Das Bildungswesen ist kein Wirtschaftsbetrieb! - Forschung & Lehre
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Pro & Contra<br />
Geht die Programmförderung, und damit auch die Exzellenz<br />
Pro<br />
<strong>Das</strong> höchste Ziel einer jeden <strong>Forschung</strong>sförderung muß<br />
neben der Qualität die Nachhaltigkeit der geförderten<br />
<strong>Forschung</strong>sle<strong>ist</strong>ung sein. <strong>Das</strong> gilt sicher sowohl für die Förderungsstrategie<br />
der DFG im Normalverfahren als auch diejenigen<br />
in Programm- oder in Verbundstrukturen, die derzeit vom<br />
BMBF und der DFG verstärkt initiiert werden. Da aber, wie<br />
am Beispiel der Exzellenzinitiative unschwer zu erkennen <strong>ist</strong>,<br />
die letztere derzeit eine deutliche Priorität genießt, muß gefragt<br />
werden, ob denn überhaupt jedes Fach und jede Wissenschaft<br />
gleichermaßen geeignet <strong>ist</strong> für<br />
die Teilnahme an großvolumiger Programm-<br />
und/oder Verbundforschung, vor<br />
allem aber muß gefragt werden, ob die<br />
Nachhaltigkeit so gleichermaßen über die<br />
Fachkulturen hinweg zu sichern <strong>ist</strong>.<br />
Nachhaltigkeit in den Ge<strong>ist</strong>eswissenschaften,<br />
die hier im weiteren Sinn<br />
auch die Kultur- und Sozialwissenschaften<br />
umfassen, <strong>ist</strong> sehr oft das Ergebnis langfr<strong>ist</strong>ig<br />
gewachsener individueller <strong>Forschung</strong>sle<strong>ist</strong>ung.<br />
Erträge dieser Art finden<br />
sich dann in bedeutenden Monographien,<br />
Handbüchern und Editionen, die Generationen<br />
von Studierenden und Wissenschaftlern<br />
prägen. Dies <strong>ist</strong> eine andere<br />
<strong>Forschung</strong>skultur als in den Naturwissenschaften,<br />
die auch andere, nämlich in viel<br />
höherem Maß individualisierte Instrumentarien<br />
der Einzelprojekt- und Einzelnachwuchsförderung<br />
benötigt. Trotzdem – und<br />
weil die Bewilligungsquote im Normalverfahren<br />
der DFG im Verhältnis zu der Zahl der eingereichten<br />
Anträge kaum noch Erfolg verspricht – beteiligen sich auch<br />
die Ge<strong>ist</strong>eswissenschaften zunehmend an SFBs und Forschergruppen<br />
und werden sich auch ebenso nachdrücklich an<br />
der Exzellenzinitiative beteiligen.<br />
Auch wenn dem Rufer in der Wüste angesichts des<br />
heißersehnten Geldregens für die dramatisch unterfinanzierten<br />
Universitäten eine undankbare Rolle zukommt, so muß<br />
hier doch auf Gefahren hingewiesen werden: Die <strong>Forschung</strong><br />
in großen Verbünden, sei sie strukturell oder inhaltlich begründet,<br />
erfordert ein Höchstmaß an Interdisziplinarität. Diese<br />
<strong>ist</strong> in den Ge<strong>ist</strong>eswissenschaften – nicht immer, aber oft –<br />
nur durch methodische oder inhaltliche Ausrichtung auf<br />
Randgebiete zu erreichen, die erst die notwendigen Schnittstellen<br />
über die Disziplinen hinweg ermöglichen. <strong>Das</strong> führt<br />
weg von den klassischen Fragestellungen in den Kerngebieten,<br />
in denen die Entwicklung der Disziplin me<strong>ist</strong> über die<br />
Auseinandersetzung mit bedeutenden, wegweisenden Monographien<br />
läuft. <strong>Das</strong> <strong>ist</strong> der typische Weg in ge<strong>ist</strong>eswissenschaftlichen<br />
Fachdisziplinen.<br />
Professor Dr. Charlotte Schubert,<br />
Prorektorin für <strong>Lehre</strong> und<br />
Studium, Universität Leipzig<br />
<strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong><br />
9/2005<br />
Der derzeitige Trend zur großvolumigen <strong>Forschung</strong> berücksichtigt<br />
dies nicht. Im Gegenteil, er führt die Universitäten<br />
zunehmend in ein Dilemma: Mittel aus den viel zu knappen<br />
Universitätshaushalten sind zu konzentrieren, um die bewilligten<br />
Großprojekte langfr<strong>ist</strong>ig abzusichern; durch die le<strong>ist</strong>ungsorientierte<br />
Mittelzuweisung wird diese Konzentration<br />
von Mitteln verstärkt, weil sie eingeworbene Drittmittel durch<br />
Mittel aus den Universitätshaushalten ,belohnt’, dies geht zulasten<br />
derjenigen Fächer und Kollegen, die einer anderen <strong>Forschung</strong>skultur<br />
verpflichtet sind und sich<br />
an diesen Programm- und Strukturförderungen<br />
nicht beteiligen wollen oder können.<br />
Ihre Le<strong>ist</strong>ungsmöglichkeit wird sowohl<br />
in den <strong>Forschung</strong>sförderinstitutionen<br />
als auch in den Universitäten selbst eingeschränkt,<br />
die Le<strong>ist</strong>ung sogar zunehmend<br />
abgewertet (eine typische Äußerung zur<br />
Rechtfertigung von Stellen- oder Mittelstreichungen:<br />
„... hat <strong>kein</strong>e Drittmittel eingeworben“).<br />
Und nebenbei bemerkt: In<br />
der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung<br />
sind etwa 90 Prozent aller großen<br />
Entdeckungen absichtslos entstandene<br />
Nebenprodukte von anders anvisierten<br />
Ergebnissen (Frühwald, Mitteilungen der<br />
DFG 1/93), sind also beredte Zeugnisse<br />
für die Aussichtslosigkeit, wissenschaftliche<br />
Innovation steuern zu wollen. Trotzdem<br />
<strong>ist</strong> der höhere Geldbedarf in den Naturwissenschaften<br />
aufgrund der teuren Apparaturen,<br />
der Laborforschung etc. unstrittig<br />
– aber die einfache Übertragung der<br />
Formen von ‘big research’ auf die Ge<strong>ist</strong>eswissenschaften führt<br />
zu Konstellationen, in denen sich zwangsläufig Kartelle des<br />
mainstream zusammentun müssen, um überhaupt die notwendige<br />
Masse aufzubieten, die erst die Voraussetzung für<br />
Großvolumenprogramme <strong>ist</strong>. Außenseiterpositionen (neue<br />
Ansätze, abweichende Meinungen) können hier per se nicht<br />
reüssieren und genau das, so lehren uns die Ökonomen seit<br />
langem, behindert den Fortschritt massiv.<br />
Fazit: Daß die Exzellenzinitiative frisches Geld in die<br />
Universitäten bringt, <strong>ist</strong> zu begrüßen, aber sie muß den hier<br />
beschriebenen Gefahren begegnen, indem sie um eine Linie<br />
erweitert wird, die die klassische Individualforschung analog<br />
dem herkömmlichen Normalverfahren fördert! ❏