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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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Fallbearbeitung<br />

Examensklausur im Öffentlichen Recht:<br />

Der klagefreudige Versammlungsteilnehmer<br />

von Wiss. Mitarb. Dr. Nils Schaks (Berlin)<br />

Sachverhalt<br />

Dr. Nils Schaks, licencié en droit (Paris X-Nanterre), ist Wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter <strong>und</strong> Habilitand am Lehrstuhl <strong>für</strong><br />

Staats- <strong>und</strong> Verwaltungsrecht, Öffentliches Wirtschaftsrecht,<br />

Sozialrecht (Univ.-Prof. Dr. Helge Sodan) an der Freien Universität<br />

Berlin <strong>und</strong> dort auch Universitätsrepetitor.<br />

Seit Monaten kommt es in dem Staat „Diktaturistan“ (D) zu Protesten<br />

gegen die dortige autoritäre Regierung. Bei erneuten Protesten am 12. 3.<br />

2013 werden zwei Demonstranten durch Einsatzkräfte der Armee getötet.<br />

In Berlin versammeln sich sofort nach dem Bekanntwerden dieser ca. 300<br />

Demonstranten in dem frei zugänglichen Bereich vor dem Botschaftsgebäude<br />

des Staates D, um gegen dessen Regierung zu demonstrieren. Fünf<br />

Demonstranten, darunter K, halten ein Transparent in die Höhe, auf dem<br />

sich der Schriftzug „Weg mit der verbrecherischen Mörderbande!“ sowie<br />

die Abbildung eines Schweins mit den klar erkennbaren Gesichtszügen<br />

des Staats- <strong>und</strong> Regierungschefs von D befinden.<br />

<strong>Die</strong> Polizisten gehen auf die fünf Personen zu <strong>und</strong> teilen ihnen mit, dass<br />

das Zeigen des Transparents eine Straftat darstelle <strong>und</strong> schlagen den fünf<br />

Demonstranten vor, das Transparent einzurollen. <strong>Die</strong>se wollen hiervon<br />

nichts wissen <strong>und</strong> berufen sich auf ihre Meinungs- <strong>und</strong> Versammlungsfreiheit.<br />

Nach kurzer Diskussion über die Zulässigkeit des Transparents<br />

kommen die Demonstranten der Aufforderung der Polizei nach <strong>und</strong><br />

übergeben es <strong>für</strong> die Dauer der Versammlung den Polizisten.<br />

Kurz danach kommt es zu einem weiteren Zwischenfall: Einige Demonstranten<br />

zünden Flaggen des Staates D an <strong>und</strong> werfen aus der Menge Steine<br />

auf die Polizisten. Bei dem Versuch, die Steinewerfer festzunehmen,<br />

werden die Polizisten von einzelnen anderen Teilnehmern hieran gehindert.<br />

Teilweise werfen nun auch einige andere Teilnehmer mit Steinen.<br />

<strong>Die</strong> Steinewerfer können jedoch allesamt nicht ausfindig gemacht <strong>und</strong> ergriffen<br />

werden. Daraufhin wird die Versammlung von der Polizei formell<br />

rechtmäßig aufgelöst <strong>und</strong> die Demonstranten werden aufgefordert, den<br />

Platz vor der Botschaft zu verlassen. Fast alle Demonstranten zerstreuen<br />

sich daraufhin. Nur K <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>in F sehen nicht ein, dass sie nicht<br />

mehr demonstrieren dürfen <strong>und</strong> weigern sich, den Bereich vor der Botschaft<br />

zu verlassen. Deshalb erteilt die Polizei formell rechtmäßig einen<br />

Platzverweis. Nun fügen sich F <strong>und</strong> K <strong>und</strong> gehen nach Hause.<br />

K legt am 2. 5. 2013 Widerspruch gegen die polizeilichen Maßnahmen<br />

anlässlich der Demonstration beim Polizeipräsidenten in Berlin ein. <strong>Die</strong>ser<br />

setzt sich mit dem Widerspruch inhaltlich nicht auseinander, sondern<br />

teilt dem K bloß mit, dass sein Widerspruch unstatthaft <strong>und</strong> verfristet<br />

sei. K klagt daraufhin vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen die von<br />

der Polizei vor der Botschaft ergriffenen Maßnahmen. K trägt in seiner<br />

Klageschrift vom 20. 5. 2013 vor: Das Spruchband habe nicht konfisziert<br />

werden dürfen, da hier<strong>für</strong> keine Rechtsgr<strong>und</strong>lage bestehe. Das Versammlungsgesetz<br />

als abschließendes Spezialgesetz sehe die „Konfiskation“ als<br />

Maßnahme nicht vor. <strong>Die</strong> Auflösung der Versammlung sei unverhältnismäßig<br />

gewesen <strong>und</strong> überdies hätten die Voraussetzungen einer Versammlungsauflösung<br />

nicht vorgelegen. Schließlich hätte die Polizei ihn<br />

nicht auffordern dürfen, das Gelände vor der Botschaft zu räumen. Das<br />

Versammlungsrecht beinhalte auch die Freiheit, den Ort einer Versammlung<br />

selbst zu bestimmen.<br />

Der Polizeipräsident entgegnet, dass die Klage unzulässig sei, da der Widerspruch<br />

des K verfristet gewesen sei <strong>und</strong> es an einer aktuellen Beschwer<br />

fehle. Rein vorsorglich trägt er auch vor, dass die Zusammenkunft von<br />

nur zwei Personen nach der Auflösung der Demonstration keine Versammlung<br />

i.S.d. Versammlungsrechts dargestellt hätte. Weiterhin stimme<br />

es zwar, dass nur wenige Teilnehmer gewalttätig geworden seien. Aber<br />

diese Demonstranten hätten bereits durch das Werfen der ersten Steine<br />

zwei Polizisten erheblich verletzt, was zutrifft. Außerdem habe die Polizei<br />

– was ebenfalls zutrifft – versucht, nur die Steinewerfer festzunehmen<br />

<strong>und</strong> die übrige Versammlung nicht zu stören. <strong>Die</strong>s sei jedoch nicht gelungen,<br />

da sich die Steinewerfer unter die bis dahin friedlichen anderen Demonstranten<br />

gemischt hätten <strong>und</strong> von diesen teilweise beschützt worden<br />

seien. Deshalb – so die Schlussfolgerung des Polizeipräsidenten – habe<br />

die gesamte Versammlung einen unfriedlichen Verlauf genommen, der<br />

nur durch die Auflösung der Versammlung gestoppt werden konnte.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der Spontaneität der Versammlung hätten auch nicht mehr<br />

Einsatzkräfte der Polizei zur Verfügung gestanden, ohne die sonstigen<br />

polizeilichen Aufgaben zu vernachlässigen. Alle verfügbaren Polizisten<br />

wären auf der Versammlung gewesen. Darüber hinaus könne das Versammlungsgesetz<br />

keine Sperrwirkung entfalten, da es ein B<strong>und</strong>esgesetz<br />

sei <strong>und</strong> der B<strong>und</strong> nicht die Kompetenz <strong>für</strong> die Regelung des Versammlungswesens<br />

habe. Schließlich solle K froh sein, dass er überhaupt so lange<br />

demonstrieren durfte; denn wenn das Versammlungsgesetz in Berlin<br />

gelte <strong>und</strong> Sperrwirkung gegenüber anderen Gesetzen entfalte, so fehle die<br />

erforderliche Anmeldung der Versammlung.<br />

Wie wird das Verwaltungsgericht Berlin über die Klage des K entscheiden<br />

Gehen Sie bei Ihrer Prüfung auf alle Fragen des Falls ein, ggf. hilfsgutachterlich.<br />

Lösung<br />

Das Verwaltungsgericht Berlin wird der Klage stattgeben, soweit sie zulässig<br />

<strong>und</strong> begründet ist.<br />

A. Zulässigkeit<br />

I. Verwaltungsrechtsweg<br />

Aufdrängende Sonderzuweisungen sind nicht ersichtlich, so dass der<br />

Rechtsweg zur Verwaltungsgerichtsbarkeit lediglich nach § 40 I 1 VwGO<br />

eröffnet sein kann. Da die vorliegenden Streitigkeiten anhand von Normen<br />

des öffentlichen Rechts, nämlich § 15 VersG, §§ 29, 38 ASOG 1 ,<br />

entschieden werden, sind sie öffentlich-rechtlich 2 . <strong>Die</strong> Streitigkeiten<br />

sind auch nichtverfassungsrechtlicher Art, da nicht zwei Verfassungsorgane<br />

unmittelbar über Verfassungsrecht streiten (keine „doppelte<br />

1 Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung in Berlin (Allgemeines<br />

Sicherheits- <strong>und</strong> Ordnungsgesetz – ASOG Bln).<br />

2 Vgl. Sodan/Ziekow, Gr<strong>und</strong>kurs Öffentliches Recht, 5. Auflage, § 94 Rn. 17.<br />

138<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 3 / 2013

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