Printversion vergriffen: Freier Download BA 55 als PDF - Bad Alchemy
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ANTHONY BRAXTON ist inzwischen so etwas wie der Leo-Star,<br />
obwohl seine Kreativität über das Fassungsvermögen eines Label<br />
hinaus geht. Mit Trio (Glasgow) 2005 (LR 487 / 488, 2 x CD)<br />
sind wir im Kalender nur 4 Tage weiter gerückt seit 4 Compositions<br />
(Ulrichsberg) 2005 Phonomanie VIII (-> <strong>BA</strong> 52) und begegnen<br />
Braxton selbst an Altosax & Electronics im Verbund mit dem<br />
Kornettisten & Flügelhornisten Taylor Ho Bynum und der neuen<br />
Gitarrenentdeckung Tom Crean. Zusammen<br />
performen sie in zwei einstündigen Sets die<br />
‚Composition 323 a & b‘. Crean verdiente sich<br />
die Möglichkeit, in diesem ‚Diamond Curtain<br />
Wall Musics‘ Trio die Rolle eines Kevin O‘Neil<br />
oder einer Mary Halvorson zu spielen, durch<br />
sein Studium bei Braxton an der Wesleyan University,<br />
einer Reihe von Kompositionen wie ‚4<br />
Maps of Infinite Possibility‘ and ‚XXXX‘ für Gitarre<br />
& Computer, sein Mitwirken an Braxtons<br />
‚Sonic Genome‘-Project 2003 und der Aufführung<br />
mehrerer seiner Ghost Trance-Werke für<br />
Quartett 2004. So erlebt man nun das Phänomen,<br />
dass Ho Bynums stupende Virtuosität,<br />
die allein schon Aufmerksamkeit erregen<br />
könnte, nur ein Pol in einem Dreieck ist, das in<br />
Creans struppigem, unjazzigem Gitarrenspiel<br />
und in Braxtons auffällig zarten und quecksilbrigen Altoklängen<br />
ebenso starke Anziehungs- wie Abstoßungskräfte ausstrahlt.<br />
Und damit des Besonderen nicht genug, legt Braxton über weite<br />
Strecken mit seinen interaktiven Supercollider-Electronics einen<br />
irisierenden Schleier über diesen Tripol, schimmernde Gespinste<br />
aus feinen, leicht diskanten Drones. Crean kratzt und plückt<br />
dahinter auffällig stottrige, aleatorisch gestreute und rasante<br />
Kürzel von seinen Saiten, Ho Bynum sprudelt dazu ebenso<br />
schnelle, meist gepresste Linien. Dass Braxton sich aufs Alto beschränkt,<br />
stand eigentlich nicht auf dem Programm. Aber all seine<br />
übrigen Intrumentenkoffer gingen auf der Tour verschütt.<br />
Nach einer Dreiviertelstunde von ‚323a‘ keucht er Worte durchs<br />
Mundstück, eine weitere Irritation, die aber den freien Umgang<br />
dieses Trios mit flüchtigen, undefinierten Klängen und seinen<br />
Spaß an Noise, an Tempo und unvermuteten Träumereien demonstriert.<br />
Nicht umsonst hebt Ho Bynum unter seinen Erfahrungen<br />
mit Braxton zwei Punkte besonders hervor, „his insistence<br />
to keep challenging himself and his audience, and his refusal<br />
to accept any boundaries on his work.“<br />
Diese Suche nach Selbstherausforderung und Grenzüberschreitung<br />
ist wohl der Motor für Braxtons unermüdlichen Selbstbefragungen.<br />
Die aber ähnlich wie bei Picassos oder Max Beckmanns<br />
Selbstporträts nie bloß Suche nach dem eigenen Wasauchimmer<br />
oder eitle Blicke in den Spiegel sind, selbst wenn man dabei das<br />
Publikum <strong>als</strong> Spiegel ansieht. Solo (Pisa) 1982 (Golden Years, GY<br />
28) ist wie Solo (Köln) 1978 oder Solo (Milano) 1979 in erster Linie<br />
eine Befragung und ein Härtetest des Materi<strong>als</strong>, eigenem<br />
und ‚klassischem‘ - ‚Round ‘Bout Midnight‘, ‚You Go to My Head‘<br />
und vor allem ‚Giant Steps‘. Coltranes Eckstein war für Braxton<br />
die Herausforderung, um daran seinen Schnabel zu wetzen und<br />
seine gleichzeitige Nähe und Distanz zur Jazztradition im allgemeinen<br />
und zur Saxophonartikulation im Besonderen mit kreativer<br />
Spannung aufzuladen. Das Publikum in Pisa brachte er mit<br />
seiner rasenden, flatterzüngelnden, schädelbohrenden Hypervirtuosität<br />
völlig aus dem Häuschen, zu einer nicht enden wollenden<br />
Ovation.<br />
Im Übrigen ist ‚323 b‘ ebenso verblüffend und entgrenzt wie ‚323<br />
a‘, ein funkelnder Diamant in der Braxtonia-Krone.<br />
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