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Das Bildungswesen ist kein Wirtschaftsbetrieb! - Forschung & Lehre

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474<br />

Pro & Contra<br />

Geht die Programmförderung, und damit auch die Exzellenz<br />

Pro<br />

<strong>Das</strong> höchste Ziel einer jeden <strong>Forschung</strong>sförderung muß<br />

neben der Qualität die Nachhaltigkeit der geförderten<br />

<strong>Forschung</strong>sle<strong>ist</strong>ung sein. <strong>Das</strong> gilt sicher sowohl für die Förderungsstrategie<br />

der DFG im Normalverfahren als auch diejenigen<br />

in Programm- oder in Verbundstrukturen, die derzeit vom<br />

BMBF und der DFG verstärkt initiiert werden. Da aber, wie<br />

am Beispiel der Exzellenzinitiative unschwer zu erkennen <strong>ist</strong>,<br />

die letztere derzeit eine deutliche Priorität genießt, muß gefragt<br />

werden, ob denn überhaupt jedes Fach und jede Wissenschaft<br />

gleichermaßen geeignet <strong>ist</strong> für<br />

die Teilnahme an großvolumiger Programm-<br />

und/oder Verbundforschung, vor<br />

allem aber muß gefragt werden, ob die<br />

Nachhaltigkeit so gleichermaßen über die<br />

Fachkulturen hinweg zu sichern <strong>ist</strong>.<br />

Nachhaltigkeit in den Ge<strong>ist</strong>eswissenschaften,<br />

die hier im weiteren Sinn<br />

auch die Kultur- und Sozialwissenschaften<br />

umfassen, <strong>ist</strong> sehr oft das Ergebnis langfr<strong>ist</strong>ig<br />

gewachsener individueller <strong>Forschung</strong>sle<strong>ist</strong>ung.<br />

Erträge dieser Art finden<br />

sich dann in bedeutenden Monographien,<br />

Handbüchern und Editionen, die Generationen<br />

von Studierenden und Wissenschaftlern<br />

prägen. Dies <strong>ist</strong> eine andere<br />

<strong>Forschung</strong>skultur als in den Naturwissenschaften,<br />

die auch andere, nämlich in viel<br />

höherem Maß individualisierte Instrumentarien<br />

der Einzelprojekt- und Einzelnachwuchsförderung<br />

benötigt. Trotzdem – und<br />

weil die Bewilligungsquote im Normalverfahren<br />

der DFG im Verhältnis zu der Zahl der eingereichten<br />

Anträge kaum noch Erfolg verspricht – beteiligen sich auch<br />

die Ge<strong>ist</strong>eswissenschaften zunehmend an SFBs und Forschergruppen<br />

und werden sich auch ebenso nachdrücklich an<br />

der Exzellenzinitiative beteiligen.<br />

Auch wenn dem Rufer in der Wüste angesichts des<br />

heißersehnten Geldregens für die dramatisch unterfinanzierten<br />

Universitäten eine undankbare Rolle zukommt, so muß<br />

hier doch auf Gefahren hingewiesen werden: Die <strong>Forschung</strong><br />

in großen Verbünden, sei sie strukturell oder inhaltlich begründet,<br />

erfordert ein Höchstmaß an Interdisziplinarität. Diese<br />

<strong>ist</strong> in den Ge<strong>ist</strong>eswissenschaften – nicht immer, aber oft –<br />

nur durch methodische oder inhaltliche Ausrichtung auf<br />

Randgebiete zu erreichen, die erst die notwendigen Schnittstellen<br />

über die Disziplinen hinweg ermöglichen. <strong>Das</strong> führt<br />

weg von den klassischen Fragestellungen in den Kerngebieten,<br />

in denen die Entwicklung der Disziplin me<strong>ist</strong> über die<br />

Auseinandersetzung mit bedeutenden, wegweisenden Monographien<br />

läuft. <strong>Das</strong> <strong>ist</strong> der typische Weg in ge<strong>ist</strong>eswissenschaftlichen<br />

Fachdisziplinen.<br />

Professor Dr. Charlotte Schubert,<br />

Prorektorin für <strong>Lehre</strong> und<br />

Studium, Universität Leipzig<br />

<strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong><br />

9/2005<br />

Der derzeitige Trend zur großvolumigen <strong>Forschung</strong> berücksichtigt<br />

dies nicht. Im Gegenteil, er führt die Universitäten<br />

zunehmend in ein Dilemma: Mittel aus den viel zu knappen<br />

Universitätshaushalten sind zu konzentrieren, um die bewilligten<br />

Großprojekte langfr<strong>ist</strong>ig abzusichern; durch die le<strong>ist</strong>ungsorientierte<br />

Mittelzuweisung wird diese Konzentration<br />

von Mitteln verstärkt, weil sie eingeworbene Drittmittel durch<br />

Mittel aus den Universitätshaushalten ,belohnt’, dies geht zulasten<br />

derjenigen Fächer und Kollegen, die einer anderen <strong>Forschung</strong>skultur<br />

verpflichtet sind und sich<br />

an diesen Programm- und Strukturförderungen<br />

nicht beteiligen wollen oder können.<br />

Ihre Le<strong>ist</strong>ungsmöglichkeit wird sowohl<br />

in den <strong>Forschung</strong>sförderinstitutionen<br />

als auch in den Universitäten selbst eingeschränkt,<br />

die Le<strong>ist</strong>ung sogar zunehmend<br />

abgewertet (eine typische Äußerung zur<br />

Rechtfertigung von Stellen- oder Mittelstreichungen:<br />

„... hat <strong>kein</strong>e Drittmittel eingeworben“).<br />

Und nebenbei bemerkt: In<br />

der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung<br />

sind etwa 90 Prozent aller großen<br />

Entdeckungen absichtslos entstandene<br />

Nebenprodukte von anders anvisierten<br />

Ergebnissen (Frühwald, Mitteilungen der<br />

DFG 1/93), sind also beredte Zeugnisse<br />

für die Aussichtslosigkeit, wissenschaftliche<br />

Innovation steuern zu wollen. Trotzdem<br />

<strong>ist</strong> der höhere Geldbedarf in den Naturwissenschaften<br />

aufgrund der teuren Apparaturen,<br />

der Laborforschung etc. unstrittig<br />

– aber die einfache Übertragung der<br />

Formen von ‘big research’ auf die Ge<strong>ist</strong>eswissenschaften führt<br />

zu Konstellationen, in denen sich zwangsläufig Kartelle des<br />

mainstream zusammentun müssen, um überhaupt die notwendige<br />

Masse aufzubieten, die erst die Voraussetzung für<br />

Großvolumenprogramme <strong>ist</strong>. Außenseiterpositionen (neue<br />

Ansätze, abweichende Meinungen) können hier per se nicht<br />

reüssieren und genau das, so lehren uns die Ökonomen seit<br />

langem, behindert den Fortschritt massiv.<br />

Fazit: Daß die Exzellenzinitiative frisches Geld in die<br />

Universitäten bringt, <strong>ist</strong> zu begrüßen, aber sie muß den hier<br />

beschriebenen Gefahren begegnen, indem sie um eine Linie<br />

erweitert wird, die die klassische Individualforschung analog<br />

dem herkömmlichen Normalverfahren fördert! ❏

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