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Alles aus. Alles neu.

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 02/2012

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC
Ausgabe 02/2012

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Vielleicht liegt das Neue nicht in der Turbo-Beschleunigung,<br />

sondern auf einer ganz anderen Strecke? Um das her<strong>aus</strong>zufinden,<br />

ist Innehalten eine probate Strategie.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Frisch, aktuell, aufregend, jung, origi<br />

nell, modern. Dies sind nur einige<br />

Synonyme für <strong>neu</strong>. Wie man es auch<br />

nennen mag, das Neue ist in unserer<br />

Kultur positiv besetzt, Innovation<br />

gleich bedeutend mit Optimierung.<br />

Das war nicht immer so. Der Paradigmenwechsel<br />

kam mit der Industriellen<br />

Revolution, die eine nie dagewesene<br />

Dynamik und eine im Vergleich mit<br />

den Jahrhunderten davor rasend<br />

beschleunigte Entwicklung von Technik,<br />

Produktivität und Wissenschaft<br />

freisetzte. In zwei Jahrhunderten<br />

wandelte sich unsere Wahrnehmung<br />

der Welt von einer des Seins in eine<br />

des Werdens.<br />

Der Mensch ist zudem ein übermütiges<br />

Wesen, seine Neugierde Ressource<br />

und Antrieb. Er gibt sich mit dem Status<br />

quo nicht zufrieden, probiert und<br />

probiert, auch durch<strong>aus</strong> riskant und<br />

mit ungewissem Ausgang. In der Bibel<br />

greift die Vertreibung <strong>aus</strong> dem Paradies<br />

dieses Thema gleich in den ersten<br />

Kapiteln der Genesis auf und warnt<br />

den Menschen vor seiner Neugierde.<br />

Der Mensch muss<br />

die Kontrolle<br />

über intelligente<br />

Technologien<br />

behalten<br />

Neben dem Spannungsfeld zwischen<br />

Ethik und Wissenschaft liegt heute<br />

die Her<strong>aus</strong>forderung darin, dass sich<br />

die Neugierde nicht verselbständigt.<br />

Globale intelligente Systeme sind<br />

bereits Realität: In Zukunft wird<br />

etwa die gesamte Energieversorgung<br />

von so genannten „smart grids“ gesteuert<br />

werden. Das sind hochkomplexe,<br />

intelligente Netze. Laut Kl<strong>aus</strong><br />

Mainzer, deutscher Philosoph und<br />

Wissenschaftstheoretiker, ist dies<br />

die Art von Intelligenz, von der wir<br />

abhängig werden. Die Bankenkrise<br />

hat dies eindrucksvoll und beunruhigend<br />

vor Augen geführt. Geld- und<br />

Informations ströme sind so komplex<br />

geworden, dass sie Einzelne nicht<br />

mehr durchschauen können. Die<br />

Her<strong>aus</strong>forderung wird darin liegen,<br />

Wege zu finden, diese Systeme in ihrer<br />

Komplexität zu erfassen und die Kontrolle<br />

zu behalten.<br />

In der Philosophie spielen die für das<br />

Neue gewählten Begriffe eine Schlüsselrolle.<br />

Das ist deshalb wichtig, weil<br />

wie wir Dinge nennen, unsere Vorstellung<br />

über sie prägt. Neues wird dabei<br />

üblicherweise mit bereits vorhandenen<br />

Begrifflichkeiten beschrieben. Herbert<br />

Hrachovec, Philosoph an der Universität<br />

Wien, erklärt dies am Beispiel der<br />

E-Mail, der elektronischen Post. Man<br />

hätte sie wohl gen<strong>aus</strong>o elektronische<br />

Kopie nennen können. Denn eine E-<br />

Mail hat ja mit der klassischen Post<br />

wenig gemein. Schließlich ist sie viel<br />

schneller unterwegs und kann gleichzeitig<br />

an beliebig viele Empfänger versandt<br />

werden. Umgekehrt passt heute<br />

die gute, alte Post nicht mehr so richtig<br />

in diese <strong>neu</strong>e Begriffswelt und wird<br />

humorvoll als „Snail-Mail“, als Schneckenpost,<br />

bezeichnet.<br />

Im Anfang schuf Gott Himmel und<br />

Erde, so lautet der erste Satz der Genesis.<br />

In der biblischen Schöpfungsgeschichte<br />

finden sich zwei Begriffe des<br />

Neuen: die Schöpfung <strong>aus</strong> dem Nichts<br />

– ex nihilo – und die Kreation <strong>aus</strong> bereits<br />

vorhandener Materie. So ist die<br />

Schöpfung des Menschen nach dieser<br />

Vorstellung radikal <strong>neu</strong>, Eva hingegen<br />

schafft Gott <strong>aus</strong> einer Rippe Adams.<br />

Das Neue ist immer<br />

ein Kind seiner Zeit<br />

In der Wissenschaft ist es ganz ähnlich.<br />

Der Großteil wissenschaftlicher Forschung<br />

ist eine Weiterentwicklung bereits<br />

vorhandenen Wissens. Viel seltener<br />

und entsprechend spektakulär ist der<br />

Paradigmenwechsel, der das bisherige<br />

Bezugssystem über den Haufen wirft<br />

und einer Revolution des Faches gleichkommt.<br />

„Dass etwas <strong>neu</strong> ist, merkt man,<br />

wenn man auf scharfen Widerspruch<br />

stößt“, sagte Albert Einstein.<br />

Philosophen weisen darauf hin, dass<br />

das Neue nicht zuletzt dann eine<br />

Chance bekommt, wenn die Zeit<br />

dafür reif ist. In der Antike wäre<br />

Galileo Galilei mit ziemlicher Sicherheit<br />

zum Tode verurteilt worden.<br />

Als die Ber li ner Mauer fiel, war der<br />

Kommunis mus bereits am Ende. Der<br />

Arabische Frühling wäre laut Kennern<br />

der Region auch ohne Smartphones<br />

und Twitter gekommen, zumal die<br />

autoritär herr schenden Regime sowie<br />

die politischen und sozialen Strukturen<br />

in diesen Ländern die Grenze zur<br />

Unerträglichkeit überschritten hatten.<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

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