03.01.2015 Aufrufe

Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Fallbearbeitung<br />

messen. Denn die Belastung <strong>für</strong> K ist relativ gering, aber im Gegenzug<br />

wird ein Verhalten, das den objektiven Tatbestand einer Straftat erfüllt,<br />

unterb<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong> weitere Teilnahme an der Demonstration wäre auch<br />

ohne Transparent möglich gewesen.<br />

Bei der Auswahl der Verantwortlichen (Auswahlermessen) lag ebenfalls<br />

kein Ermessensfehler vor, da alle Verantwortlichen gleichermaßen in<br />

Anspruch genommen wurden.<br />

4. Zwischenergebnis<br />

<strong>Die</strong> Sicherstellung war rechtmäßig.<br />

II. Versammlungsauflösung<br />

1. Rechtsgr<strong>und</strong>lage<br />

Fraglich ist, welche Bestimmung taugliche Rechtsgr<strong>und</strong>lage der Versammlungsauflösung<br />

sein könnte. Das VersG enthält verschiedene Tatbestandsvoraussetzungen,<br />

bei deren Erfüllung eine Versammlungsauflösung<br />

in Betracht kommt.<br />

a) § 15 III Var. 1 VersG (Fehlende Anmeldung)<br />

Zunächst kommt eine Auflösung gem. § 15 III Var. 1 VersG in Betracht,<br />

da die Versammlung nicht angemeldet war. Sofern das Anmeldeerfordernis<br />

gem. § 14 I VersG nicht ohnehin <strong>für</strong> verfassungswidrig gehalten<br />

wird, da der Schutzbereich des Art. 8 I GG gerade von einem fehlenden<br />

Anmeldeerfordernis ausgeht 44 , wird vertreten, dass das gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

bestehende Anmeldungsgebot verfassungskonform restriktiv auszulegen<br />

ist 45 . Bei spontanen Versammlungen sei eine (48-stündige) Anmeldefrist<br />

gar nicht einzuhalten. Würde man trotz der Unmöglichkeit<br />

der vorherigen Anmeldung auf diesem Erfordernis beharren, wären<br />

Spontanversammlungen stets unzulässig, was sich mit Art. 8 I GG nicht<br />

vereinbaren ließe. 46 Allein wegen der fehlenden Anmeldung kann die<br />

Versammlung somit nicht verboten werden.<br />

b) § 13 I Nr. 2 VersG (Unfriedlichkeit)<br />

§ 13 I VersG gilt nur <strong>für</strong> Versammlungen in geschlossenen Räumen, der<br />

Bereich vor dem Botschaftsgebäude ist jedoch frei zugänglich. Eine analoge<br />

Anwendung kommt nicht in Betracht, da § 18 II VersG ausdrücklich<br />

nur die entsprechende Anwendbarkeit von § 13 II, nicht jedoch von<br />

§ 13 I VersG anordnet. Es fehlt also an der planwidrigen Regelungslücke.<br />

c) § 15 Abs. 3 Var. 4 i.V.m. § 15 Abs. 1 Var. 1 VersG (unmittelbare Gefahr <strong>für</strong><br />

die öffentliche Sicherheit)<br />

Eine Versammlungsauflösung ließe sich jedoch möglicherweise auf § 15<br />

III Var. 4 i.V.m. § 15 I Var. 1 VersG wegen einer unmittelbaren Gefahr <strong>für</strong><br />

die öffentliche Sicherheit stützen. Fraglich ist, ob die materiellen Voraussetzungen<br />

hier<strong>für</strong> vorliegen. 47<br />

44 So z.B. Höfling, in: Sachs, GG, 6. Auflage, Art. 8 Rn. 57 f.<br />

45 BVerfGE 69, 315 (350 f.) – verfassungskonforme Anwendung des § 14 VersG. S. auch Pieroth/<br />

Schlink/Kniesel, Polizei- <strong>und</strong> Ordnungsrecht, 7. Auflage, § 21 Rn. 1-6, insbes. 4 f.<br />

46 BVerfGE 69, 315 (350 f.). S. auch Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- <strong>und</strong> Ordnungsrecht, 7. Auflage,<br />

§ 21 Rn. 1-5.<br />

47 Von der formellen Rechtmäßigkeit ist laut Sachverhalt auszugehen.<br />

2. Materielle RechtmäSSigkeit<br />

a) Unmittelbare Gefahr <strong>für</strong> die öffentliche Sicherheit<br />

§ 15 III Var. 4 i.V.m. § 15 I Var. 1 VersG setzt eine unmittelbare Gefahr<br />

<strong>für</strong> die öffentliche Sicherheit voraus. Durch die Steine wurden zwei Polizisten<br />

verletzt, so dass der objektive Tatbestand gem. §§ 223 I, 224 I<br />

Nr. 2 StGB erfüllt ist. Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. Da<br />

bereits ein Schaden an einem geschützten Rechtsgut eingetreten ist, war<br />

die Gefahr auch unmittelbar.<br />

b) Auflösung der ganzen Versammlung<br />

Fraglich ist jedoch, ob deshalb die ganze Versammlung aufgelöst werden<br />

durfte, da nur einzelne Teilnehmer Steine geworfen haben. <strong>Die</strong> Auflösung<br />

einer Versammlung darf wegen der Bedeutung des Art. 8 I GG <strong>und</strong><br />

des Gr<strong>und</strong>satzes der Verhältnismäßigkeit stets nur ultima ratio sein 48 .<br />

<strong>Die</strong>s gilt jedoch nur dann, wenn es sich um eine Veranstaltung handelt,<br />

die dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfällt, also friedlich <strong>und</strong> ohne<br />

Waffen ist. Anderenfalls ist der Schutzbereich von Art. 8 I GG nicht<br />

eröffnet. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist eine Versammlung<br />

jedoch erst dann unfriedlich, wenn sie kollektiv unfriedlich ist, also „im<br />

Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt (vgl.<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 2 VersG) oder […] der Veranstalter oder sein Anhang<br />

einen solchen Verlauf anstreben (vgl. § 5 Nr. 3 VersG) oder zumindest<br />

billigen“ 49 . Für einen solchen Verlauf spricht, dass die Steinewerfer von<br />

den übrigen Demonstranten beschützt wurden <strong>und</strong> immer mehr Personen<br />

Steine geworfen haben. Andererseits hat zwar die absolute Anzahl<br />

an Steinewerfern zugenommen, im Verhältnis zur Gesamtzahl der Teilnehmer<br />

handelte es sich jedoch nur um einen kleinen Teil. Insgesamt<br />

sind es nur einige wenige Teilnehmer, die entweder selbst Steine werfen<br />

oder die Steinewerfer vor dem Zugriff der Polizei schützen. Somit sprechen<br />

die besseren Gründe da<strong>für</strong>, dass die Versammlung (noch) nicht im<br />

Ganzen gewalttätig oder aufrührerisch war. <strong>Die</strong> Auflösung der ganzen<br />

Versammlung war deshalb nur dann rechtmäßig, wenn ein Fall der Inanspruchnahme<br />

nicht verantwortlicher Personen nach § 16 ASOG vorlag<br />

<strong>und</strong> der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde.<br />

c) Inanspruchnahme von nichtverantwortlichen Personen<br />

§ 16 ASOG setzt voraus, dass (1.) eine gegenwärtige erhebliche Gefahr<br />

abzuwehren ist, (2.) Maßnahmen gegen die nach den §§ 13 oder 14<br />

ASOG Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder<br />

keinen Erfolg versprechen, (3.) sie die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig<br />

selbst oder durch Beauftragte abwehren können <strong>und</strong> (4.) die Personen<br />

ohne erhebliche eigene Gefährdung <strong>und</strong> ohne Verletzung höherwertiger<br />

Pflichten in Anspruch genommen werden können. Wie bereits gesehen,<br />

ist schon ein Schaden an einem geschützten Rechtsgut eingetreten <strong>und</strong><br />

weitere Steinwürfe waren zu besorgen, so dass die Gefahr gegenwärtig<br />

war. Da Leben <strong>und</strong> körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG, §§ 223 ff.<br />

StGB) besonders gewichtige Rechtsgüter darstellen, war die Gefahr auch<br />

erheblich. 50 Zunächst versuchte die Polizei lediglich die Steinewerfer, also<br />

die nach § 13 I ASOG Verantwortlichen, von der Versammlung gemäß<br />

§ 18 III VersG auszuschließen. <strong>Die</strong>ses Vorgehen war jedoch erfolglos, so<br />

dass auch die zweite Voraussetzung erfüllt ist. Fraglich ist jedoch, ob die<br />

Polizei nicht hätte mehr unternehmen müssen, bevor sie die Nichtverantwortlichen<br />

in Anspruch nimmt. Hier werden strenge Anforderun-<br />

48 BVerwGE 64, 55 (57).<br />

49 BVerfGE 69, 315 (361).<br />

50 Vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- <strong>und</strong> Ordnungsrecht, 7. Auflage, § 4 Rn. 19; Sodan/Ziekow,<br />

Gr<strong>und</strong>kurs Öffentliches Recht, 5. Auflage, § 68 Rn. 8; Pewestorf, in: Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei<strong>und</strong><br />

Ordnungsrecht (Berliner Kommentar), § 16 ASOG Rn. 7.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 3 / 2013<br />

143

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!