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Die spezielle Befindlichkeit von Menschen, die ihrer ‚Jewishness‘<br />
‚entfremdet‘ sind, nannte Ned Rothenberg ‚Inner Diaspora‘. Bei John<br />
Zorn treibt dieses individuelle ‚Ausgesätwordensein‘ erstaunliche<br />
Blüten. Sein Anspielungsreichtum, unnötig belächelt, umfasst allein<br />
hier die dämonischen Töchter Liliths und Samaels (Lilin) und die 4.<br />
der Ägyptischen Plagen (Hath-Arob); Tekufah heißt (Jahres)-Kreislauf<br />
und Tagundnachtgleiche, Kedem bedeutet gleichzeitig Vergangenheit,<br />
Osten und vorwärts; ähnlich mehrdeutig ist Yatzar, erschaffen,<br />
hebr. wajjizer (1_Mos 2,7), wobei einige meinen, dass die zwei<br />
Jot auf das Zwiespältige der Schöpfung hindeuten (Jezer hara = böser<br />
und Jezer hatov = guter Trieb).<br />
Zorn ist permanent bestrebt, derart Disparates und In-Sich-Widersprüchliches zu<br />
fusionieren: The great work is the uniting of opposites - Kenneth Anger (Lucifer<br />
Rising), Antonin Artaud (Le Momo), Francis Bacon (Aporias), George Bataille (Leng<br />
Tch‘e), Hans Bellmer (Absinthe), Walter Benjamin (Angelus Novus), Joseph Beuys<br />
(The Nerve Key), Hieronymus Bosch (Chimeras), Luis Bunuel (Madness, Love and<br />
Mysticism), Ornette Coleman (Spy vs. Spy), Aleister Crowley (I.A.O.), Maya Deren<br />
(Filmworks X), Marcel Duchamp (Etant Donnes), Jean Genet (Elegy), Jean-Luc Godard<br />
(Godard), Ennio Morricone (The Big Gundown), Man Ray (Radio), Raymond<br />
Roussel (Locus Solus), Weegee (Naked City). Seine Mystic Fugu-, Number of The<br />
Beast-, Hermetic Theater- und Oulipo-Lesarten der Kabbala, die saloppe Art wie er<br />
das Buch Zohar zwischen dem Book of Heads und dem 7-bändigen Book of Angels<br />
neben das Necronomicon stellt, sein Zappen zwischen New York und Tokyo, Cartoon<br />
S/M, Manga-Bizarrerie und Jüdischer Überlebenskultur (The Port of Last Resort,<br />
Trembling Before G-d, Secret Lives) und wie er Tabu & Exil, Splatter & Romance<br />
ineinander blendet, das alles lässt sich kokett <strong>als</strong> TV-Sozialisation à la Tarantino<br />
oder Manie kurzer Aufmerksamkeitsspannen, <strong>als</strong> Chuzpe oder <strong>als</strong> dekadenter Eklektizismus<br />
abtun. Dabei folgt Zorn nur dem weißen Kaninchen von einer Faszination<br />
zur nächsten, seitdem er mit 19 sein erstes Stück komponierte und nach einem Gedicht<br />
von Coleridge ‚Christabel‘ nannte. Danach - ein wucherndes Aderngeflecht<br />
von Game Pieces, Bebop, Soundtracks, Jazzcore, Musica Nova, Fusion, Musique<br />
concrète, Exotica - Naked City (1989-92), Painkiller (1991-), Masada (1994-), Tzadik<br />
(1995-) ... William Schuman Award 2007 (mit Vorgängern wie Gunther Schuller 1989,<br />
Milton Babbitt 1992, Steve Reich 2000) ...<br />
Das Masada-Projekt ist Asher Ginzberg aka Ahad Ha‘am (1856-1927) gewidmet,<br />
dem Gründervater des Kulturellen Zionismus, der zu einer Renaissance<br />
der Jüdischen Kultur aufrief, die diasporisch verstreut, in Genisot versteckt<br />
oder durch Assimilierung kaschiert auf Schnitzeljäger wartet. Zorn zitiert dazu<br />
den Kabbala-Experten und Sabbatei Zwi-Biographen Gershom Scholem (1897-<br />
1982), der von „a treasure hunt“ gesprochen hat, „which creates a living relationship<br />
within tradition“, selbst wenn sie außerhalb des orthodoxen Rahmens<br />
stattfindet. Für Zorn kann der Rahmen nicht unorthodox genug sein - Sex, Crime,<br />
Kitsch, Werbung, Bacharach, Bolan, Gainsbourg... POWERFUL SECRETS<br />
are revealed through INTENSITY and EXTREMES of experience. Das Buch, in<br />
dem alles steht, ist zerfleddert in Fitzelchen, wie sie auf den Masada-Covers zu<br />
sehen sind. Die Gnosis des Isaak Luria (1534-1572) erklärt diesen Zustand mit<br />
dem Schebirath ha-kelim (dem „Zerbrechen der Gefäße“) und sieht den Erlösungsweg<br />
in Tikkun olam („Wiederherstellung“), von der auch das Buch Zohar<br />
spricht. Dabei geht es darum, die zerstreuten ‚Licht- / Geistfunken‘ zu sammeln<br />
- „You could call it stealing, you could call it quoting, you could call it a lot of<br />
different things.“ Soviel zu Zorns ‚Eklektizismus‘. Es geht um „spiritual possessions“<br />
im Sinne von Besitz- und Eigentum - aber vielleicht auch von Besessensein<br />
(wie im kabbalistischen Konzept des Ibbur) - , wobei Ha‘am das explizit<br />
nicht auf einen ‚Staat Israel‘ bezog, sondern auf Sprache und Literatur, auf ein<br />
‚Imaginäres Israel‘, ein ‚Inneres Israel‘. Jedes Fitzelchen Text ist dabei Teil eines<br />
größeren Puzzles, jeder Text ist Interpretation und wieder Gegenstand von<br />
Interpretation, Glied in einer Midrash-Kette, die um etwas Unnennbares kreist,<br />
das so bewusst gehalten wird. Zorn beschrieb Spillane <strong>als</strong> „a kaleidoscopic<br />
rollercoster ride through an imaginary narrative.“ Auch sein Lebenswerk <strong>als</strong><br />
Ganzes ist damit treffend charakterisiert.<br />
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