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Printversion vergriffen: Freier Download BA 55 als PDF - Bad Alchemy

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B E L G I A N S O U N D S C A P E S<br />

Brüssel, 1977. Marc Hollanders und Vincent Kenis’ Gruppe mit dem mysteriösen<br />

Namen Aksak Maboul reißt thematisch, in aller Form des inszenierten<br />

Größenwahns, an, was dann wenig später in Großbritannien intellektuell en<br />

vogue sein wird, <strong>als</strong> das clever inszenierte Label PUNK vom Working Class<br />

Hero zum Art-School-Studenten transferiert wird: Eklektizismus, Internationalismus,<br />

freie und spielerische Vermischung von Formen, Kulturen und Genres<br />

(so wird das in den Anmerkungen zu Onze Danses Pour Combattre La Migraine,<br />

der ersten Platte, treffend zusammengefasst). Danach, und bis Mitte der<br />

1980er Jahre, ist Brüssel tatsächlich die ideale Stadt, um sich nochm<strong>als</strong> an<br />

den verschütt gegangenen Kunsttheorien und Utopien des auslaufenden Jahrhunderts<br />

abzuarbeiten - Situationismus, Lettristen, Debord, Dada, Artaud, Surrealismus,<br />

Futurismus, Heartfield beispielsweise - und diese musikalisch mit<br />

den Visionen des New Wave und neuen technischen Möglichkeiten zu konfrontieren.<br />

Nur logisch, dass sich mit der Gründung von Crammed Disc auch das<br />

R.I.O. / Recommended-Umfeld von der Ausrichtung und den Idealen des Labels<br />

angesprochen fühlt, denn theoretisch aufgeladen und abstrahiert kann auch<br />

die linientreue Linke sich dem Punk, bzw. im Falle von Hollander und Kenis der<br />

Freiheit des (genialen) Dilettantismus, ungefährdet annähern. Jauniaux,<br />

Berckmans, Leigh, Chenevier, Cutler und Frith spielen in den Reihen von Aksak<br />

Maboul und zum großen Teil auf dem zweiten Album Un Peu De L’áme Des Bandits.<br />

Die ersten Veröffentlichungen auf Crammed - außer den beiden Aksak<br />

Maboul-Alben z.B. Honeymoon Killers, Benjamin Lew, Minimal Compact, Tuxedomoon,<br />

Zazou/Bikaye, Deyhim/Horwitz, Hermine - sind dann vergleichbar mit<br />

der Aufbruchzeit von Rough Trade: Blueprints und Referenz für Vieles, was<br />

noch kommen wird.<br />

Michel Duval, Bennoit Hennebert und Annik Honoré rufen Les Disques Du<br />

Crépuscule 1980 ins Leben, und was zuerst <strong>als</strong> Factory Benelux konzipiert<br />

ist, schlägt schnell einen anderen, konsequenten Weg ein. From Brussels With<br />

Love, <strong>als</strong> Kassettenbeilage für den N.M.E. kompiliert und um textlastige Theorie<br />

ergänzt, gibt die Richtung vor, die später Labels wie Touch und Leaf mit einer<br />

ähnlichen Verschmelzung von Ästhetik und Musik verfolgen werden. Und auch<br />

heute noch erscheint das, was für diesen Sampler an Ideen in die Waagschale<br />

geworfen wurde, aktuell, clever und zeitlos; was auch immer uns das über die<br />

letzten dreißig Jahre Musikgeschichte sagen will. Wim Mertens, Michael Nyman,<br />

Glenn Branca, Marc Ribot, Cabaret Voltaire, Current 93, Ludus, Arthur<br />

Russell, Isabelle Antena und (auch)Tuxedomoon - die auf beiden Labels veröffentlichen<br />

- sind einige der Stilisten, die den Hipfaktor zwischen Kunst und Philosophie,<br />

Pop und Avantgarde kontinuierlich neu ausloten, justieren und vor allem<br />

auch mit der entsprechenden Verpackung versehen. Über die Jahre erweitern<br />

sich die Tätigkeiten von Les Disques Du Crépuscule um Buchpublikationen,<br />

Videoproduktionen bis, konsequenterweise, zu Ausflügen in die Modewelt.<br />

Seit 2004 liegt LDDC brach.<br />

Crammed Disc pflegt seit einigen Jahren seinen Backkatalog, ist aber, wie<br />

man weiß, vor allem zu einem der etabliertesten World-Music Labels in Europa<br />

aufgestiegen. Der Nachlass (?) von Les Disques Du Crépuscule wird kompetent<br />

von James Nice, einem Schotten, der in den erwähnten wegweisenden Jahren<br />

selbst in den Reihen des Labels arbeitete, betreut und ständig erweitert. Seinen<br />

Versuch, in den 1990ern einem “richtigen Beruf” (Anwalt) nachzugehen,<br />

hat er, wie soviele andere der dam<strong>als</strong> Infizierten, wieder der Romantik der<br />

Selbstausbeutung und seinem Label mit dem bezeichnenden Namen Les<br />

Temps Moderne geopfert.<br />

In einer Stadt wie Brüssel (und in Belgien überhaupt) steht die Nostalgie allerdings<br />

nur bedingt im Kurs. Außer Carbon 7 mit seinem offenen Labelraster<br />

für Altes und Neues, das von den beiden ehemaligen Univers Zero-Musikern<br />

Andy Kirk und Guy Segers betrieben wird, und Sub Rosa, das die Industrial-<br />

Wurzeln um kontemporäre Klassik und Geräuschmusikpioniere ergänzt, gibt es<br />

bei den jungen, meist ebenfalls von Musikern gegründeten Mikro-Unternehmen<br />

wie matamore recordings., Stilll, (K-RAA-K)3 in Gent oder Ultima Eczema<br />

und Audiobot in Antwerpen wenig Bezugspunkte zur Historie.<br />

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