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LUFTWAFFEN - Netteverlag

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GESCHICHTE<br />

schwupp! -springt er auf. Die fünf hinten<br />

im Rumpf sind von 48 qm weißer Seide<br />

und von vielen Schnüren eingehüllt.<br />

Im Wegrollen bugsieren sie den offenen<br />

Schirm aus der Maschine.<br />

Schwer beladen steigt die Maschine auf.<br />

Jeder weiß: Dies ist der allerletzte Flug,<br />

unten auf der Straße nach Radstadt eine<br />

Flut von Menschen und Fahrzeugen auf<br />

der Flucht vor den Russen. Oben fliegen<br />

die zehn allein im Tiefflug über die Alpen.<br />

Alle sind ergriffen, keiner spricht ein<br />

Wort.<br />

Die Maschine nimmt Kurs auf Straubing,<br />

wo der Pilot fünf Jahre zuvor das Fliegen<br />

lernte. Diese Gegend kennt er wie seine<br />

Hosentasche. Im Tiefflug, oft nur fünf<br />

Meter über dem Boden, rast die Maschine<br />

über das Gelände, überspringt Hecken<br />

und Hochspannungsleitungen. Rehe und<br />

Hasen flüchten vor dem großen unbekannten<br />

Vogel. Größere Orte werden<br />

umflogen. Erst im Bayrischen Wald tauchen<br />

zweimal amerikanische Jäger auf<br />

und nehmen die Verfolgung auf. Mit<br />

ihrem grünen Tarnanstrich ist die He<br />

111 so tief unten für die Jäger schwer zu<br />

erkennen. Seitentäler helfen ihr, beide<br />

Male zu entkommen.<br />

Dann aber wird der amerikanische Luftverkehr<br />

über der deutschen Maschine<br />

immer dichter. Der Pilot weiß, lange<br />

kann er nicht mehr in der Luft bleiben.<br />

Jetzt fliegt er hinein in die Hersbrucker<br />

Schweiz. Unter ihm ein Hochtal, beidseitig<br />

von Wald begrenzt, und am Ende ein<br />

kleiner Weiher. Jetzt oder nie, durchfährt<br />

es ihn. Dicht über dem Boden fliegend,<br />

sucht er nach gefährlich werdenden Hindernissen.<br />

Keine zu sehen - aber schon ist<br />

wieder Wald vor der Flugzeugkanzel.<br />

Ruckartig zieht Stumptner die Maschine<br />

hoch, streift einen Baumwipfel, die Maschine<br />

schüttelt es dabei zum Zerbrechen,<br />

die linken Luftschraubenblätter sind abgebrochen,<br />

Mit Minimalgeschwindigkeit<br />

und nur einem Motor fliegt er eine<br />

360-Grad-Kurve und kommt wieder in<br />

die Schneise hinein, fährt die Landeklappen<br />

aus. Mit nur noch 150 km/h gelingt<br />

ihm das Überspringen eines Bauernfuhrwerks<br />

(siehe Anfang des Berichts). Dann<br />

setzt er auf. Zündung aus, Benzinhahn<br />

zu, Gashebel zurück, Kabinendach abwerfen<br />

und gleichzeitig schon der Krach<br />

und der Ruck durch die Maschine, die<br />

ohne Fahrwerk den unebenen Boden berührt.<br />

Nach 80 bis 100 Metern kommt sie<br />

zum Stehen. Stille. Die Bauchlandung ist<br />

perfekt gelungen. Nun alles schnell raus,<br />

denn Brand- oder Explosionsgefahr besteht<br />

in solchen Fällen immer.<br />

Mit ihren wenigen Habseligkeiten rennt<br />

die Besatzung in den nahen Wald und<br />

versteckt sich. Wenige Minuten später<br />

sind die ersten Amis an der Maschine.<br />

Später kommt noch ein Hubschrauber,<br />

wie sie aus ihrem Versteck beobachten.<br />

„Go on“<br />

Am Nachmittag tauschen die Flieger bei<br />

den Bauern in Kleinmeinfeld ihre Uniformen<br />

und Fliegerkombinationen gegen<br />

Zivilkleidung. Am nächsten Tag treten<br />

sie getrennt, jeweils ein Flieger mit einem<br />

Blitzmädchen, auf Schleichwegen den<br />

Marsch nach Fürth an.<br />

Ludwig Stumptner erreicht mit seiner<br />

Weggefährtin nach einem Dreitagemarsch<br />

auf Feld- und Waldwegen ohne<br />

Begegnung mit Amerikanern den Stadtrand<br />

von Fürth. Am Flussübergang über<br />

die Rednitz kontrollieren zwei farbige<br />

Amerikaner die Passanten. „Im letzten<br />

Moment umkehren hätte nichts mehr<br />

genützt“, erzählt Dr. Stumptner. „Also<br />

mimten wir ein Liebespärchen und gingen<br />

engumschlungen auf den Steg zu.<br />

Mit einem lässigen „go on“ ließen uns<br />

die Posten passieren“. Nur zehn Minuten<br />

später nahm ihn seine Mutter überglücklich<br />

in die Arme.<br />

Am Igelsee hatten die Amerikaner unmittelbar<br />

nach der Landung Waffen und<br />

Gerät aus dem Flugzeug ausgebaut, und<br />

nun bedienten sich die Einwohner der<br />

umliegenden Dörfer. Man konnte damals<br />

ja alles brauchen. Besonders begehrt war<br />

die Lederverkleidung der Treibstofftanks,<br />

aus der später Stiefel und Schuhe gefertigt<br />

wurden. Das Benzin diente als „Zahlungsmittel“<br />

bei Tauschgeschäften. Die<br />

Fliegerkleidung aus sehr gutem Stoff und<br />

die ledernen Fliegerkappen taten ihren<br />

Trägern noch lange Jahre gute Dienste,<br />

und aus der Fallschirmseide ließ man<br />

den Mädchen schöne Kleider machen.<br />

Auch Blechstücke der Tragflächen und<br />

des Rumpfes fanden Ihre Liebhaber, Teile,<br />

davon sind heute noch vorhanden.<br />

Das ausgeschlachtete Wrack blieb liegen,<br />

bis 1948 Eisenhändler die Reste zusammen<br />

mit zerstörten deutschen Panzern<br />

abholten, die bis dahin die Buben<br />

der Umgegend als „Abenteuerspielplatz“<br />

benützt hatten. Geblieben sind nur die<br />

Erzählungen von dieser Sensation am<br />

Kriegsende.<br />

Eckhardt Pfeiffer und Werner Kaschel<br />

Erstveröffentlichung in der „Heimat“, einer<br />

Beilage zur Hersbrucker Zeitung, die als 67.<br />

Jahrgang im August 1997 erschien.<br />

So ähnlich dürfte sich die notgelandete Maschine auf dem Kleinmeinfeld<br />

den amerikanischen Soldaten präsentiert haben (Bild einer gleichartigen Situation nach Kriegsende).<br />

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