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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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Fallbearbeitung<br />

bereits unzulässige Klage nicht wieder zulässig werden. 21 <strong>Die</strong>s ist vorliegend<br />

jedoch unproblematisch der Fall. Nach anderer Auffassung 22 ist das<br />

Vorverfahren nicht entbehrlich <strong>und</strong> muss ordnungsgemäß durchgeführt<br />

werden. Hier<strong>für</strong> spricht zum einen, dass alle Zwecke des Vorverfahrens<br />

noch erreicht werden können (zusätzliche Rechtsschutzfunktion <strong>für</strong> den<br />

Bürger [Zweckmäßigkeitsprüfung bei Ermessensentscheidungen!], Entlastung<br />

der Gerichte, Möglichkeit der Selbstkorrektur der Verwaltung).<br />

§ 44 V VwVfG zeigt, dass die Verwaltung die Nichtigkeit als besonders<br />

schwere Form der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts feststellen<br />

kann, ohne dass es hier<strong>für</strong> einer gerichtlichen Entscheidung bedürfte.<br />

Darüber hinaus ist es inkonsequent, die Analogie zu § 113 Abs. 1 Satz<br />

4 VwGO wegen vermeintlicher Sachnähe zur Anfechtungsklage zu begründen,<br />

dann aber nicht deren Voraussetzungen zu übernehmen. Jedoch<br />

muss dieser Streit nicht entschieden werden, wenn er sich in der<br />

Sache nicht auswirkt. Bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung werden die<br />

Polizisten bei ihren Maßnahmen keine schriftlichen Rechtsbehelfsbelehrungen<br />

erteilt haben, so dass die Jahresfrist gem. § 70 I, II i.V.m. § 58 II<br />

VwGO galt.<br />

Es bleibt noch der Punkt, dass der Polizeipräsident über den Widerspruch<br />

nicht inhaltlich entschieden hat. Geht man von der Unstatthaftigkeit<br />

des Fortsetzungsfeststellungswiderspruchs aus, dann besteht<br />

allenfalls ein Fristproblem hinsichtlich der Klageeinlegung. Geht man<br />

mit der Mindermeinung von der Erforderlichkeit des Vorverfahrens<br />

<strong>und</strong> wegen § 70 I, II i.V.m. § 58 II VwGO fristgemäßer Widerspruchseinlegung<br />

aus, dann fehlt ein inhaltlicher Abschluss des Verfahrens.<br />

<strong>Die</strong>s kann jedoch nicht dem K angelastet werden, so dass gleichwohl<br />

Klage erhoben werden kann. 23 Anderenfalls hätte es die Verwaltung in<br />

der Hand, den Rechtsschutz zu verzögern (gem. § 75 I 2 VwGO könnte<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich erst nach drei Monaten geklagt werden). <strong>Die</strong>ses Ergebnis<br />

ließe sich nicht mit Art. 19 IV GG vereinbaren. Wenn die Behörde sich<br />

weigert, inhaltlich zu entscheiden, liegen außergewöhnliche Umstände<br />

i.S.d. § 75 I 2 a.E. VwGO vor, die das Verstreichen der Drei-Monats-Frist<br />

entbehrlich machen. 24<br />

VI. Klagefrist<br />

Fraglich ist, ob K fristgemäß Klage eingereicht hat, denn die Klage wurde<br />

nicht innerhalb eines Monats erhoben. Jedoch wurde bei den mündlich<br />

ausgesprochenen Maßnahmen keine ordnungsgemäße schriftliche oder<br />

elektronische (vgl. § 58 I VwGO) Rechtsbehelfsbelehrung erteilt, so dass<br />

die Jahresfrist gem. § 58 II 1 VwGO <strong>und</strong> nicht die Monatsfrist gem. § 74<br />

I 1 VwGO gilt. 25 <strong>Die</strong>se Frist hat K gewahrt.<br />

VII. Beklagter, Beteiligten- <strong>und</strong> Prozessfähigkeit<br />

Richtiger Beklagter ist der Rechtsträger der Ausgangsbehörde, § 78 Abs.<br />

1 Nr. 1 VwGO analog, also das Land Berlin. K <strong>und</strong> das Land Berlin sind<br />

jeweils nach § 61 Nr. 1 VwGO beteiligtenfähig <strong>und</strong> nach § 62 I Nr. 1<br />

VwGO prozessfähig. Das Land Berlin muss sich gem. § 62 III VwGO vor<br />

Gericht vertreten lassen.<br />

21 Vgl. BVerwGE 26, 161 (167 f.); BVerwGE 109, 203 (206 f.); Sodan/Ziekow, Gr<strong>und</strong>kurs Öffentliches<br />

Recht, 5. Auflage, § 102 Rn. 11<br />

22 Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, 12. Auflage, § 11 Rn. 17, § 31<br />

Rn. 29 f.; R. P. Schenke, JuS 2007, 697 (699 f.); ders., NVwZ 2000, 1255 (1257 f.).<br />

23 Vgl. BVerwGE 37, 87 (88) im Hinblick auf § 114 BSHG sowie ausführlich Geis, in: Sodan/Ziekow,<br />

VwGO, 3. Auflage, § 68 Rn. 175 m.w.N.<br />

24 So Geis, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage, § 68 Rn. 175 m.w.N.<br />

25 Nach der Rechtsprechung des BVerwG (gr<strong>und</strong>legend BVerwGE 109, 203 [207 f.]) ist die<br />

Fortsetzungsfeststellungsklage bei vorprozessualer Erledigung ohnehin nicht an die Monatsfrist<br />

gem. § 74 I 1 VwGO geb<strong>und</strong>en. Denn die Interessenlage vor <strong>und</strong> nach Erledigung sei unterschiedlich.<br />

Einem Bürger könne nach der Erledigung nicht zugemutet werden, innerhalb eines Monats zu<br />

klagen, da der Verwaltungsakt wegen der Erledigung keine Wirkungen mehr entfalte <strong>und</strong> der<br />

Bürger deshalb nicht mehr bemüht sei, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage zu<br />

bewirken.<br />

VIII. Zuständigkeit<br />

Das Verwaltungsgericht Berlin ist gem. §§ 45, 52 Nr. 3 S. 1 VwGO sachlich<br />

<strong>und</strong> örtlich zuständig.<br />

IX. Zwischenergebnis<br />

<strong>Die</strong> drei Klagen des K sind in objektiver Klagehäufung gem. § 44 VwGO<br />

zulässig.<br />

B. Begründetheit<br />

<strong>Die</strong> Klagen sind begründet, soweit die Maßnahmen rechtswidrig waren<br />

<strong>und</strong> dadurch den Kläger in seinen Rechten verletzten, § 113 I 4 VwGO<br />

analog.<br />

I. Sicherstellung des Transparents 26<br />

1. Rechtsgr<strong>und</strong>lage<br />

Das Versammlungsgesetz enthält keine ausdrückliche Befugnis zur<br />

Sicherstellung von Gegenständen. In Betracht käme jedoch § 38 Nr. 1<br />

ASOG. Hierauf könnte sich der Polizeipräsident jedoch nur dann berufen,<br />

wenn das Versammlungsgesetz keine Sperrwirkung entfaltet. <strong>Die</strong>se<br />

setzt voraus, dass das VersG in Kraft, anwendbar <strong>und</strong> im Verhältnis zum<br />

ASOG nicht abschließend ist.<br />

a) Gültigkeit des VersG<br />

Das Versammlungsgesetz muss gültig sein. Dem könnte entgegenstehen,<br />

dass das Versammlungsgesetz vom B<strong>und</strong> erlassen wurde, obwohl<br />

nach der derzeitigen Kompetenzaufteilung zwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern<br />

das Versammlungsrecht gem. Art. 70 GG in die Kompetenz der Länder<br />

fällt. 27 Ein kompetenzwidrig erlassenes Gesetz ist jedoch nichtig 28 <strong>und</strong><br />

kann keine Sperrwirkung entfalten. Zum Erlasszeitpunkt des VersG vor<br />

der Föderalismusreform hatte der B<strong>und</strong> jedoch gem. § 74 I Nr. 3 GG a.F.<br />

die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des Versammlungsrechts.<br />

Gem. Art. 125a I GG gilt rechtmäßig als B<strong>und</strong>esrecht erlassenes Recht<br />

auch nach der Föderalismusreform weiter fort. Da das Land Berlin von<br />

der neuen Gesetzgebungsbefugnis bislang keinen Gebrauch gemacht<br />

hat, ist das VersG also in Berlin weiterhin in Kraft. 29<br />

b) Anwendbarkeit des VersG<br />

Damit der Anwendungsbereich des VersG eröffnet ist, müsste eine Versammlung<br />

i.S.d. § 1 I VersG vorliegen. Hierunter versteht man – nach<br />

der strengsten Auffassung – die Zusammenkunft mehrerer Personen an<br />

einem Ort zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks, nämlich der gemeinsamen<br />

Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung 30 .<br />

Vorliegend demonstrieren ca. 300 Personen gegen die Regierung eines<br />

anderen Staates <strong>und</strong> nehmen so Einfluss auf die Meinungsbildung in einer<br />

öffentlichen Angelegenheit. Dass die Versammlung nicht angemeldet<br />

war ist unschädlich, da die Anmeldung kein Definitionsmerkmal<br />

einer Versammlung ist. <strong>Die</strong>s ergibt sich nicht zuletzt aus § 15 III Var. 1<br />

VersG, da nach dieser Vorschrift eine nicht angemeldete Versammlung<br />

aufgelöst werden kann, was das Bestehen der – noch aufzulösenden –<br />

26 <strong>Die</strong>ser Teil des Falls ist der Entscheidung BVerwGE 64, 55 ff. nachgebildet. Siehe dazu Anmerkung<br />

Pitschas, JA 1982, 443 f.<br />

27 S. zum Stand der Landesgesetzgebung Höfling/Krohne, JA 2012, 734 f.<br />

28 Sachs, in: ders., GG, 6. Auflage, Art. 20 Rn. 95 m.w.N.<br />

29 Vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- <strong>und</strong> Ordnungsrecht, 7. Auflage, § 20 Rn. 1<br />

30 BVerfGE 104, 92 (104). S. zu den verschiedenen Versammlungsbegriffen Sodan, in: ders., GG,<br />

2. Auflage, Art. 8 Rn. 2-4.<br />

140<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 3 / 2013

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