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Printversion vergriffen: Freier Download BA 55 als PDF - Bad Alchemy

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I N T A K T<br />

(Zürich)<br />

FRED FRITH und CHRIS BROWN<br />

sind sozusagen ‚Mills Brothers‘. Frith<br />

lehrt an diesem bemerkenswerten<br />

College in Oakland Komposition & Improvisation,<br />

sein 1953 in Chicago geborener<br />

Kollege elektronische Musik.<br />

Entsprechend ist auch dessen perlendes<br />

oder gehämmertes Pianospiel bei<br />

Cutter Heads (Intakt CD 124) um ein E<br />

erweitert, das für interaktive Resonanzen<br />

und rätselhafte Phantomklänge<br />

sorgt. Saitenklang vexiert mit Innenklaviereffekten,<br />

perkussive Schläge<br />

traktieren den Gitarren- oder den<br />

Pianokörper, elektronisches Sirren<br />

könnte Brown, aber auch Friths E-Gitarre<br />

zum Ausgangspunkt haben.<br />

Selbst wenn Frith eine Akustische bekrabbelt,<br />

bleiben ununterscheidbare<br />

Sounds. Zu Browns Profil gehören neben<br />

Improvisationen mit Room und<br />

dem Glenn Spearman Double Trio, Interpretationen<br />

von Cowell, Ferrari, Riley<br />

und Zorn, Kompositionen wie Lava<br />

(Tzadik), Invention#7 & Alternating<br />

Currents (Ecstatic Peace) und Installationen<br />

wie Talking Drum und Transmission<br />

Temescal speziell Live Electronics-Performances.<br />

Die Duette mit<br />

Frith scheinen über die Synergie<br />

spontaner Erfindungskraft hinaus an<br />

jenem Faktor interessiert, auf den mit<br />

‚Dust‘, ‚Riddle‘ oder ‚Thick Air‘ hingedeutet<br />

wird. Dass ein drittes Element,<br />

unsichtbare Hände, mit ins Spiel kommen,<br />

wenn Browns Live Electronics<br />

auch Friths Gitarre mit transformieren,<br />

dem gemeinsamen Dritten einverleiben,<br />

an dem auf der vordergründigen<br />

Ebene weiter gezupft, geschrappt<br />

und getrillert wird. Wobei<br />

dieser Faktor, bei ‚Sings the Foundation‘<br />

allerdings erst, nachdem halluzinatorische<br />

Loops und Drones ganz<br />

allmählich ausdünnen, immer wieder<br />

und beim abschließenden ‚The Way<br />

You Do The Things‘ sogar besonders<br />

transparente und zarte Formen annimmt,<br />

<strong>als</strong> sirrendes Gitarrenfeedback,<br />

zirpiges Geflirr, diskantes Schaben<br />

und träumerische Pianotropfen.<br />

Seit dem Deutschen Jazzpreis 2005 hat sich herum<br />

gesprochen, dass ULRICH GUMPERT<br />

(*1945, Jena) einiges mehr geleistet hat, <strong>als</strong> im<br />

Zentralquartett Klavier zu spielen. Obwohl das<br />

ausreichen müsste für ein Plätzchen in der Jazz-<br />

Ruhmeshalle. Aber zu seinen Meriten gehören<br />

eben auch Satie-Interpretationen, auf den Punkt al<br />

dente, oder die Filmmusik für den von Günter<br />

Lamprecht verkörperten Berliner Tatort-Kommissar<br />

Markowitz (1991-95). Eine Folge hieß Berlin -<br />

Beste Lage und dieser Werbespruch scheint insbesondere<br />

junge Jazzer angesprochen zu haben,<br />

den Drummer Ulrich Griener, der 1994 aus Nürnberg,<br />

oder Jan Roder, Bassist von Die Enttäuschung,<br />

der ein Jahr später aus Lübeck kam, sogar<br />

den Tenorsaxophonisten Ben Abarbanel-Wolff,<br />

den es 2001 von Washington, D.C. an die Spree<br />

zog und der dort im Sirone Quartett und <strong>als</strong> Leader<br />

eines eigenen Fuß gefasst hat. Diese Drei<br />

spielen nun zusammen mit Gumpert seine Quartette<br />

(Intakt CD 127), darunter, in Reminiszenz an<br />

alte Brainstormingtage mit den Synopsis / Zentralquartettfreunden<br />

Sommer, Petrowsky und Bauer,<br />

die ‚Conference at Baby‘s‘, ‚...at Luten‘s‘ & ‚...at<br />

Conny‘s‘, verqualmte, hochprozentige Liebeserklärungen<br />

an die Cats, von denen die inspirierenden<br />

Impulse- und Blue Note-Klassiker stammen,<br />

die sich dabei auf den Plattentellern in der Christburger<br />

Straße am Prenzlauer Berg bei Baby oder<br />

Conny drehten oder bei Petrowsky, der Richtung<br />

Flughafen Schönefeld hauste. Gumpert hat sich<br />

mit seiner Sammlung von Vinylpreziosen am<br />

Schiffbauerdamm festgekrallt, mit Blick auf<br />

Brechts Hinterkopf, und beschreibt sein Lebensumfeld<br />

in ‚Blue Circus‘. ‚Von Hier und Anderswo‘<br />

pfeift mit Wehmut ein Lied aus vergangenen Tagen.<br />

‚Circulus Vitiosus‘ ist, was es heißt, ein 18-faches<br />

Play it again von 16 Takten, so wie Gumpert<br />

in endlos blauen Stunden die Motive seiner Helden<br />

umkreist, Coltrane, Coleman, Mingus, Miles, Cherry.<br />

Er kopiert keinen und doch sind sie alle gegenwärtig,<br />

die quecksilbrigen Geister aus dem Five<br />

Spot Cafe oder dem Village Vanguard. Die Quartette<br />

geben dem Stoff jeweils einen Dreh, der das<br />

Original aufschimmern und wie neu erscheinen<br />

lässt, wobei Abarbanel-Wolff vollmundig wie ein<br />

‚Alter‘ auftrumpft. Gumpert splittert dazu stahlblanke<br />

Pingkapriolen, grobe Richtung: Mengelberg<br />

oder Schlippenbach. Er war die treibende Kraft<br />

hinter Aus teutschen Landen gewesen und konnte<br />

dabei zeigen, dass Jazz im Grunde eine bestimmte,<br />

durch Erfahrungen der Migration und Verstädterung<br />

hindurch gegangene Weise ist, Volksmusiken<br />

rhapsodisch aufzupeppen, zu ‚Verzigeunern‘,<br />

zu ‚Amerikanisieren‘. Ganz Berlin könnte davon ein<br />

Lied singen. Statt dessen gefällt man sich <strong>als</strong> überdimensioniertes<br />

Sandbrötchen aus Hirschhornsalz<br />

und Zuckerguss. Bei Gumpert gibt es kein ‚Hier‘<br />

ohne ein ‚Anderswo‘.<br />

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