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retail 2/2013 - Wiener Zeitung

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etail___auslage<br />

zu suchen, schwitzend durch ein Kaufhaus<br />

zu rennen, um dort dann kein<br />

Personal anzutreffen, das ihnen hilft,<br />

das richtige Geschenk für die Schwiegermutter<br />

auszusuchen. Wir brauchen<br />

heute weniger Verkaufsfläche,<br />

aber wir müssen sie besser inszenieren.<br />

Händler wie Hollister oder Marc<br />

O’Polo reagieren darauf, indem sie die<br />

Fläche zur Bühne und den Einkauf zu<br />

einem Erlebnis machen. Die Einkaufszentren<br />

müssen heute eine hohe Aufenthaltsqualität<br />

aufweisen, damit die<br />

Leute überhaupt dorthin gehen. Das<br />

Einkaufen jenseits des Versorgungskaufs<br />

und Discounts entwickelt sich<br />

immer mehr zu einer Unterhaltungsform.<br />

Im Kern meint das ja auch der<br />

Begriff Shopping.<br />

In den Innenstädten stehen abseits<br />

der Fußgängerzonen viele Läden leer.<br />

Tun die Händler dort zu wenig für<br />

die Unterhaltung<br />

Es sind nicht nur die Händler gefragt.<br />

Es braucht das konzertierte<br />

Engagement von Politik, Immobilienwirtschaft<br />

und Handel, um diese<br />

Lagen wieder attraktiv zu machen und<br />

dafür zu sorgen, dass die Innenstädte<br />

nicht nur als Orte der Warendistribution<br />

funktionieren, sondern auch als<br />

Orte des kulturellen Austauschs mit<br />

identitätsstiftenden Charakter. In Zukunft<br />

werden die Innenstädte auch für<br />

die Nahversorgung wieder wichtiger,<br />

denn niemand wird bei drei Euro je<br />

Liter noch in den Fachmarkt fahren<br />

wollen, um dort den Versorgungseinkauf<br />

für einen Ein- bis Zwei-Personen-Haushalt<br />

zu tätigen. Schon jetzt<br />

boomen die Convenience-Stores in<br />

den Innenstädten der größeren Städte.<br />

Der demografische Wandel und neue<br />

Mobilitätsanforderungen spielen der<br />

City also in die Hand und machen das<br />

Fachmarktzentrum mittelfristig zu einem<br />

Auslaufmodell.<br />

2060, wenn der demografische Wandel<br />

und der Ölpreis einen Höhepunkt erreicht<br />

haben, wird es also – vorausgesetzt,<br />

die Innenstädte schaffen das – wieder<br />

viele kleine Läden geben, in denen<br />

man sich trifft und sich beraten lässt<br />

Sie können das auch Tante-Emmaoder<br />

Onkel-Ahmed-Renaissance nennen.<br />

Es sind schon heute oft von Migranten<br />

geführte Familienbetriebe, die<br />

mit Service punkten, indem sie zum<br />

Beispiel den Einkauf nach Hause bringen.<br />

Das sind Vorreiter-Modelle.<br />

Heute praktizieren wir mehrheitlich<br />

ein Einkaufsverhalten, das für kleinere<br />

Geschäfte destruktiv ist: Wir<br />

kaufen im Internet oder im Einkaufszentrum.<br />

In den Fußgängerzonen<br />

dominieren die Ketten. Wo sehen Sie<br />

bei den Konsumenten die Kräfte, die<br />

in eine andere Richtung weisen<br />

Alternativen werden von den Konsumenten<br />

zunehmend nachgefragt,<br />

und der Handel schafft die Angebote.<br />

Kreative Zerstörung bedeutet ja auch,<br />

dass – belohnt durch starke Nachfrage<br />

– neue Player hinzukommen. Der Web<br />

2.0-Vorreiter mymuesli hat einen Flagshipstore<br />

in einer 1A-Lage in Stuttgart<br />

eröffnet, der Herrenausstatter Bonobos<br />

hat mittlerweile sechs Guideshops in<br />

US-Städten – beides sind Pure Player,<br />

die aber eine stationäre Verankerung<br />

brauchen. Andere Händler wiederum<br />

verlangen für Beratungsleistungen auf<br />

der Fläche Geld, schreiben den Betrag<br />

aber wieder gut, wenn etwas gekauft<br />

wird. Ich finde das gut. Die neuen<br />

Konzepte wie Emmas Enkel oder Das<br />

Kochhaus sind wunderbare Innovationen,<br />

die zeigen, dass man es mit einer<br />

intelligenten Sortimentsführung und<br />

attraktivem Service schafft, Kunden<br />

wieder ins Geschäft zu holen – auch<br />

wenn sie online einkaufen.<br />

Die Flächen werden kleiner, die Vertriebswege<br />

vielfältiger: Was bedeutet<br />

dieser Wandel für die Immobilienwirtschaft<br />

Weil in den Geschäften zunehmend<br />

geguckt, aber nicht mehr unbedingt gekauft<br />

wird, wird man insbesondere bei<br />

den Einkaufszentren über Frequenzmieten<br />

reden müssen: Frequenz heißt<br />

ja noch nicht Umsatz, der im Moment<br />

noch die Mietpreisfindung bestimmt.<br />

Ich glaube, dass die 1B-Lagen – Innenstadt,<br />

aber nicht Fußgängerzone – eine<br />

entscheidende Rolle bei der Entwicklung<br />

des Einzelhandels spielen werden,<br />

denn diese „Retail Secondaries“<br />

bieten den Raum für das Fulfillment<br />

im Multichanneling: Vielleicht wird in<br />

der 1B-Lage bald ein Amazon-Abhollager<br />

eröffnen, vielleicht nehmen dort<br />

immer mehr Online-Pure-Player stationäre<br />

Tuchfühlung auf – etwa mit Popup-<br />

oder Temporary Stores.<br />

Der Niedergang der Innenstädte hat<br />

auch mit der Massenproduktion zu<br />

tun, was ja eine jahrzehntelange Entwicklung<br />

war. Sehen Sie auch da Gegenkräfte<br />

Ja, denn wir erleben eine Renaissance<br />

des produktionsgetriebenen<br />

Handels. Schauen Sie sich die Edelschuhmacher<br />

in Wien an! Und letztlich<br />

sind ja auch die Backshops in den<br />

Supermärkten ein Symptom dieser<br />

Renaissance im Internetzeitalter. Und<br />

dann ist da die kreative Avantgarde des<br />

Handels – die Stadtteilläden, die inhabergeführten<br />

Geschäfte, die jungen<br />

Kreativen, die in einem ehemaligen<br />

Kiosk einen Schuhladen aufmachen<br />

oder ein Schneideratelier. Jetzt wäre<br />

der kritische Moment, wo auch die Politik<br />

zum Beispiel über die Mietpreise<br />

diese Entwicklung fördern sollte. Gerade<br />

in den 1A-Lagen ist die Fallhöhe<br />

extrem hoch. Was ist, wenn der Expansionskurs<br />

der internationalen Ketten<br />

vorbei ist, weil sie erkennen, dass<br />

sie die Flächen nicht brauchen, da sie<br />

im Internet so gut positioniert sind Sie<br />

werden die Toplagen abstoßen, und<br />

dann platzt die nächste Immobilienblase.<br />

Da muss man gegensteuern, indem<br />

man Mietpreise deckelt und junge<br />

Einsteiger fördert. Handel ist und<br />

bleibt ja ein attraktiver Job – wenn er<br />

mit Leidenschaft betrieben wird.<br />

Cathren Landsgesell<br />

Foto: Andreas Haderlein<br />

„Sie können das auch Onkel-Ahmed-<br />

Renaissance nennen.“ Der Wirtschaftspublizist<br />

und Unternehmensberater<br />

Andreas Haderlein glaubt an<br />

den stationären Handel mit digitaler<br />

Verankerung. Er publizierte zahlreiche<br />

Studien, darunter „Future Shopping“<br />

und zuletzt das praxisnahe Buch<br />

„Die digitale Zukunft des stationären<br />

Handels“, das im Verlag mi-Wirtschaftsbuch<br />

erschien. Am 27. Juni hält<br />

Andreas Haderlein im Rahmen des<br />

13. Versandhandelstags „Shopping 3.0<br />

– Wie der E-Commerce den Handel<br />

verändert“ einen Eröffnungsvortrag.<br />

2/<strong>2013</strong>___13

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