkturbedingten Finanzierungssalden<br />
ein anderes Vorzeichen aufwiesen als die „wahren“ konjunkturellen Finanzierungssalden.<br />
Die Ausgabenregel wäre dann zu restriktiv; die Einschränkung der staatlichen Verschuldungsmöglichkeiten<br />
würde mit einer prozyklisch wirkenden Politik erkauft. Ein erster Grund für<br />
eine solche Prozyklizität könnte in immanenten Problemen des für die Konjunkturbereinigung verwendeten<br />
HP-Filters begründet sein, die als „Randwertproblem“ bezeichnet werden (Ziffern<br />
223 f.). Konjunkturelle Schwankungen könnten dadurch verfahrensbedingt geringer ausgewiesen<br />
werden, als sie tatsächlich sind. Darüber hinaus könnten Fehler bei der Einnahmeschätzung<br />
in Kombination mit Schätzfehlern beim Konjunkturfaktor, also Fehlern bei der Prognose des Bruttoinlandsprodukts<br />
und des Produktionspotentials, dazu führen, dass die Ausgabenregel bei der<br />
Haushaltsplanung ein geringeres konjunkturell zulässiges Finanzierungsdefizit ausweist als in der<br />
Ex-post-Sicht der Haushaltsrechnung. Zwar könnte das im Haushaltsvollzug korrigiert werden,<br />
gleichwohl würde die Ausgabenregel für sich genommen an Wert verlieren.<br />
In den genannten Fällen kann die Ausgabenregel zu einer prozyklischen Politik führen, muss es<br />
aber nicht. Anhand retrospektiver Berechnungen für den Bundeshaushalt lässt sich die empirische<br />
Relevanz dieser Einwände gegen die Ausgabenregel feststellen. Dabei zeigt sich, dass die Ausgabenregel<br />
keineswegs zu einer prozyklischen Politik geführt hätte. Zu betonen ist, dass die folgenden<br />
Berechnungen nicht von den prinzipiellen Vorbehalten gegen retrospektive Berechnungen<br />
betroffen sind, da sowohl die Konjunkturfaktoren als auch die konjunkturell zulässigen Finanzierungsdefizite<br />
vom Verhalten der Politik weitgehend unabhängig sind.<br />
204. Zunächst soll geprüft werden, ob das immanente Randwertproblem des <strong>zur</strong> Konjunkturbereinigung<br />
eingesetzten HP-Filters in der Vergangenheit zu einer prozyklischen Politik geführt hätte,<br />
wenn die Ausgabenregel in Kraft gewesen wäre. Dies würde letztlich darin zum Ausdruck kommen,<br />
dass die der Haushaltplanung und der Haushaltsrechnung zugrunde liegenden Konjunkturfaktoren<br />
kleiner ausgewiesen werden als sie in „Wahrheit“ sind. Für diesen Vergleich muss man<br />
natürlich die „wahren“ Konjunkturfaktoren kennen. Das Randwertproblem des HP-Filters verliert<br />
an Bedeutung oder verschwindet, wenn die Konjunkturfaktoren rückwirkend für die Jahre 1995<br />
bis 2005 aus Sicht des Jahres 2006 berechnet werden. Als Approximation für die „wahren“ Konjunkturfaktoren<br />
werden deshalb die sich aus aktueller Sicht im Herbst 2006 rückwirkend ermittelten<br />
Konjunkturfaktoren genommen. In Schaubild 13 sind für den Zeitraum ab dem Jahr 1995 die<br />
Verläufe der Echtzeit-Konjunkturfaktoren bei Haushaltsaufstellung (Ex-ante-Sicht) und Haus-