12.11.2012 Aufrufe

Printversion vergriffen: Freier Download BA 55 als PDF - Bad Alchemy

Printversion vergriffen: Freier Download BA 55 als PDF - Bad Alchemy

Printversion vergriffen: Freier Download BA 55 als PDF - Bad Alchemy

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

PNL hat mit LASSE MARHAUG einiges gemeinsam,<br />

den Jahrgang 1974, Norwegen <strong>als</strong> Brutstätte und<br />

eine Vorliebe für Noise, nicht <strong>als</strong> Nebeneffekt, sondern<br />

<strong>als</strong> Stoff. Bei Marhaug ist das Faible für<br />

SchMerzPunkDaDa à la Merzbow bekannt, durch Origami<br />

Replika oder Jazkamer. Er und PNL kennen<br />

sich spätestens seit 2003, <strong>als</strong> sie auf dem NuMusic<br />

Festival in Stavanger zusammen spielten (Personal<br />

Hygiene, Utech), seit 2004 agieren sie auch gemeinsam<br />

in der Territory Band. Gemeinsam ist ihnen definitiv<br />

auch der Spaß an Höllenkrach und entsprechend<br />

gebärden sie sich auf Stalk (PNL Records,<br />

PNL001) <strong>als</strong> ‚Paranoia Agenten‘ in einem ‚Satanico<br />

Pandemonium‘. Zuerst hört es sich an, <strong>als</strong> ob PNL<br />

hier auch zu elektronischen Waffen greift, um kakophon<br />

zu dampfen und zu spritzen. Aber dann erkennt<br />

man doch deutlich inmitten von Marhaugs<br />

Sampling- und Feedbackknurschen wie er Alarm<br />

schlägt, wie seine Becken beben und rauschen, wie<br />

er mit Holz und Bronze schabt und kratzt und mit<br />

Ketten rasselt. Bei ‚The Last Exile‘ und ‚The Lodger‘<br />

interagiert er mit splittrigen Flirrschlägen und rasenden<br />

Snarewirbeln mit Marhaugs Cut-up-Schnipseln<br />

von Stimmen oder aggressiv pochenden, stechenden<br />

Noisefetzen. ‚Tenebrae‘ ist ein nahezu manischer<br />

Trommel-Strepitus, zu dem Marhaug einen<br />

brüllenden Loop-Twister immer näher rücken lässt,<br />

bis man in den Mahlstrom mitgesaugt wird. ‚I Will<br />

Walk Like a Crazy Horse‘ lässt in der Ferne Panzer<br />

vorüber rollen, die Schrottteile klackernd beben lassen,<br />

während ein Funkgerät nur verstümmelte Laute<br />

spotzt. Das Grollen rückt immer näher, das gestörte<br />

Funkgerät prasselt ohne Kontakt. Und ich möchte<br />

wetten, dass zu dem, was die beiden Norweger verbindet,<br />

auch eine Vorliebe für nervenzerrende Action-<br />

und Schauerfilme gehört.<br />

PNL, der für Stalk sein eigenes Label installierte, hat<br />

zwar mit Sticks & Stones (SOFA, 2001) und 27 Years<br />

Later (Utech, 2005) demonstriert, wozu er alleine in<br />

der Lage ist, lieber aber sucht er die Herausforderung<br />

im Dialog mit Saxophonisten wie Vandermark,<br />

Gustafsson, Håkon Kornstad oder John Butcher,<br />

dem Moha!-Gitarristen Anders Hana, sogar mit einem<br />

Kirchenorganisten (Pipes & Bones, 2005). In<br />

der Transparenz der Trios mit Sandell & Berthling<br />

oder Vandermark & McBride zeigt er sich <strong>als</strong> agiler<br />

Teamspieler, kein Drescher, immer mit quicken, abrupten<br />

Bewegungen, starkem Vorwärtsdrang und<br />

übersprudelnder Klangvielfalt. Da zeigt sich schon<br />

sein vulkanisches Temprament, das ihn dorthin<br />

drängt, wo die Schmerzlust am grössten zu sein verspricht.<br />

Das flirrend Abrupte und ein sarkastischer<br />

Unterton erinnern an Lytton, aber PNL mischt dazu<br />

Free Form-Rockabilly und Hardcore. Diesen Neigungen<br />

entspricht auch sein halbstarker Outfit und seine<br />

Mimik, wenn er sich so richtig ins Zeug legt, etwa<br />

mit Raoul Björkenheim im Scorch Trio und beim rasanten<br />

Neo-No Wave von The Thing. Da explodiert er<br />

<strong>als</strong> Selbstmordattentäter für eine Erlösung der Welt<br />

durch Rhythm & Noise, wie es sich Stockhausen<br />

nicht besser erträumen könnte.<br />

4<br />

Eine absolute Herkulesaufgabe meisterte<br />

Nilssen-Love bei The First Original<br />

Silence (Smalltown Superjazz,<br />

STSJ124) von ORIGINAL SILENCE.<br />

Unter diesem unscheinbaren Namen<br />

probt ein Allstarteam den Aufstand<br />

gegen die Trägheit der Herzen, das<br />

sich zusammensetzt aus dem Zu-<br />

Bassisten Massimo Pupillo, den Gitarristen<br />

Terrie Ex und Thurston Moore,<br />

Jim O‘Rourke an Electronics und<br />

Mats Gustafsson an Bariton- & Slidesaxophon<br />

+ Effekten. Letztere bilden<br />

<strong>als</strong> Diskaholics Anonymous Trio die<br />

Keimzelle dieses Noisemonsters, dem<br />

Pupillo Säureblut durch die Adern<br />

pumpt mit seinem entsprechend<br />

monströs bratzenden Splatterfuzzbass.<br />

Im viertelstündigen ‚If Light Has<br />

No Age, Time Has No Shadow‘ legen<br />

sie <strong>als</strong> Grobschmiede ihre Eisen ins<br />

Feuer, im dreiviertelstündigen ‚In the<br />

Name of the Law‘ unternehmen sie<br />

eine Aventure und gleichzeitig eine<br />

Analyse des Bratzens. Während die<br />

Titel angeregt wurden durch Carl<br />

Frederik Reuterswärd, hierzulande<br />

bekannt durch seine verknotete Pistole<br />

vor dem Kanzleramt, saugt dieser<br />

kollektive Free Noise seine Lebensenergie<br />

aus mutierten Freakzellen,<br />

aus verzerrten Parts maudit von<br />

Rock, Jazz und Electro. ‚If Light...‘ ist<br />

hochenergetisch und PNL hat alle<br />

Hände voll zu tun, um dem schnell<br />

wachsenden Godzilla Schuppen und<br />

einen Zackenkamm zu schmieden.<br />

Man muss ein Alien sein, um zu PNLs<br />

Gepolter und dem Schrappeln der<br />

drei Stringwrestler ein Tänzchen zu<br />

wagen. ‚In the Name...‘ sammelt sich<br />

zur rasanten Schussfahrt, an deren<br />

Ende Gustafsson, von PNL angestachelt,<br />

einen Durchbruch bohrt. Nach<br />

allen Richtungen echolotend, durchqueren<br />

die Sechs eine Noiseuntiefe,<br />

bis erneut das Saxophon eine Membrane<br />

aufreißt, durch die sich bruitistische<br />

Ursuppe ergießt, die gemeinsam<br />

durchpflügt wird, um endlich ans<br />

Ziel zu kommen - das anfängliche<br />

Grundrauschen, das A und O, die<br />

Uroborosschlange, die diese Musik<br />

die ganze Zeit beschwört. PNL kann<br />

hier alles zeigen, den polternden,<br />

scheppernden Troll, vertrackt und<br />

groovig, den Kardiologen, der auf<br />

Kammerflimmern lauscht, den rasselnden<br />

Schamanen, der die Väter<br />

der Trägheit in Schach hält. An ihm<br />

beißen sich Zynismus und Borniertheit<br />

die Zähne aus.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!