Das Bildungswesen ist kein Wirtschaftsbetrieb! - Forschung & Lehre
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EVA-MARIA JOHN / THOMAS EHRMANN<br />
„Alas, poor Yorick“<br />
Die deutsche Bildungsdiskussion liest sich teilweise,<br />
als ob wohlmeinende Politiker widerstrebende Professoren<br />
zur Erbringung von Weltklassele<strong>ist</strong>ungen überreden müßten.<br />
Von anderen Themen abgesehen: Die Mitwirkung der Studenten<br />
an der Dienstle<strong>ist</strong>ungsproduktion im Bildungsbereich<br />
kommt nicht vor. Manche Dienstle<strong>ist</strong>ungen erfordern das umfassende<br />
persönliche Mitwirken des Kunden. Wenn Boris<br />
Becker einen Trainer verpflichtet hat, um sein Tennisspiel zu<br />
verbessern, muß er auf den Platz und üben. Wenn Joschka Fischer<br />
einen Lauftrainer engagiert, um einen Marathonlauf zu<br />
überstehen, muß er das Training doch selbst le<strong>ist</strong>en.<br />
Was zeigt uns das für die ‚Produktion’ der Dienstle<strong>ist</strong>ung<br />
Bildung? Zunächst einmal, daß die Produktionsfunktion<br />
neben diversen anderen Inputs auch einen Input des<br />
‚Kunden’ erfordert. Verkürzt könnte man schreiben: B = f(S,<br />
H, P(M)), wobei S für die Le<strong>ist</strong>ungsanteile der Studenten, H<br />
für diejenigen der Hochschulpolitik und P für diejenigen der<br />
Professoren stehen, die die ihnen zugestandenen Mittel M in<br />
ihren Le<strong>ist</strong>ungsprozeß einbringen. Höhere Le<strong>ist</strong>ungsanteile<br />
einzelner Inputs im Bildungsprozeß, z.B. der Professoren,<br />
stellen aufgrund der Limitationalität der Bildungsproduktionsfunktion<br />
ausschließlich Effizienzverluste dar: Es werden<br />
Ressourcen verschwendet, die <strong>kein</strong>erlei Chance auf einen<br />
Outputbeitrag haben. Dies <strong>ist</strong> nicht nur ein ökonomisches<br />
Problem, sondern auch ein moralisches, weil menschliche<br />
Ressourcen verschlissen werden. Die Professoren finden daher,<br />
solange die Studenten nicht mitziehen, Arbeitsbedingungen<br />
vor, die einen psychischen Druck entfalten, die – wie den<br />
Autoren aus langjähriger Erfahrung gut bekannt – in der<br />
freien Wirtschaft nicht hingenommen würden. Die Hochschulpolitik<br />
reagiert darauf, indem die Verfügungsrechte der<br />
Studenten zu Lasten der Professoren noch mehr ausgeweitet<br />
werden. Natürlich geht es nicht zurück zu Jean Paul: „Abends<br />
reichten mir einige fleißige Primaner die Bittschrift um Dispensation<br />
zum Kartenspielen ein; ich erteilte sie, aber nur unter<br />
... Einschränkung.“<br />
So wird aber den Studenten der Anreiz genommen, ihren<br />
eigenen Anteil an der Bildungsproduktion zu überneh-<br />
478<br />
Hochschulpolitik<br />
aktuell<br />
Dienstle<strong>ist</strong>ungsproduktion im Bildungsbereich und die Mitwirkung der Studenten<br />
Professor Dr. Eva-Maria John und Professor Dr. Thomas Ehrmann<br />
lehren Betriebswirtschaftslehre an der FH Gelsenkirchen bzw.<br />
Universität Münster<br />
<strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong><br />
9/2005<br />
men. Eine Hochschulpolitik, die das Nichterreichen von Bildungszielen<br />
ausschließlich den Professoren zur Last legt, eine<br />
öffentliche Mittelvergabe, die das Zugestehen von Sachmitteln<br />
an die Fachbereiche von Absolventenquoten abhängig<br />
macht, und eine öffentliche Diskussion, die in die gleiche Kerbe<br />
schlägt, schafft ein Klima, indem der einzelne Student seine<br />
eigenen Ansprüche nicht mehr in Frage stellt. Dafür kann<br />
der einzelne Student nichts. Er lernt, daß der Professor, der<br />
vor ihm und seinen 800 Kommilitonen seinem Bildungsauftrag<br />
nachzukommen versucht, von ihm abhängt und seiner<br />
Beurteilung unterworfen <strong>ist</strong>.<br />
Der heutige Student weiß zudem, daß ein Professor<br />
spätestens seit Einführung der W-Besoldung weniger verdient<br />
als das Anfangsgehalt, das er sich selber ausrechnen kann. Er<br />
weiß, daß sein eigenes Scheitern von außen dem Professor<br />
angelastet wird und übernimmt diese Haltung. Wer schon mal<br />
die studentischen Kommentare auf Evaluationsbögen gelesen<br />
hat, weiß, daß der Student vom Professor Harald Schmidt-<br />
Qualitäten und gute Noten erwartet und bewertet. <strong>Das</strong> belegen<br />
viele empirische Studien. Außerdem sind personalisierte<br />
Beratungsle<strong>ist</strong>ungen der Professoren erwünscht. Nicht einer<br />
der 800 Studenten einer Großvorlesung scheut sich heute<br />
mehr, dem Professor E-Mails mit Fragen zu schicken, die<br />
durch Lektüre der angegebenen Literatur leicht zu beantworten<br />
wären. Der Student hat <strong>kein</strong>e Achtung vor dem, der ihn<br />
Le<strong>ist</strong>ungsbereitschaft und Kreativität (!) lehren soll. Wie<br />
auch? Die Folge: Die Studenten nehmen, weil sie rational<br />
agieren, (nicht, weil sie verkommen sind!) ihre eigenen Le<strong>ist</strong>ungsanteile<br />
am Bildungsproduktionsprozeß zurück. Sie lesen<br />
die angegebene Literatur immer weniger, sie stören die<br />
Vorlesungen durch lautstarke Gespräche, sie demoralisieren<br />
die Professoren durch Zeitung Lesen in der Unterrichtssituation,<br />
sie verlangen trotz ausgezeichneter Lehrbücher eigens<br />
für sie konzipierte und ausformulierte Skripten und unterhalten<br />
Internet-Foren, in denen die Professoren an den Pranger<br />
gestellt werden. Kurzum: die Studenten haben vom politischen<br />
Wettbewerbs-Geschäft gelernt, daß es preiswerter <strong>ist</strong>,<br />
(ohne Angst vor Sanktionen) politischen Druck auszuüben,<br />
als zu lernen. Ein härteres Beispiel dafür? An Fachhochschulen<br />
in NRW werden Professoren erst nach einem Jahr Probezeit<br />
verbeamtet, die ihre pädagogische Eignung sicherstellen<br />
soll. Über Studentenvoten können sie gekippt werden. Geordnete<br />
Prozesse für die Beurteilung von deren Berechtigung<br />
ex<strong>ist</strong>ieren nicht.<br />
Was <strong>ist</strong> zu tun? Notwendig <strong>ist</strong> zuallerst die schonungslose<br />
Bestandsaufnahme und Analyse der Situation. Wenn<br />
nicht? Dann läßt sich mit Lawrence Sterne ein „Alas, poor<br />
Yorick“ auf unseren Berufsstand ausbringen. ❏<br />
Anschrift der Autoren<br />
Leonardo-Campus 18<br />
48149 Münster