1 SPIELZEIT 06/07 Materialien zu NUR NOCH ... - Theater Ulm
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<strong>Theater</strong> <strong>Ulm</strong> <strong>NUR</strong> <strong>NOCH</strong> HEUTE <strong>Materialien</strong><br />
kommen lässt. Man tut ihm sicher nicht unrecht, einen gewissen Naturalismus als<br />
Ausgangspunkt <strong>zu</strong> unterstellen – wie sich etwa in seiner konsequenten Benut<strong>zu</strong>ng<br />
von süddeutschen Dialekten zeigt – das jedoch scheint Harbekes Interesse gar nicht<br />
<strong>zu</strong> sein. Obwohl die sprachliche Knappheit ihrer Figuren der Alltagswelt sicher<br />
ähnlich ist, bleibt doch stets der Eindruck einer kunstvollen Verdichtung der<br />
Sprache, einer Reduzierung auf das Wesentliche, das paradoxerweise immer das<br />
Unwesentliche ist. Wenn man einen Vergleich aus der bildenden Kunst heranziehen<br />
will, erinnert sowohl ihre formale Reduziertheit als auch die Kleinschreibung an den<br />
Schweizer Architekten und Bildhauer Max Bill (1908-1994), einen Hauptvertreter der<br />
Konkreten Kunst. Bills Skulpturen, die stets auf dem ästhetischen Reiz der<br />
einfachsten (mathematisch beschreibbaren) Formen beruhen, wurden von ihm als<br />
sinnliche „Konkretionen“ abstrakter Ideen aufgefasst. Dieser Vorgang ist dem<br />
Schreiben von Sabine Harbeke vergleichbar: Ihre Dialoge sind nur die Oberflächen<br />
von Ideen, Gefühlen, Konflikten, die unausgesprochen im Inneren der Figuren<br />
ausgetragen werden. Vieles läuft unter der Oberfläche ab, und genau hier liegt der<br />
Reiz ihrer Texte. Sie sind auf die einfachste Form reduzierte verbale Interaktion, die<br />
jedoch einen Kosmos in sich birgt. Im Folgenden ein Überblick über die bisher von<br />
Sabine Harbeke veröffentlichten Stücke.<br />
WÜNSCHEN HILFT. 2000<br />
Drei Geschwister, die Augenärztin Kathrin, der Buchhändler Matthias und die<br />
Radiomoderatorin Anne, kommen nach dem Tod ihrer Mutter im Elternhaus<br />
<strong>zu</strong>sammen, um ein Sommerfest <strong>zu</strong> ihrem Gedenken <strong>zu</strong> feiern. Das Haus wird jetzt<br />
von Samuel, einem stummen Grafiker bewohnt, der als junger Mann bei der Familie<br />
eingezogen war und die Mutter bis <strong>zu</strong> ihrem Tod pflegte. Der fünfte in der Runde ist<br />
Dirk, Annes Mann. Unter der <strong>zu</strong>nächst heiteren Oberfläche des Sommernachmittags<br />
liegen schwierige Verhältnisse und Erinnerungen: Der Vater hatte sich selbst getötet,<br />
und wurde von den Kindern gefunden. Schon der Umgang mit diesem Jahre <strong>zu</strong>rück<br />
liegenden Verlust fällt den Geschwistern nicht leicht, und noch schwieriger wird die<br />
Situation als Samuel gesteht, er habe die Mutter der drei geliebt und habe mit ihr in<br />
einer Beziehung gelebt.<br />
Der Umstand, dass eine Familiengeschichte verhandelt wird, indem alle Kinder im<br />
Elternhaus <strong>zu</strong>sammen kommen und einen Tag miteinander verbringen, lässt<br />
unwillkürlich an Tschechow denken. Vielmehr als dieses Konstruktionsprinzip hat<br />
das Stück freilich nicht mit dem russischen Dramatiker <strong>zu</strong> tun. Die Figuren sind<br />
verschleppten Konflikten ausgesetzt, und man hat den Eindruck, dass sie sich nur<br />
deshalb treffen, um diese Konflikte aus<strong>zu</strong>tragen, was sie auch in relativer<br />
Freundlichkeit tun. Die Sprache ist fließend, relativ alltäglich, aufgepeppt durch die<br />
Gebärdensprache des stummen Samuel und die Radiomoderatoren-Einlagen von<br />
Anne.<br />
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