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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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Fallbearbeitung<br />

Fortgeschrittenenklausur im Strafrecht „Robin Hood 2.0“<br />

von Dr. Manuel Ladiges, LL.M. (Edinburgh / Universität Göttingen)<br />

Anton (A), Berta (B) <strong>und</strong> Charlie (C) sind 17 Jahre alt <strong>und</strong> gehen in die 11.<br />

Klasse eines Göttinger Gymnasiums. Sie haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden,<br />

das jedoch häufig nicht mit der geltenden Rechtsordnung<br />

übereinstimmt. Sie beschließen, gemeinsam etwas gegen die aus ihrer Sicht<br />

bestehenden Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft zu unternehmen, obwohl<br />

ihnen bewusst ist, dass sie dabei gegen Gesetze verstoßen werden.<br />

A, B <strong>und</strong> C wissen, dass ein örtlicher Supermarkt regelmäßig am Samstag<br />

nach Geschäftsschluss große Mengen Lebensmittel, die kurz vor dem<br />

Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen, entsorgt. Über mehrere<br />

Monate hinweg schleichen sie jeweils samstagnachts (zuletzt am Samstag,<br />

den 6.4.2013) auf das Supermarktgelände <strong>und</strong> entnehmen den Müllcontainern<br />

des Supermarkts die weggeworfenen Lebensmittel. Dem<br />

Supermarktinhaber (S) gefällt dies überhaupt nicht, so dass er die Müllcontainer<br />

mit Schlössern gesichert hat. <strong>Die</strong>se Schlösser kann A jedoch<br />

mit Hilfe eines – objektiv ungefährlichen – <strong>Die</strong>trichs problemlos öffnen,<br />

ohne dass die Schlösser Schaden nehmen. <strong>Die</strong> Lebensmittel übergeben<br />

A, B <strong>und</strong> C immer sonntags einem Pfarrer (P), damit P die Lebensmittel<br />

kostenlos an hilfsbedürftige Menschen verteilen kann. P weiß von der<br />

Herkunft der Lebensmittel <strong>und</strong> der Vorgehensweise von A, B <strong>und</strong> C.<br />

Am Samstag, den 13.4.2013, sind B <strong>und</strong> C erkrankt. A hat aber beobachtet,<br />

dass an diesem Tag besonders viele Lebensmittel entsorgt worden<br />

sind. Er bittet daher seinen Fre<strong>und</strong> D um Hilfe. D weiß, was A, B<br />

<strong>und</strong> C samstags normalerweise treiben, <strong>und</strong> ist bereit, A zu helfen. Beide<br />

öffnen die verschlossenen Container <strong>und</strong> nehmen die Lebensmittel<br />

(Wert 200 €) mit, um sie an P weiterzugeben. B liegt im Bett <strong>und</strong> hört<br />

absprachegemäß den Polizeifunk ab, um A <strong>und</strong> D per Handy warnen<br />

zu können, falls die Polizei etwas von der Tat mitbekommen sollte.<br />

Strafbarkeit von A, D <strong>und</strong> P nach dem StGB hinsichtlich des Zeitraums vom<br />

6.4. bis 13.4.2013 Vorschriften des Jugendstrafrechts sind nicht zu beachten.<br />

Absolute Strafantragsdelikte <strong>und</strong> § 261 StGB sind nicht zu prüfen.<br />

Lösungshinweise<br />

Dr. Manuel Ladiges, Jahrgang 1979, hat Rechtswissenschaften<br />

in Greifswald <strong>stud</strong>iert <strong>und</strong> promovierte 2006 bei Prof. Dr. Wolfgang<br />

Joecks zum Thema „<strong>Die</strong> Bekämpfung nicht-staatlicher<br />

Angreifer im Luftraum“. Von 2006 bis 2007 absolvierte er ein<br />

LL.M.-Studium in Edinburgh <strong>und</strong> von 2007 bis 2010 das Referendariat<br />

mit einer Wahlstation beim (damaligen) Vizepräsidenten<br />

des BVerfG Prof. Dr. Andreas Voßkuhle. Zurzeit ist<br />

er Akademischer Rat a.Z. <strong>und</strong> Habilitand an der Universität<br />

Göttingen.<br />

1. Tatkomplex: <strong>Die</strong> Tat am 6.4.2013<br />

Strafbarkeit des A<br />

A. §§ 242 Abs. 1, 244a Abs. 1, 1. Var. StGB<br />

A könnte sich am 6.4.2013 wegen schweren Bandendiebstahls gem.<br />

§§ 242 Abs. 1, 244a Abs. 1, 1. Var. StGB strafbar gemacht haben, indem<br />

er mit B <strong>und</strong> C die Lebensmittel aus den verschlossenen Containern<br />

entwendete.<br />

Hinweis: Gr<strong>und</strong>sätzlich liegt eine mittäterschaftliche Begehung<br />

gem. § 25 Abs. 2 StGB durch A, B <strong>und</strong> C vor, da diese im Zusammenwirken<br />

<strong>und</strong> mit einem gemeinsamen Tatentschluss die<br />

Lebensmittel entwenden. Eine Prüfung des § 25 Abs. 2 StGB ist<br />

jedoch entbehrlich, da A ohnehin durch eigenes täterschaftliches<br />

Handeln Lebensmittel entwendet hat, so dass es einer Zurechnung<br />

der Tatbeiträge von B <strong>und</strong> C mittels der Zurechnungsnorm<br />

§ 25 Abs. 2 StGB nicht bedarf. 1<br />

I. Tatbestand<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Gr<strong>und</strong>tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB<br />

<strong>Die</strong> Lebensmittel müssten fremde bewegliche Sachen sein. Zweifelhaft<br />

ist, ob die Lebensmittel fremd sind, d.h. zumindest im Miteigentum<br />

eines anderen als dem Täter stehen, denn durch das Wegwerfen<br />

könnte S das Eigentum verloren haben. Für die Eigentumsaufgabe<br />

(Dereliktion) ist gemäß § 959 BGB erforderlich, dass der Eigentümer<br />

den Besitz über eine bewegliche Sache in der Absicht aufgibt, auf das<br />

Eigentum zu verzichten. <strong>Die</strong> Besitzaufgabe erfolgt durch ein dauerhaftes<br />

<strong>und</strong> vollständiges Lösen von der Sachherrschaft nach § 854<br />

Abs. 1 BGB <strong>und</strong> die Aufgabe des Eigenbesitzwillens. 2 S schließt die<br />

Lebensmittel in Müllcontainer, die sich auf seinem Betriebsgelände<br />

befinden, ein, <strong>und</strong> hat damit weiterhin Besitz. Zudem ist der Eigentumsverzichtswille<br />

ausgeschlossen, wenn der Eigentümer Interesse<br />

daran hat, eine unkontrollierte Verbreitung der Sache zu verhindern. 3<br />

S wollte gerade nicht, dass beliebige Dritte die Lebensmittel mitnehmen,<br />

sondern er wollte die Lebensmittel der Vernichtung zuführen. 4<br />

Somit hat er das Eigentum nicht durch das Wegwerfen verloren. <strong>Die</strong><br />

Lebensmittel sind taugliche Tatobjekte.<br />

A müsste die Lebensmittel weggenommen haben. Wegnahme ist die<br />

Aufhebung alten <strong>und</strong> die Begründung neuen Gewahrsams durch<br />

Bruch, also gegen oder ohne den Willen des Berechtigten. 5 Gewahrsam<br />

ist die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache getragen von<br />

einem Herrschaftswillen. Ob Gewahrsam vorliegt, bestimmt sich dabei<br />

maßgeblich nach den sozialen Anschauungen. 6 Sachen, die sich<br />

in einem generell beherrschten Raum befinden, werden gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

dem Gewahrsam des Rauminhabers zugeordnet. 7 <strong>Die</strong> Lebensmittel<br />

befanden sich in abgeschlossenen Containern auf dem Betriebsgelände<br />

des Supermarktes, so dass S Gewahrsam hatte.<br />

1 Vgl. Beulke, Klausurenkurs im Strafrecht I, 6. Auflage 2013, Rdnr. 152; Murmann, Gr<strong>und</strong>kurs<br />

Strafrecht, 2011, § 27 Rdnr. 23.<br />

2 Oechsler, in: MüKo-BGB, 6. Auflage 2013, § 959 Rdnr. 7.<br />

3 Oechsler, in: MüKo-BGB, 6. Auflage 2013, § 959 Rdnr. 3; Gursky, in: Staudinger, BGB,<br />

Neubearbeitung 2011, § 959 Rdnr. 3; siehe auch LG Ravensburg NJW 1987, 3142 (3143).<br />

4 Vgl. zu weggeworfenen EC-Karten OLG Hamm, Beschl. vom 10.2.2011 – III 3 RVs 103/10,<br />

Rdnr. 13 f. (juris) mit Anmerkung Jahn, JuS 2011, 755.<br />

5 BGHSt 20, 194 (195); Joecks, Studienkommentar StGB, 10. Auflage 2012, § 242 Rdnr. 10.<br />

6 BGHSt 20, 194 (195 f.); 22, 180 (182); 40, 23; Kindhäuser, in: NK-StGB, 4. Auflage 2013, § 242<br />

Rdnr. 28.<br />

7 Joecks, Studienkommentar StGB, 10. Auflage 2012, § 242 Rdnr. 29.<br />

132<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 3 / 2013

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