16.01.2015 Aufrufe

1 SPIELZEIT 06/07 Materialien zu NUR NOCH ... - Theater Ulm

1 SPIELZEIT 06/07 Materialien zu NUR NOCH ... - Theater Ulm

1 SPIELZEIT 06/07 Materialien zu NUR NOCH ... - Theater Ulm

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Theater</strong> <strong>Ulm</strong> <strong>NUR</strong> <strong>NOCH</strong> HEUTE <strong>Materialien</strong><br />

Er klopfte sich auf die Jackentasche, und dann nahm er seinen Koffer. Ich begleitete<br />

ihn rüber, dahin, wo sich im Terminal die Schlange bildete, dann umarmte ich ihn<br />

wieder und küsste ihn auf die Wange und sagte Lebwohl.<br />

»Leb wohl, Dad«, sagte er und wandte sich von mir ab, damit ich seine Tränen nicht<br />

sah.<br />

Ich fuhr nach Hause, wo im Wohnzimmer unsere Pappkartons und Koffer warteten.<br />

Nancy war in der Küche und trank Kaffee mit dem jungen Paar, das sie gefunden<br />

haue und das unser Haus für den Sommer nehmen wollte. Ich hatte die beiden,<br />

Jerry und Liz, beide graduierte Mathematikstudenten, wenige Tage <strong>zu</strong>vor schon<br />

einmal gesehen, aber wir schüttelten uns wieder die Hand, und ich trank eine Tasse<br />

Kaffee, die Nancy mir einschenkte. Wir saßen rings um den Tisch und tranken<br />

Kaffee, während Nancy ihre Liste von Dingen fertig stellte, um die sich die beiden<br />

kümmern oder die sie an bestimmten Tagen im Monat erledigen sollten, dem ersten<br />

und letzten eines jeden Monats, wohin sie die Post schicken sollten und dergleichen<br />

mehr. Nancy haue einen angespannten Gesichtsausdruck. Sonne fiel durch die<br />

Gardine auf den Tisch, während der Vormittag langsam verging.<br />

Schließlich schien alles geregelt, und ich ließ die drei in der Küche <strong>zu</strong>rück und fing<br />

an, die Sachen ins Auto <strong>zu</strong> laden. Es war ein möbliertes Haus, in dem wir wohnen<br />

würden, voll eingerichtet bis hin <strong>zu</strong> Geschirr und Kochutensilien, so dass wir nicht<br />

viel aus diesem Haus mitnehmen mussten, nur die wesentlichen Dinge.<br />

Ich war drei Wochen <strong>zu</strong>vor nach Eureka raufgefahren, dreihundertfünfzig Meilen<br />

nördlich von Palo Alto, an der Nordküste Kaliforniens, und haue das möblierte Haus<br />

für uns gemietet. Ich fuhr mit Susan, der Frau, mit der ich mich oft getroffen hatte.<br />

Wir blieben drei Nächte in einem Motel am Rand der Stadt, und ich sah die Zeitung<br />

durch und suchte Immobilienmakler auf. Sie sah mir <strong>zu</strong>, als ich den Scheck über die<br />

Miete für drei Monate ausschrieb. Später, wieder im Motel, im Bett, lag sie da, mit<br />

der Hand auf der Stirn, und sagte: »Ich beneide deine Frau. Ich beneide Nancy. Du<br />

hörst die Leute immer von ,der anderen< reden und dass die angetraute Ehefrau die<br />

Privilegien und die eigentliche Macht hat, aber ich hab das nie verstanden und mich<br />

nie um solche Dinge gekümmert. Jetzt verstehe ich. Ich beneide sie. Ich beneide sie<br />

um das Leben, das sie in dem Haus mit dir haben wird. Ich wünschte, ich wär an<br />

ihrer Stelle. Ich wünschte, wir wären es. Oh, wie sehr wünschte ich, wir wären es.<br />

Ich fühl mich so mies«, sagte sie. Ich strich ihr über die Haare.<br />

Nancy war eine hochgewachsene, langbeinige Frau: sie haue braunes Haar und<br />

braune Augen und eine großzügige Seele. Aber letzthin hatten wir beide wenig<br />

Großzügigkeit und Seele bewiesen. Der Mann, mit dem sie sich oft getroffen hatte,<br />

war ein Kollege von mir, ein geschiedener, flotter Kerl im Dreiteiler und mit Schlips,<br />

mit langsam ergrauendem Haar, der <strong>zu</strong> viel trank, so dass manchmal, wie mir ein<br />

paar von meinen Studenten erzählt hatten, seine Hände im Unterricht zitterten. Er<br />

und Nancy waren bei einer Party während der Feiertage in ihre Affäre gedriftet,<br />

nicht lange nachdem Nancy hinter meine Affäre gekommen war. Jetzt klingt das<br />

alles langweilig und schäbig - und es ist auch langweilig und schäbig -, aber in dem<br />

Frühling war es das, was es war, und es verzehrte alle unsere Energien und unsere<br />

Aufmerksamkeit und schloss alles andere aus.<br />

Irgendwann gegen Ende April fassten wir den Plan, unser Haus <strong>zu</strong> vermieten und<br />

den Sommer über weg<strong>zu</strong>gehen wir wollten versuchen, das Zerbrochene wieder<br />

<strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>fügen, falls es sich wieder <strong>zu</strong>sammenfügen ließ. Wir verabredeten,<br />

dass wir unsere anderen Partner weder anrufen noch ihnen schreiben oder sonstwie<br />

20

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!