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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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Fallbearbeitung<br />

Versammlung zwingend voraussetzt. Eine Versammlung liegt also vor,<br />

so dass das VersG anwendbar ist. Da der Platz vor der Botschaft frei<br />

zugänglich <strong>und</strong> nicht begrenzt ist, handelt es sich um eine öffentliche<br />

Versammlung unter freiem Himmel 31 .<br />

c) Verhältnis VersG – ASOG<br />

Weiterhin darf das VersG keine abschließende Regelung in dem Sinne<br />

darstellen, dass es den Rückgriff auf allgemeinere Gesetze wie das ASOG<br />

verbietet. Da das VersG der Abwehr von Gefahren, die von Versammlungen<br />

ausgehen, dient, stellt es gr<strong>und</strong>sätzlich – soweit sein Anwendungsbereich<br />

reicht – das speziellere Gesetz im Verhältnis zum allgemeinen<br />

Polizei- <strong>und</strong> Ordnungsrecht dar. Man spricht insoweit auch von<br />

der „Polizeifestigkeit“ des Versammlungsrechts 32 .<br />

Nach überwiegender Auffassung 33 regelt § 15 I VersG die zulässigen<br />

Maßnahmen vor Beginn einer Versammlung (Verbot <strong>und</strong> Auflagen 34 ),<br />

während § 15 III VersG die zulässige Maßnahme (Auflösung) nach Beginn<br />

der Versammlung regelt. § 15 III VersG sieht aber gerade keine Auflagen<br />

(i.S.v. beschränkenden Verfügungen wie § 15 I VersG) vor. Demnach<br />

wäre als Maßnahme bei Vorliegen der Voraussetzungen lediglich<br />

die Auflösung zulässig, nicht jedoch die Sicherstellung.<br />

Nach einer anderen Auffassung ist § 15 I VersG nicht zwingend so zu<br />

lesen, dass sich die Auflagen nur auf den Zeitraum vor Versammlungsbeginn<br />

bezögen 35 . Demnach könnten auch nach Versammlungsbeginn<br />

Auflagen erlassen werden, worunter auch die Sicherstellung fiele, ohne<br />

dass es des Rückgriffs auf das VersG bedürfe.<br />

<strong>Die</strong> überwiegende Auffassung geht zwar davon aus, dass § 15 I VersG<br />

nur <strong>für</strong> den Zeitraum vor Versammlungsbeginn gelte <strong>und</strong> deshalb nicht<br />

zu beschränkenden Verfügungen nach Versammlungsbeginn befuge. Es<br />

wird jedoch ein „Erst-Recht-Schluss“ aus § 15 III VersG gezogen. Wenn<br />

bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 III Var. 4 i.V.m. I VersG die<br />

Versammlung aufgelöst werden dürfe, dann müsse dies erst Recht <strong>für</strong><br />

weniger belastende Maßnahmen gelten (sog. „Minusmaßnahmen“).<br />

<strong>Die</strong>s sei auch geboten, um den Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit zu<br />

wahren. <strong>Die</strong> Tatbestandsvoraussetzungen werden § 15 III Var. 4 i.V.m.<br />

I VersG entnommen, die Rechtsfolge der jeweiligen Bestimmung des<br />

Polizeigesetzes 36 .<br />

Hiergegen spricht jedoch, dass nach dem Wortlaut des § 15 III VersG<br />

nur Auflösungen gestattet sind <strong>und</strong> anders als in § 13 I 2 <strong>und</strong> § 15 I<br />

VersG gerade keine Auflagen. Wortlaut <strong>und</strong> Systematik sind eindeutig,<br />

so dass die sog. Minusmaßnahmen unzulässig sind. Überdies hätte die<br />

Konstruktion von Minusmaßnahmen zur Folge, dass der Gesetzgeber<br />

stets nur die schwerste Rechtsfolge normieren müsste <strong>und</strong> die Verwaltung<br />

die Wahl der Rechtsfolge hätte. <strong>Die</strong> Beschränkung auf eine einzige<br />

Rechtsfolge könne jedoch auch gewollt sein. 37<br />

Trotz dieser berechtigten Bedenken sprechen gute Gründe <strong>für</strong> die Zulässigkeit<br />

der Minusmaßnahmen. Denn ohne diese könnte die Polizei<br />

stets nur zwischen Untätigkeit oder Auflösung wählen. Oftmals reichen<br />

jedoch weniger einschneidende Maßnahmen aus, um die öffentliche<br />

Sicherheit zu gewährleisten <strong>und</strong> gleichzeitig die Versammlungsfreiheit<br />

weitestgehend zur Entfaltung zu bringen. Somit ist § 38 Nr. 1 ASOG<br />

i.V.m. § 15 III Var. 4 i.V.m. § 15 I VersG eine taugliche Rechtsgr<strong>und</strong>lage<br />

<strong>für</strong> die Sicherstellung des Transparents.<br />

2. Formelle RechtmäSSigkeit<br />

Gem. § 15 III, I 1 VersG, § 4 II 1 AZG, § 2 IV 1 ASOG, Nr. 23 II ZustKat<br />

ASOG ist der Polizeipräsident sachlich zuständig; die örtliche Zuständigkeit<br />

folgt aus § 6 ASOG. <strong>Die</strong> gem. § 28 I VwVfG erforderliche Anhörung<br />

ist erfolgt, da dem K Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben<br />

wurde (Hinweis, kurze Diskussion).<br />

3. Materielle RechtmäSSigkeit<br />

Gem. § 15 III, I 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung<br />

auflösen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren<br />

Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung<br />

der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist 38 .<br />

Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gehört u.a. die Unverletzlichkeit<br />

der geschriebenen Rechtsordnung 39 . Eine unmittelbare Gefahr i.S.d.<br />

§ 15 III, I 1 VersG <strong>für</strong> diese besteht dann, wenn nach dem gewöhnlichen<br />

Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit in Kürze die Verletzung<br />

des geschriebenen Rechts zu erwarten ist 40 . Hier kommt ein Verstoß<br />

gegen § 103 I Var. 1 StGB 41 in Betracht, indem die vier Demonstranten<br />

<strong>und</strong> K das Transparent öffentlich gezeigt haben. Bereits die Bezeichnung<br />

als Mörderbande stellt nach der Rechtsprechung des BVerwG eine<br />

K<strong>und</strong>gabe der Missachtung <strong>und</strong> Geringschätzung dar 42 . <strong>Die</strong>s gilt umso<br />

mehr, wenn sie von der grafischen Darstellung des Staatsoberhaupts als<br />

Schwein begleitet wird. Der objektive Tatbestand des § 103 Abs. 1 StGB<br />

ist erfüllt <strong>und</strong> ein Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> ist nicht ersichtlich. Insbesondere<br />

liegt keine berechtigte Interessenwahrnehmung vor (§ 193 StGB),<br />

denn der Protest gegen das Staatsoberhaupt von D wäre auch ohne beleidigende<br />

Elemente möglich. Der objektive Verstoß gegen die Rechtsordnung<br />

ist ausreichend, auf die subjektive Vorwerfbarkeit (Schuld oder<br />

Fahrlässigkeit) sowie die Verfolgbarkeit kommt es hingegen nicht an 43 .<br />

Da das Transparent bereits gezeigt wurde, ist das Schutzgut nicht bloß<br />

gefährdet, sondern bereits geschädigt.<br />

Da auch K das Transparent zeigte, war er gem. § 13 I ASOG als Verhaltensverantwortlicher<br />

richtiger Adressat der Maßnahme.<br />

Als Rechtsfolge sieht § 15 III VersG Ermessen vor. Ermessensfehler (Ermessensausfall,<br />

Ermessensfehlgebrauch oder Ermessensüberschreitung)<br />

sind weder im Hinblick auf die ergriffene Maßnahme noch die Auswahl<br />

des Verantwortlichen ersichtlich. Insbesondere ist die Maßnahme nicht<br />

unverhältnismäßig. <strong>Die</strong> Sicherstellung ist geeignet, den Verstoß gegen<br />

die Rechtsordnung zu beenden. Sie ist auch erforderlich, da kein milderes,<br />

aber gleich effektives Mittel ersichtlich ist. <strong>Die</strong> sofortige Auflösung<br />

der Versammlung wäre belastender. Schließlich ist auch das Verhältnis<br />

zwischen der Belastung des K durch die Maßnahme <strong>und</strong> ihrem Zweck,<br />

der Beseitigung eines Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit, ange-<br />

31 S. hierzu Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- <strong>und</strong> Ordnungsrecht, 7. Auflage, § 20 Rn. 10-12.<br />

32 Höfling/Krohne, JA 2012, 734 (738); Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- <strong>und</strong> Ordnungsrecht,<br />

7. Auflage, § 20 Rn. 13-19.<br />

33 So BVerwGE 64, 55 (57); Meßmann, JuS 2007, 524 (526).<br />

34 Bei letzteren handelt es sich nicht um Nebenbestimmungen i.S.d. § 36 VwVfG, sondern um<br />

eigenständige Verwaltungsakte, teilweise auch beschränkende Verfügungen genannt, vgl. <strong>Die</strong>tel/<br />

Gintzel/Kniesel, VersG, 16. Auflage, § 15 Rn. 43 f.<br />

35 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- <strong>und</strong> Ordnungsrecht, 7. Auflage, § 22 Rn. 15.<br />

36 Vgl. BVerwGE 64, 55 (58); <strong>Die</strong>tel/Gintzel/Kniesel, VersG, 16. Auflage, § 15 Rn. 138 f.; Meßmann, JuS,<br />

2007, 524 (526); Rozek, JuS 2002, 470 (473 f.). Kritik bei Pitschas, JA 1982, S. 443 (444).<br />

37 Pitschas, JA 1982, S. 443 (444).<br />

38 § 38 ASOG spricht von einer gegenwärtigen Gefahr, womit zumindest keine strengeren Voraussetzungen<br />

statuiert werden, vgl. BVerwGE 64, 55 (58); Pitschas, JA 1982, 443 (443 f.). Siehe zur Sicherstellung<br />

<strong>und</strong> der gegenwärtigen Gefahr auch VG Berlin, Urt. v. 16.09.2011, Az. 1 K 312.10, BeckRS 2011,<br />

56345.<br />

39 BVerfGE 69, 315 (352); Schoch, in: ders., Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Auflage, 2. Kap.<br />

Rn. 109-115.<br />

40 OVG NRW, NVwZ 1989, 886.<br />

41 § 103 StGB verdrängt §§ 185 ff. StGB im Wege der Spezialität, Eser, in: Schönke/Schröder, StGB,<br />

28. Auflage, § 103 Rn. 8.<br />

42 BVerwGE 64, 55 (59 ff.).<br />

43 BVerwGE 64, 55 (61); Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- <strong>und</strong> Ordnungsrecht, 7. Auflage, § 8 Rn. 12.<br />

142<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 3 / 2013

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